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metrische und sprachliche beobachtungen zum arvallied

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METRISCHE UND SPRACHLICHE<br />

BEOBACHTUNGEN ZUM ARVALLIED<br />

Jüngst hat R. Piva in den ScriptOralia 47, 1993, 59 ff. das<br />

carmen Arvale "nach sprachwissenschaftlichen Kriterien uninterpretierbar"<br />

genannt. Er sucht damit seiner Theorie den Weg zu<br />

ebnen, der am 16. Mai 218 inthronisierte, damals vierzehnjährige<br />

Kaiser Heliogabal habe auf den Text des am 30. Mai 218 von den<br />

Arvalen vorgetragenen carmen im Rahmen seiner religiösen Umsturzpläne<br />

Einfluß genommen. Das sei zeitlich vorstellbar, weil die<br />

Akten der Feier, wie er voraussetzt, erst i.J. 219 in Stein gemeißelt<br />

wurden, als Heliogabal schon in Rom eingetroffen war. Für diese<br />

schon gelegentlich erwogene!), aber stets wieder aufgegebene, ungewöhnliche<br />

Behauptung sprächen folgende Beobachtungen: Die<br />

Akten der Arvalen böten für das Jahr 218 einen "außergewöhnlich<br />

ausführlichen Bericht mit vielen Einzelheiten über die Tätigkeit<br />

der Priesterschaft" (79); er sei umfangreicher als in früheren Jahren.<br />

Ferner seien in den Text die aus griechisch-orientalischen<br />

Zauberformeln bezeugten Wörter marmar <strong>und</strong> berber aufgenommen<br />

worden. Das aus dem Umfang gewonnene Argument kann<br />

freilich auch so ausgelegt werden, daß die Arvalen sich gegen die<br />

befürchteten Angriffe des Kaisers besonders gründlich hätten sichern<br />

wollen; dann wäre die Sorgfalt verständlich. Es widerspricht<br />

m. E. dem Gr<strong>und</strong>satz römischer Religiosität, eben die religio zu<br />

verletzen <strong>und</strong> von der Tradition abzuweichen. Die Mißdeutung<br />

der beiden durchaus verständlichen Wörter ist aus dem Zusammenhang<br />

des Textes abzulehnen. Hinsichtlich der chronologischen<br />

Beurteilung <strong>und</strong> der Abfassung des carmen in ~~turniern<br />

teile ich die Auffassung der von Piva (62) verspotteten Außerung<br />

Ida Paladinos (Fratres Arvales, Roma 1988, 195). Trotz der späten<br />

<strong>und</strong> einmaligen Bezeugung des carmen wird sein hohes Alter<br />

durch <strong>metrische</strong> <strong>und</strong> <strong>sprachliche</strong> Beobachtungen gesichert, die hier<br />

vorgetragen werden sollen. Damit stimmen die aus dem Text zu<br />

gewinnenden inhaltlichen Erkenntnisse überein.<br />

1) Vgl. W. Henzen, Acta fratrum Arvalium, Berlin 1874, XI. G. Wissowa,<br />

Hermes 52, 1917, 322. E. Norden, Aus altrömischen Priesterbüchern, L<strong>und</strong> 1939,<br />

113.


Metrische <strong>und</strong> <strong>sprachliche</strong> Beobachtungen <strong>zum</strong> Arvallied 135<br />

Die Saturnier des Arvalliedes<br />

Nach Pivas (63) Meinung sei "es bisher nicht einmal gelungen<br />

zu beweisen, daß das carmen auch wirklich aus Saturniern besteht".<br />

Das entspricht nicht den Tatsachen <strong>und</strong> kann widerlegt<br />

werden. Ich verstehe unter einem saturnischen Maß einen Dreioder<br />

Vierheber (Zweiheber sind ganz selten) mit einer unbestimmten<br />

Zahl von Senkungen, deren letzte meist unterdrückt wird. Die<br />

Hebungen des Saturniers richten sich nach der Betonung der gesprochenen<br />

Sprache 2 ). Zur Beurteilung der Saturnier des Arvalliedes<br />

lege ich zuerst einige archaische Beispiele vor, deren saturnisches<br />

Maß nicht anzuzweifeln ist, <strong>und</strong> untersuche diese nach charakteristischen<br />

Besonderheiten, die sich in den Saturniern des Arvalliedes<br />

wiederfinden.<br />

Ohne zeitliche Ansetzung ist ein Text, der nach Fronto 67<br />

(Büchner S.5) zweimal, von i~nen über eiper Tür (in porta, cum<br />

eximus) zu lesen war: flämen, sümesamentüm. Das ist ein Vierheber<br />

mit unterdrückter erster <strong>und</strong> vierter Senkung. In der dritten Senkung<br />

steht eine jambische Silbenfolge, die entsprechend der allgemein<br />

an Saturniern erkannten Beobachtung 3 ) der Wirksamkeit des<br />

später so genannten Jambenkürzungsgesetzes als Doppelkürze zu<br />

werten ist. Damit wird das zweimorige Höchstmaß einer Senkung<br />

4 ) erreicht; ein Jambus wäre dreimorig. Ferner findet sich ~in~<br />

belieb!e $aturnierforJIl ip einem alten Gebet (in precibus): ;;'destö,<br />

Tiberine, cüm tUlS ündis (Serv. Aen. 8,72; Büchner S. 6). Hier liegt<br />

ebenfalls die Wertung des Jambus als Doppelkürze in der ersten<br />

Hebung des Dreihebers vor. Dieser Vorgang <strong>und</strong> sein Ergebnis<br />

sindauchan derlaviniatischenWeihinschrift Cästoret p6dloüquiiqde<br />

(ILLRP nr. 1271a) zu beobachten: In diesem Vierheber sind die<br />

erste <strong>und</strong> vierte Senkung unterdrückt; die zweite besteht aus einer<br />

jambischen Silbenfolge, die den <strong>metrische</strong>n Wert einer Doppelkürze<br />

gewinnt. Diese Inschrift wird dem 6.15.Jh. zugeschrieben. Im<br />

ersten <strong>und</strong> dritten Fall handelt es sich um Gr<strong>und</strong>formen des Saturniers,<br />

die noch selbständig ohne Einbindung in eine aus zwei Kola<br />

bestehende saturnische Reihe gesprochen wurden S ).<br />

Das wird ganz deutlich an der etwa ein Jahrh<strong>und</strong>ert älteren<br />

faliskischen Ceres-Inschrift 6 ). Alle dort zu lesenden Saturnier in<br />

2) G. Radke, Archaisches Latein, Darmstadt 1981, 54.<br />

3) G. Radke, Arch. Lat. 59 f., REA 93, 1991,269.<br />

4) G. Radke, REA 93, 1991,268.<br />

5) G. Radke ebd. 266.<br />

6) G.Radke, Glotta 43,1965, 132ff. Latomus. 53, 1994, 105ff.


136 Gerhard Radke<br />

ihrer Gr<strong>und</strong>form sind durch Dreifachpunkt voneinander abgegrenzt.<br />

Der Aufbau ist kunstvoll: Vor <strong>und</strong> damit außerhalb der<br />

saturnischen Formen steht gleichsam als Adresse der Name der<br />

Göttin Ceres: In den ersten drei Dreihebern werden die Spenden<br />

an die Götter genannt. Die mittlere Gruppe aus einem Vierheber,<br />

einem Dreiheber <strong>und</strong> einem weiteren Vierheber gibt die Hersteller<br />

des Gefäßes <strong>und</strong> den Namen des Schenkenden an. In den letzten<br />

vier Vierhebern spricht die Olla selbse). Bedeutsam ist die durch<br />

die Punktierung verdeutlichte Bestätigung einzelner saturnischer<br />

Gr<strong>und</strong>maße. Auch in dieser Inschrift begegnet die vorgenannte<br />

<strong>metrische</strong> Behandlung des Jambus nach dem Jambenkürzungsgese!z<br />

in d,er erste9- uns! zweiten Senkung des 7. Saturniers: eqo~urneU<br />

luteU j'itaJdupes 8 ).<br />

Auch im Arvallied finden sich sowohl die Gr<strong>und</strong>form des<br />

Satl}rniers am f.9-fang (e nifs, Lises, iuviti) <strong>und</strong> am Ende (e nifs,<br />

Märmor, iuväto) sowie auch die vom späteren Jambenkürzungsgesetz<br />

bestimmte <strong>metrische</strong> Funktion; sie erscheint viermal in der<br />

Hebung (ljf~m, riiem, situr, iit) <strong>und</strong> einmal in derSenkung(incdrrere~in<br />

ploeres)9). So schließen sich mehrere Zeugnisse aus hocharchaischer<br />

<strong>und</strong> archaischer Zeit mit dem Arvallied in <strong>metrische</strong>r<br />

Übereinstimmung zusammen. Der zeitliche Rahmen ist damit<br />

festgelegt. Darüberhinaus gibt es noch eine auffällige Gemeinsamkeit<br />

mit allen Saturniern: Es läßt sich beobachten, daß vor der<br />

Präposition in <strong>und</strong> vor dem Präverb im- stets Elision eines vorausgehenden<br />

Vokals eintritt 1o ): Im Arvallied findet das bei incurrere,.in<br />

statt.<br />

Wenn Piva (63 Anm.18) behauptet, einzelne Saturnierkola<br />

seien s0I?:st nicht bekannt, läßt sich auch das widerlegen. Selbst<br />

genaue Ubereinstimmung von Hebungen <strong>und</strong> Senkungen liegt<br />

vor. Bei der <strong>metrische</strong>n Gleichwertigkeit von Kürze, Doppelkürze<br />

<strong>und</strong> Länge in der Senkung sowie der Darstellung einer Hebung<br />

durch Länge oder Doppelkürze wächst die Zahl der vergleichbaren<br />

Verse. Ich stelle nachfolgend neben die Saturnier des carmen<br />

Arvale metrisch gleiche Verse anderer Herkunft (vgl. Verf., Arch.<br />

Latein 109):<br />

7) E. Norden a. O. 265.<br />

8) G. Radke, Latomus 53, 1994, 108 f.<br />

9) G. Radke, Arch. Lat. 110.<br />

10) G. Radke, REA 93, 1991, 272 f.


Metrische <strong>und</strong> <strong>sprachliche</strong> Beobachtungen <strong>zum</strong> Arvallied 137<br />

e nis, Lises, iuviti<br />

neve liie(m) rde(m), Mir, Mir<br />

sins incurrere in pleores<br />

bedarf einer Korrektur (s. u.); entweder<br />

sins incdrrerejn ploiris<br />

oder:<br />

sins cdrrerejn pleiris<br />

situr fd, iM Mir<br />

slimens; ili sta birbir 11 )<br />

semdnis altirnii<br />

idvi3cipit cinctis<br />

e nis, Mir Mi3r, iuviti<br />

Naev. 50 sesiqueJi pe~iri "<br />

Liv. Andr. 3 mea puera qUld vhbi<br />

T. Liv. 40,52,6 rbrqueJl> die nivis<br />

ILLRP 309,3 quiiüs firma vlrtdtei<br />

ebd. 309,4. 310,4 cinsol, cinsi3r, aldilis<br />

Liv. Andr. 6 arginteipi3ldbri<br />

Varro r.r. 1,2,27 igl> tdi mimrni<br />

ILLRP 312,4 is hic situs, quei ndmquim<br />

Ps. Bass. GLK 6,265 (Büchner S. 40)<br />

fdndit, fdgat, pri3stirnit<br />

Naev. 32 res divis Mieft<br />

Liv. Andr. 8 pldrrmi venirdnt<br />

ILLRP 970.1 estfictdm m.i3num~ntdm12)<br />

Varro Men. 472B. qui3cümquejre vi3lemds<br />

l3 )<br />

Metrisch gleichwertig sind mit kurzer<br />

erster Senkung adisti, Tiberini (s.o.)<br />

<strong>und</strong> mit kurzer dritter Senkung Liv.<br />

Andr. 31 atquejscis habimds <strong>und</strong> Naev.<br />

24 dein pillins sagiuis.<br />

Das fünfmalige triumpe - wie auch an anderen Stellen14) ­<br />

kann mit Unterdrückung des -i- als triumpe gesprochen worden<br />

sein. Dann läßt sich das Ephymnion als eine aus einem Vierheber<br />

<strong>und</strong> einem schließenden Dreiheber zusammengesetzte saturnische<br />

Reihe verstehen.<br />

Der Text des Arvalliedes<br />

Der Text des carmen Arvale ist in den Arvalakten d.]. 218<br />

erhalten. Er ist in scriptura continua geschrieben. Acht PunkteIS)<br />

sollen der Worttrennung dienen. Es gibt verschiedene Arten, das<br />

Fehlen weiterer, eigentlich notwendiger Punkte zu erklären. Es<br />

kann sich um einen späteren i.]. 218 unternommenen Versuch<br />

11) E. Norden a. O. 142 ff., G. Radke, Arch. Lat. 112.<br />

12) Ich gehe davon aus, daß der Steinmetz irrig ein überzähliges hoc vor den<br />

Saturnier geset~t hat, das ich nicht einbeziehe.<br />

13) Die Uberlieferung bietet vellemus, das in keinen Saturnier paßt.<br />

, 14) Zu trjumpe v,gl. d~ei Vierh,eber, bei ILLRP 122,2 Rimam ridreit ~rjdmph,ans,<br />

ebd. 3~5,5 [ita Ri3ma]e~egit trjümpü[m <strong>und</strong> Censorin. !3LK 6,61?,8 mtjgnüm<br />

numerum t~iümpat sowie den Dreiheber bei T. Liv. 41,28,9 rterüm trjümphans. An<br />

keiner dieser Stellen hat das -i- Silbenwert.<br />

15) G. Radke, Arch. Lat. 106.


138 Gerhard Radke<br />

handeln, den schon reichlich unverständlichen Text nach Kräften<br />

aufzugliedern. Es ist auch denkbar, daß der Schreiber nur noch die<br />

vorhandenen Punkte kannte. Schließlich können auch früher vorhandene<br />

Punkte im Laufe der Zeit am Stein unlesbar geworden<br />

sein. Punkte sind jedoch nachweislich nie an einer verkehrten Stelle<br />

gesetzt worden (E. Norden 117 f.). Das allein widerspräche dem<br />

von Piva angeblich erkannten Punkt hinter sinsin, dessen Spur<br />

m. E. irrig ist. Somit entfällt auch die von Piva angebotene neue<br />

Textfassung. Der erste <strong>und</strong> der letzte Gr<strong>und</strong>saturnier sowie die<br />

mittleren drei saturnischen Reihen werden jeweils dreimal wiederholt.<br />

Abgesehen von der damit bezweckten Steigerung der Wirkung<br />

bestimmen die Grenzen der Wiederholung ähnlich wie die<br />

Dreifachpunkte auf der Ceres-Inschrift die Länge der beiden<br />

Gr<strong>und</strong>formen wie die der saturnischen Reihen. Dieser aus dem<br />

Text unbeabsichtigt gebotene Hinweis auf die Länge der Metren<br />

ist bisher noch nicht beachtet worden.<br />

Die Unterdrückung der Senkungen entspricht beim Saturnier<br />

dem emotionalen Willen der jeweiligen TextsteIle: Beim ersten<br />

<strong>und</strong> letzten Gr<strong>und</strong>saturnier sind nur die zweite <strong>und</strong> vierte Senkung<br />

unterdrückt, was dem Satz einen gleichmäßigen Fluß gewährleistet.<br />

In der ersten saturnischen Zeile beginnt eine gewisse<br />

Bewegung im ersten Kolon durch Unterdrückung der zweiten,<br />

dritten <strong>und</strong> vierten Senkung; Hebung folgt auf Hebung. Um das<br />

Sprechen zu erleichtern, sind die Hebungen aber aufgelöst. Das<br />

zweite Kolon läßt die Ruhe zurückkehren, da nur die zweite <strong>und</strong><br />

vierte Senkung unterdrückt wurden. Die stärkste Unruhe herrscht<br />

im ersten Kolon der folgenden saturnischen Zeile: Alle Senkungen<br />

sind unterdrückt; nur zwei Hebungen sind aufgelöst. Die Ruhe<br />

tritt im zweiten Kolon durch die als abklingend bewährte Art der<br />

Unterdrückung allein der zweiten <strong>und</strong> vierten Senkung ein.<br />

Am Wortlaut des Textes sind folgende Beobachtungen zu<br />

machen: Im zweiten Kolon der ersten saturnischen Reihe steht in<br />

der zweiten Wiederholung statt des vorausgehenden sins die Form<br />

sers; dieser Wechsel ist einleuchtend gedeutet worden (s. u.). Im<br />

ersten Gr<strong>und</strong>saturnier steht der Göttername Lases, der als Doppelkürze<br />

oder als Doppelkürze zu wertende jambische Silbenfolge<br />

anzusehen ist. Daß der zu erwartende Rhotazismus nicht vollzogen<br />

wurde, kann nicht unbesehen als chronologisches Merkmal<br />

gelten, da dieser Name von den Grammatikern als Beispiel für<br />

vorrhotazistische Formen genannt wird (Paul. Fest. 323,6 L.) <strong>und</strong><br />

daher als bewußte Archaisierung verstanden werden könnte. Es ist<br />

freilich in höherem Maße wahrscheinlich, daß mit Rücksicht auf


Metrische <strong>und</strong> <strong>sprachliche</strong> Beobachtungen <strong>zum</strong> Arvallied 139<br />

den Gottesnamen dessen seit Abfassung des carmen gesprochene<br />

Form aus religio beibehalten wurde. Hatten die Verfasser des Liedes<br />

die Götter Lases genannt, bliebe eine Anrufung unter dem<br />

Namen Lares voraussichtlich erfolglos. Zu e nos, Lases hat Norden<br />

(118) mit Recht auf bezeugte Gebetsrufe wie e castor, edepol, edi, e<br />

iuno <strong>und</strong> e quirine hingewiesen. Er zeigt, daß hier die Anrufung<br />

der Lases durch dazwischengesetztes nos in Tmesis steht. Diese<br />

Stilform ist altertümlich <strong>und</strong> kann als Zeugnis höheren Alters gewertet<br />

werden 16 ). Der Imperativ iuvate ist von sich aus verständlich.<br />

Von Norden (130) übernehme ich: Neve ... sins incurrere<br />

entspricht neu sinas ... equitare bei HOLc.1,2,51. Die religiöse<br />

Ausdrucksweise hat ununterbrochen fortgelebt. In lue rue erkennt<br />

Norden "Reimwörter", deren -u- die dunkle Bedrohung hervorhebt.<br />

In der Aussprache - <strong>und</strong> demnach auch in der Niederschrift<br />

- ist das Endungs-m des Akk.sg. ausgefallen, so daß luem ruem<br />

vor Mar metrisch zwei Jamben sind. Das einleitende lue bezieht<br />

sich auf Krankheiten von Mensch <strong>und</strong> Vieh, während rue Katastrophen<br />

wie Erdbeben oder Überschwemmungen anzeigt. Beide<br />

Wörter sind Objekte des folgenden Verbums incurrere.<br />

Marmar (oder Mar Mar) wird allgemein nicht als Zauberformel<br />

(s.o.), sondern als Vokativ des reduplizierten Namens des<br />

Gottes Mars angesehen. Er ist mit Marmor (oder Mar Mor) in dem<br />

schließenden Gr<strong>und</strong>saturnier zusammen zu besprechen: Die abweichenden<br />

Schreibungen marma <strong>und</strong> mamor stellen m. E. lediglich<br />

Fehler des Steinmetzen dar, der im zweiten Falle vielleicht<br />

durch ihm bekanntes Mamars beeinflußt war, <strong>und</strong> spielen bei der<br />

<strong>sprachliche</strong>n Auswertung keine Rolle. Folgendes Mar sehe ich als<br />

eine nicht reduplizierte bzw. nicht iterierte Namensform an <strong>und</strong><br />

untersuche ihre Entstehung im Zusammenhang mit der Rechtfertigung<br />

einer solchen Lesung der Stelle (s. u.). Der Unterschied in der<br />

Vokalisierung der Namen Marmar <strong>und</strong> Marmor erklärt sich aus<br />

den <strong>metrische</strong>n Gegebenheiten des Saturniers: Beide Silben von<br />

Marmar stehen unter dem Ton, während bei Marmor nur die erste<br />

den Ton trägt <strong>und</strong> die zweite sich in einer Senkung befindet. Sie<br />

erfuhr daher Reduktion <strong>und</strong> ist schw<strong>und</strong>stufig vokalisiert (-mar­<br />

> -mr-, -mor-). Diese Unterscheidung stammt aus einer Zeit, in<br />

der die Lautgebung noch flexibel war <strong>und</strong> sich nach der jeweiligen<br />

Betonung durch die gesprochene Sprache richtete, sich also bei<br />

16) Vgl. Fest. p. 402, 30f. L. (in precibus) sub vos placo; ebd. 33 aus XII tab. 3<br />

transque dato <strong>und</strong> ebd. 34 (XII tab. 8,12) endoque plorato. M. Leumann, Handb. d.<br />

lat. Laut- <strong>und</strong> Formenlehre, München 1977, 271.401.557.562.


140 Gerhard Radke<br />

Betonungswechsel auch verändern konnte: Der Unterschied zwischen<br />

Märmär <strong>und</strong> Märmor muß vor Einsetzen der Anfangsbetonung<br />

veranlaßt worden sein <strong>und</strong> im 7.16.Jh. stattgef<strong>und</strong>en haben.<br />

Die Achtung vor dem Gottesnamen, wie das schon gegenüber<br />

Lases zu beobachten war, ermöglichte <strong>und</strong> veranlaßte die Erhaltung<br />

der Formen. Auch in Semunis dürfte gegenüber späterem<br />

Semones 17 ) ein älteres Lautbild erhalten geblieben sein. Man sieht,<br />

der Text des carmen Arvale verrät in den verschiedensten Merkmalen<br />

sein hohes Alter.<br />

Zur <strong>sprachliche</strong>n Klärung der Namensformen Marmar (oder<br />

Mar Mar) <strong>und</strong> Marmor (oder Mar Mor) sind diese im Zusammenhang<br />

mit Mamars 18 ) zu untersuchen. Zur Begründung der langen<br />

ersten Silbe von Mämars gehe ich von einem Stamm ;:-smar- "aufteilen"<br />

mit einem Suffix -ti- zur Bezeichnung eines nomen actionis<br />

aus; zur Bildung kann man mor-ti, mon-ti- u. a. vergleichen. Bei<br />

der nominalen Reduplikation19) tritt eine Wiederholung des Stammes<br />

ohne sein Suffix unter Verlust des auslautenden Konsonanten<br />

vor den Stamm, der sein Suffix behält 20 ). Für ;:-smar-ti- bedeutet<br />

das die Entwicklung von ;:-sma(r)-smar-ti mit frühem Abfall des<br />

anlautenden 21 ) s- zu ;:-ma-smar-ti-; ;:'masmarti- wurde mit Ersatzdehnung<br />

bei Ausfall des länger erhaltenen 22 ) inlautenden -s- vor<br />

-m- zu ;:-mamarti- <strong>und</strong> durch Vokalschwächung innerhalb der lateinischen<br />

Sprache zu Mämers.<br />

Auf diesem Wege kommt man jedoch nicht zu Marmar <strong>und</strong><br />

Marmor 23 ). Alle Vorschläge wie Marts Marts oder Mart Mart blieben<br />

erfolglos. Das führt zu der Annahme, daß es sich bei den<br />

Götternamen im carmen Arvale nicht um Beispiele von Reduplikationen,<br />

sondern um Iterationen handelt. Daß sich solche Formen<br />

vorwiegend bei Götternamen wie Sororia oder Sospita<br />

17) R. Piva 67 Anm.22 hält semunis für einen falschen Archaismus, was<br />

schwer zu beweisen ist.<br />

18) Vgl. G. Radke, Zur Entwicklung der Gottesvorstellung <strong>und</strong> der Gottesverehrung<br />

in Rom, Darmstadt 1987, 293 H.<br />

19) G. Radke, Die Götter Altitaliens, Münster 21979,201; vgl. quisquiliae <<br />

"-sque(l)-squel-iae, "-me(r)-mr-ia > memoria <strong>und</strong> die Götternamen Sororia (Radke,<br />

Götter 290 f.) <strong>und</strong> Sospita (ebd. 288 f.).<br />

20) Vgl. M. Leumann a. O. 382.<br />

21) M. Leumann a. 0.208; F. Sommer, Hdb. d. lat. Laut- <strong>und</strong> Formenlehre,<br />

Heidelberg 31948, 231; 41977 (neubearb. von R. Pfister), 175.<br />

22) Vgl. cosmis bzw. cosmisu (Radke, Arch. Lat. 88), cosmittere (Paul. Fest.<br />

p. 59,51. sowie in dusmo (ebd. p. 59,3). Ferner vgl. pälignischprismu (Vetter, Hdb.<br />

nr. 213,2).<br />

23) Die Ableitungen bei G.Radke, Götter 201; Kl. Pauly III, 1046/8 sind<br />

jetzt vereinfacht <strong>und</strong> geklärt.


Metrische <strong>und</strong> <strong>sprachliche</strong> Beobachtungen <strong>zum</strong> Arvallied 141<br />

(s. Anm. 19) finden, läßt sich in die Vorstellung hohen Alters gut<br />

einordnen. Der Vorgang dürfte etwa so ausgesehen haben: Ein<br />

ursprünglicher Vokativ ':'smart- warf sein Suffix ab. Das kann sich<br />

nur in sehr früher Zeit vollzogen haben <strong>und</strong> ist nur mit der Namensbildung<br />

lou-pater vergleichbar. Nebeneinander stehende<br />

':'smar-, smar- waren einsilbige, je aus einer Länge bestehende Hebungen<br />

am Schluß eines Gr<strong>und</strong>saturniers ohne dazwischenstehende<br />

Senkung. Der Zweck der Iteration war eine Intensivierung der<br />

Anrufung. Das anlautende s- dürfte früh abgefallen sein, da sich in<br />

Worten wie merda oder mala im Lateinischen keine Spuren seiner<br />

einstigen Existenz erhielten. Das Gleiche gilt auch für Mar, Mor,<br />

deren zweite Silbe jedoch in einer Senkung stand <strong>und</strong> daher reduziert<br />

wurde. Die Gründe für diese Reduktion <strong>und</strong> der suffixlose<br />

Vokativ sind Zeugnisse für eine sehr frühe Zeit; ich rechne mit<br />

einer Entstehung dieser Formen im 7.16.Jh. Sie bewahrten sich<br />

durch das mangelnde Verständnis der Priester, die das carmen<br />

vortrugen, <strong>und</strong> durch religiöse Achtung vor den göttlichen Namen,<br />

die nicht verändert werden durften, bis in die Zeit der erhaltenen<br />

Niederschrift - ohne Zutun des Kaisers Heliogabal.<br />

Ein umstrittenes Problem in der Sprache des carmen Arvale<br />

ist das Nacheinander der Verbalformen sins <strong>und</strong> sers. Norden (130)<br />

hat mit Recht darauf hingewiesen, daß sich neve ... sins incurrere<br />

mit neu sinas ... equitare bei Hor.c.1,2,51 vergleichen läßt <strong>und</strong> den<br />

Bestand religiöser Sprache über die Jahrh<strong>und</strong>erte hin zu erkennen<br />

gibt. Ich halte es freilich nicht für einfach, im vorliegenden Zusammenhang<br />

sins ohne Zwischenstufe aus sinas erklären zu können, da<br />

eine Synkopierung wegen der Länge der zweiten Silbe in Slnas<br />

nicht möglich gewesen wäre. Die Lösung des Problems wird wieder<br />

durch die im Saturnier belegte Behandlung einer jambischen<br />

Silbenfolge nach dem späteren Jambenkürzungsgesetz ermöglicht:<br />

Aus Slnas konnte in früher Zeit - ich vermute im 6. Jh. - bei entsprechender<br />

Stellung innerhalb des gesprochenen Textes Slnas werden,<br />

dessen Synkopierung zu sins in späterer Zeit nichts mehr im<br />

Wege stand, <strong>zum</strong>al der <strong>metrische</strong> Wert von sins dem von Slnas ganz<br />

<strong>und</strong> gar entsprach. Die Form, die ohne so frühen Vollzug der<br />

beschriebenen Vorgänge nicht hätte entstehen können, hat sich bis<br />

ins 3.Jh. n. ehr. erhalten. Zur inhaltlichen Aussage wird das nachfolgende<br />

sers als perfektisch angesehen 24 ) <strong>und</strong> als Verstärkung des<br />

vorausgehenden präsentischen sins erklärt 25 ). Man geht von einer<br />

24) G. Hermann bei Norden 132.<br />

25) Debrunner bei Norden 132.


142 Gerhard Radke<br />

Form ':'seiris zu "se(i)- aus (Norden 131). Dabei bleibt unbeachtet,<br />

daß diese nicht als unmittelbare Vorstufe zu sers dienen konnte.<br />

Zur Deutung des Vorgangs gehe ich von modalen Formen wie tulit<br />

oder duint aus <strong>und</strong> verbinde deren Endungen mit dem Stamm<br />

':'se(i)- ,lassen' zu einem Konj.perf. ':·se-si-s 26 ). Diese Form konnte<br />

durch die TonsteIlung der gesprochenen Worte entsprechend dem<br />

vorerwähnten sznäs zu ':'seszs werden <strong>und</strong> nach Vollzug des Rhotazismus<br />

von ~'seszs zu ':'shzs Synkopierung zu sers erfahren. Bei<br />

diesem Vorgang waren die zweimorige Wertung einer jambischen<br />

Silbenfolge, der Rhotazismus <strong>und</strong> die Synkopierung am Werke.<br />

Die erste Erscheinung ist hocharchaisch, der Rhotazismus gehört<br />

ins 4.Jh. Das Wort sers geht auf eine Verbalform zurück, die lange<br />

vor dem 4.Jh. gebildet wurde. Im Laufe der Zeit wurde - mit<br />

Ausnahme der Götternamen - der Wortlaut dem jeweiligen<br />

Sprachgebrauch angepaßt. So stehen unterschiedliche Formen nebeneinander.<br />

So war das Wort incurrere ein Opfer aller zwischenzeitlichen<br />

<strong>und</strong> zeitgenössischen Neuerungen, die das Ziel einer Angleichung<br />

an den jeweils derzeitigen Sprachstand verfolgten. Das Präverb enist<br />

zu in- geworden; aus -rs- entstand -rr- <strong>und</strong> wurde seit des<br />

Ennius Zeit mit Doppel-r geschrieben. Die Infinitivendung erfuhr<br />

im 4.Jh. Rhotazismus. Die Nennung dieses Datums darf aber<br />

nicht mißverstanden werden (Piva 63); es ist nur ein Terminus ante<br />

quem. Die Entstehung des Arvalliedes liegt um vermutlich zwei<br />

Jahrh<strong>und</strong>erte früher.<br />

Das die Zeile abschließende Wort pleores (in der ersten <strong>und</strong><br />

zweiten Wiederholung pleoris) wird meist als pleosis verstanden<br />

<strong>und</strong> als Bezeichnung der Gemeinde oder des Volkes oder dessen<br />

Mehrheit angesehen. Umstritten <strong>und</strong> bisher ungelöst ist die<br />

<strong>sprachliche</strong> Analyse 27 ); das heißt, die Sprachwissenschaft weiß die<br />

erhaltene Form nicht sicher zu deuten. Es kommt eine weitere<br />

Schwierigkeit hinzu: Auch die aus den anderen Saturniern ermittelte<br />

<strong>metrische</strong> Form läßt eine Silbenfolge pleöres an dieser Stelle<br />

nicht zu. Da die dritte Senkung aus drei Silben (-re in ple-) mit vier<br />

Moren bestehen müßte, kommt man trotz des Bedenkens, aus<br />

<strong>metrische</strong>n Gründen eine Änderung vorzunehmen, an der Notwendigkeit<br />

einer Korrektur nicht vorbei, <strong>zum</strong>al auch der <strong>sprachliche</strong><br />

Bef<strong>und</strong> dazu einlädt. Es gibt dazu zwei Möglichkeiten: Man<br />

könnte entweder das Präverb von incurrere als sek<strong>und</strong>äre Doppe-<br />

26) G. Radke, Arch. Lat. 111.<br />

27) M. Leumann a. O. 496.


Metrische <strong>und</strong> <strong>sprachliche</strong> Beobachtungen <strong>zum</strong> Arvallied 143<br />

lung ZU der Praeposition vor pleores tilgen, so daß sins cürrerejn<br />

pleores zu lesen wäre; oder man ändert an dem störenden<br />

pleores selbst, indem man eine irrige Vertauschung der Buchstaben<br />

0 <strong>und</strong> e durch den Steinmetzen annimmt, wie es dieser<br />

auch bei alternie neben alternei fertigbrachte. Die so erschlossene<br />

Form ploeres fände ihre Stütze in ploirume des Scipionenelogiums<br />

(ILLRP 310,2) <strong>und</strong> ploeres sowie ploera bei Cic. leg.<br />

3,6 in einem fingierten Gesetzestext in altertümlicher Sprache.<br />

Ich zöge diese Lösung des Problems vor.<br />

Da außer an acht Stellen worttrennende Punkte fehlen,<br />

muß die Lesung sich auf eine Auswahl nach erkennbaren Wörtern<br />

richten, die durch Vergleich mit dem Text der Wiederholungen<br />

erleichtert wird. Gegenüber der in CIL 1 2 , ILLRp 2 4<br />

u. a. durchgeführten Worttrennung enttäuscht Pivas kaum<br />

ernsthaft gemeinter Versuch, andere Möglichkeiten der Teilung<br />

aufzuweisen (67). Problematisch ist jedoch die bisher übliche<br />

Lesung der zweiten saturnischen Zeile satur.fu, fere Mars, limen<br />

sali, sta.berber. Zwischen den Punkten vor fu <strong>und</strong> hinter<br />

sta ist die Einteilung offen, die vorstehende Satzkonstruktion<br />

von den Wörtern her zwar statthaft, dem Sinne nach aber nicht<br />

überzeugend: An den ersten drei Wörtern wird man freilich<br />

nicht zweifeln; ebenso scheint der Schluß mit sta berber sicher.<br />

Mars als Vokativ wurde neben Marmar <strong>und</strong> Marmor bisher<br />

nicht angezweifelt. Auch die Einbeziehung von satur wurde im<br />

Sinne von satiate ludo (Hor. c. 1,2,37) neben Horn. 11.<br />

5,388.863 "AQl']


144 Gerhard Radke<br />

4. Während der Sprung des Odysseus auf die Schwelle aggressiv<br />

ist, soll er hier als Schutzakt des wachenden Gottes gelten.<br />

5. Nordens (145) Deutung von berber als "deiktisch-örtliche<br />

Partikel" belastet m. E. den Inhalt des reduplizierten ber zu stark.<br />

Berber ist eine Partikel, die erst an ein Pronomen treten muß, um<br />

ihre Funktion zu erfüllen. Dieses Pronomen ist ali, das in altertümlicher<br />

Tmesis (s.o.) durch sta von berber getrennt ist. Sta hat<br />

"durative Bedeutung" (Norden 143), so daß ich ali sta berber<br />

"bleibe anderswo stehen" übersetze. Mars soll des Krieges satt sein<br />

<strong>und</strong> anderswo bleiben 29 ).<br />

Das Beziehungswort zu satur legt die zitierte Ilias-Stelle nahe.<br />

Neben satur steht der Genitiv wie bei Homer. Das Arvallied<br />

stellt die verbleibende Buchstabenfolge zur Verfügung: slimens.<br />

Das ist der in der Endung synkopierte Genitiv ':'slimenes zu slimen,<br />

wie ich aus postliminium ,Beendigung des Streites' herleite 30 ); slimens<br />

ist ursprünglich als '~stlimenes gesprochen worden; beide<br />

Formen haben den gleichen <strong>metrische</strong>n Wert. "Sei satt, wilder<br />

Mar, des Krieges; bleibe anderswo stehen!"<br />

So lassen sich die vorstehend genannten fünf Bedenken beheben.<br />

Keines von ihnen allein hätte ausgereicht, die bisherige Lesung<br />

anzuzweifeln; ihre Summe jedoch liefert entscheidende Argumente.<br />

Daß der von satur abhängige Genitiv slimens erst jenseits<br />

der Kolagrenze steht, ergibt sich aus dem gesprochenen Satzgefüge:<br />

U~ter den kurzatmigen Hebungen verschleiert die Auflösung<br />

von fere vor Mar die gewohnte Verbindung zweier Längen als<br />

Hebungen am Ende der Gr<strong>und</strong>form des Saturniers, so daß man<br />

den Abschluß noch nicht im Ohr hat, sondern diesen erst in dem<br />

aus Hebung <strong>und</strong> Senkung gebildeten Spondeus slime1'!s empfiJ1d~t.<br />

Dann folgt erst die neue Aufforderung an den Gott: alt sta berber.<br />

Im Bau des Saturniers ist an das dritte Scipionen-Elogium ILLRP<br />

311,1 zu erinnern, in dem die K91~gregze IJ1itten durch die eng<br />

zusammengehörigen Formen D'ialis flam'inis geht. Im Arvallied<br />

selbst wird sins/sers von dem einleitenden neve durch die Kolagrenze<br />

getrennt; Nordens (236) Abteilung hinter sins läßt sich<br />

durch die feste Form des Saturniers nicht halten, an deren Ende die<br />

beiden Hebungen Mir Mir stehen.<br />

Semunis ist ein uralter Göttername, der durch seine Erwähnungen<br />

bei Mart. Cap. 2,156 <strong>und</strong> Fulgent. serm. ant. 11 p.115<br />

Helm keine Erklärung findet. Norden (204 ff.) weist mit Recht auf<br />

29) G. Radke, Glotta 44, 1966, 40.<br />

30) G.Radke ebd. 34ff.


Metrische <strong>und</strong> <strong>sprachliche</strong> Beobachtungen <strong>zum</strong> Arvallied 145<br />

Semo Sancus <strong>und</strong> Salus Semonia hin, doch bestätigt das lediglich<br />

das hohe Alter des Namens. Pälignisches semunu (Vetter, Hdb.nr.<br />

213) folgt in seiner Vokalisation nicht etruskischer Schreibweise,<br />

wie aus der Bezeugung von -0- in der gleichen Inschrift erkannt<br />

wird. Den adverbialen Gebrauch von alternei verfolgt Norden<br />

(182 f.) bis zu der periphrastischen Ausdrucksweise alternis vocibus.<br />

An der Bedeutung des Wortes advocapit braucht man nicht zu<br />

zweifeln. Daß bei advocapit die Endung aus advocapite appkopi,ert<br />

~rde,(Norden 181), läßt sich metrisch rechtfertigen: Bei ~dvi5c~pit<br />

cÖ,nctö} stünde in der dritten Senkung eine Länge, bei ädvocäpzte<br />

cönctös eine Doppelkürze; beide sind einander gleichwertig.<br />

Zusammenfassung<br />

Das Arvallied ist in Saturniern abgefaßt, die aus Vierhebern<br />

bestehen; nur im Ephymnion sind ein Vierheber <strong>und</strong> ein Dreiheber<br />

miteinander vereint. Diese Maße weisen Eigenarten auf, die<br />

sich auch an anderen Saturniern ältester Zeit beobachten lassen.<br />

Ferner zeigte sich, daß die Sprache noch so flexibel war, dem<br />

Einfluß der Betonung des Saturniers nachzugeben. Es besteht kein<br />

Anlaß zu zweifeln, daß das carmen im 7.16.Jh. verfaßt wurde. Die<br />

originale Metrik hat sich erhalten.<br />

Da sich die lateinische Sprache in den mindestens acht Jahrh<strong>und</strong>erten<br />

zwischen der Abfassung des Liedes <strong>und</strong> der erhaltenen<br />

Inschrift in vielen Punkten geändert hat, sind immer wieder<br />

<strong>sprachliche</strong> Anpassungen zur Förderung des Verständnisses erkennbar,<br />

die zu unterschiedlichen Zeiten vorgenommen wurden.<br />

Die Anrufungen Lases, Mar Mar, Mar Mor, Mar <strong>und</strong> Semunis<br />

haben bei religiöser Achtung vor dem Gottesnamen ihre alte Form<br />

bewahren können. An Mar wie an den Verbalformen sins <strong>und</strong> sers<br />

läßt sich die Entwicklung aufzeigen, die in zeitlich getrennten<br />

Schüben ältere Formen weiterführte <strong>und</strong> ausglich, bis schließlich<br />

das Verständnis endgültig verlorenging; statt Mar setzte man das<br />

geläufige ,moderne' Mars ein. Als Bewahrer vor lues <strong>und</strong> rues wird<br />

der Gott in der ersten saturnischen Zeile angerufen; als wilder<br />

Kriegsgott wünschte man ihn "anderswohin" <strong>und</strong> will ihn fernhalten.<br />

Der Gott ist fürsorglich <strong>und</strong> bedrohlich zugleich.<br />

Berlin<br />

Gerhard Radke<br />

10 Rhein. Museum

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