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Die Utopie steht links! - eDoc

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suchte er doch den Ausgleich zwischen Leidenschaften und Vernunft. Keines<br />

dürfte dem anderen dogmatisch vorgeordnet werden. Weder die absolute und<br />

durchrationalisierte, alles erfassende und planende Macht der Vernunft –<br />

paradigmatisch entwickelt in Bellamys Rückblick – , noch die reine Anarchie<br />

oder Liebesinsel der Seeligen soll aufgewertet werden. Vielmehr gehe es<br />

darum, beide gegeneinander abzuwägen und so in einer Symbiose zu verschmelzen.<br />

Dadurch könne dann, dies ist der Hauptaspekt des Buches, die<br />

kapitalistische Entfremdung aufgehoben werden. Zur Absicherung dieser<br />

These beruft sich Morris auf Charles Fourier und dessen Liebeswelt des Phalanstère.<br />

Fourier war davon ausgegangen, dass erst die Freisetzung aller Energien,<br />

Leidenschaften und sinnlich-sexuellen Potenzen der Menschen den eigentlichen<br />

Fortschritt der gesamten Gattung erbringen könnte. Durch diese<br />

Entkettung der inneren Triebe komme es dann zu einer Neudefinition des Arbeitsbegriffes,<br />

da dieser seines bisherigen ökonomischen Kerns entkleidet<br />

werde. <strong>Die</strong> Arbeit, und damit sind wir wieder bei Morris, werde zum Spiel. Er<br />

schrieb: »Weil alle Arbeit jetzt anziehend ist. <strong>Die</strong>s kommt entweder von der<br />

Hoffnung auf Gewinn an Ehre und Wohlbefinden, mit welcher die Arbeit verrichtet<br />

wird und welche angenehme Empfindungen erweckt, selbst wenn die<br />

augenblickliche Arbeit nicht angenehm sein sollte; oder es hat seien Grund<br />

darin, dass die Arbeit zu einer angenehmen Gewohnheit wurde, wie zum Beispiel<br />

in dem Falle der sogenannten mechanischen Arbeit; und schließlich liegt<br />

das Vergnügen (und der größte Teil unserer Arbeit gehört hierher) in der Arbeit<br />

selbst, weil unsere Arbeit Kunst, bewusste, echte Kunst ist und von Künstlern<br />

verrichtet wird.« (NN 77) Eine solche Änderung aber wirke auf alle Teilbereiche<br />

menschlichen Seins zurück. Darüber hinaus hat Morris seinen<br />

Roman gegen einen weiteren möglichen Einwand abgegrenzt. Denn er sah als<br />

erster Utopist die Gefahr der öffentlichen Meinung, d. h. er erkannte, dass<br />

diese als Ersatz für die Gerichtsbarkeit ebenfalls despotische, alles Individuelle<br />

konsumierende Formen annehmen könnte. »<strong>Die</strong> Folge unserer gesellschaftlichen<br />

Einrichtungen ist, dass die Ungeheuerlichkeit käuflicher Wollust<br />

bei uns nicht mehr möglich, dass auch das Bedürfnis danach nicht vorhanden<br />

ist. Missverstehen Sie mich nicht. Es schien Sie nicht angenehm zu berühren,<br />

dass keine Gerichtshöfe mehr die Verträge der Leidenschaft oder Empfindung<br />

erzwingen, aber so sonderbar ist der Mensch beschaffen, dass es Sie vielleicht<br />

unangenehm berührt, wenn ich Ihnen sage, dass an die Stelle solcher Gerichtshöfe<br />

auch kein Gesetzbuch der öffentlichen Meinung getreten ist, die<br />

vielleicht ebenso tyrannisch und unvernünftig spricht wie jene Gerichtshöfe.<br />

Damit will ich nicht sagen, dass ein Nachbar das Verhalten des anderen nicht<br />

zuweilen kritisiert; aber was ich sagen will, ist: man richtet nicht mehr nach einem<br />

unwandelbaren System vereinbarter Regeln, kein Prokrustesbrett streckt<br />

oder kürzt den Geist und das Leben der Menschen, keine heuchlerische<br />

Achterklärung be<strong>steht</strong>, welche die Menschen aussprechen müssen, weil sie<br />

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