Nemzy Povolzhja

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18.06.2014 Aufrufe

Mädchen und Jungen und spielten zusammen: Im Sommer spielten sie Lapta und im Winter rodelten sie. Die Rodelschlitten haben sie selbst gebaut. An Spielen nahm auch ihr älterer Bruder teil. Bevor sie abends ins Bett gingen, las die Mutter aus der Bibel in deutscher Ausgabe vor, die sie extra für Maria gekauft hatte. Die Kirche suchte die b'amilie nicht besonders oft auf. Maria Michajlowa erklärte dazu, sie seien in der Sowjetzeit geboren und man begann bereits an manchen Orten, die orthodoxen, katholischen und evangelischen Kirchen zu zerstören. Die Familie von Maria Michajlowa war evangelisch. Bis heute ist ein Bild, auf dem ein auf den Wolken liegender Engel dargestellt ist, erhalten gebheben. „Sei getrost" steht auf dem Bild. Das ist das einzige Familienandenken, das Maria Michajlowa hat. Ihre Mutter arbeitete von 8 Uhr morgens bis 16 Uhr und hatte sonntags frei. An dem freienTag besuchten sie den Onkel in der Siedlung, wo sie Kürbis aßen. Wenn sie etwas Abwechslung wollten, gingen sie ins Pädagogische Institut. Und die Männer gingen sonntags ins Zentrum, um dort Bier zu trinken. Die Liebhngsplätzte von Maria Michajlowa waren das Wolgaufer und der Sportplatz, wo sie Schlittschuhe liefen und Fussball spielten. Der große Sportplatz war beleuchtet, es spielte immer Musik und es gab auch einen Tanzplatz. Aber dorthin wurden Maria und ihre Freunde wegen des Alters nicht gelassen. Es gelang ihnen jedoch mit Hilfe der Jungen, über den Zaun zu klettern. „Das Stadion war der Lieblingserholungsplatz der Jugendlichen", erzählte Maria Michajlowa. Der Tisch war gewöhnlich nicht leer, die Mutter bereitete Krebel, Haluschki und Schnitzesuppe (Apfelkompot, Teig, sauere Sahne) zu. Die Schnitzesuppe wurde kalt gegessen. Die Lebensmittel wurden in speziellen Kellern aufbewahrt, jede Familie hatte dort ihren Platz. Es gab genügend Lebensmittel und man aß ohne Beschränkung. Was kann man noch hinzufügen? Die Wolga als Ernährerin! Maria Michajlowa kann sich noch an vieles erinnern. Einer der Kindheitseindrücke ist ein Erlebnis am Wolgaufer, das noch heute ganz frisch in der Erinnerung unserer Gesprächspartnerin ist. Einmal bekam ihre Mutter eine Zuweisung für ein Ferienlager und schickte Maria und ihren Bruder dorthin. Sie mussten mit dem Schiff fahren in Marx wurden sie von Fuhrwerken abgeholt.Maria und ihr Bruder waren die einzigen Deutschen auf ihrem Fuhrwerk. Es fuhr los... Es war schon dunkel und der alte Mann, der das Fuhrwerk lenkte, sah ein vom Wind bewegtes Sonnenblumenfeld. Der alte Mann fragte: „Warum bewegen sich die Leute da vorn nicht vom Fleck? Sie schwanken nur hin und her..." Maria antwortete ihm auf Deutsch: „Das sind doch nur Sonnenblumen und keine Leute." Der Alte drehte sich um und fragte: „Seid ihr Deutsche?" - „Ja, wir sind Deutsche." An dieses Ereignis erinnert sich Maria Michajlowa mit einem Lächeln. Dann kam aber das Ende der sorglosen Kindheit. Die deutsche Nationalität, auch wenn es sehr traurig klingt, musste man teuer bezahlen. Anfang Herbst 1941 begann die Deportation der deutschen Bevölkerung. „Als die Mutter das erfuhr, weinte sie sehr. Nicht nur die Nachbarn besuchten sie, um sie zu beruhigen, sondern auch der Milizionär, der diese schreckliche Nachricht überbracht hatte", erinnert sich Maria 62

Michajlowa. Sie wurden nach Sibirien geschickt, in den Krasnojarskij Krai, Rayon Turuchanskij, wo Maria Michajlowa nur mit ihrer Mutter ankam (der Bruder wurde in die Trudarmee geholt). In Sibirien wurden sie herzlich aufgenommen. In Spezposelnie (Spezielle Siedlung für Deportierte) wurde ihnen nicht gleich eine Wohnung zur Verfügung gestellt. Deshalb hausten sie drei Wochen lang unter Booten. Erst danach wies man Mutter und Tochter in eine russische Wohnung ein. Es gab keine Probleme im Umgang, denn unsere Gesprächspartnerin hatte in Engels eine russische Schule besucht und konnte gut Russisch. Die Deportation hinterließ einen unauslöschlichen Eindruck im Herzen von Maria Michajlowa. Es fiel ihr sehr schwer, sich noch einmal an das Ganze zu erinnern. In Sibirien arbeitete die Mutter im Kolchos und Maria Michajlowa wurde zur Kinderfrau. Man angelte, jagte, dörrte Kartoffeln, die man an die Front schickte, strickte Socken, Handschuhe und fertigte Filzstiefel an. Einmal im Monat mussten sie sich in der Kommandantur melden. Das war der Arbeitsalltag der schweren Zeit, aber es gab auch Erhohhing. Anfangs hatte man im Truchanowskij Rayon keine Feiertage begangen. Aber dann begann man das Neujahrsfest und den 7. November zu feiern und sagte zu Weihnachten wahr. Als Maria Michajlowa 18 Jahre alt war, träumte sie von einem Jungen, der ihrem künftigen Mann sehr ähnelte. Ein Jahr später lernte sie beim Mähen Iwan Michajlow kennen. Bald heirateten sie und später siedelten sie nach Krasnyj Jar über. An das Ende des Krieges kann sich Maria Michajlowa besonders gut erinnern: „An diesem Tag, dem 9. Mai, brach das Eis auf dem Jenissej auf. Es ging das Gerücht um, dass der Krieg zu Ende sei. Das ganze Dorf versammelte sich am Radio, um die gute Nachricht zu vernehmen, obwohl viele zu Hause ein Radio hatten. Nein, alle wollten sich zusammen darüber freuen. Als der Sieg der Sowjetunion über Deutschland erklärt wurde, ging es los: Tränen, Freude, Küsse (es war ganz egal, ob man den Menschen kannte oder nicht). Im Kolchos schlachtete man einen Stier, der im Freien gebraten wurde..." Maria Michajlowa wohnte mit ihrem Mann bis 1969 hier, bis sie die Möglichkeit erhielten, zur Wolga zurückzukehren. Es gelang ihnen aber nicht, sich wieder in Engels niederzulassen. Sie bekamen dort keine Wohnung, deshalb siedelten sie sich in Krasnyj Jar an. Das war ohnehin näher zur Heimat. Sie wurden unterschiedlich empfangen: bald warm, bald distanziert. In Krasnyj Jar arbeitete Maria Michajlowa als Köchin im Kolchos, bis sie Rentnerin und Ehren-Kolchosbäuerin wurde. Zwei von ihren fünf Kindern sind leider gestorben. Ihre Sorgen und Freuden sind mit ihren Kindern und Enkeln verbunden. Am Tag unseres Gesprächs mit Maria Michajlowa legte die ältere Enkelin die Aufnahmeprüfung für die Hochschule ab. Damit erklärte sie ihre Zerstreutheit und Unkonzentriertkeit während des Gesprächs: Das passiert schließlich nicht jeden Tag. Wir bedanken uns herzlichst bei Maria Michajlowa für ihre interessante Erzählung sowie den warmen Empfang und wünschen ihr Gesundheit, Energie und ein langes Leben. Stcetlana Sarumjanjuk, Tatjana Scherhatych, Paul Heirize 63

Michajlowa. Sie wurden nach Sibirien geschickt, in den Krasnojarskij Krai, Rayon<br />

Turuchanskij, wo Maria Michajlowa nur mit ihrer Mutter ankam (der Bruder wurde<br />

in die Trudarmee geholt). In Sibirien wurden sie herzlich aufgenommen. In Spezposelnie<br />

(Spezielle Siedlung für Deportierte) wurde ihnen nicht gleich eine Wohnung zur<br />

Verfügung gestellt. Deshalb hausten sie drei Wochen lang unter Booten. Erst danach<br />

wies man Mutter und Tochter in eine russische Wohnung ein. Es gab keine Probleme<br />

im Umgang, denn unsere Gesprächspartnerin hatte in Engels eine russische Schule besucht<br />

und konnte gut Russisch. Die Deportation hinterließ einen unauslöschlichen Eindruck<br />

im Herzen von Maria Michajlowa. Es fiel ihr sehr schwer, sich noch einmal an<br />

das Ganze zu erinnern.<br />

In Sibirien arbeitete die Mutter im Kolchos und Maria Michajlowa wurde zur Kinderfrau.<br />

Man angelte, jagte, dörrte Kartoffeln, die man an die Front schickte, strickte Socken,<br />

Handschuhe und fertigte Filzstiefel an. Einmal im Monat mussten sie sich in der<br />

Kommandantur melden. Das war der Arbeitsalltag der schweren Zeit, aber es gab auch<br />

Erhohhing. Anfangs hatte man im Truchanowskij Rayon keine Feiertage begangen. Aber<br />

dann begann man das Neujahrsfest und den 7. November zu feiern und sagte zu Weihnachten<br />

wahr. Als Maria Michajlowa 18 Jahre alt war, träumte sie von einem Jungen, der<br />

ihrem künftigen Mann sehr ähnelte. Ein Jahr später lernte sie beim Mähen Iwan Michajlow<br />

kennen. Bald heirateten sie und später siedelten sie nach Krasnyj Jar über.<br />

An das Ende des Krieges kann sich Maria Michajlowa besonders gut erinnern: „An<br />

diesem Tag, dem 9. Mai, brach das Eis auf dem Jenissej auf. Es ging das Gerücht um,<br />

dass der Krieg zu Ende sei. Das ganze Dorf versammelte sich am Radio, um die gute<br />

Nachricht zu vernehmen, obwohl viele zu Hause ein Radio hatten. Nein, alle wollten sich<br />

zusammen darüber freuen. Als der Sieg der Sowjetunion über Deutschland erklärt<br />

wurde, ging es los: Tränen, Freude, Küsse (es war ganz egal, ob man den Menschen kannte<br />

oder nicht). Im Kolchos schlachtete man einen Stier, der im Freien gebraten wurde..."<br />

Maria Michajlowa wohnte mit ihrem Mann bis 1969 hier, bis sie die Möglichkeit erhielten,<br />

zur Wolga zurückzukehren. Es gelang ihnen aber nicht, sich wieder in Engels<br />

niederzulassen. Sie bekamen dort keine Wohnung, deshalb siedelten sie sich in Krasnyj<br />

Jar an. Das war ohnehin näher zur Heimat. Sie wurden unterschiedlich empfangen:<br />

bald warm, bald distanziert.<br />

In Krasnyj Jar arbeitete Maria Michajlowa als Köchin im Kolchos, bis sie Rentnerin<br />

und Ehren-Kolchosbäuerin wurde. Zwei von ihren fünf Kindern sind leider gestorben.<br />

Ihre Sorgen und Freuden sind mit ihren Kindern und Enkeln verbunden. Am Tag<br />

unseres Gesprächs mit Maria Michajlowa legte die ältere Enkelin die Aufnahmeprüfung<br />

für die Hochschule ab. Damit erklärte sie ihre Zerstreutheit und Unkonzentriertkeit<br />

während des Gesprächs: Das passiert schließlich nicht jeden Tag.<br />

Wir bedanken uns herzlichst bei Maria Michajlowa für ihre interessante Erzählung<br />

sowie den warmen Empfang und wünschen ihr Gesundheit, Energie und ein langes Leben.<br />

Stcetlana Sarumjanjuk,<br />

Tatjana Scherhatych,<br />

Paul Heirize<br />

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