Nr. 172-Mai 2012 - RotFuchs
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<strong>RotFuchs</strong> / <strong>Mai</strong> <strong>2012</strong> Seite 19<br />
Günter Grass: Was gesagt werden muß<br />
Die Atommacht Israel gefährdet den Weltfrieden<br />
Warum schweige ich, verschweige zu lange,<br />
was offensichtlich ist und in Planspielen<br />
geübt wurde, an deren Ende als Überlebende<br />
wir allenfalls Fußnoten sind.<br />
Es ist das behauptete Recht auf den Erstschlag,<br />
der das von einem Maulhelden unterjochte<br />
und zum organisierten Jubel gelenkte<br />
iranische Volk auslöschen könnte,<br />
weil in dessen Machtbereich der Bau<br />
einer Atombombe vermutet wird.<br />
Doch warum untersage ich mir,<br />
jenes andere Land beim Namen zu nennen,<br />
in dem seit Jahren – wenn auch geheimgehalten –<br />
ein wachsend nukleares Potential verfügbar<br />
aber außer Kontrolle, weil keiner Prüfung<br />
zugänglich ist?<br />
Das allgemeine Verschweigen dieses Tatbestandes,<br />
dem sich mein Schweigen untergeordnet hat,<br />
empfinde ich als belastende Lüge<br />
und Zwang, der Strafe in Aussicht stellt,<br />
sobald er mißachtet wird;<br />
das Verdikt „Antisemitismus“ ist geläufig.<br />
Jetzt aber, weil aus meinem Land,<br />
das von ureigenen Verbrechen,<br />
die ohne Vergleich sind,<br />
Mal um Mal eingeholt und zur Rede gestellt wird,<br />
wiederum und rein geschäftsmäßig, wenn auch<br />
mit flinker Lippe als Wiedergutmachung deklariert,<br />
ein weiteres U-Boot nach Israel<br />
geliefert werden soll, dessen Spezialität<br />
darin besteht, allesvernichtende Sprengköpfe<br />
dorthin lenken zu können, wo die Existenz<br />
einer einzigen Atombombe unbewiesen ist,<br />
doch als Befürchtung von Beweiskraft sein will,<br />
sage ich, was gesagt werden muß.<br />
Warum aber schwieg ich bislang?<br />
Weil ich meinte, meine Herkunft,<br />
die von nie zu tilgendem Makel behaftet ist,<br />
verbiete, diese Tatsache als ausgesprochene<br />
Wahrheit<br />
dem Land Israel, dem ich verbunden bin<br />
und bleiben will, zuzumuten.<br />
Warum sage ich jetzt erst,<br />
gealtert und mit letzter Tinte:<br />
Die Atommacht Israel gefährdet<br />
den ohnehin brüchigen Weltfrieden?<br />
Weil gesagt werden muß,<br />
was schon morgen zu spät sein könnte;<br />
auch weil wir – als Deutsche belastet genug –<br />
Zulieferer eines Verbrechens werden könnten,<br />
das voraussehbar ist, weshalb unsere Mitschuld<br />
durch keine der üblichen Ausreden<br />
zu tilgen wäre.<br />
Und zugegeben: ich schweige nicht mehr,<br />
weil ich der Heuchelei des Westens<br />
überdrüssig bin; zudem ist zu hoffen,<br />
es mögen sich viele vom Schweigen befreien,<br />
den Verursacher der erkennbaren Gefahr<br />
zum Verzicht auf Gewalt auffordern und<br />
gleichfalls darauf bestehen,<br />
daß eine unbehinderte und permanente Kontrolle<br />
des israelischen atomaren Potentials<br />
und der iranischen Atomanlagen<br />
durch eine internationale Instanz<br />
von den Regierungen beider Länder zugelassen wird.<br />
Nur so ist allen, den Israelis und Palästinensern,<br />
mehr noch, allen Menschen, die in dieser<br />
vom Wahn okkupierten Region<br />
dicht bei dicht verfeindet leben<br />
und letztlich auch uns zu helfen.<br />
Wenn das Faß überläuft<br />
100 Millionen Inder folgten dem Streikaufruf von elf Gewerkschaften<br />
Am 28. Februar fand in Indien<br />
unter Beteiligung von 100 Millionen<br />
Arbeitern und Angestellten<br />
ein Generalstreik statt, zu dem erstmals<br />
in der Geschichte des nach China<br />
zweitvolkreichsten Landes alle 11<br />
Gewerkschaftsdachverbände und 500<br />
weitere Basisorganisationen gemeinsam<br />
aufgerufen hatten. Eine besonders<br />
aktive Rolle spielten dabei der<br />
Allindische Gewerkschaftskongreß<br />
(AITUC) und das Zentrum der Indischen<br />
Gewerkschaften (CITU), die<br />
den beiden kommunistischen Parteien<br />
des Landes – der KPI (M) und der<br />
KPI – nahestehen. Der bisher umfassendste<br />
Ausstand in der Geschichte Indiens richtete<br />
sich gegen die Politik der Zentralregierung<br />
zur Privatisierung strategischer<br />
Wirtschaftssektoren wie Öl, Gas und Bergbau<br />
sowie gegen den Kurs des Anlockens<br />
ausländischer Investoren um jeden Preis,<br />
die zu einer drastischen Verschlechterung<br />
der sozialen Lage der arbeitenden Bevölkerung<br />
geführt haben. Hauptforderungen<br />
Protestierende Frauen prägten die Szene.<br />
der Streikenden, deren Aktion in den traditionellen<br />
roten Hochburgen Kerala und<br />
Westbengalen fast sämtliche Aktivitäten<br />
zum Erliegen brachte, aber überall<br />
Wirkung zeigte, waren die Anhebung der<br />
Mindestlöhne und -gehälter unter Berücksichtigung<br />
der letztjährigen Inflationseinbuße<br />
von 7 %, die Entlohnung von 50<br />
Millionen Zeitarbeitern nach den Standards<br />
regulär Beschäftigter sowie die<br />
Wiederverstaatlichung privatisierter<br />
Unternehmen. Das indische Milliardenvolk<br />
ist krassester sozialer<br />
Ungleichheit ausgesetzt. Während die<br />
Zahl der Millionäre inzwischen die<br />
Millionengrenze erreicht hat, müssen<br />
400 Millionen Inder mit einem Einkommen<br />
von umgerechnet 2 Dollar<br />
pro Tag ihr Dasein bestreiten. Andererseits<br />
stieg die Profitrate der Unternehmer<br />
zwischen 1980 und 2008 von<br />
20 auf 60 %.<br />
AITUC-Generalsekretär Gurudas<br />
Dasgupta bezeichnete den Generalstreik<br />
als „historisches Ereignis in<br />
der Chronik von Arbeitskämpfen auf indischem<br />
Boden“. Erstmals sei es gelungen, die<br />
politisch und ideologisch sehr breit gefächerte<br />
Gewerkschaftsbewegung in einer<br />
solchen Aktion zusammenzuführen. Auch<br />
die einflußreiche KP Indiens (Marxistisch)<br />
– drittstärkste Kraft des Subkontinents –<br />
würdigte den „Beweis der Einheit und<br />
des Kampfgeistes der arbeitenden Klasse“.<br />
RF, gestützt auf „Solidaire“, Brüssel