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Christus, Elf Visionen.

Rainer Maria Rilke, Christus Elf Visionen

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S 12<br />

<strong>Christus</strong> <strong>Elf</strong> Visonen<br />

Ihr ist: als wär sie lang krank gewesen,<br />

hätt müssen zur dumpfigen Decke schaun<br />

und dürfte des lachenden Blicks Genesen<br />

zum Himmel nun heben, zum maitagblaun.<br />

Sie fühlt: er läßt seine Rechte sinken<br />

auf ihren Scheitel und kost ihn still,<br />

und sie hascht wie im Traum nach der fiebernden Linken,<br />

weil sie sie küssen will....<br />

Doch die Hand entflieht ihr hastig und heiß,<br />

auf die langenden Händchen fällt eine Träne,<br />

und die fremden Lippen fragen sie leis:<br />

"Heißt deine Mutter nicht Magdalene?"<br />

"Ja."<br />

Und die fremden Lippen fragen so warm:<br />

"Ist sie sehr arm?"<br />

"Ja."<br />

Und Lippen klingen wie Glockenerz:<br />

"Hat sie viel Schmerz?"<br />

"Ja.<br />

Weil ich sie oft tief in der späten<br />

Nacht noch sitzen und weinen sah."<br />

"Kannst du auch beten?"<br />

"Ja."<br />

"Betest du denn auch für deinen Papa?"<br />

"Ja."<br />

"Tu`s."

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