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Die Utopie steht links! - eDoc

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sen, dass sie die wissenschaftlichen Standards zu diesen Themen erfüllten, ja,<br />

die Jesuiten-Schrift erschloss der Forschung mit ihrem Materialreichtum und<br />

der klaren Darstellung sogar ein neues Feld. Lafargue interpretierte den Jesuitenstaat<br />

nicht als verwirklichte <strong>Utopie</strong> – diese Position wird noch heute teilweise<br />

in den Wissenschaften vertreten – und auch nicht als Umsetzung der<br />

Ideen Campanellas (Der Sonnenstaat). Vielmehr handle es sich um eine »theokratische<br />

Republik« (JP 304), die in aller Deutlichkeit aufzeige, wie das<br />

menschliche Leben und die Gesellschaft aussehe, wenn nicht der säkulare<br />

Staat, sondern der religiöse Stand die Souveränität verkörpern würde. Sie sei<br />

gleichsam ein Experiment, ein Laborversuch der Jesuiten. »<strong>Die</strong> christliche Republik<br />

der Jesuiten interessiert die Sozialisten in doppelter Hinsicht. Einmal<br />

gibt sie ein ziemlich genaues Bild der Gesellschaftsordnung, welches die katholische<br />

Kirche zu verwirklichen strebt, und dann ist sie ein soziales Experiment,<br />

und zwar eines der interessantesten und ungewöhnlichsten, welche je<br />

gemacht worden sind. Welcher Ansichten man immer in bezug auf die geheimen<br />

Ziele der Gesellschaft sein mag: Man wird nicht umhin können, die hohe<br />

politische Einsicht zu bewundern, welche sie in ihrem Werk betätigte; man<br />

wird auch nicht umhin können, die Selbstverleugnung, den Mut, das Geschick,<br />

Menschen zu erziehen und zu leiten, und die geduldige Zähigkeit der<br />

Missionare zu bewundern, welche in den Jesuitenniederlassungen Paraguays<br />

die Indianer schulten und regierten.« (JP 306) Der Jesuitenstaat war nach Lafargue<br />

ein einziges System der Unterdrückung, Unfreiheit und Versklavung.<br />

Einige wenige Missionare herrschten über bis zu 150.000 Indianer, die pausenlos<br />

arbeiteten, keinen Lohn erhielten und in ihrer Freizeit nur beteten. Damit<br />

bestätigte Lafargue die Thesen der Aufklärer Louis Antoine de Bougainville<br />

und Denis Diderot, deren Texte er allerdings nicht kannte. Dem<br />

korrespendierten schlechte gesundheitliche Bedingungen, körperliche Strafen<br />

und Züchtigungen und ein ausgeklügeltes System der Repression. »In dem<br />

von der Natur so wunderbar reich bedachten Land verurteilten die Jesuiten<br />

ihre Arbeiter der Missionen zu einer elenden Lebenshaltung und machten ihnen<br />

noch einen Vorwurf aus dem wenigen, das sie verzehrten.« (JP 333) <strong>Die</strong><br />

aktuelle Dimension des Experimentes liege auf der Hand. Lafargue sieht sie<br />

schlicht darin, dass hier, unter dem Deckmantel der Religion und durch diese<br />

gerechtfertigt, ein quasi kapitalistisches System der Ausbeutung existierte, an<br />

dem sich zahlreiche Fehlentwicklungen der Moderne studieren ließen. »<strong>Die</strong><br />

christliche Republik, die den Lehren des Evangeliums und dem Wandel der<br />

ersten Gläubigen entsprechend gegründet worden war, war keineswegs eine<br />

kommunistische Gesellschaft, in der alle Glieder an der Erzeugung landwirtschaftlicher<br />

und industrieller Produkte teilnahmen und gleicherweise An-<br />

25 Verwendet wird die Ausgabe: Lafargue 2002, zitiert wird als JP.<br />

26 Lafargue 2002b.<br />

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