Nr. 172-Mai 2012 - RotFuchs
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Seite 4 <strong>RotFuchs</strong> / <strong>Mai</strong> <strong>2012</strong><br />
„Schmidtchen Schleicher“<br />
Über „linke“ Bannerträger, die Marx nur noch vom Hörensagen kennen<br />
Der Beitrag von Günter Bartsch im<br />
Februar-RF spricht mir aus dem Herzen.<br />
Seit der „Wende“ habe ich stets die<br />
PDS oder die Partei Die Linke gewählt.<br />
Doch im September 2011, als in Berlin die<br />
Entscheidung anstand, zögerte ich erstmals,<br />
überhaupt zur Wahl zu gehen. Am<br />
Ende tat ich es dann doch.<br />
Gründe für meine Zweifel waren die Selbstherrlichkeit<br />
der Führung der Berliner PDL,<br />
deren Bild in der Öffentlichkeit sowie die<br />
Personalquerelen, die fleißig mitgetragen<br />
und angeheizt wurden. Überbordender<br />
Pluralismus, Selbstdarstellung, konzeptionsloses<br />
Durcheinanderreden und Spiegelfechtereien<br />
bestimmten die Szene. Warum<br />
propagieren die Mächtigen in der Wirtschaft<br />
eigentlich keinen Pluralismus? Weil<br />
das Profitstreben das zentrale Anliegen<br />
aller Beteiligten ist. In diesem Ziel sind<br />
sie sich völlig einig. Warum aber wird<br />
der Parteienpluralismus bedient, der doch<br />
nur zum Auseinanderdividieren von Menschen<br />
führt?<br />
Will die PDL die gesellschaftlichen Verhältnisse<br />
in diesem Land tatsächlich<br />
ändern? Mit dem oben Dargestellten, das<br />
von vielen Linksorientierten auch so empfunden<br />
wird, soll das klappen? Die BRD<br />
ist ein Land voller Ungerechtigkeiten und<br />
Probleme, die es zu benennen gilt und die<br />
der Lösung harren. Doch einige in der<br />
Linkspartei beschäftigen sich nur mit sich<br />
selbst. Das aber wissen die Herrschenden<br />
sehr genau. Deshalb räumen sie auch auf<br />
Öffentlichkeit bedachten Funktionären<br />
in ihren „Qualitätsmedien“ immer wieder<br />
Platz ein.<br />
Wie können manche in der PDL Zweifel<br />
und Bedenken im Hinblick auf die generelle<br />
Ablehnung von Auslandseinsätzen<br />
der Bundeswehr haben? Gilt für sie nicht<br />
mehr die erprobte und am Ende selbst von<br />
Kohl „akzeptierte“ Losung der DDR, daß von<br />
deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen<br />
darf? Blicken sie nicht mehr durch, was<br />
sich hinter „humanitären bewaffneten Einsätzen“<br />
verbirgt? Was soll hier das Gerede,<br />
man müsse „von Fall zu Fall entscheiden“?<br />
Ist es nicht schlimm, daß sich einige Politiker<br />
der PDL bei den Herrschenden für<br />
„Gegenwärtig käme auch eine von der<br />
Linkspartei geführte Bundesregierung<br />
nicht drum herum, die Deutsche Bank<br />
zu retten, weil sie so wichtig und so<br />
mächtig ist. Wir müssen den Leuten<br />
klarmachen, daß die Wirtschaft auch<br />
bei uns funktionieren würde. … Im<br />
Kern geht es noch nicht um die Frage,<br />
wie man den Kapitalismus überwinden<br />
kann – obwohl einige in der Linkspartei<br />
schon jetzt davon träumen …“<br />
Gregor Gysi<br />
ein ganz normales Geburtstagstelegramm<br />
an Fidel Castro quasi entschuldigt haben,<br />
womit sie die großartige Arbeit von Cuba<br />
Sí unterlaufen?<br />
Wo ist der Aufschrei der „Linken“ über<br />
das Urteil des Europäischen Gerichtshofes<br />
für Menschenrechte zur Ablehnung<br />
von Wiedergutmachungsforderungen<br />
griechischer und italienischer Opfer der<br />
hitlerfaschistischen Okkupation? Ein<br />
internationales Gericht knickt vor der<br />
BRD, ihrer Macht und ihrem Geld ein! Gab<br />
es in der Geschichte nicht ähnliches?<br />
Sicher bin ich ungenügend darüber informiert,<br />
wer von den Führungskräften der<br />
PDL welche Auffassung zu einzelnen Problemen<br />
vertritt. Aber Politiker, die wie<br />
Oskar Lafontaine, Sahra Wagenknecht<br />
und Ulla Jelpke, aber natürlich auch<br />
andere, einen überschaubaren Standpunkt<br />
vertreten, kommen mir stets in<br />
den Sinn, wenn es um Grundsätzliches<br />
geht.<br />
Doch was soll man von einflußreichen<br />
PDL-Mitgliedern halten, welche die „junge<br />
Welt“ am liebsten vom Zeitungsmarkt verbannt<br />
hätten und sogar zum Anzeigenboykott<br />
aufriefen? Sind das noch Linke<br />
oder betreiben sie bereits eine Politik „des<br />
Schmidtchen Schleicher mit den elastischen<br />
Beinen“?<br />
Kann jemand, der in den Chor der DDR-<br />
Verteufler einstimmt, ohne sich der Mühe<br />
einer etwas differenzierteren Analyse<br />
zu unterziehen, noch als Linker gelten?<br />
Ja, die DDR war wie jeder andere Staat<br />
eine Klassendiktatur, aber eine Diktatur<br />
des Proletariats im Marxschen Sinne,<br />
also der Arbeiter und Bauern. Gab es den<br />
Antifaschismus in der BRD ebenfalls als<br />
Staatsdoktrin? Es ist doch pure Infamie,<br />
wenn man der DDR unterstellt, ihr „verordneter<br />
Antifaschismus“ sei die Wurzel<br />
des heutigen Rechtsradikalismus in<br />
Deutschland!<br />
Und obendrein besitzt die BRD auch noch<br />
eine Kanzlerin, die bedeutungsschwer<br />
in der Weltgeschichte umherreist und<br />
anderen Regierungen sowie deren Völkern<br />
unablässig weismachen will, wie<br />
diese zu leben hätten. Sie hält dort Gardinenpredigten<br />
über Menschenrechte,<br />
während es daheim – in einem der reichsten<br />
Länder der Welt – Millionen Arme<br />
und sozial Ausgegrenzte gibt. Hat sie das<br />
etwa in der DDR gelernt? Entweder heuchelte<br />
sie damals, oder sie verstellt sich<br />
jetzt. Vermutlich trifft beides zu.<br />
Um zum Ausgangspunkt zurückzukehren:<br />
Das Berliner Debakel der PDL hat<br />
gezeigt, was der Verzicht auf eine klare<br />
antikapitalistische Opposition unter den<br />
gesellschaftlichen Bedingungen dieses<br />
Landes einbringt. Wer um jeden Preis<br />
mit der Begründung regierungsbeteiligt<br />
sein will, daß es ohne die PDL ja noch<br />
viel schlechter aussähe, muß sich nicht<br />
wundern, wenn seine politische Glaubwürdigkeit<br />
Schaden nimmt und ihm<br />
immer mehr Wähler weglaufen. Denn eine<br />
Regierungsbeteiligung der PDL bedeutet<br />
stets, den vorgegebenen Rahmen zu<br />
akzeptieren. Diesen aber bestimmen nicht<br />
Parteipolitiker, sondern jene, welche tatsächlich<br />
an den Hebeln der Macht stehen.<br />
Glaubt man denn in PDL-Kreisen wirklich,<br />
daß auf Bundesebene irgendwann<br />
ein gemeinsames Regieren mit dieser SPD<br />
ohne totale Selbstverstümmelung möglich<br />
oder erstrebenswert wäre?<br />
Es war nicht der Wille linksorientierter<br />
Berliner, die Ergebnisse der PDS/PDL<br />
innerhalb zweier Wahlperioden zu halbieren.<br />
Das lag allein am Kurs der Führung,<br />
die auf Gedeih und Verderb ein Riesenmaß<br />
unpopulärer und volksfeindlicher<br />
Entscheidungen der Koalition mitgetragen<br />
hat – gegen den Wunsch und den Willen<br />
der eigenen Anhänger.<br />
Einige PDL-Funktionäre finden es vorteilhaft,<br />
wenn vor lauter Pluralismus weder<br />
klare Linien noch zukunftsweisende Strategien<br />
erkennbar sind. Man vermag sich<br />
des Eindrucks nicht zu erwehren, daß<br />
in der „Linken“ inzwischen ein „Team“<br />
am Werkeln ist, das Marx nur noch dem<br />
Namen nach oder vom Hörensagen kennt.<br />
Tagespolitische Erwägungen und taktische<br />
Spielereien ersetzen Prinzipienfestigkeit.<br />
Wer aber der Argumentation<br />
jener folgt, die man als Gegner bekämpfen<br />
müßte, übernimmt deren Spiel – ob er<br />
das will oder nicht. Und wenn das unbewußt<br />
geschieht, signalisiert das nur den<br />
Mangel an politischer Bildung auf Führungsebenen<br />
der PDL.<br />
„Die Linke“ entideologisiert sich zusehends<br />
selbst. Wenn man aber keine Ideologie,<br />
keinen eigenen Handlungsrahmen<br />
und keinen Kompaß mehr besitzt – wonach<br />
richtet man sich dann?<br />
Ein Programm allein reicht da wohl nicht<br />
aus. Auch konkrete Vorstellungen von<br />
einem anzuvisierenden Ziel gehören dazu.<br />
Ob man dieses nun Sozialismus oder Kommunismus<br />
nennt, spielt – zumindest vorerst<br />
– eine eher untergeordnete Rolle. Die<br />
PDL spricht übrigens unverdrossen vom<br />
„demokratischen Sozialismus“. Gibt es<br />
denn auch einen undemokratischen?<br />
Reiner Neubert, Berlin<br />
Herzliche Grüße!<br />
Unsere liebe Genossin<br />
Ruth Keßler<br />
die am 20. März ihren 90. Geburtstag<br />
beging, mußte mit einer Oberschenkelfraktur<br />
in ein Krankenhaus eingeliefert<br />
werden.<br />
Wir wünschen ihr von Herzen baldige<br />
Genesung.