Nemzy Povolzhja
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Mit dem ganzen Herzen<br />
an der Vergangenheit hängend<br />
Dieser Besuch fiel erstaunlicherweise erfolgreich aus, denn es war früher Morgen.<br />
Wir kamen unerwartet, aber trotzdem freute man sich über unser Kommen.<br />
Sophia Iwanowna Sokolowskaja, erstaunlich schön mit ihren 75 Jahren, führte uns ins<br />
Wohnzimmer und zuckte auf unsere Bitte hin, über sich zu erzählen, nur traurig mit den<br />
Achseln. Man könnte viel erzählen, es ist nur die Frage, ob das jemanden interessiert.<br />
Im Elternhaus<br />
Sie wurde am 23. September 1926 in der Stadt Marx in der Rabotschaja-Straße geboren.<br />
Der Mädchenname von Sophia Iwanowna ist Leos. Der Vater Meß Johannes<br />
Genrichowitsch und die Mutter Wera Iwanowna Loos (geborene Balper). Die Eltern<br />
starben sehr früh, so dass Sophia Iwanowna sehr wenig über ihre Vorfahren wusste.<br />
Sie weiß nicht einmal, woher ihre Vorfahren kamen, wo sie lebten und was sie machten.<br />
Aber alles, was die Eltern, Geschwister, Besonderheiten des alltäglichen Lebens<br />
ihrer Familie, einprägsame Erlebnisse und tragischen Zeiten anbelangt - all das ist ihr<br />
bis heute gegenwärtig.<br />
Ihr Lebensweg ist den aller Russlanddeutschen ähnlich - man könnte über jeden<br />
ein Buch schreiben und es wäre interessant und inhaltsreich. Wollen wir versuchen,<br />
das alles auf einigen Seiten kurz zu fassen.<br />
„Da ist meine Mutti beim Kochen! Bald darf ich nach Hause gehen!" sagte die kleine<br />
Sophie und erhob sich fröhlich von der Schulbank. Dafür wurde sie von der Schullehrerin<br />
öfters gerügt, die drohte, ihr einen anderen Platz, weit vom Fenster zuzuweisen.<br />
Einmal ging sie zusammen mit anderen Schülerinnen zur Sommerarbeit in eine Kolchose.<br />
Alles war in der Kolchose bestens und das Essen war sogar kostenlos, aber sie<br />
bekam Heimweh. Und da verließ sie eines Morgens die Kolchose, obwohl sie 30 Kilometer<br />
über die Felder laufen musste. Die beunruhigte Schullehreria schickte ein Auto<br />
in das Dorf, um die Eltern von ihrer Flucht zu benachrichtigen, und um diese Zeit ging<br />
die kleine Sophie, erschöpft nach diesem langen Weg, zu Bett. Vom Vater wurde sie logischerweise<br />
kräftig gerügt.<br />
Man sollte sagen, dass die Erziehung in der Familie ziemlich streng war. Der Vater<br />
achtete immer darauf, dass die Kinder sich zu Tisch ordentlich benahmen, nie mit<br />
einem Stück Brot zu Hause herumliefen, Mahlzeiten zu sich nahmen, wie es sich gehört,<br />
und beim Essen nicht plauderten. Wie in allen lutherischen Familien kannten die<br />
Kinder Gebete und lasen die Bibel. Und das Wichtigste ist, dass die Kinder sich von<br />
klein auf an die Arbeit gewöhnten. In der achtköpfigen Familie hatte jeder seinen Aufgabenkreis:<br />
Einer half der Mutter in der Küche, andere arbeiteten mit dem Vater im<br />
Hof. Im Sommer arbeitete die ganze Familie — Erwachsene wie auch Kinder — im Feld.<br />
Seit 10 Jahren kochte Sophie während der Heuernte für die ganze Familie. Es lag ihr<br />
nicht, aber das musste halt gemacht werden.<br />
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