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Nemzy Povolzhja

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Dann kam der tragische Tag. Die Deutschen wurden ausgesiedelt. Alles war gut organisiert,<br />

es kamen mehr ab 50 Pferdewagen. Alle Familienangehörigen trugen die Sachen<br />

heraus und packten sie auf die Wagen. Alle weinten und schluchzten. Sie waren<br />

gezwungen, alles einfach zurück zu lassen: Haushalt, Gärten, Haustiere und Federvieh.<br />

Ihre Armen sanken herab. Die Frauen fassten sich an die Köpfe, drückten kleine<br />

Kinder an sich und weinten wieder. Überall war nur Weinen zu hören. Die Hunde<br />

winselten und fühlten die Trennung von ihren Besitzern. Die Männer redeten und<br />

rauchten Pfeife und Tabak, den sie selbst angebaut hatten. Ihre Tränen ließen niemanden<br />

kalt. Wir weinten auch."<br />

Natalja Kusminitschna erzählte uns, dass die Deutschen alles mitnahmen, sogar<br />

Bettwäsche. Sie ließen nur Möbel und altes zerbrochenes Geschirr zurück. Sie wussten<br />

nicht, dass man offiziell nur 36 Kilo mitnehmen durfte. Zur Zeit der Aussiedlung war<br />

im Dorf kein Militär. Alles wurde unter der Leitung der Verwaltung der Sowchose<br />

durchgeführt. Später zogen in diese Häuser die Evakuierten aus der Ukraine und<br />

Polen ein. Diese Leute waren für das Leben auf dem Lande nicht geeignet. Sie bemühten<br />

sich nicht, Holz zu suchen, und nutzten zu diesem Zweck die von den Deutschen<br />

zurückgelassenen Möbelstücke, obwohl in der Nähe ein Wald war. In diesem Dorf arbeitete<br />

Natalja Kusminitschna auf dem Feld. Später bekam sie eine zusätzliche Ausbildung<br />

und war dann bis 1945 als Traktoristin tätig. Oft musste sie sich bei Angriffen des<br />

Feindes unter ihrem Traktor verstecken.<br />

Nach dem Krieg arbeitete sie als Lehrerin in der Schule, so wie ihr lieber Nikolai<br />

wollte. Die Kinder hatten sie gern und auch die Schulverwaltung war mit ihr zufrieden,<br />

Ihre Eltern zogen in der Folge ebenfalls zu ihr. Ihre Mutter wurde auf dem alten Friedhof<br />

begraben. Das Dorf Krasnaja Poljana (früher Fischer) wurde für unsere Heldin genauso<br />

zum Heimatdorf wie ihr Mitrofanowka. Sie arbeitete dort bis 1951 und erinnert<br />

sich mit Wärme an diese Zeit. Einer der ehemaligen Bewohner des Dorfes kam noch<br />

einmal ins Dorf und blieb zufrieden. Er sagte: „Das Haus ist gepflegt und ist in zuverlässigen<br />

und fleißigen Händen." Er bedankte sich bei den jetzigen Besitzern, blieb ein<br />

paar Tage zu Gast und fuhr für immer weg.<br />

Im Jahr 1951 fing für Natalja Kusminitschna der dritte Abschnitt in ihrem Leben<br />

an. Sie zog nach Engels und arbeitete bis 1995 im Kindergarten des Flughafens. Für<br />

ihre Arbeit wurde sie mit neun Medaillen ausgezeichnet und bekam den Titel „Heldin<br />

der Arbeit" verliehen. Auch heute noch kommen ab und zu einige von ihren ehemaligen<br />

Kindern in ihr einsames Leben.<br />

Die Stadt Engels hat sich sehr verändert, und dies nicht unbedingt zum Positiven.<br />

Sie ist groß geworden. Allerdings kümmert man sich kaum um ihre Einwohner. Sie Heben,<br />

heiraten, weinen und leiden auch wie früher. Aber früher waren die Menschen<br />

aufmerksamer zueinander. Man half sich gegenseitig und es herrschte im Allgemeinen<br />

eine warmherzige Atmosphäre. Natalja Kusminitschna war immer bemüht, unter anderen<br />

Menschen zu sein, jemandem zu helfen. Aber als sie in Rente ging, veränderte<br />

sieh viel. Die Gesellschaft erinnert sich nicht mehr an sie, egal wer sie war oder ist.<br />

Heute ist sie schon über 80 und hat keine eigene Wohnung. Sie wohnt in einer Gemein-<br />

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