Nemzy Povolzhja
Nemzy Povolzhja Nemzy Povolzhja
Mädchen und Jungen und spielten zusammen: Im Sommer spielten sie Lapta und im Winter rodelten sie. Die Rodelschlitten haben sie selbst gebaut. An Spielen nahm auch ihr älterer Bruder teil. Bevor sie abends ins Bett gingen, las die Mutter aus der Bibel in deutscher Ausgabe vor, die sie extra für Maria gekauft hatte. Die Kirche suchte die b'amilie nicht besonders oft auf. Maria Michajlowa erklärte dazu, sie seien in der Sowjetzeit geboren und man begann bereits an manchen Orten, die orthodoxen, katholischen und evangelischen Kirchen zu zerstören. Die Familie von Maria Michajlowa war evangelisch. Bis heute ist ein Bild, auf dem ein auf den Wolken liegender Engel dargestellt ist, erhalten gebheben. „Sei getrost" steht auf dem Bild. Das ist das einzige Familienandenken, das Maria Michajlowa hat. Ihre Mutter arbeitete von 8 Uhr morgens bis 16 Uhr und hatte sonntags frei. An dem freienTag besuchten sie den Onkel in der Siedlung, wo sie Kürbis aßen. Wenn sie etwas Abwechslung wollten, gingen sie ins Pädagogische Institut. Und die Männer gingen sonntags ins Zentrum, um dort Bier zu trinken. Die Liebhngsplätzte von Maria Michajlowa waren das Wolgaufer und der Sportplatz, wo sie Schlittschuhe liefen und Fussball spielten. Der große Sportplatz war beleuchtet, es spielte immer Musik und es gab auch einen Tanzplatz. Aber dorthin wurden Maria und ihre Freunde wegen des Alters nicht gelassen. Es gelang ihnen jedoch mit Hilfe der Jungen, über den Zaun zu klettern. „Das Stadion war der Lieblingserholungsplatz der Jugendlichen", erzählte Maria Michajlowa. Der Tisch war gewöhnlich nicht leer, die Mutter bereitete Krebel, Haluschki und Schnitzesuppe (Apfelkompot, Teig, sauere Sahne) zu. Die Schnitzesuppe wurde kalt gegessen. Die Lebensmittel wurden in speziellen Kellern aufbewahrt, jede Familie hatte dort ihren Platz. Es gab genügend Lebensmittel und man aß ohne Beschränkung. Was kann man noch hinzufügen? Die Wolga als Ernährerin! Maria Michajlowa kann sich noch an vieles erinnern. Einer der Kindheitseindrücke ist ein Erlebnis am Wolgaufer, das noch heute ganz frisch in der Erinnerung unserer Gesprächspartnerin ist. Einmal bekam ihre Mutter eine Zuweisung für ein Ferienlager und schickte Maria und ihren Bruder dorthin. Sie mussten mit dem Schiff fahren in Marx wurden sie von Fuhrwerken abgeholt.Maria und ihr Bruder waren die einzigen Deutschen auf ihrem Fuhrwerk. Es fuhr los... Es war schon dunkel und der alte Mann, der das Fuhrwerk lenkte, sah ein vom Wind bewegtes Sonnenblumenfeld. Der alte Mann fragte: „Warum bewegen sich die Leute da vorn nicht vom Fleck? Sie schwanken nur hin und her..." Maria antwortete ihm auf Deutsch: „Das sind doch nur Sonnenblumen und keine Leute." Der Alte drehte sich um und fragte: „Seid ihr Deutsche?" - „Ja, wir sind Deutsche." An dieses Ereignis erinnert sich Maria Michajlowa mit einem Lächeln. Dann kam aber das Ende der sorglosen Kindheit. Die deutsche Nationalität, auch wenn es sehr traurig klingt, musste man teuer bezahlen. Anfang Herbst 1941 begann die Deportation der deutschen Bevölkerung. „Als die Mutter das erfuhr, weinte sie sehr. Nicht nur die Nachbarn besuchten sie, um sie zu beruhigen, sondern auch der Milizionär, der diese schreckliche Nachricht überbracht hatte", erinnert sich Maria 62
Michajlowa. Sie wurden nach Sibirien geschickt, in den Krasnojarskij Krai, Rayon Turuchanskij, wo Maria Michajlowa nur mit ihrer Mutter ankam (der Bruder wurde in die Trudarmee geholt). In Sibirien wurden sie herzlich aufgenommen. In Spezposelnie (Spezielle Siedlung für Deportierte) wurde ihnen nicht gleich eine Wohnung zur Verfügung gestellt. Deshalb hausten sie drei Wochen lang unter Booten. Erst danach wies man Mutter und Tochter in eine russische Wohnung ein. Es gab keine Probleme im Umgang, denn unsere Gesprächspartnerin hatte in Engels eine russische Schule besucht und konnte gut Russisch. Die Deportation hinterließ einen unauslöschlichen Eindruck im Herzen von Maria Michajlowa. Es fiel ihr sehr schwer, sich noch einmal an das Ganze zu erinnern. In Sibirien arbeitete die Mutter im Kolchos und Maria Michajlowa wurde zur Kinderfrau. Man angelte, jagte, dörrte Kartoffeln, die man an die Front schickte, strickte Socken, Handschuhe und fertigte Filzstiefel an. Einmal im Monat mussten sie sich in der Kommandantur melden. Das war der Arbeitsalltag der schweren Zeit, aber es gab auch Erhohhing. Anfangs hatte man im Truchanowskij Rayon keine Feiertage begangen. Aber dann begann man das Neujahrsfest und den 7. November zu feiern und sagte zu Weihnachten wahr. Als Maria Michajlowa 18 Jahre alt war, träumte sie von einem Jungen, der ihrem künftigen Mann sehr ähnelte. Ein Jahr später lernte sie beim Mähen Iwan Michajlow kennen. Bald heirateten sie und später siedelten sie nach Krasnyj Jar über. An das Ende des Krieges kann sich Maria Michajlowa besonders gut erinnern: „An diesem Tag, dem 9. Mai, brach das Eis auf dem Jenissej auf. Es ging das Gerücht um, dass der Krieg zu Ende sei. Das ganze Dorf versammelte sich am Radio, um die gute Nachricht zu vernehmen, obwohl viele zu Hause ein Radio hatten. Nein, alle wollten sich zusammen darüber freuen. Als der Sieg der Sowjetunion über Deutschland erklärt wurde, ging es los: Tränen, Freude, Küsse (es war ganz egal, ob man den Menschen kannte oder nicht). Im Kolchos schlachtete man einen Stier, der im Freien gebraten wurde..." Maria Michajlowa wohnte mit ihrem Mann bis 1969 hier, bis sie die Möglichkeit erhielten, zur Wolga zurückzukehren. Es gelang ihnen aber nicht, sich wieder in Engels niederzulassen. Sie bekamen dort keine Wohnung, deshalb siedelten sie sich in Krasnyj Jar an. Das war ohnehin näher zur Heimat. Sie wurden unterschiedlich empfangen: bald warm, bald distanziert. In Krasnyj Jar arbeitete Maria Michajlowa als Köchin im Kolchos, bis sie Rentnerin und Ehren-Kolchosbäuerin wurde. Zwei von ihren fünf Kindern sind leider gestorben. Ihre Sorgen und Freuden sind mit ihren Kindern und Enkeln verbunden. Am Tag unseres Gesprächs mit Maria Michajlowa legte die ältere Enkelin die Aufnahmeprüfung für die Hochschule ab. Damit erklärte sie ihre Zerstreutheit und Unkonzentriertkeit während des Gesprächs: Das passiert schließlich nicht jeden Tag. Wir bedanken uns herzlichst bei Maria Michajlowa für ihre interessante Erzählung sowie den warmen Empfang und wünschen ihr Gesundheit, Energie und ein langes Leben. Stcetlana Sarumjanjuk, Tatjana Scherhatych, Paul Heirize 63
- Seite 15 und 16: D Spurensicherung — Was ist das?
- Seite 17 und 18: Fragen nach der Biografie und den L
- Seite 19 und 20: стники акции были в
- Seite 21 und 22: Часть I. Время Teil I. Ze
- Seite 23 und 24: для демонстрации к
- Seite 25 und 26: Старая новая истор
- Seite 27 und 28: Geschichte des Dorfes Warenburg Ein
- Seite 29 und 30: Село Красный Яр б и
- Seite 31 und 32: Panorama des Dorfes Krasnyj Jar Wo
- Seite 34 und 35: .> ;: Течет река Волг
- Seite 36 und 37: Старинное надгроби
- Seite 38 und 39: церковь разобрали,
- Seite 40 und 41: in Erstaunen versetzte. Das Dorf en
- Seite 42 und 43: 38 Die Bibliothek des Dorfes Genera
- Seite 44 und 45: ги. Некоторые местн
- Seite 46 und 47: Mit Enttäuschung in der Stimme, te
- Seite 48 und 49: 44 gestellt ist, der einen mit dem
- Seite 50 und 51: 46 «Вечный двигател
- Seite 52 und 53: Perpetuum mobile 48 E ine der erste
- Seite 54 und 55: mus, das Fotografieren, das Modelli
- Seite 56 und 57: Из воспоминаний Ел
- Seite 58 und 59: И снова поиски рабо
- Seite 60 und 61: 1. Weltkrieges einen Kriegsgefangen
- Seite 62 und 63: Und wieder ist sie auf der Suche na
- Seite 64 und 65: Стол обычно не пуст
- Seite 68 und 69: Жизнь прожить — не
- Seite 70 und 71: ректора в этой же ш
- Seite 72 und 73: ter, zwei Brüder und eine Schweste
- Seite 74 und 75: war nur ihr Sohn, die anderen Famil
- Seite 76 und 77: Украинский сосед ш
- Seite 78 und 79: Der ukrainische Nachbar M ichail Se
- Seite 81 und 82: Сердцем касаясь пр
- Seite 83 und 84: щить крест, показат
- Seite 85 und 86: Mit dem ganzen Herzen an der Vergan
- Seite 87 und 88: Etwas später gaben ihr die Junge e
- Seite 89 und 90: Die Liebe meldet sich Sophia Iwanow
- Seite 91 und 92: В село Генеральско
- Seite 93 und 94: Время лечит З аканч
- Seite 95 und 96: Die Zeit heüt alle Wunden Als das
- Seite 97 und 98: putt gemacht, sondern härteten sie
- Seite 99 und 100: Смыло все шесть амб
- Seite 101 und 102: In dieses riesige 3-stöckige Gebä
- Seite 103 und 104: стушки. Нашим расск
- Seite 105 und 106: Viele Arbeiter mochten ihn, denn er
- Seite 107 und 108: ли, играли и весели
- Seite 109 und 110: putzt und akkurat, alles glänzte v
- Seite 111 und 112: Столбы, приведшие к
- Seite 113 und 114: Зерно из Горецкого
- Seite 115 und 116: hörigen kümmern. Die Sorgen um di
Michajlowa. Sie wurden nach Sibirien geschickt, in den Krasnojarskij Krai, Rayon<br />
Turuchanskij, wo Maria Michajlowa nur mit ihrer Mutter ankam (der Bruder wurde<br />
in die Trudarmee geholt). In Sibirien wurden sie herzlich aufgenommen. In Spezposelnie<br />
(Spezielle Siedlung für Deportierte) wurde ihnen nicht gleich eine Wohnung zur<br />
Verfügung gestellt. Deshalb hausten sie drei Wochen lang unter Booten. Erst danach<br />
wies man Mutter und Tochter in eine russische Wohnung ein. Es gab keine Probleme<br />
im Umgang, denn unsere Gesprächspartnerin hatte in Engels eine russische Schule besucht<br />
und konnte gut Russisch. Die Deportation hinterließ einen unauslöschlichen Eindruck<br />
im Herzen von Maria Michajlowa. Es fiel ihr sehr schwer, sich noch einmal an<br />
das Ganze zu erinnern.<br />
In Sibirien arbeitete die Mutter im Kolchos und Maria Michajlowa wurde zur Kinderfrau.<br />
Man angelte, jagte, dörrte Kartoffeln, die man an die Front schickte, strickte Socken,<br />
Handschuhe und fertigte Filzstiefel an. Einmal im Monat mussten sie sich in der<br />
Kommandantur melden. Das war der Arbeitsalltag der schweren Zeit, aber es gab auch<br />
Erhohhing. Anfangs hatte man im Truchanowskij Rayon keine Feiertage begangen. Aber<br />
dann begann man das Neujahrsfest und den 7. November zu feiern und sagte zu Weihnachten<br />
wahr. Als Maria Michajlowa 18 Jahre alt war, träumte sie von einem Jungen, der<br />
ihrem künftigen Mann sehr ähnelte. Ein Jahr später lernte sie beim Mähen Iwan Michajlow<br />
kennen. Bald heirateten sie und später siedelten sie nach Krasnyj Jar über.<br />
An das Ende des Krieges kann sich Maria Michajlowa besonders gut erinnern: „An<br />
diesem Tag, dem 9. Mai, brach das Eis auf dem Jenissej auf. Es ging das Gerücht um,<br />
dass der Krieg zu Ende sei. Das ganze Dorf versammelte sich am Radio, um die gute<br />
Nachricht zu vernehmen, obwohl viele zu Hause ein Radio hatten. Nein, alle wollten sich<br />
zusammen darüber freuen. Als der Sieg der Sowjetunion über Deutschland erklärt<br />
wurde, ging es los: Tränen, Freude, Küsse (es war ganz egal, ob man den Menschen kannte<br />
oder nicht). Im Kolchos schlachtete man einen Stier, der im Freien gebraten wurde..."<br />
Maria Michajlowa wohnte mit ihrem Mann bis 1969 hier, bis sie die Möglichkeit erhielten,<br />
zur Wolga zurückzukehren. Es gelang ihnen aber nicht, sich wieder in Engels<br />
niederzulassen. Sie bekamen dort keine Wohnung, deshalb siedelten sie sich in Krasnyj<br />
Jar an. Das war ohnehin näher zur Heimat. Sie wurden unterschiedlich empfangen:<br />
bald warm, bald distanziert.<br />
In Krasnyj Jar arbeitete Maria Michajlowa als Köchin im Kolchos, bis sie Rentnerin<br />
und Ehren-Kolchosbäuerin wurde. Zwei von ihren fünf Kindern sind leider gestorben.<br />
Ihre Sorgen und Freuden sind mit ihren Kindern und Enkeln verbunden. Am Tag<br />
unseres Gesprächs mit Maria Michajlowa legte die ältere Enkelin die Aufnahmeprüfung<br />
für die Hochschule ab. Damit erklärte sie ihre Zerstreutheit und Unkonzentriertkeit<br />
während des Gesprächs: Das passiert schließlich nicht jeden Tag.<br />
Wir bedanken uns herzlichst bei Maria Michajlowa für ihre interessante Erzählung<br />
sowie den warmen Empfang und wünschen ihr Gesundheit, Energie und ein langes Leben.<br />
Stcetlana Sarumjanjuk,<br />
Tatjana Scherhatych,<br />
Paul Heirize<br />
63