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Die Utopie steht links! - eDoc

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jenige seien, was die bindende Kraft der Gesellschaft liefere. Es erschien ihnen<br />

vernünftig, dass die Menschen einzig aus dem Grunde zusammenlebten, um<br />

einander zu übervorteilen und zu unterdrücken und übervorteilt und unterdrückt<br />

zu werden, und dass, während eine Gesellschaft, die diesen Bestrebungen<br />

freien Spielraum gewährte, bestehen könne, eine solche, die auf die<br />

Idee des Zusammenwirkens zum Nutzen aller sich gründete, wenig Aussicht<br />

auf Bestand habe.« (RJ 226f.) Es ist deutlich, worauf diese Argumentationsstruktur<br />

Bellamys zielt. Ihm ging es nicht um einzelne Reformen. Nur eine<br />

grundlegende Umwälzung der Verhältnisse könne jene Änderungen bewirken,<br />

die in letzter Konsequenz auf den Menschen selbst zurückwirken – ihn<br />

bessern, sittlich und moralisch heben, aus der kalten Logik des Kapitalismus<br />

befreien. Das individuelle und gleichzeitig vernichtende Denken sei durch<br />

kollektiv-solidarische Strukturen zu ersetzen: »Sie kennen die Geschichte jener<br />

letzten, größten und unblutigsten aller Revolutionen. Im Zeitraum eines Menschenalters<br />

brachen die Menschen mit den sozialen Traditionen und Sitten der<br />

Barbaren und nahmen eine Gesellschaftsordnung an, die vernünftiger und<br />

menschlicher Wesen würdiger war. Sie gaben die räuberischen Gewohnheiten<br />

auf, wirkten einträchtig zusammen und fanden in der Verbrüderung auf einmal<br />

die Wissenschaft, reich und glücklich zu werden. ... Armut und Knechtschaft<br />

waren für die große Masse der Menschheit das Resultat des Versuches<br />

gewesen, das Problem des Lebensunterhalts vom Standpunkt des Individualismus<br />

aus zu lösen: aber kaum war die Nation der einzige Kapitalist und Unternehmer<br />

geworden, so trat nicht allein der Überfluss an die Stelle des Mangels,<br />

sondern auch die letzte Spur der Leibeigenschaft verschwand von der<br />

Erde. <strong>Die</strong> so oft vergeblich bekämpfte Sklaverei war endlich getötet. <strong>Die</strong> Mittel<br />

des Unterhalts wurden nicht mehr wie ein Almosen den Arbeitern, von den<br />

Reichen den Armen gespendet, sondern aus dem gemeinsamen Vorrate wie<br />

unter Kindern an des Vaters Tische verteilt. Es war unmöglich geworden, dass<br />

noch ferner ein Mensch seinen Mitmenschen als Werkzeug seines eigenen Vorteils<br />

brauchte. Dessen Achtung war die einzige Art des Gewinns, den er hinfort<br />

aus ihm ziehen konnte. In den Beziehungen der Menschen zueinander<br />

gab es weder Anmaßung mehr noch Unterwürfigkeit. Zum erstenmal seit der<br />

Schöpfung stand der Mensch aufrecht vor Gott.« (RJ 229f.) <strong>Die</strong> Veränderungen<br />

der sozialen, wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Gegebenheiten erbringe<br />

eine Neubestimmung des Menschen. Jetzt, erst jetzt, stehe er Gott als<br />

seinem Ebenbilde gegenüber, gleichberechtigt, selbst göttergleich. Doch die<br />

Geschichte wäre damit keineswegs zu Ende. Vielmehr komme es nun zu einer<br />

permanenten Vervollkommnung der Menschheit. Was man an Vorteilen und<br />

neuen Bedingungen sehe, sei erst der Anfang, Auftakt zur Hebung der gesamten<br />

Bevölkerung. In diesem Sinne ist kein Zufall, dass Bellamy seinen<br />

zukünftigen Staat im Jahre 2000 ansiedelte, zum Zeitpunkt jenes Millenniums,<br />

das noch unsere rationale Gegenwart zu manchen Aufregungen und Verwir-<br />

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