Christus, Elf Visionen.

Rainer Maria Rilke, Christus Elf Visionen Rainer Maria Rilke, Christus Elf Visionen

23.06.2014 Aufrufe

S 10 Christus Elf Visionen Und bei Geplauder und Genecke verflattert mählich erst der Schwarm. - Die kleine Anna, blond und arm, packt jetzt als ob sie was entdecke die nächste Freundin wie im Schrecke und weist scheu flüsternd nach der Hecke und ruft dann etwas. Wie Alarm fährts in die Schar; der ganze Haufen zerstiebt. Ein Stoßen und ein Laufen, ein Wortgewirr, ein Stimmgeschnarr: "Der Narr." "Kinder!" Und geschwinder stürzt er herbei. Ins Geschrei. "Halt." Seine hohe Gestalt mit dem blassen Gesicht ist immer dicht hinter der Flucht. Er sucht. Mit den gekrallten sehnenden Händen, mit den kalten Augen, die blenden, will er sie halten, will er sie wenden.

S 11 Christus Elf Visionen Flatternd in Falten wallt er um die Lenden der Mantel. Die Lode hemmt ihm die Flucht. Bleich wie im Tode steht er und sucht. Und die Kinder entsetzt und in Hitze gehetzt hasten vorbei. Auch Anna. Und jetzt, er schaut sie - ein Schrei. Er bricht durch die Reih und faßt sie und fetzt ihr das Kleidchen entzwei: "Steh!" Und dem armen Kind ist zum Sterben weh. Rings schaut es nach Hilfe. Doch schreckenjäh ist der Schwarm in den Gassen und Gärten zerstoben. Und bebend hebt sie die Augen nach oben bang und beklemmt. Hat er ein Wunder getan? Sie staunt ihn an: die Augen des Fremden sind ihr nicht fremd. Und es überkommt sie ein großes Vertraun.

S 10<br />

<strong>Christus</strong> <strong>Elf</strong> <strong>Visionen</strong><br />

Und bei Geplauder und Genecke<br />

verflattert mählich erst der Schwarm. -<br />

Die kleine Anna, blond und arm,<br />

packt jetzt als ob sie was entdecke<br />

die nächste Freundin wie im Schrecke<br />

und weist scheu flüsternd nach der Hecke<br />

und ruft dann etwas. Wie Alarm<br />

fährts in die Schar; der ganze Haufen<br />

zerstiebt. Ein Stoßen und ein Laufen,<br />

ein Wortgewirr, ein Stimmgeschnarr:<br />

"Der Narr."<br />

"Kinder!"<br />

Und geschwinder<br />

stürzt er herbei.<br />

Ins Geschrei.<br />

"Halt."<br />

Seine hohe Gestalt<br />

mit dem blassen Gesicht<br />

ist immer dicht<br />

hinter der Flucht.<br />

Er sucht.<br />

Mit den gekrallten<br />

sehnenden Händen,<br />

mit den kalten<br />

Augen, die blenden,<br />

will er sie halten,<br />

will er sie wenden.

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