16.06.2014 Aufrufe

Nr. 172-Mai 2012 - RotFuchs

Nr. 172-Mai 2012 - RotFuchs

Nr. 172-Mai 2012 - RotFuchs

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Seite 24 <strong>RotFuchs</strong> / <strong>Mai</strong> <strong>2012</strong><br />

„Max braucht Wasser!“<br />

Als Leipziger Studenten in die Schlacht von Unterwellenborn zogen<br />

Wer die Vorgeschichte und die Anfänge<br />

der DDR erlebt hat, dem ist<br />

der Ruf „Max braucht Wasser!“ sicher<br />

noch im Gedächtnis geblieben. Er symbolisierte<br />

Notlage und Aufbruch. Da<br />

diese Ausgangssituation im Kampf um<br />

eine ausbeutungsfreie Gesellschaft von<br />

alten und neuen Feinden ständig geleugnet<br />

und verfälscht wird, aber auch<br />

wohlmeinende einstige DDR-Bürger sie<br />

mitunter verdrängen, ist ein Rückblick<br />

sinnvoll. Infolge der Konzentration der<br />

Schwerindustrie in Westdeutschland<br />

und der geringen Kapazitäten von Eisenund<br />

Stahlwerken in der sowjetischen<br />

Besatzungszone konnten die Bedürfnisse<br />

der ostdeutschen Wirtschaft damals in<br />

keiner Weise befriedigt werden. Doch im<br />

Stahlwerk Unterwellenborn, der Maxhütte,<br />

bestand die Möglichkeit, einen<br />

vierten Hochofen anzublasen, falls<br />

dafür genügend Kühlwasser zur Verfügung<br />

stünde. Gerade das aber fehlte.<br />

Fritz Selbmann, der für die Industrie<br />

verantwortliche stellvertretende Leiter<br />

der Deutschen Wirtschaftskommission<br />

und spätere Minister für Industrie der<br />

DDR, beauftragte eine Gruppe von Ingenieuren<br />

und Technikern mit der Ausarbeitung<br />

eines Projekts, um von der im<br />

Tal vorbeifließenden Saale aus eine Wasserleitung<br />

mit Pumpwerk den Berg hoch<br />

zum Stahlwerk zu bauen. Für die Realisierung<br />

veranschlagten die Fachleute<br />

eine Bauzeit von etwa neun Monaten.<br />

Der Hauptdirektor der Vereinigten<br />

Eisen- und Stahlbetriebe<br />

(VESTA), Hasso Grabner, erhielt<br />

den Auftrag, einen Weg zur deutlichen<br />

Verkürzung dieser Frist zu<br />

suchen.<br />

Zur gleichen Zeit geriet die Universität<br />

Leipzig ins Blickfeld, weil<br />

dort nach zweijährigem Kampf um<br />

ihre demokratische Umgestaltung<br />

bei den Studentenratswahlen des<br />

Jahres 1947 erstmals die SED-Liste<br />

mit absoluter Mehrheit über CDU<br />

und LDPD triumphierte. Damit<br />

stellten die Genossen den Studentenratsvorsitzenden.<br />

Die Partei<br />

beauftragte mich mit der Wahrnehmung<br />

dieser Aufgabe.<br />

Vor einem solchen Hintergrund<br />

ist erklärbar, daß mich der Hauptdirektor<br />

der VESTA Ende Oktober 1947<br />

zu einem Gespräch einlud. Auf einem<br />

ausgedehnten Spaziergang durch Leipzigs<br />

herbstliche Straßen erläuterte mir<br />

Hasso Grabner das Maxhütten-Problem.<br />

Er schlug vor, die Leipziger Studentenschaft<br />

in die Lösung dieser Aufgabe einzubeziehen.<br />

In Rede und Gegenrede, mit Überlegungen<br />

und Einwänden, Bedenken und<br />

deren Ausräumung entwickelten wir<br />

gemeinsam die Grundzüge des Projekts,<br />

das einen großangelegten freiwilligen<br />

Arbeitseinsatz der Leipziger Studentenschaft<br />

zur Voraussetzung hatte. In<br />

Viele Hindernisse galt es zu überwinden.<br />

Die Mädchen „standen ihren Mann“.<br />

groben Zügen wurde beraten, was der<br />

Studentenrat zu organisieren habe und<br />

was die VESTA leisten müsse. So entstand<br />

ein Plan, dessen ins Auge springender<br />

Name uns am Ende auch noch<br />

einfiel: „Max braucht Wasser!“<br />

Der Baubeginn sollte am 2. Januar 1948<br />

erfolgen. Bis dahin war eine umfangreiche<br />

organisatorische Arbeit zu bewältigen.<br />

In sämtlichen Fakultäten wurden<br />

Listen ausgelegt, in die sich Freiwillige<br />

eintragen konnten. Nach dem Einsammeln<br />

erfolgte die Auswertung.<br />

Die Bildung von Einsatzgruppen für<br />

jeweils zwei Wochen, der Hin- und Rücktransport<br />

mit der Bahn, die Verpflegung<br />

und sogar eine Zigarettensonderzuteilung<br />

waren zu sichern. Mit den Reichsbahnwerkstätten<br />

wurde vereinbart,<br />

Güterwaggons mit Doppelstockbetten<br />

und Strohsäcken, Holztischen, Stühlen<br />

und kleinen Kanonenöfen für die Übernachtung<br />

herzurichten und bereitzustellen.<br />

Vom Stahlwerk erfolgten die<br />

Lieferung der Rohre und die Versorgung<br />

mit Schaufeln, Spitzhacken, Schubkarren<br />

und anderem Gerät. Überdies war<br />

ein Mindestmaß medizinischer Betreuung<br />

zu gewährleisten.<br />

All das zeigt, welche beachtliche Leistung<br />

von Menschen vollbracht wurde,<br />

die damals auf die Lösung so umfangreicher<br />

logistischer Aufgaben in keiner<br />

Weise vorbereitet waren.<br />

Überdies kamen wir auf den Gedanken,<br />

die Studenten der Universität Jena herauszufordern,<br />

sich am Leitungsbau zu<br />

beteiligen, was dann auch geschah. Die<br />

Arbeitsbedingungen waren äußerst hart.<br />

Die gefrorene Erde mußte mit Spitzhacken<br />

aufgebrochen werden, die Erdbrocken<br />

galt es beiseitezuschaffen oder mit<br />

Schubkarren abzutransportieren und<br />

die schweren Rohre per Hand in die<br />

erforderliche Position zu bringen. Ein<br />

Einsatz von Kranwagen war am Steilhang<br />

nicht möglich.<br />

Übrigens: Studentinnen stellten<br />

rund ein Drittel der Arbeitskräfte.<br />

Sie nahmen keinerlei Sonderrechte<br />

für sich in Anspruch.<br />

Die Wasserleitung war sechs Kilometer<br />

lang und wurde in 96 000<br />

Arbeitsstunden nach nur 90 Tagen<br />

Bauzeit am 1. April 1948 mit dem<br />

Hochpumpen des ersten Wassers<br />

eingeweiht. Die Eröffnungsreden<br />

hielten Fritz Selbmann und ich<br />

als Leipziger Studentenratsvorsitzender.<br />

Max bekam Wasser, das Land mehr<br />

Eisen und Stahl, und die junge ostdeutsche<br />

Intelligenz hatte sich<br />

ein erstes großes Erfolgserlebnis<br />

verschafft, das nur bei absoluter<br />

Freiwilligkeit, Solidarität und Verbundenheit<br />

mit der neuen Gesellschaft<br />

denkbar war.<br />

Prof. Dr. Herbert Meißner<br />

Am 22. <strong>Mai</strong> um 17.30 Uhr spricht Dr. oec.<br />

Klaus Blessing auf einer Veranstaltung<br />

der RF-Regionalgruppe Halle/Saale im<br />

Kulturtreff Halle-Neustadt, Am Stadion 6,<br />

über das Thema<br />

Wie der Westen die Wirtschaftskraft<br />

der DDR leugnete

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!