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Soziologische Vorüberlegungen zu einer europäischen Küstenwache

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(Kiss, 1977: 231) beruhen. Die Existenz eines Konflikts bedeute daher nicht notwendigerweise<br />

einen fundamentalen Gegensatz, da selbst im Dissens immer noch ein<br />

Minimum an Gemeinsamkeit bestehe, weil in der Realität „reine Interessengegensätze<br />

[...] nur sehr selten auftretende Grenzfälle sind“ (Weede, In: Reinhold et al.: 349).<br />

Die Darstellungen <strong>zu</strong>r „Theorie des sozialen Konfliktes“ mögen auf den ersten<br />

Blick in ihrem Umfang das vorliegende Problem übersteigen. Entscheidend ist<br />

jedoch nicht so sehr die Dimension der Konflikte, sondern vielmehr ihre Allgegenwart<br />

und ihre grundsätzlich strukturelle Beschaffenheit – und die ist hier sehr wohl<br />

gegeben. Dementsprechend ist die Basis der nun folgenden Betrachtung die, dass die<br />

Meere und mit Abschwächungen auch die Küstengewässer derzeit einen nahe<strong>zu</strong><br />

„rechtsarmen“ – um nicht <strong>zu</strong> sagen rechtsfreien – Raum bilden, in dem das Handeln<br />

aller Beteiligten von dem Gewohnheitsrecht der „Freiheit der Meere“ geprägt ist, da<br />

in internationalen Gewässern so gut wie keine Rechtsvorschriften gelten 16 (siehe Kap.<br />

3.4) und ebenso wenige Sanktionsmöglichkeiten wie etwa eine Strafverfolgung bestehen<br />

(vgl. Kommission der EU, 27.9.2000: 5). Denn die Grenze der Hoheitsgewässer<br />

bildet <strong>zu</strong>gleich die Grenze der jeweiligen nationalen Rechtsprechung. Dem<strong>zu</strong>folge<br />

mögen Interessen und Zwänge, denen nach Norbert Elias jeder Einzelne unterliegt<br />

(vgl. Elias, 1997 Bd. 2: 339), manchen da<strong>zu</strong> verleiten, ohne Kompromisse ausschließlich<br />

eigenen Interessen folgend <strong>zu</strong> agieren – bis hin <strong>zu</strong>r Kriminalität. Etwas überspitzt<br />

mag man da<strong>zu</strong> neigen, das Meer mit dem von Thomas Hobbes im „Leviathan“<br />

geschilderten Ur<strong>zu</strong>stand „eines Krieges aller gegen alle“ <strong>zu</strong> vergleichen, in dem das<br />

Handeln jedes Akteurs ausschließlich dem Erreichen eigener Ziele diene (vgl. Hobbes,<br />

2000: 151), wobei vergangene und gegenwärtige Formen der Piraterie dieses Bild<br />

<strong>zu</strong> stützen scheinen (vgl. IMO, 31.3.2002b). Vielfältige figurative Verflechtungen<br />

bewirken jedoch, dass das Handeln eines jeden Akteurs, häufig ungewollt, immer<br />

auch Konsequenzen für Andere nach sich zieht bzw. von Anderen – gedacht ist an<br />

Sanktionen – hervorruft. Dem<strong>zu</strong>folge birgt die „Freiheit der Meere“ ein erhebliches<br />

und in seinen Auswirkungen nicht <strong>zu</strong> unterschätzendes Konfliktpotenzial „<strong>zu</strong> Wasser“.<br />

Darüber hinaus ließ die einführende Darstellung (siehe Kap. 2.2.1 bis 2.2.3) er-<br />

16 Die wichtigste Bestimmung auf See ist die Verpflichtung eines jeden <strong>zu</strong>r Hilfe für Schiffbrüchige.<br />

Dass das Bergen Schiffbrüchiger Schwierigkeiten nach sich ziehen kann, musste der Kapitän des norwegischen<br />

Frachters TAMPA im Spätsommer 2001 erfahren, als die Aufnahme von 433 in Seenot<br />

geratenen Flüchtlingen in internationalen Gewässern <strong>zu</strong>m Politikum wurde, da Australien deren Aufnahme<br />

<strong>zu</strong>nächst hartnäckig verweigerte.<br />

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