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Nr. 190-November 2013 - RotFuchs

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<strong>RotFuchs</strong> / <strong>November</strong> <strong>2013</strong> Seite 15<br />

Aus Eddas Blickwinkel: Das Sinken der „Büchner“<br />

Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“<br />

Dieser zornige Aufruf Georg Büchners<br />

im „Hessischen Landboten“ wurde zum<br />

geflügelten Wort. Die Flugschrift richtete<br />

sich gegen die sozialen Mißstände<br />

seiner Zeit.<br />

In der DDR erfuhr Georg Büchner, Dichter<br />

des Vormärz, späte Wertschätzung. Ein<br />

Schiff erhielt seinen Namen.<br />

1977 am Kai in Lateinamerika<br />

1950 in Antwerpen gebaut, pendelte es als<br />

„Charlesville“ zwischen Belgien und Kongo,<br />

bis es von der DDR gekauft und mit dem<br />

Namen „Georg Büchner“ versehen wurde.<br />

Die „Büchner“ wurde als Fracht-und Ausbildungsschiff<br />

genutzt. Bis zu 150 Lehrlinge<br />

befanden sich an Bord, wenn es Kurs<br />

auf Kuba nahm. Zehn Jahre später – 203<br />

„Pötte“ gingen zu dieser Zeit für die Deutsche<br />

Seerederei auf große Fahrt – legte die<br />

„Georg Büchner“ als stationäres Ausbildungsschiff<br />

am Kai von Rostock-Schmarl<br />

an.<br />

Am 12. <strong>November</strong> um 15 Uhr spricht<br />

Botschafter a. D. Heinz Langer auf einer<br />

Veranstaltung der RF-Regionalgruppe<br />

Bernau im „Treff 23“, Breitscheidstraße<br />

43a, über das Thema<br />

Die gesellschaftliche Entwicklung<br />

in Mittel- und Südamerika<br />

Am 14. <strong>November</strong> um 17 Uhr spricht<br />

Botschafter a. D. Rolf Berthold auf einer<br />

Veranstaltung der RF-Regionalgruppe<br />

Suhl im Hotel „Thüringen“ über das<br />

Thema<br />

Aktuelle Fragen der Entwicklung<br />

Chinas<br />

Am 21. <strong>November</strong> um 15 Uhr spricht<br />

Sozialministerin a. D. Dr. Marianne<br />

Linke auf einer Veranstaltung der<br />

RF-Regionalgruppe Rostock im Mehrgenerationenhaus<br />

Evershagen, Maxim-<br />

Gorki-Straße 52, über das Thema<br />

Die Frage der Regierungsbeteiligung<br />

linker Parteien<br />

Dort ankerte bereits ein ähnlicher Riese,<br />

der 10 000-Tonner „Frieden“. Wir durchstreiften<br />

das Traditionsschiff viele Male,<br />

steckten unsere Nasen in Maschinenräume<br />

und Kajüten, standen auf der<br />

Brücke, und noch immer spüre ich die<br />

schwindelnde Höhe beim Blick aufs Wasser<br />

vom obersten Deck.<br />

Nach der politischen Rückentwicklung,<br />

die als „Wende“ verkauft wurde, warteten<br />

viele DDR Bürger vergebens auf<br />

die von Kohl versprochenen „blühenden<br />

Landschaften“ – auch die Seeleute. Die<br />

im März 1990 erlassene „Verordnung zur<br />

Umwandlung von volkseigenen Kombinaten,<br />

Betrieben und Einrichtungen in<br />

Kapitalgesellschaften“ brachte 8000 Mitarbeiter<br />

der Deutschen Seerederei sofort<br />

um Lohn und Brot. In Rostock kam es zu<br />

einem sprunghaften Anstieg von Entlassungen.<br />

Weniger als 60 Prozent der<br />

Erwachsenen waren ein Jahr später noch<br />

in regulärer Beschäftigung – verwirrend<br />

bedrohliche Veränderungen für die<br />

Rostocker, die in der DDR Bewohner der<br />

am schnellsten wachsenden Großstadt<br />

Die „Georg Büchner“ auf ihrer letzten Fahrt<br />

gewesen waren. Sie galt als Tor zu den<br />

Weltmeeren. An Aufbau beteiligte sich<br />

das ganze Land: Steine wurden gesammelt<br />

und zum Hafenausbau an die Küste<br />

geschickt. Nach dem Schulabschluß halfen<br />

etliche junge Leute beim Ausheben der<br />

neuen Hafenbecken. Meine Klasse war<br />

auch dabei. Begeistert sind wir Morgen<br />

für Morgen vom GST-Marinestützpunkt<br />

mit einer Barkasse über die Warnow zu<br />

den großen Anlagen geschippert.<br />

Was aber wurde unter der Herrschaft des<br />

Geldes aus der „Georg Büchner“?<br />

Die Stadt Rostock kaufte sie zum symbolischen<br />

Preis von 1 D-Mark, um sie vor dem<br />

Abwracken zu bewahren. Der maritime<br />

Riese erhielt vorerst noch Denkmalstatus,<br />

wurde sogar mit Millionenaufwand<br />

zum Hotel- und Jugendherbergsschiff<br />

umgebaut.<br />

Doch der Trägerverein ging pleite. 2012<br />

mußte er die „Büchner“ aufgeben. Nun<br />

wurde der Denkmalschutz schleunigst<br />

wieder aufgehoben und das Schiff zur<br />

Verschrottung in Litauen freigegeben.<br />

Im Mai <strong>2013</strong> fuhr ich zum Geburtstag<br />

meines Bruders nach Rostock. Wir saßen<br />

gerade am Kaffeetisch, als mein Neffe<br />

Andreas erschien. Er gratulierte kurz und<br />

… und als Wrack auf dem Grund der Ostsee<br />

löste dann mit folgenden Worten ungläubiges<br />

Entsetzen aus: „Die ,Büchner‘ ist<br />

gesunken!“<br />

„Das kann doch nicht wahr sein!“, sagte<br />

ich. Wir schalteten das Radio ein und<br />

erstarrten. Die böse Nachricht wurde<br />

bestätigt. Sofort fiel das Wort „Versicherungsbetrug“.<br />

Am nächsten Morgen erfuhren wir Näheres<br />

aus der „Ostseezeitung“. Unter Protest<br />

vieler Rostocker war die „Büchner“ am<br />

30. Mai von einem polnischen Schlepper<br />

abgeholt worden. Nach zwei Tagen<br />

bei ruhiger See mit vier Knoten fahrend<br />

geschah des nachts vor Polens Küste etwas<br />

Mysteriöses. Der Schlepper steuerte einen<br />

seltsamen Zickzackkurs. Dann neigte sich<br />

das Schiff zur Seite. Eine Stunde später<br />

wurde die Leine gekappt. Der Schlepper<br />

umkreiste die sinkende „Büchner“, die<br />

15 Kilometer vor dem Festland auf Grund<br />

ging, noch einmal und steuerte dann rasch<br />

den Gdánsker Hafen an.<br />

Auf einer Seekarte sieht man im weiten<br />

Umfeld bereits ein halbes Hundert<br />

anderer Wracks, darunter auch die 1945<br />

gesunkene „Wilhelm Gustloff“.<br />

Zum Untergang der „Büchner“ äußerte<br />

sich ihr alter Kapitän Georg Peters: „Das<br />

war grob unseemännisch. Unbemannt<br />

abschleppen kommt so gut wie niemals<br />

vor, weil nachts Lichter und am Tage<br />

Flaggen gesetzt werden müssen. Die<br />

Schleppleine muß kontrolliert und neu<br />

angebracht werden, falls sie bei heftigem<br />

Seegang reißt. Über die Notleiter<br />

dann das Deck erreichen zu wollen, wäre<br />

lebensgefährlich.“<br />

In Rostock hatte man bis zuletzt darüber<br />

gestritten, ob man die „Büchner“<br />

im Hafen halten, weiter ausbauen oder<br />

einem Geschichtsverein in Antwerpen<br />

überlassen sollte. Doch die Stadt verscherbelte<br />

das Schiff zum Schrottpreis.<br />

Neuer Eigentümer wurde eine obskure<br />

Gesellschaft auf den nicht gerade in der<br />

Nähe gelegenen Seychellen. Sie soll das<br />

Schiff zunächst gehörig versichert haben.<br />

Von 4 Millionen Euro ist die Rede – dem<br />

Vierfachen des Schrottwertes. So etwas<br />

gilt im Kapitalismus als „Normalität“.<br />

Die „Georg Büchner“ ist untergegangen,<br />

nicht aber das Anliegen ihres Namensgebers.<br />

<br />

Edda Winkel

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