Arianna Ferrari Christopher Coenen Armin Grunwald Arnold Sauter ...

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01.11.2012 Aufrufe

das im Titel seines Buchs The Pig that wants to be eaten (Baggini 2005) zusammengefasst wird. Rollin (1995) beschreibt die Möglichkeit der Herstellung transgener dezerebrierter Versuchstiere: Wenn Experimente unvermeidbar an Tiermodellen gemacht werden müssen, könnten auf diese Weise Leiden vermindert werden. Die Herstellung solcher Tiere erscheint nicht absolut unwahrscheinlich oder rein phantastisch. Sie greift zumindest auf Motive zurück, die heutzutage im Rahmen des wissenschaftlich Angestrebten liegen: Denkt man an die gentechnische Veränderung von Nutztieren, um sie den Haltungsbedingungen der Landwirtschaft besser anpassen zu können, bspw. durch Krankheitsresistenz oder die Abschaffung des Sehvermögens bei Hühnern – obwohl Letzteres bisher nicht als kommerzielles gentechnisches Zuchtprojekt verfolgt wird (Sandøe et al. 1999, Sandøe 2003; vgl. Schmidt 2008 144 ) –, oder auch an die Herstellung von so genannten «Zombie-Mäusen» im Rahmen der Forschung über neuronale Korrelate von Bewusstsein (2.1.7; vgl. Koch/Crick 2001; Koch 2004), so erscheinen Entwicklungen in dieser Richtung nicht völlig unwahrscheinlich. Wie Schmidt (2008) bemerkt, können die extremen Szenarien von AML-Nutztieren und transgenen empfindungsunfähigen Mäusen gegensätzliche Reaktionen hervorrufen: einerseits können sie intuitiv abgelehnt werden, indem solche Tiere als Monster und als widerliche Produkte von Technologien angesehen würden (3.3.5); andererseits kann diese Ablehnung gerade nachlassen, weil die daraus entstehenden Wesen nicht mehr als Tiere im Sinne von Mitgeschöpfen angesehen werden, sondern eher als empfindungslose Lebewesen ähnlich wie eine Pflanze oder sogar als bloße Zell- und Gewebesammlung. Die Frage nach maximaler Reduktion tierischer Eigenschaften und insbesondere der Abschaffung der Leidensfähigkeit stellt damit eine besondere Herausforderung für die Tierethik dar: erstens, weil sie eine genuin neue Frage ist, die auch im Zusammenhang mit Überlegungen über die Rolle der Technologie, ihrer Versprechen und ihrer Ziele steht, und zweitens, weil die Leidensfähigkeit eine direkte Quelle der moralischen Relevanz innerhalb der pathozentrischen Theorien und ein wichtiges Kriterium auch für andere tierethische Theorien darstellt (vgl. Ferrari 2008). 144 Thompson (2007, 2008) nennt diese Frage «blind hen problem». Die Absicht, AML-Tiere herzustellen, wird aus unterschiedlichen Gründen kritisiert. Aus der angenommenen Perspektive von Tieren wäre eine maximale Reduktion der Eigenschaften das Gegenteil einer Verbesserung. Das Tier würde zu einem «dummen Tierklumpen» reduziert, wodurch ohne Zweifel in seine Unversehrtheit, Würde und Integrität erheblich eingegriffen würde. Dieses wäre sozusagen eine maximale Instrumentalisierung von Tieren, in denen der «tierische Charakter» weitgehend oder vollständig verschwindet und eine Art «Nutzobjekt» zurückbleibt (Holland 1995; Cooper 1998; vgl. Rutgers und Heeger 1999). Andere Autoren beziehen darüber hinaus die notwendige experimentelle Phase mit ein, die zur Herstellung solcher Wesen notwendig wäre und die mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Leiden und Schmerzen in Verbindung stehen würde (Comstock 1992). Bei einer holistischen Betrachtung des Wesens des Tieres wäre eine massive Reduktion tierischer Eigenschaften mit Sicherheit problematisch: Versteht man das tierische Wohlergehen als komplexe Gesamtheit der physischen und mentalen Zustände eine Tieres, muss der Verlust der Möglichkeit zur Erlangung positiver mentaler Zustände – bspw. infolge einer massiven Reduktion kognitiver Fähigkeiten – als Minderung des Wohlergehens des Tieres angesehen werden (Holtug 1996). Ein Problem bei der Herstellung leidensunfähiger bzw. empfindungsunfähiger Tiere besteht darin, dass das Empfindungsvermögen überhaupt nicht nur aus einer einzelnen Eigenschaft mit einer entsprechenden klaren genetischen Basis besteht, also nicht einfach «ausgeschaltet» werden kann. Vielmehr müsste bei der Herstellung solcher Tiere die Ausschaltung vieler anderer Fähigkeiten und Merkmale des Tieres erfolgen (Macer 1989; Ferrari 2008). Interessant ist, dass diese Diskussion sich im angelsächsischen Kontext entwickelt hat, wo der Begriff sentience zur Bezeichnung sowohl des Empfindens für Leiden und Schmerzen als auch des gesamten Empfindens dienen kann (Ferrari 2008). Im Grunde genommen wäre ein solcher Eingriff so massiv, dass diese Tiere in fast allen ihren Eigenschaften verändert werden. Wären aber AML-Tiere überhaupt noch Tiere? Würden sie noch unter Tierschutzgesetze fallen? Wären sie nicht Biofakte (Karafyllis 2006), bei denen der Anteil des Gemachten den des Gewordenen so weit in den Schatten stellt, dass letzterer keine Rolle mehr spielte? 136 Animal Enhancement | Beiträge zur Ethik und Biotechnologie Animal Enhancement | Beiträge zur Ethik und Biotechnologie 137

das im Titel seines Buchs The Pig that wants to be eaten (Baggini<br />

2005) zusammengefasst wird. Rollin (1995) beschreibt die Möglichkeit<br />

der Herstellung transgener dezerebrierter Versuchstiere: Wenn<br />

Experimente unvermeidbar an Tiermodellen gemacht werden müssen,<br />

könnten auf diese Weise Leiden vermindert werden.<br />

Die Herstellung solcher Tiere erscheint nicht absolut unwahrscheinlich<br />

oder rein phantastisch. Sie greift zumindest auf Motive<br />

zurück, die heutzutage im Rahmen des wissenschaftlich Angestrebten<br />

liegen: Denkt man an die gentechnische Veränderung von<br />

Nutztieren, um sie den Haltungsbedingungen der Landwirtschaft<br />

besser anpassen zu können, bspw. durch Krankheitsresistenz oder<br />

die Abschaffung des Sehvermögens bei Hühnern – obwohl Letzteres<br />

bisher nicht als kommerzielles gentechnisches Zuchtprojekt verfolgt<br />

wird (Sandøe et al. 1999, Sandøe 2003; vgl. Schmidt 2008 144 ) –,<br />

oder auch an die Herstellung von so genannten «Zombie-Mäusen»<br />

im Rahmen der Forschung über neuronale Korrelate von Bewusstsein<br />

(2.1.7; vgl. Koch/Crick 2001; Koch 2004), so erscheinen Entwicklungen<br />

in dieser Richtung nicht völlig unwahrscheinlich.<br />

Wie Schmidt (2008) bemerkt, können die extremen Szenarien<br />

von AML-Nutztieren und transgenen empfindungsunfähigen Mäusen<br />

gegensätzliche Reaktionen hervorrufen: einerseits können sie<br />

intuitiv abgelehnt werden, indem solche Tiere als Monster und als<br />

widerliche Produkte von Technologien angesehen würden (3.3.5);<br />

andererseits kann diese Ablehnung gerade nachlassen, weil die<br />

daraus entstehenden Wesen nicht mehr als Tiere im Sinne von Mitgeschöpfen<br />

angesehen werden, sondern eher als empfindungslose<br />

Lebewesen ähnlich wie eine Pflanze oder sogar als bloße Zell- und<br />

Gewebesammlung. Die Frage nach maximaler Reduktion tierischer<br />

Eigenschaften und insbesondere der Abschaffung der Leidensfähigkeit<br />

stellt damit eine besondere Herausforderung für die<br />

Tierethik dar: erstens, weil sie eine genuin neue Frage ist, die auch<br />

im Zusammenhang mit Überlegungen über die Rolle der Technologie,<br />

ihrer Versprechen und ihrer Ziele steht, und zweitens, weil<br />

die Leidensfähigkeit eine direkte Quelle der moralischen Relevanz<br />

innerhalb der pathozentrischen Theorien und ein wichtiges Kriterium<br />

auch für andere tierethische Theorien darstellt (vgl. <strong>Ferrari</strong><br />

2008).<br />

144 Thompson (2007, 2008) nennt diese Frage «blind hen problem».<br />

Die Absicht, AML-Tiere herzustellen, wird aus unterschiedlichen<br />

Gründen kritisiert. Aus der angenommenen Perspektive von Tieren<br />

wäre eine maximale Reduktion der Eigenschaften das Gegenteil<br />

einer Verbesserung. Das Tier würde zu einem «dummen Tierklumpen»<br />

reduziert, wodurch ohne Zweifel in seine Unversehrtheit,<br />

Würde und Integrität erheblich eingegriffen würde. Dieses<br />

wäre sozusagen eine maximale Instrumentalisierung von Tieren,<br />

in denen der «tierische Charakter» weitgehend oder vollständig<br />

verschwindet und eine Art «Nutzobjekt» zurückbleibt (Holland<br />

1995; Cooper 1998; vgl. Rutgers und Heeger 1999). Andere Autoren<br />

beziehen darüber hinaus die notwendige experimentelle Phase<br />

mit ein, die zur Herstellung solcher Wesen notwendig wäre und<br />

die mit hoher Wahrscheinlichkeit mit Leiden und Schmerzen in<br />

Verbindung stehen würde (Comstock 1992).<br />

Bei einer holistischen Betrachtung des Wesens des Tieres wäre<br />

eine massive Reduktion tierischer Eigenschaften mit Sicherheit<br />

problematisch: Versteht man das tierische Wohlergehen als komplexe<br />

Gesamtheit der physischen und mentalen Zustände eine<br />

Tieres, muss der Verlust der Möglichkeit zur Erlangung positiver<br />

mentaler Zustände – bspw. infolge einer massiven Reduktion kognitiver<br />

Fähigkeiten – als Minderung des Wohlergehens des Tieres<br />

angesehen werden (Holtug 1996). Ein Problem bei der Herstellung<br />

leidensunfähiger bzw. empfindungsunfähiger Tiere besteht darin,<br />

dass das Empfindungsvermögen überhaupt nicht nur aus einer einzelnen<br />

Eigenschaft mit einer entsprechenden klaren genetischen<br />

Basis besteht, also nicht einfach «ausgeschaltet» werden kann.<br />

Vielmehr müsste bei der Herstellung solcher Tiere die Ausschaltung<br />

vieler anderer Fähigkeiten und Merkmale des Tieres erfolgen<br />

(Macer 1989; <strong>Ferrari</strong> 2008).<br />

Interessant ist, dass diese Diskussion sich im angelsächsischen<br />

Kontext entwickelt hat, wo der Begriff sentience zur Bezeichnung<br />

sowohl des Empfindens für Leiden und Schmerzen als auch des<br />

gesamten Empfindens dienen kann (<strong>Ferrari</strong> 2008). Im Grunde<br />

genommen wäre ein solcher Eingriff so massiv, dass diese Tiere<br />

in fast allen ihren Eigenschaften verändert werden. Wären aber<br />

AML-Tiere überhaupt noch Tiere? Würden sie noch unter Tierschutzgesetze<br />

fallen? Wären sie nicht Biofakte (Karafyllis 2006),<br />

bei denen der Anteil des Gemachten den des Gewordenen so weit<br />

in den Schatten stellt, dass letzterer keine Rolle mehr spielte?<br />

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