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Nr. 190-November 2013 - RotFuchs

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Seite 8 <strong>RotFuchs</strong> / <strong>November</strong> <strong>2013</strong><br />

Wie 1948 der Stuttgarter Arbeiterprotest abgewürgt wurde<br />

Als General Clay die Ami-Panzer rollen ließ<br />

Für den 28. Oktober riefen die Stuttgarter<br />

Betriebsräte unter dem Motto<br />

„Nicht nur reden, sondern auch handeln!“<br />

zu einer Protestkundgebung auf dem<br />

innerstädtischen Karlsplatz auf. Die Verbraucher<br />

sollten in einer Massendemonstration<br />

zeigen, daß ihre Geduld erschöpft<br />

und sie nicht länger gewillt seien, die<br />

von Unternehmern und Großhandel<br />

festgesetzten Preise zu akzeptieren.<br />

Die in der Geschichte der Stuttgarter<br />

Metallarbeiter recht ungewöhnliche<br />

Manifestation, an der nahezu 100 000<br />

Menschen teilnahmen, sollte um 15<br />

Uhr beginnen. Zwischen 13 und 14<br />

Uhr war in den Betrieben der Stadt<br />

bereits die Arbeit niedergelegt worden.<br />

Viele Belegschaften marschierten<br />

geschlossen zum Karlsplatz. Die<br />

Demonstranten führten einige rote<br />

Fahnen und zahlreiche Transparente<br />

mit. Losungen wie „Wir wollen leben,<br />

nicht vegetieren!“, „Herunter mit den<br />

Preisen!“, „Fort mit Professor Erhard!“,<br />

„Weg mit dem Preiswucher!“ bestimmten<br />

die Szene.<br />

Einziger Redner war der Vorsitzende<br />

des DGB-Ortsausschusses Hans Stetter.<br />

Diese Kundgebung sei als letzte<br />

Warnung an all jene zu verstehen, welche<br />

kaltschnäuzig aus der Not des Volkes<br />

neuen Reichtum scheffeln wollten<br />

und unter Ludwig Erhard untragbare<br />

Verhältnisse geschaffen hätten,<br />

erklärte er. Es gehe um feste Verkaufspreise<br />

für notwendige Bedarfsartikel,<br />

scharfes Einschreiten gegen Wucher<br />

und Preistreiberei, vor allem aber um<br />

die Erhöhung von Löhnen, Gehältern,<br />

Renten und Fürsorgegeldern. Stetter<br />

appellierte an die Verantwortlichen,<br />

sich des Ernstes der Lage bewußt zu<br />

sein. Die Arbeiterschaft sei nicht gewillt,<br />

noch länger zu schweigen.<br />

Zum Abschluß wurde ein an den Wirtschaftsrat<br />

in Frankfurt am Main gerichtetes<br />

Telegramm verabschiedet. Es lautete:<br />

„Zehntausende Schaffende demonstrierten<br />

am 28. Oktober unter Führung der Gewerkschaften<br />

gegen Wucher und Preistreiberei.<br />

Sie fordern eine sofortige Änderung des<br />

falschen Wirtschaftskurses. Wenn nicht<br />

unverzüglich spürbare Abhilfe geschaffen<br />

wird, bleibt nur noch der Weg zur Selbsthilfe.“<br />

Nach dem Verlesen der Resolution war bei<br />

den Zuhörern ungeachtet der Schärfe des<br />

Textes Enttäuschung zu spüren. Es ertönten<br />

Rufe wie: „Warum nur Telegramme<br />

und Resolutionen? Warum keine Taten?“<br />

Nachdem die Kundgebung beendet war,<br />

machten sich die Teilnehmer über die<br />

Stuttgarter Hauptgeschäftsstraße auf den<br />

Heimweg. Das jedenfalls glaubten die Veranstalter.<br />

Was tatsächlich geschah, las<br />

sich damals in der „Stuttgarter Zeitung“<br />

so: „Einige Gruppen von Menschen empörten<br />

sich über die elegante Ausstattung und<br />

die hohen Preise im Modehaus Stahl. Mit<br />

Steinen wurde eine Fensterscheibe eingeworfen.<br />

Als Polizeibeamte eingriffen, wurden<br />

diese mit Stöcken angegriffen. Auch<br />

die Oberlichter der Schaufensteranlage der<br />

Firma Luxus wurden durch Steinwürfe<br />

zertrümmert. Polizeibeamte drängten<br />

Grafik aus „Antifascistisk Forum“, Dänemark<br />

die Menge zurück, die sie mit Steinen<br />

bewarf. Die U.S. Military Police wurde<br />

nun zu Hilfe gerufen. Mit aufgepflanztem<br />

Bajonett und Tränengas räumte sie<br />

die Einkaufsmeile. 5000 bis 6000 Demonstranten<br />

verlagerten sich daraufhin in<br />

den Bereich zwischen Bahnhofseingang<br />

und Postamt. Angehörige der MP wurden<br />

durch Jugendliche mit Steinen beworfen<br />

und mit Messern bedroht. Gegen weitere<br />

Zusammenrottungen an verschiedenen<br />

Stellen der Innenstadt kamen schließlich<br />

die herbeigerufenen Panzer zum Einsatz,<br />

ebenso eine Kavallerieeinheit. Nunmehr<br />

gelang es, die Protestierenden endgültig<br />

zu zerstreuen. Es gab Verletzte auf beiden<br />

Seiten. General Clay verhängte eine zeitlich<br />

unbefristete Ausgangssperre. Nicht<br />

vor Abschluß der Untersuchung werde<br />

das Ausgeh-und Versammlungsverbot aufgehoben.“<br />

Clay beorderte am Morgen nach den Vorfällen<br />

den DGB-Vorsitzenden Stetter<br />

unverzüglich zu sich. Er habe durch seine<br />

Hetzrede den Kommunisten in die Hände<br />

gespielt, warf ihm der General vor. Stetter<br />

erklärte, unter dem Druck der Betriebsräte,<br />

zu denen auch eine Anzahl Kommunisten<br />

gehörte, gestanden zu haben. In seinen<br />

Ausführungen auf dem Karlsplatz habe<br />

er sich an die generelle gewerkschaftliche<br />

Kritik gegenüber untragbaren Verhältnissen<br />

gehalten und Forderungen nach einem<br />

radikalen Kurswechsel der Frankfurter<br />

Wirtschaftspolitiker erhoben,<br />

wie sie zur Zeit gewerkschaftsüblich<br />

gewesen seien. Um zu verhindern, daß<br />

sich die Kommunisten zu Wort melden<br />

könnten, habe er nach Demonstrationsende<br />

sofort das Lautsprechersystem<br />

abschalten lassen.<br />

Alles Lamentieren half Stetter nichts.<br />

Er begriff auch nicht, daß Clay mit<br />

seiner Behandlung den mit dem Feuer<br />

spielenden Gewerkschaftsführern der<br />

Bizone eine Warnung zukommen lassen<br />

wollte.<br />

Das weitere Verhalten des amerikanischen<br />

Militärgouverneurs bei<br />

der Behandlung der Stuttgarter Vorfälle<br />

läßt erkennen, daß es Clay nicht<br />

darum ging, diese als Protest gegen<br />

eine Verschlechterung der Lebensbedingungen<br />

für Arbeiter und Angestellte,<br />

gegen zunehmende soziale<br />

Polarisierung und eine einseitig die<br />

Gewinner der Wirtschafts- und Währungsreform<br />

begünstigende Politik<br />

zu werten. Vielmehr war ihm daran<br />

gelegen, sie als Verschwörung finsterer<br />

Kräfte zu charakterisieren, die<br />

auf den Umsturz der Nachkriegsgesellschaft,<br />

wie sie sich in Westdeutschland<br />

zu etablieren begann,<br />

zielten.<br />

Die hier geschilderte Protestaktion<br />

taucht in keiner gängigen Geschichte<br />

der Bundesrepublik (die in der Regel<br />

auch deren Vorgeschichte ab 1945 mit<br />

einschließt) auf, obwohl es sich eindeutig<br />

um mehr als ein Ereignis von<br />

nur lokaler Bedeutung handelte. Das<br />

Schweigen darüber wird noch unverständlicher,<br />

wenn man bedenkt, welchen<br />

Raum der einmalige Einsatz von Panzern<br />

der Sowjetarmee – er erfolgte am<br />

17. Juni 1953 gegen Randalierer in der DDR<br />

– heute in den BRD-Geschichtsbüchern einnimmt.<br />

Panzer gegen Demonstranten – das<br />

paßt zur Diktatur im Osten, nicht aber zur<br />

lupenreinen Geschichte einer angeblich<br />

geglückten Demokratie im Westen.<br />

Wilfried Wagner, Dingelstedt<br />

Am 23. <strong>November</strong> um 14 Uhr findet in<br />

der Gaststätte „Kühler Grund“, Gagarinstraße<br />

115, eine Veranstaltung der<br />

RF-Regionalgruppe Gera statt.<br />

Experten geben Auskunft zum Thema<br />

Die Verquickung von NSU<br />

und Staatsorganen

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