Nemzy Povolzhja
Nemzy Povolzhja
Nemzy Povolzhja
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
esondere Schulfächer angeeignet und mit Hilfsmaterialien eingerichtet. In der<br />
Sporthalle, wo die Musikstunden verliefen, stand ein großer Flügel. Wenn Elena<br />
Petrowna heute in dieses Gebäude kommt, erinnert sie sich an die damalige Zeit: Sie war<br />
eine Schülerin, lernte hier und glitt manchmal von dem Treppengelänger herunter.<br />
Das Jahr 1937 war für unsere Gesprächspartnerin das schwerste Jahr in ihrem<br />
Leben. Im April starb die Mutter. „Ich war 16 und konnte mich nicht vorstellen, dass<br />
sowas meiner Mutti passiert", drückt Elena Petrowna ihre Hände. Die Familie zieht<br />
nach Engels um. Im November wurde Lenas Vater verhaftet.<br />
Aus den Erinnerungen: „Kamen irgendwelche Männer, entnahmen Muttis deutsche<br />
Bücher, Papiere und führten den Vater weg."<br />
Lena und ihre Geschwister wurden als Volksfeinde erklärt. Sie mussten wieder nach<br />
Marx zurückfahren. Elena konnte keine Arbeit finden.<br />
Endlich wurde sie in eine Druckerei als Lehrling eingestellt. Hier veröffentlichte<br />
man die Tageszeitung „Rote Sturmfahne", die sowohl russische als auch ausländische<br />
Nachrichten brachte. Diese Zeitung wurde 1931 gegründet und existierte bis 1941.<br />
Während des II. Weltkrieges wurde sie in „Krasnoje Snamja" umbenannt. Heute heißt<br />
die Zeitung „Woloschka". Aber das geschah viel später.<br />
Damals gab sich Elena viel Mühe, das Schnelltippen zu üben. Das gelang ihr und<br />
bald wurde sie zur Chefin der Briefabteilung.<br />
Am 28.08. 1941 nahm Elena Petrowna die Rede von Molotow über die Deportation<br />
der deutschen Bevölkerung des Wolgagebiets, die per Funkapparat übertragen wurde,<br />
an. Den Umbruch dieser Rede machten Mitarbeiterinnen, die auch Deutsche waren.<br />
Sie weinten und sprachen vor sich hin: „Was passiert uns jetzt?"<br />
In einigen Tagen fing man an, die Deutschen auszusiedeln.<br />
Damals wohnte Elena Petrowna bei der Mutter einer der Freunndinen von ihr. Als<br />
diese Frau ausgewiesen wurde, blieb Elena Petrowna allein in dem Haus und später lud<br />
sie den Bruder und die Schwester zu sich ein. „Wir hatten Angst, die Häuser sind leer,<br />
auf den Straßen bummelten hungrige Hunde, Hühner, ungemolkene Kühe. Es gab niemanden<br />
mehr in unserer Straße." Die Nachbarinnen von Elena baten sie, die Blumen<br />
zu gießen, einige von ihnen brachten zu Lena einige Sachen, die besonders wert für sie<br />
waren: der Redakteur der Zeitung verließ ein Sessel und zwei Stühle, Lenas Wirtin —<br />
einen großen Spiegel. Diese Sachen bewahrt Elena bis heute, obwohl sie versteht, dass<br />
niemand kommt, um sie zurückzunehmen. Aber damals waren diese Leute überzeugt,<br />
dass es ein Missverständnis ist, und sie kommen bald zurück.<br />
Die Deutschen wurden auf den Fuhren zum Wolga-Ufer gebracht. Dort sollten sie<br />
zwei Wochen warten, bis der Schleppkahn repariert wird. Es war verboten, nach<br />
Hause zurückzugehen, um dort zu warten.<br />
Die Redaktion der Zeitung war leer. Zwei Wochen bewahrte sie den Schlüssel bei<br />
sich auf, dann kam ein Soldat und befahl, ihn ins Redaktionsgebäude zu begleiten. Als<br />
sie an Ort und Stelle waren, versuchte Elena über die Tätigkeit der Zeitung zu<br />
erzählen. Ehre Rede aber wurde unterbrochen. Man schlug ihr vor, entweder als eine<br />
Aufräumefrau zu arbeiten oder entlassen zu werden. Sie wählte das Zweite aus.