Arianna Ferrari Christopher Coenen Armin Grunwald Arnold Sauter ...

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01.11.2012 Aufrufe

ob und inwieweit unterschiedliche Tierarten Bedeutungen und Abstraktionen erkennen, Werkzeuge erzeugen oder eine Sprache und eine theory of mind haben, sind nicht nur epistemisch relevante Fragen, sondern sie stellen wichtige Herausforderungen für den Tierschutz und somit für die Frage nach der Vertretbarkeit unterschiedlicher Nutzungsformen von Tieren dar (Benz-Schwarzburg et al. 2008; Benz-Schwarzburg und Knight 2011). Da bei Menschen kognitive Fähigkeiten mit zur Begründung der Menschenwürde herangezogen werden (laut der kantischen Verfassung; vgl. 3.3.3), wäre die Präsenz vergleichbarer Kognition bei Tieren relevant, weil sie dann als Träger von Interessen anerkannt werden müssten. Diese Frage hat in der Tierethik eine Debatte über die Zuerkennung fundamentaler Rechte analog zu Menschenrechten an Primaten (Cavalieri und Singer 1994) und Delphine (White 2007) geführt (vgl. Balluch und Theuer 2007). Die Entschlüsselung des Genoms von Schimpansen wurde zur Erforschung der Evolution des Menschen sowie seiner Verwandtschaft mit dieser Tierart betrieben (Chimpanzee Sequencing and Analysis Consortium 2005). Allerdings zeigen die Ergebnisse auch die Grenzen der Erkenntnisse aus der Analyse des Genoms für die Bestimmung der wesentlichen Eigenschaften von Lebewesen und somit der Mensch/Tier-Verwandtschaft, weil die genetische Basis allein nicht viel über die geistige Entwicklung der Lebewesen aussagt. Dies ist interessant für die Debatte über die Wissenschaftstheorie der Genomforschung und damit für die Diskussion über den Wert und die Bedeutung der gentechnischen Veränderung tierischer Eigenschaften (3.3.2). Der Blick auf heutige und in der Zukunft absehbare Forschung (Kap. 2) zeigt, dass die Auswirkungen neuer Technologien auf die Nutzung von Tieren erheblich sind: Die Möglichkeit der Überschreitung von Speziesgrenzen, die Erzeugung von Mensch-Tier- Wesen sowie die extreme Veränderung tierischer Eigenschaften und die Einführung künstlicher Teile in Lebewesen (s.u.) zwingen uns, über unser Verhältnis zur Natur erneut und sehr grundsätzlich nachzudenken. Dass die vielfach behauptete revolutionäre Neuigkeit (Roco und Bainbridge 2002) für Sorge angesichts dystopischer Szenarien sorgt (bspw. Dupuy und Grinbaum 2004), ist zwar nicht spezifisch für konvergierende Technologien. Dennoch radikalisieren Kraft und Breite der teils angestrebten, teils möglicherweise zu erwartenden Transformationen der Natur des Menschen die Antworten und die Reaktionen. Schon in der Debatte über Gentechnik kam es zu einer breiten Diskussion über den Ekel (yuck factor), das Gefühl des Ungeheuerlichen und die Abneigung gegenüber bestimmten Szenarien wie Mensch-Tier-Mischwesen oder AML-Hühnern. Eine Frage ist, ob diese ableh nenden Intuitionen gerechtfertigt sind und Teil einer rationalen Argumentation sein können. 154 Midgley hat bspw. in ihrer Auseinandersetzung mit der Gegenüberstellung von Emotionen und Verstand in der abendländischen Philosophie für eine stärkere Rolle der Intuitionen argumentiert: Bezogen auf Chimären erscheint ihr der yuck factor als durchaus berechtigt (Midgley 2000). Im Fall der konvergierenden Technologien stehen technische Visionen auf besondere Weise mit dem Verhältnis zur Natur im Zusammenhang, da die Visionen gerade auf ein neuartiges Eingreifen abzielen. Die Genetik bezeichnet sich als Wissenschaft des «knowing how» (3.2), die Synthetische Biologie, mit Wurzeln in der Nanobiotechnologie, zielt auf die technische Erzeugung künstlichen Lebens, und NBIC-Konvergenz sucht durch Synergien wissenschaftlicher Disziplinen ein «Enhancement» von natürlichen Lebewesen, seien dies Menschen oder Tiere. Im Gegensatz zum traditionellen Bild ist diese Form der Wissenschaft, technoscience genannt, nicht mehr primär am theoretischen Verständnis von Natur interessiert, sondern an der Anwendung von Erkenntnissen und der Herstellung von Instrumenten (Forman 2007; Latour 1995; Haraway 1997). In der nanotechnologischen Perspektive wird Natur (einschließlich der Lebewesen) zunehmend als komplexer Mechanismus fundamentaler Bestandteile auf der atomaren Ebene und gleichzeitig als etwas Plastisches verstanden, das durch nanobiotechnologische Kenntnisse neu kombiniert werden kann (NSTC 1999; Bensaude-Vincent 2009; Ferrari 2010). So werden auch Fähigkeiten von Lebewesen als technologisch gestaltbar im Sinne einer Steigerung konzipiert (Verbesserung und Perfektionierung): Nicht nur der menschliche Körper wird in transhumanistischen Vorstellungen (bspw. Bostrom 2005) als ein unvollkommener und mangelhafter Körper ausgewiesen, für den die letzte Hoffnung 154 Die Rolle der Intuitionen in der Ethik ist ein altes philosophisches Problem, siehe dazu u. a. Singer 2005. 146 Animal Enhancement | Beiträge zur Ethik und Biotechnologie Animal Enhancement | Beiträge zur Ethik und Biotechnologie 147

ob und inwieweit unterschiedliche Tierarten Bedeutungen und Abstraktionen<br />

erkennen, Werkzeuge erzeugen oder eine Sprache und<br />

eine theory of mind haben, sind nicht nur epistemisch relevante<br />

Fragen, sondern sie stellen wichtige Herausforderungen für den<br />

Tierschutz und somit für die Frage nach der Vertretbarkeit unterschiedlicher<br />

Nutzungsformen von Tieren dar (Benz-Schwarzburg<br />

et al. 2008; Benz-Schwarzburg und Knight 2011). Da bei Menschen<br />

kognitive Fähigkeiten mit zur Begründung der Menschenwürde<br />

herangezogen werden (laut der kantischen Verfassung; vgl. 3.3.3),<br />

wäre die Präsenz vergleichbarer Kognition bei Tieren relevant, weil<br />

sie dann als Träger von Interessen anerkannt werden müssten. Diese<br />

Frage hat in der Tierethik eine Debatte über die Zuerkennung<br />

fundamentaler Rechte analog zu Menschenrechten an Primaten<br />

(Cavalieri und Singer 1994) und Delphine (White 2007) geführt<br />

(vgl. Balluch und Theuer 2007).<br />

Die Entschlüsselung des Genoms von Schimpansen wurde zur<br />

Erforschung der Evolution des Menschen sowie seiner Verwandtschaft<br />

mit dieser Tierart betrieben (Chimpanzee Sequencing and<br />

Analysis Consortium 2005). Allerdings zeigen die Ergebnisse auch<br />

die Grenzen der Erkenntnisse aus der Analyse des Genoms für die<br />

Bestimmung der wesentlichen Eigenschaften von Lebewesen und<br />

somit der Mensch/Tier-Verwandtschaft, weil die genetische Basis<br />

allein nicht viel über die geistige Entwicklung der Lebewesen aussagt.<br />

Dies ist interessant für die Debatte über die Wissenschaftstheorie<br />

der Genomforschung und damit für die Diskussion über<br />

den Wert und die Bedeutung der gentechnischen Veränderung<br />

tierischer Eigenschaften (3.3.2).<br />

Der Blick auf heutige und in der Zukunft absehbare Forschung<br />

(Kap. 2) zeigt, dass die Auswirkungen neuer Technologien auf die<br />

Nutzung von Tieren erheblich sind: Die Möglichkeit der Überschreitung<br />

von Speziesgrenzen, die Erzeugung von Mensch-Tier-<br />

Wesen sowie die extreme Veränderung tierischer Eigenschaften<br />

und die Einführung künstlicher Teile in Lebewesen (s.u.) zwingen<br />

uns, über unser Verhältnis zur Natur erneut und sehr grundsätzlich<br />

nachzudenken. Dass die vielfach behauptete revolutionäre Neuigkeit<br />

(Roco und Bainbridge 2002) für Sorge angesichts dystopischer<br />

Szenarien sorgt (bspw. Dupuy und Grinbaum 2004), ist zwar nicht<br />

spezifisch für konvergierende Technologien. Dennoch radikalisieren<br />

Kraft und Breite der teils angestrebten, teils möglicherweise<br />

zu erwartenden Transformationen der Natur des Menschen die<br />

Antworten und die Reaktionen. Schon in der Debatte über Gentechnik<br />

kam es zu einer breiten Diskussion über den Ekel (yuck<br />

factor), das Gefühl des Ungeheuerlichen und die Abneigung gegenüber<br />

bestimmten Szenarien wie Mensch-Tier-Mischwesen oder<br />

AML-Hühnern. Eine Frage ist, ob diese ableh nenden Intuitionen<br />

gerechtfertigt sind und Teil einer rationalen Argumentation sein<br />

können. 154 Midgley hat bspw. in ihrer Auseinandersetzung mit der<br />

Gegenüberstellung von Emotionen und Verstand in der abendländischen<br />

Philosophie für eine stärkere Rolle der Intuitionen argumentiert:<br />

Bezogen auf Chimären erscheint ihr der yuck factor als<br />

durchaus berechtigt (Midgley 2000).<br />

Im Fall der konvergierenden Technologien stehen technische<br />

Visionen auf besondere Weise mit dem Verhältnis zur Natur im<br />

Zusammenhang, da die Visionen gerade auf ein neuartiges Eingreifen<br />

abzielen. Die Genetik bezeichnet sich als Wissenschaft des<br />

«knowing how» (3.2), die Synthetische Biologie, mit Wurzeln in der<br />

Nanobiotechnologie, zielt auf die technische Erzeugung künstlichen<br />

Lebens, und NBIC-Konvergenz sucht durch Synergien wissenschaftlicher<br />

Disziplinen ein «Enhancement» von natürlichen<br />

Lebewesen, seien dies Menschen oder Tiere. Im Gegensatz zum<br />

traditionellen Bild ist diese Form der Wissenschaft, technoscience<br />

genannt, nicht mehr primär am theoretischen Verständnis von<br />

Natur interessiert, sondern an der Anwendung von Erkenntnissen<br />

und der Herstellung von Instrumenten (Forman 2007; Latour<br />

1995; Haraway 1997). In der nanotechnologischen Perspektive<br />

wird Natur (einschließlich der Lebewesen) zunehmend als komplexer<br />

Mechanismus fundamentaler Bestandteile auf der atomaren<br />

Ebene und gleichzeitig als etwas Plastisches verstanden, das durch<br />

nanobiotechnologische Kenntnisse neu kombiniert werden kann<br />

(NSTC 1999; Bensaude-Vincent 2009; <strong>Ferrari</strong> 2010). So werden<br />

auch Fähigkeiten von Lebewesen als technologisch gestaltbar im<br />

Sinne einer Steigerung konzipiert (Verbesserung und Perfektionierung):<br />

Nicht nur der menschliche Körper wird in transhumanistischen<br />

Vorstellungen (bspw. Bostrom 2005) als ein unvollkommener<br />

und mangelhafter Körper ausgewiesen, für den die letzte Hoffnung<br />

154 Die Rolle der Intuitionen in der Ethik ist ein altes philosophisches Problem, siehe<br />

dazu u. a. Singer 2005.<br />

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