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Ortsporträt Uzwil 2014

Eine Sonderbeilage der Wiler Nachrichten Juni 2014

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<strong>Uzwil</strong><br />

21<br />

Sie nannten ihn «Atom-Toni»<br />

Über das Leben und Wirken eines aussergewöhnlichen Lehrers<br />

Toni Hollenstein hat sich in der Gemeinde einen<br />

Namen gemacht. Zum einen wegen seiner Begeisterung<br />

für die Kernenergie, zum anderen weil er in<br />

36 Jahren als Lehrer die Sekundarschule geprägt<br />

hat. Heute schätzt der Pensionär <strong>Uzwil</strong> als Wohnort,<br />

dem es grundsätzlich an nichts fehlt.<br />

Die meisten Lehrer wollen wohl den letzten Arbeitstag<br />

schnell hinter sich bringen. Nicht so Toni Hollenstein. Es<br />

war Juli 2001, als der heutige Rentner nach 36 Jahren seine<br />

letzte Unterrichtsstunde an der Sekundarschule <strong>Uzwil</strong><br />

vorbereitete. Es sollte etwas Besonderes werden, mit vielen<br />

tollen mathematischen Trugschlüssen, mit welchen<br />

sich die Schüler auseinandersetzen sollten. Doch als Toni<br />

Hollenstein aus seinem schmucken Haus an der Meisenstrasse<br />

trat, staunte er nicht schlecht. Da stand ein<br />

Zweiergespann vor seiner Tür, mitsamt Kutscher. Wie<br />

ein Star fuhr Toni Hollenstein zusammen mit seiner Frau<br />

Lisel auf den Schulplatz und erntete herzlichen Applaus.<br />

Anschliessend dreht er eine Runde auf einem von<br />

seinenSchülernselbstgebautenFahrrad.«Unterrichtgab<br />

ich später aber trotzdem noch», schmunzelt Toni Hollenstein,<br />

der weitgehend auch als «Atom-Toni» bekannt<br />

war.<br />

Streng aber fair<br />

Sein Spitzname ist Programm, denn «Atom-Toni» war<br />

einVerfechterderKernenergie.«VerstehenSiemichnicht<br />

falsch», fügt Toni Hollenstein rasch hinzu «Energie aus<br />

Kernspaltung ist natürlich nicht die endgültige Lösung».<br />

Doch seien immense Fortschritte dank dieser Errungenschaft<br />

überhaupt möglich geworden. «Der überstürzte<br />

Ausstieg aus der sicheren Bandenergie ist unverständlich,<br />

solange es keine gleichwertige Alternative<br />

gibt.»<br />

Seine Überzeugung gab der heute 75-Jährige gerne weiter.<br />

Sohatte er zahlreiche Kernkraftwerk-Exkursionen,<br />

die beispielsweise nach Gösgen oder Beznau führten,<br />

für die Klassen organisiert. Einmal erntete Hollenstein dafür<br />

Kritik in Form eines Briefes. Er blieb jedoch gelassen.<br />

Doch konnte Atom-Toni gegenüber seinen Schülernauch<br />

andere Seiten aufziehen: «Ich denke schon, dass ich ein<br />

strenger Lehrer war aber auch ein gerechter.» Er mochte<br />

grundsätzlich alle seiner Schüler –bis auf die faulen.<br />

Von missglückten Experimenten<br />

Toni Hollenstein war wohl auch «Atom-Toni», weil er keine<br />

Mühe scheute, seinen Unterricht so kreativ wie möglich<br />

zu gestalten. So schrieb er sein Unterrichtsmaterial<br />

am liebsten selbst und führte allerhand Experimente<br />

durch. Eines, aber nur eines, sei einmal zünftig schiefgegangen.<br />

Als Hollenstein versuchte, eine alte Kaffee-<br />

Büchse mittels Benzinmischung in die Luft zu jagen. Er<br />

baute eine Zündkerze, betrieben durch einen Induktor<br />

mit Kurbel. Als er jedoch den sagenhaften Knall, den es<br />

geben sollte, zu präsentieren versuchte, passierte rein<br />

gar nichts. Er bat daraufhin einen seiner Schüler an der<br />

Kurbel zu drehen, während Hollenstein in die geöffnete<br />

Büchse schaute. Wieesschon fast zu erahnen war,kam<br />

der Knall dann doch. «Meine Augenbrauen waren komplett<br />

verbrutzelt», lacht Toni Hollenstein. Glücklicherweise<br />

sei nichts Schlimmeres dabei passiert.<br />

Ja, Toni Hollenstein hatte viel Glück im Leben. «Ich durfte<br />

das erlernen, was ich immer wollte», so der heutige<br />

Pensionär. Nebst Physik unterrichtete Hollenstein auch<br />

Sport, Mathematik, Biologie und Chemie. Der 75-Jährige<br />

schätzte es, inhaltliche Verknüpfungen der verschiedenen<br />

Fächer für seinen Unterricht nutzen zu können.<br />

Denn gewisse Dinge aus der Mathematik brauche<br />

man schliesslich auch in der Physik. «Dort wo heute in Niveaugruppen<br />

gearbeitet wird, erschwert sich dies, weil<br />

der Klassenverband geschwächt ist.»<br />

Auch werde zu sehr auf Gruppenarbeit gesetzt. Das individuelle<br />

Können des Einzelnen ginge dabei verloren<br />

und zudem würden nur die Fleissigen etwas leisten. Er<br />

fand zudem die frühere Aufteilung der Oberstufen sehr<br />

sinnvoll, als die Real- und die Sekstufe noch in separaten<br />

Häusern unterrichtet wurden. «Wichtig wäre, den<br />

Einzelnen auf seinem Lernniveau zu fördern, weil sonst<br />

die Schwächeren, inmitten der Starken, untergehen.»<br />

Seit 1965 in <strong>Uzwil</strong><br />

Verändert hat sich in den letzten Jahren natürlich nicht<br />

nur das Schulsystem, sondern auch <strong>Uzwil</strong> an sich. Toni<br />

Hollenstein ist 1965 nach <strong>Uzwil</strong> gekommen. Davor hatte<br />

er drei Jahreander Sekundarschule Azmoos in der Gemeinde<br />

Wartau unterrichtet. Dass er hier gelandet ist,<br />

sei lediglich seinem Job an der Sekundarschule <strong>Uzwil</strong> zu<br />

verdanken. «Es war sozusagen ein Zufall», so Hollenstein.<br />

Er schätzte immer die guten Verbindungen nach<br />

Ost und West und die Entwicklungsmöglichkeiten, welche<br />

die Gemeinde zu bieten hatte. «Als Wohnort ist <strong>Uzwil</strong><br />

ideal» so der gebürtige St. Galler,der er im Herzen auch<br />

immer bleiben werde. Jedoch sei es schade, dass die Gemeinde<br />

keinen Dorfcharakter habe. «Wir sind hier etwas<br />

verzettelt, haben kein richtiges Zentrum», so Hollenstein.<br />

Die Schule konnte zwar von der grossen <strong>Uzwil</strong>er<br />

Industrie stets profitieren, dennoch sei es schade, dass<br />

es kaum noch Detailläden, wie etwa eine Metzgerei oder<br />

eine Eisenwarenhandlung gebe. «Nägel, Schrauben oder<br />

Werkzeuge hole ich mir heute in Rickenbach. Früher hatten<br />

wir in Oberuzwil das Eisenwarengeschäft Hellmüller<br />

und Zingg», so Hollenstein. Löblich sei hingegen, dass eine<br />

Ortschaft von dieser Grösse noch ein eigenes Kino besitze<br />

sowie ein Schwimmbad und eine Kunsteisbahn, die<br />

seit 1961 besteht.<br />

Ein Opernliebhaber<br />

«Trotz dem was vermeintlich fehlt, fehlt es einem eben<br />

doch an nichts in <strong>Uzwil</strong>.» Mehr kulturelle Einflüsse wären<br />

dem ehemaligen Lehrer jedoch lieb. Als Opernliebhaber<br />

erfreute ihn besonders die Tatsache, dass gegen<br />

Ende der 80er Jahre Opern und Operettenaufführungen<br />

im <strong>Uzwil</strong>er Gemeindesaal stattgefunden hatten. Die<br />

meisten Stuhlreihen seien jedoch leer geblieben. Platz<br />

hätte es für mindestens 700 Personen gehabt. So war<br />

es nicht verwunderlich dass es irgendwann kein Musiktheater<br />

mehr gab.<br />

Heute sind es besonders die Theatergruppe Henau, die<br />

jedes Jahr ein neues Stück aufführt, sowie die örtliche Jugendmusik,<br />

die es Toni Hollenstein angetan haben. Seit<br />

einiger Zeit werde das Theaterleben durch «Kultur gibt<br />

Gas» wieder neu belebt. «Die Aufführen sind sehr günstig<br />

und von werden von den technischen Betrieben organisiert»,<br />

so der ehemalige Lehrer.<br />

Nebst Kultur begeistert Hollenstein das Reisen und Filmen,<br />

dem er sich auch künftig vertieft widmen will. Nicht<br />

zu vergessen: seine eindrückliche Modelleisenbahn, die<br />

Hollenstein in seinem Estrich eingebaut hat. Mit dazugehörender<br />

Berglandschaft, kleinen Häusernund Bahnhof.<br />

«Sie ist noch nicht fertig», so der Rentner und er<br />

fügt schmunzelnd an: «ich habe zum Glück das Privileg,<br />

auch in Zukunft hier oben lange verweilen zu können».<br />

Katja Fässler<br />

Bild: Allgemeiner Anzeiger<br />

Wie ein Star wurde «Atom-Toni» an seinem letzten Arbeitstag verabschiedet.<br />

Faszination Modelleisenbahn: Toni Hollenstein hat die Zuglandschaft selbst erbaut und entwickelt sie laufend weiter.<br />

Bild: Katja Fässler

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