Gutachten - Rheinaubund
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Entschädigungspflicht aus materieller Enteignung infolge der Festsetzung<br />
von Gewässerräumen<br />
<strong>Gutachten</strong> zuhanden der Baudirektion des Kantons Zürich, Amt für Abfall, Wasser, Energie und<br />
Luft (AWEL)<br />
erstattet von lic. iur. Christoph Fritzsche, FRITZSCHE BAURECHT, Rebbergstrasse 134,<br />
8706 Feldmeilen<br />
Inhalt<br />
I. AUSGANGSLAGE, LITERATUR, ABKÜRZUNGEN<br />
A. Sachverhalt und Fragestellung<br />
B. Literatur und Dokumente<br />
C. Abkürzungen<br />
II. BUNDESRECHTLICHE VORGABEN FÜR DEN GEWÄSSERRAUM<br />
A. Pflichten der Kantone<br />
B. Zulässige Nutzungen im Gewässerraum<br />
C. Übergangsbestimmungen<br />
III. UMSETZUNG IM KANTONALEN RECHT<br />
A. Ausgangslage und Zuständigkeitsfragen<br />
B. Kernpunkte der neuen Regelungen<br />
C. Instrumente zur Festlegung des Gewässerraums<br />
IV. GEWÄSSERRAUM ALS ÖFFENTLICH-RECHTLICHE EIGENTUMSBESCHRÄN-<br />
KUNG<br />
A. Überblick<br />
B. Gesetzliche Grundlage<br />
C. Öffentliches Interesse<br />
D. Verhältnismässigkeit
2 | 52<br />
E. Schutz des Kerngehalts<br />
V. GRUNDLAGEN DER ENTSCHÄDIGUNGSPFLICHT<br />
A. Abgrenzungen und Voraussetzungen<br />
B. Massgebliche Eigentumsposition<br />
C. Massgebender Zeitpunkt (Stichtag)<br />
VI. TATBESTÄNDE DER ENTSCHÄDIGUNGSPFLICHT<br />
A. Im Grundsatz nicht entschädigungspflichtige Massnahmen<br />
B. Beschränkung der baulichen Nutzung eines Baugrundstücks<br />
C. Vollständige Unüberbaubarkeit eines Baugrundstücks<br />
D. Beschränkung der landwirtschaftlichen Nutzung<br />
VII. HINWEISE ZUR HÖHE DER ENTSCHÄDIGUNG<br />
A. Anspruch auf volle Entschädigung<br />
B. Berechnungsmethode des Verkehrswerts<br />
C. Weitere Fragen
3 | 52<br />
I. AUSGANGSLAGE, LITERATUR, ABKÜRZUNGEN<br />
A. Sachverhalt und Fragestellung<br />
1. Gemäss Art. 36a Abs. 1 des per 1. Januar 2011 revidierten GSchG legen die Kantone<br />
nach Anhörung der betroffenen Kreise den Raumbedarf der oberirdischen Gewässer<br />
fest, der erforderlich ist für die Gewährleistung der natürlichen Funktionen der Gewässer,<br />
den Schutz vor Hochwasser sowie die Gewässernutzung (Abs. 1). Der Bundesrat regelt<br />
die Einzelheiten (Abs. 2). Die Kantone sorgen dafür, dass der Gewässerraum bei der<br />
Richt- und Nutzungsplanung berücksichtigt wird (Abs. 3).<br />
2. Der Bundesrat hat seine Verpflichtung zur Regelung der Einzelheiten mit der Revision<br />
der GSchV, in Kraft getreten am 1. Juni 2011, umgesetzt. Art. 41a-c der revidierten Verordnung<br />
enthalten im Sinne von Verpflichtungen an die Kantone Mindestanforderungen<br />
für die Breite des Gewässerraums entlang von Fliessgewässern einerseits (Art. 41a<br />
GSchV) und stehenden Gewässern andererseits (Art. 41b GSchV). Art. 41c GSchV normiert<br />
die extensive Gestaltung und Bewirtschaftung des Gewässerraums (Art. 36a Abs.<br />
3 GSchG).<br />
3. Gemäss den Übergangsbestimmungen zur Revision der Gewässerschutzverordnung<br />
vom 4. Mai 2011 legen die Kantone den Gewässerraum nach Art. 41a und b GSchV bis<br />
zum 31. Dezember 2018 fest (Abs. 1). Solange sie dies nicht getan haben, gilt entlang<br />
von Gewässern ein beidseitiger, in Metern festgeschriebener Uferstreifen (Abs. 2). Dieser<br />
beträgt bei stehenden Gewässern (ab 0,5 ha Fläche) 20 m und ist bei Fliessgewässern<br />
abhängig von der bestehenden Gerinnesohlenbreite.<br />
4. Die Übergangsbestimmungen wie auch der von den Kantonen festgesetzte Gewässerraum<br />
beschränken das Grundeigentum. Im Rahmen des vorliegenden <strong>Gutachten</strong>s ist<br />
nun die Frage zu beantworten, ob sich daraus Entschädigungspflichten aus materieller<br />
Enteignung ergeben. Das <strong>Gutachten</strong> beleuchtet im Anschluss an die in Kapitel I umschriebene<br />
Ausgangslage mit Literaturangaben und Abkürzungsverzeichnis vorerst die<br />
bundesrechtlichen Vorgaben für den Gewässerraum (Kapitel II) und hernach die im Kanton<br />
Zürich angedachten Instrumente und Verfahren zur Umsetzung (Kapitel III). Es folgt<br />
die Umschreibung des Gewässerraums als öffentlich-rechtlicher Eigentumsbeschränkung<br />
(Kapitel IV). Nach den allgemeinen Grundlagen für die Entschädigungspflicht (Kapitel<br />
V) wird die Frage behandelt, inwieweit die Festlegung von Gewässerräumen eine<br />
entschädigungspflichtige materielle Enteignung darstellen kann (Kapitel VI). Abschliessend<br />
folgen einige Hinweise zur Höhe einer zu leistenden vollen Entschädigung (Kapitel<br />
VII).
4 | 52<br />
B. Literatur und Dokumente<br />
5. Folgende Literatur wurde beigezogen, selbst wenn sie nicht im Einzelnen zitiert wird:<br />
- AEMISEGGER/KUTTLER/MOOR/RUCH: Aemisegger Heinz/Kuttler Alfred/Moor<br />
Pierre/Ruch Alexander (Hrsg.), Kommentar zum Bundesgesetz über die Raumplanung,<br />
Verlag Schulthess Juristische Medien AG, Zürich Basel Genf 2010 (zitiert mit<br />
Verfasser, Kommentar RPG).<br />
- EHRENZELLER/MASTRONARDI/SCHWEIZER/VALLENDER: Ehrenzeller Bernhard/Mastronardi<br />
Philippe/Schweizer Rainer J./Vallender Klaus A. (Hrsg.), Die<br />
Schweizerische Bundesverfassung, Kommentar, 2. Auflage, Dike Verlag AG, Zürich/St.<br />
Gallen 2008; Verlag Schulthess Juristische Medien AG, Zürich Basel Genf<br />
2008 (zitiert mit Verfasser, Kommentar BV)<br />
- FRITZSCHE/BÖSCH/WIPF: Fritzsche Christoph/Bösch Peter/Wipf Thomas, Zürcher<br />
Planungs- und Baurecht, 5. Auflage, Verlag VZGV, Zürich 2011<br />
- HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN: Häfelin Ulrich/Müller Georg/Uhlmann Felix, Allgemeines<br />
Verwaltungsrecht, 6. Auflage, Dike Verlag AG, Zürich/St. Gallen 2010<br />
- HALLER/KARLEN: Walter Haller/Peter Karlen, Raumplanungs-, Bau- und Umweltrecht,<br />
3. Auflage, Verlag Schulthess Juristische Medien AG, Zürich 1999<br />
- HÄNNI: Hänni Peter, Planungs-, Bau- und besonderes Umweltschutzrecht, 5. Auflage,<br />
Stämpfli Verlag AG, Bern 2006<br />
- KUTTLER: Kuttler Alfred, Materielle Enteignung aus der Sicht des Bundesgerichts,<br />
ZBl 88/1987, S. 185 ff.<br />
- MASSUEGER: Nina Massueger Sánchez Sandoval, Bestandesschutz von Bauten<br />
und Anlagen innerhalb des Gewässerraums im Kanton Zürich, Zürich 2012, zur<br />
Publikation vorgesehen in „pbg aktuell“<br />
- RIVA: Riva Enrico, Hauptfragen der materiellen Enteignung: eine Untersuchung<br />
zum Tatbestand des entschädigungspflichtigen Eigentumseingriffs im schweizerischen<br />
Recht, Stämpfli Verlag AG, Bern 1990<br />
- STUTZ URP: Stutz Hans W., Uferstreifen und Gewässerraum-Umsetzung durch<br />
die Kantone, Umweltrecht in der Praxis 2/2012, S. 90 ff.
5 | 52<br />
- STUTZ PBG AKTUELL: Stutz Hans W., Raumbedarf der Gewässer – die bundesrechtlichen<br />
Vorgaben für das Planungs- und Baurecht, PBG aktuell 4/2011, S. 5 ff.<br />
- USG, KOMMENTAR: Kommentar zum Umweltschutzgesetz, 2. Auflage, Vereinigung<br />
für Umweltrecht und Helen Keller (Hrsg.), Schulthess Juristische Medien AG,<br />
Zürich Basel Genf 2004<br />
- WALDMANN: Waldmann Bernhard, Entschädigungen aus materieller Enteignung<br />
für raumplanerische Nutzungsbeschränkungen zum Schutz vor Naturgefahren? Sicherheit<br />
& Recht, 3/2009, S. 159 ff.<br />
- WALDMANN/HÄNNI: Waldmann Bernhard/Hänni Peter, Raumplanungsgesetz,<br />
Handkommentar, Stämpfli Verlag AG, Bern 2006<br />
- WILLI: Willi Konrad, Die Bestandesgarantie für vorschriftswidrige Bauten und Anlagen<br />
innerhalb der Bauzonen, Diss. Zürich, Verlag Schulthess Juristische Medien<br />
AG, Zürich Basel Genf 2003<br />
6. Im Weiteren wurden die folgenden Dokumente beigezogen:<br />
- ABl 1/2012: Verordnung über den Hochwasserschutz und die Wasserbaupolizei<br />
(HWSchV), Text und Begründung des Regierungsrats, Amtsblatt des Kantons Zürich,<br />
Nr. 1/2012 vom 6. Januar 2012, S. 18 ff.<br />
- BAFU, ERLÄUTERNDER BERICHT: Bundesamt für Umwelt, Erläuternder Bericht<br />
zur Parlamentarischen Initiative Schutz und Nutzung der Gewässer (07.492) – Änderung<br />
der Gewässerschutz-, Wasserbau-, Energie- und Fischereiverordnung,<br />
Bern, 20. April 2011<br />
- BAUDIREKTION/GVZ, LEITFADEN: Baudirektion Kanton Zürich/Gebäudeversicherung<br />
Kanton Zürich, Leitfaden zur Umsetzung der Gefahrenkarten Hochwasser,<br />
Zürich 2003<br />
- BAUDIREKTION, ENTWURF WASSERGESETZ: Baudirektion Kanton Zürich, verwaltungsinterner<br />
Entwurf AWEL vom 19. April 2012 zum Wassergesetz (WsG)<br />
- BAUDIREKTION, ERLÄUTERNDER BERICHT WASSERGESETZ: Baudirektion<br />
Kanton Zürich, AWEL, Erläuternder Bericht zum kantonalen Wassergesetz (WsG),<br />
Entwurf, Fassung vom 19. April 2012
6 | 52<br />
- BAUDIREKTION, PILOTPROJEKT: Baudirektion Kanton Zürich, AWEL, Umsetzung<br />
Art. 105 Kantonsverfassung, Pilotprojekt Einführung eines Instrumentes zur<br />
Gewässerraumsicherung, Suter von Känel Wild AG, 23. Juni 2009<br />
- BPUK, UMFRAGE: Bau-, Planungs- und Umweltdirektorenkonferenz BPUK, Neue<br />
Gewässerschutzbestimmungen, Resultat einer Umfrage an die BPUK-Mitglieder,<br />
1. März 2012<br />
- FISCHENTHAL, GESTALTUNGSPLAN: Gemeinde Fischenthal, Privater Gestaltungsplan<br />
Orüti Steg, Bestimmungen und Erläuternder Bericht, Fassung vom<br />
17. April 2012 zuhanden der öffentlichen Auflage<br />
- RRB Nr. 420/2012: Regierungsrat des Kantons Zürich, Auszug aus dem Protokoll,<br />
Sitzung vom 18. April 2012, dringliches Postulat (Keine Gewässerräume werden<br />
enteignet), Entgegennahme<br />
- STÄNDERAT, BERICHT: Parlamentarische Initiative Schutz und Nutzung der Gewässer,<br />
Bericht der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Ständerats<br />
vom 12. August 2008, BBl 2008 S. 8049 ff.<br />
C. Abkürzungen<br />
7. Bundeserlasse:<br />
- AltlV: Verordnung über die Sanierung von belasteten Standorten (Altlasten-Verordnung)<br />
vom 26. August 1998, SR 814.680<br />
- BV: Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999,<br />
SR 101<br />
- BGBB: Bundesgesetz vom 4. Oktober 1991 über das bäuerliche Bodenrecht, SR<br />
211.412.11<br />
- ChemRRV: Chemikalien-Risikoreduktions-Verordnung vom 18. Mai 2005,<br />
SR 814.81<br />
- DZV: Direktzahlungsverordnung vom 7. Dezember 1998, SR 910.13<br />
- GSchG: Bundesgesetz vom 24. Januar 1991 über den Schutz der Gewässer,<br />
SR 814.20, Fassung vom 11. Dezember 2009, in Kraft seit 1. Januar 2011
7 | 52<br />
- GSchV: eidgenössische Gewässerschutzverordnung vom 28. Oktober 1998,<br />
SR 814.201, Fassung vom 4. Mai 2011, in Kraft seit 1. Juni 2011<br />
- NHG: Bundesgesetz über den Natur- und Heimatschutz vom 1. Juli 1966, SR 451<br />
- RPG: Bundesgesetz vom 22. Juni 1979 über die Raumplanung (Raumplanungsgesetz),<br />
SR 700<br />
- RPV: Raumplanungsverordnung vom 28. Juni 2000, SR 700.1<br />
- VBB: Verordnung vom 4. Oktober 1993 über das bäuerliche Bodenrecht, SR<br />
211.412.110<br />
- WBV: Verordnung vom 2. November 1994 über den Wasserbau (Wasserbauverordnung),<br />
SR 721.100.1<br />
8. Kantonale Erlasse:<br />
- EG ZGB: Einführungsgesetz zum Schweizerischen Zivilgesetzbuch vom 2. April 1911,<br />
LS 230<br />
- EG GSchG: Einführungsgesetz zum Gewässerschutzgesetz vom 8. Dezember 1974,<br />
LS 711.1<br />
- EnerV: Verordnung über die Energieplanung und die Förderung von Pilotprojekten<br />
(Energieverordnung) vom 6. November 1985, LS 730.11<br />
- HWSchV: Verordnung über den Hochwasserschutz und die Wasserbaupolizei vom<br />
14. Oktober 1992, LS 724.112, Fassung gemäss RRB vom 13. Dezember 2011, in<br />
Kraft seit 1. November 2012<br />
- HWV: Verordnung über den Hochwasserschutz und die Wasserbaupolizei vom<br />
14. Oktober 1992, LS 724.112<br />
- PBG: Gesetz über die Raumplanung und das öffentliche Baurecht (Planungs- und<br />
Baugesetz) vom 7. September 1975, LS 700.1<br />
- WWG: Wasserwirtschaftsgesetz vom 2. Juni 1991, LS 724.11
8 | 52<br />
9. Weitere Abkürzungen:<br />
- AN: Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich über eine abstrakte<br />
Normenkontrolle, abrufbar unter www.vgrzh.ch/Rechtsprechung/ausgewählte Entscheide<br />
- AWEL: Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft der Baudirektion des Kantons<br />
Zürich<br />
- BEZ: Baurechtsentscheide Kanton Zürich, Entscheide von Verwaltungsgericht, Regierungsrat,<br />
Baurekurskommissionen (ab 1.1.2011 Baurekursgericht), Verlag VZGV,<br />
Zürich<br />
- BGE: Entscheide des Schweizerischen Bundesgerichts (Amtliche Sammlung), abrufbar<br />
unter www.BGer..ch/Rechtsprechung/Leitentscheide<br />
- BGer.: (noch) nicht in der amtlichen Sammlung publizierte Entscheide des Schweizerischen<br />
Bundesgerichts, ab dem Jahr 2000 abrufbar unter www.bger.ch/Rechtsprechung/Rechtsprechung/Weitere<br />
Urteile ab 2000<br />
- RB: Verwaltungsgericht des Kantons Zürich, Rechenschaftsbericht an den Kantonsrat<br />
- RRB: Regierungsratsbeschluss, Beschluss des Regierungsrats des Kantons Zürich<br />
- VB: Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich über eine Verwaltungsgerichtsbeschwerde,<br />
abrufbar unter www.vgrzh.ch/Rechtsprechung/ausgewählte<br />
Entscheide<br />
- VR: Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zürich zur materiellen Enteignung,<br />
abrufbar unter www.vgrzh.ch/Rechtsprechung/ausgewählte Entscheide<br />
- ZBl: Schweizerisches Zentralblatt für Staats- und Verwaltungsrecht
9 | 52<br />
II. BUNDESRECHTLICHE VORGABEN FÜR DEN GEWÄSSERRAUM<br />
A. Pflichten der Kantone<br />
Pflicht zur Festlegung des Gewässerraums<br />
10. Art. 36a Abs. 1 GSchG verpflichtet die Kantone, den Raumbedarf der oberirdischen Gewässer<br />
festzulegen, der erforderlich ist für die Gewährleistung folgender Funktionen<br />
(Gewässerraum):<br />
- der natürlichen Funktionen der Gewässer,<br />
- des Hochwasserschutzes und<br />
- der Gewässernutzung.<br />
Nach Art. 36a Abs. 2 GSchG regelt der Bundesrat die Einzelheiten, was er mit der Revision<br />
der Gewässerschutzverordnung (GSchV) umgesetzt hat. Gemäss den Übergangsbestimmungen<br />
zur Änderung der GSchV vom 4. Mai 2011 legen die Kantone den Gewässerraum<br />
bis zum 31. Dezember 2018 fest.<br />
Breite des Gewässerraums<br />
11. Art. 41a und b GSchV enthalten Anforderungen für die Breite des von den Kantonen<br />
festzulegenden Gewässerraums, und zwar für Fliessgewässer einerseits (Art. 41a) und<br />
stehende Gewässer andererseits (Art. 41b).<br />
Den Gewässerraum für Fliessgewässer (Bäche, Flüsse) regelt Art. 41a GSchV. Danach<br />
muss der Gewässerraum eine von der Gerinnesohle abhängige Mindestbreite aufweisen.<br />
In Naturschutzobjekten, zum Schutz vor Hochwasser oder für eine Revitalisierung<br />
gelten erhöhte Anforderungen (Abs. 1-3). Andererseits kann die Breite des Gewässerraums<br />
in dicht überbauten Gebieten den baulichen Gegebenheiten angepasst werden,<br />
soweit der Schutz vor Hochwasser gewährleistet bleibt (Abs. 4). Im Wald sowie bei eingedolten<br />
und künstlich angelegten Gewässern kann auf einen Gewässerraum verzichtet<br />
werden, wenn keine öffentlichen Interessen entgegenstehen (Abs. 5).<br />
Art. 41b GSchV enthält demgegenüber Mindestanforderungen an den Gewässerraum<br />
bei stehenden Gewässern (Seen). Danach muss die Breite des Gewässerraums, gemessen<br />
ab der Uferlinie, mindestens 15 m betragen (Abs. 1). Sie ist in denselben Fällen<br />
wie bei Fliessgewässern zu erhöhen (Abs. 2) oder kann in dichter Überbauung reduziert<br />
werden (Abs. 3). In gewissen Fällen, etwa bei einer Wasserfläche von weniger als<br />
0,5 ha, kann auf die Festlegung des Gewässerraums verzichtet werden (Abs. 4).
10 | 52<br />
Zweierlei gilt es hierzu festzuhalten:<br />
12. Erstens: Art. 41a und b GSchV sind wie erwähnt Minimalvorgaben an die Kantone (vgl.<br />
auch BAFU, ERLÄUTERNDER BERICHT, S. 3). Die Kantone dürfen bei der Festsetzung<br />
des Gewässerraums nicht hinter den Anforderungen des Bundesrechts zurückbleiben,<br />
was mit den Formulierungen „muss mindestens betragen“ in Art. 41a Abs. 1 und 2 bzw.<br />
Art. 41b GSchV deutlich wird. Es ist den Kantonen aber freigestellt, über die Anforderungen<br />
des Bundesrechts hinauszugehen.<br />
Zweitens: Art. 41a und b GSchV sind Anweisungen an die Kantone, nicht aber grundeigentümerverbindlich<br />
und insbesondere nicht im baurechtlichen Bewilligungsverfahren<br />
direkt anwendbar. Die hierfür massgebenden Festlegungen sind erst noch durch das<br />
kantonale Recht zu schaffen. Darin unterscheiden sich Art. 41a und b GSchV in ihrer<br />
rechtlichen Bedeutung von den Übergangsbestimmungen, welche im Sinne von „Sofortmassnahmen“<br />
grundeigentümerverbindliche Festlegungen treffen (vgl. dazu Ziffern<br />
18 ff.).<br />
Umsetzung<br />
13. Hinsichtlich des Verfahrens zur Umsetzung schreibt das Bundesrecht einzig vor, dass<br />
die Kantone den Gewässerraum „nach Anhörung der betroffenen Kreise“ festzulegen<br />
haben und sie dafür sorgen müssen, dass der Gewässerraum bei der Richt- und Nutzungsplanung<br />
berücksichtigt wird (Art. 36a Abs. 1 und 3 Satz 1 GSchG). Über die Anhörungspflicht<br />
hinaus enthalten weder das GSchG noch die GSchV Bestimmungen über<br />
das Verfahren und die Instrumente zur Festlegung des Gewässerraums.<br />
Aus den folgenden Überlegungen ergeben sich allerdings klare Vorgaben:<br />
14. Mit der Festsetzung des Gewässerraums (in einer Gewässerraum-Karte; vgl. BAFU,<br />
ERLÄUTERNDER BERICHT, S. 13) wird eine raumwirksame Aufgabe im Sinne von<br />
Art. 2 RPG erfüllt: Raumwirksame Tätigkeiten liegen vor, wenn die zu ihrer Erfüllung angestrengten<br />
Tätigkeiten die Nutzung des Bodens oder die Besiedlung des Landes verändern<br />
oder bestimmt sind, diese zu erhalten (Art. 1 Abs. 1 RPV). Bund, Kantone und<br />
Gemeinden üben insbesondere dann raumwirksame Tätigkeiten aus, wenn sie<br />
Richt- und Nutzungspläne, Konzepte und Sachpläne sowie dazu erforderliche Grundlagen<br />
erarbeiten oder genehmigen (Art. 1 Abs. 2 lit. a RPV). Angesichts dieser umfassenden<br />
und nicht abschliessenden Umschreibung ist also auch die Festsetzung des Gewässerraums<br />
eine raumwirksame Aufgabe in diesem Sinne, und zwar unabhängig davon,<br />
mit welchen rechtlichen Instrumenten und auf welcher Stufe (Kanton oder Gemeinde) sie
11 | 52<br />
umgesetzt wird. Sie ist damit nach Art. 2 Abs. 1 RPG mit anderen Planungen „abzustimmen“.<br />
In diesem Abstimmungsgebot findet der Grundsatz der durchgehenden Planung<br />
sichtbarsten Ausdruck. Planungsabstimmung meint die Pflicht jedes einzelnen Aufgabenträgers,<br />
über den Ressorthorizont hinauszudenken und die eigenen Planungen<br />
sowohl inhaltlich wie auch verfahrensmässig zu den Planungen berührter Aufgabenträger<br />
in konstruktive Beziehung zu setzen (TSCHANNEN, Kommentar RPG, Art. 2 Rz. 52).<br />
15. Bei einer raumwirksamen Tätigkeit in diesem Sinne ist auch Art. 3 RPV zu beachten:<br />
Stehen den Behörden bei Erfüllung und Abstimmung raumwirksamer Aufgaben Handlungsspielräume<br />
zu (was bei der Ausscheidung von Gewässerräumen regelmässig der<br />
Fall ist), so wägen sie die Interessen gegeneinander ab, indem sie die betroffenen Interessen<br />
ermitteln, beurteilen und auf Grund der Beurteilung im Entscheid möglichst umfassend<br />
berücksichtigen (Abs. 1, vgl. nachfolgend Ziffer 60). Sie legen die Interessenabwägung<br />
in der Begründung ihrer Beschlüsse dar (Abs. 2). In diesem Sinne gebieten<br />
Art. 41a und b GSchV zwingend die Berücksichtigung von Kriterien, die eine Betrachtung<br />
der konkreten Situation erfordern. So sind die in Art. 41a Abs. 1 und 2 bzw. Art. 41b<br />
Abs. 1 GSchV festgelegten schematischen Gewässerraum-Breiten je nach den konkreten<br />
Umständen zu erhöhen. Namentlich muss pro Gewässerabschnitt gewürdigt werden,<br />
ob die Hochwassersituation eine Verbreiterung des Gewässerraums nahelegt, ob der<br />
Gewässerraum für eine Revitalisierung überhaupt in Betracht kommt, ob überwiegende<br />
Interessen des Natur- und Landschaftsschutzes zu berücksichtigen sind oder ob der<br />
Gewässerraum wegen wichtiger Gewässernutzungen anzupassen ist (vgl. Art. 41a<br />
Abs. 3 bzw. Art. 41b Abs. 2 GSchV). Im Einzelfall ist zum Beispiel auch zu entscheiden,<br />
ob ein „dicht überbautes Gebiet“ Anpassungen an die baulichen Gegebenheiten rechtfertigt<br />
(Art. 41a Abs. 4 und Art. 41b Abs. 3 RPV) oder auf die Festlegung des Gewässerraums<br />
verzichtet werden kann (Art. 41a Abs. 5 und Art. 41b Abs. 4 GSchV). Hinzu kommen<br />
die gegeneinander abzuwägenden Interessen der von der Gewässerraumfestlegung<br />
betroffenen Grundeigentümerinnen und -eigentümer, weil die Festlegung des Gewässerraums<br />
als Korridor ermöglicht, diesen an die Gegebenheiten im Umfeld des Gewässers<br />
anzupassen (STUTZ, URP S. 117 f.; vgl. BAFU, ERLÄUTERNDER BERICHT,<br />
S. 10).<br />
16. Daher sind bei der Ausscheidung von Gewässerräumen nicht flächendeckend einheitliche,<br />
sondern an die konkreten Verhältnisse angepasste Festlegungen vorzunehmen. Eine<br />
rein generell-abstrakte Festlegung, wie Abs. 2 der (durch das kantonale Recht abzulösenden)<br />
Übergangsbestimmungen zur GSchV noch enthält, würde dem Sinn und<br />
Zweck des Bundesrechts nicht entsprechen. Mit einer generell-abstrakten Regelung liesse<br />
sich auch kein befriedigendes Gesamtergebnis erzielen, das alle berechtigten Interessen<br />
angemessen berücksichtigt (so auch STUTZ, URP, S. 117). Näheres zur Umsetzung<br />
im Kanton Zürich vgl. Ziffer 24 ff.
12 | 52<br />
Berücksichtigung des Gewässerraums<br />
17. Art. 36a Abs. 3 GSchG konkretisiert die aus der raumwirksamen Tätigkeit fliessenden<br />
Gebote für den Bereich des Gewässerraums: Die Kantone sorgen dafür, dass der Gewässerraum<br />
bei der Richt- und Nutzungsplanung berücksichtigt wird (Art. 36a Abs. 3<br />
GSchG). Damit wird eine dem Gewässerraum angemessene Nutzung planerisch gesichert<br />
(STÄNDERAT, BERICHT, S. 8060). Im Kanton Zürich sind zur Raumplanung verpflichtet<br />
der Kanton, die regionalen Planungsvereinigungen, die Gemeinden sowie jene<br />
Körperschaften, Stiftungen und selbstständigen Anstalten des öffentlichen Rechts, die<br />
öffentliche Aufgaben erfüllen und deren Tätigkeit das Planungs- und Bauwesen beeinflusst<br />
oder davon abhängig ist (§ 8 PBG). Der Kantonsrat setzt den Kantonalen Richtplan,<br />
der Regierungsrat die regionalen Richtpläne fest. Auf Stufe Nutzungsplanung sind<br />
die Befugnisse des Kantons und der Regionen beschränkt. Sie beziehen sich auf die<br />
Landwirtschaftszone (§ 36 PBG), die Freihaltezonen (§§ 39 ff. PBG), Gestaltungspläne<br />
für Materialgewinnung und Materialablagerung (§ 44a PBG) sowie Sicherungsinstrumente<br />
für überkommunale Bauten und Anlagen (§§ 108 und 114 f. PBG). Die Gemeinden<br />
setzen den kommunalen Richtplan fest (§ 32 PBG). Sie erlassen als Instrument der Nutzungsplanung<br />
die Bau- und Zonenordnung (§§ 45 ff. PBG), welche den übergeordneten<br />
Vorgaben der Richt- und Nutzungsplanung zu entsprechen hat. Damit liegt das Hauptgewicht<br />
der Nutzungsplanung auf Stufe der Gemeinden. Die bundesrechtlichen Vorgaben<br />
(Art. 36a Abs. 3 GSchG wie schon Art. 2 RPG) haben nun also zur Folge, dass die<br />
Gemeinden den Gewässerraum unabhängig der festsetzenden Behörde in ihrer Planung<br />
berücksichtigen müssen. Der Kanton schafft die nötigen Voraussetzungen, um eine dem<br />
Gewässerraum angemessene Nutzung planerisch zu sichern (BAFU, ERLÄUTERNDER<br />
BERICHT, S. 13).<br />
B. Übergangsbestimmungen<br />
18. Wie erwähnt, haben die Kantone den Gewässerraum bis zum 31. Dezember 2018 festzulegen<br />
(Abs. 1 der Übergangsbestimmungen zur Änderung der GSchV vom<br />
4. Mai 2011). Solange eine solche Festlegung nicht erfolgt ist, gelten die Übergangsbestimmungen<br />
zur Änderung der GSchV, wonach entlang von Fliessgewässern beidseits<br />
ein von der Gerinnesohlenbreite abhängiger Uferstreifen freizuhalten ist. Darin unterscheidet<br />
sich der Uferstreifen vom Gewässerraum gemäss Art. 41a GSchV, der ein Korridor<br />
ist, in dem das Fliessgewässer nicht in der Mitte fliessen muss. Bei stehenden Gewässern<br />
ab 0,5 ha beträgt der Uferstreifen 20 m (Abs. 2 der Übergangsbestimmungen).<br />
19. Die Übergangsbestimmungen traten am 1. Juni 2011 in Kraft und sind, dem kantonalen<br />
Recht vorgehend, direkt anwendbar und bedürfen keiner Umsetzung durch die Kantone
13 | 52<br />
(vgl. etwa STUTZ, URP S. 102 und STUTZ PBG AKTUELL S. 14). Abs. 2 der Übergangsbestimmungen<br />
trifft mit den starren Uferstreifen sehr restriktive und unflexible Anordnungen.<br />
Sie gelten auch dort, wo die Kantone bereits früher rechtskräftig Abstände<br />
zum Gewässer festgelegt haben, wie dies im Kanton Zürich mit § 21 WWG oder mit planerischen<br />
Festlegungen erfolgt ist (AN.2012.00001 E. 4.4). Auch das Bundesgericht<br />
macht in Bezug auf Abs. 2 der Übergangsbestimmungen keine Unterscheidung zwischen<br />
Grundstücken mit bzw. ohne kantonal rechtskräftig festgelegte Bauabstände (vgl.<br />
Urteil 1C_505/2011 vom 1. Februar 2012, E. 3.1.3 und E. 3.3 = URP 2/2012 S. 160 ff.).<br />
20. Damit geht also Abs. 2 der Übergangsbestimmungen zur GSchV dem weniger weit gehenden<br />
kantonalen Recht in jedem Falle vor. Bundesrecht bricht kantonales Recht<br />
(Art. 49 BV), was auch für das Verordnungsrecht des Bundes gilt. Dies findet allerdings<br />
an der Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Kantonen seine Schranken. Bundesrecht<br />
hat somit nicht von sich heraus Vorrang, sondern nur, wenn der Bund zu seinem<br />
Erlass zuständig war. Die GSchV stützt sich, soweit hier wesentlich, auf Art. 36a Abs. 2<br />
GSchG. Nach dieser Bestimmung regelt der Bundesrat die Einzelheiten für die von den<br />
Kantonen vorzunehmende Festlegung des Raumbedarfs der oberirdischen Gewässer.<br />
Man kann sich ernsthaft fragen, ob diese Kompetenz dem Bundesrat auch erlaubte,<br />
zwingendes materielles Recht zu erlassen, welches bis zur Neuregelung der Kantone gilt<br />
und in Kraft stehendes kantonales Recht sofort ausser Kraft setzt. Nach dem Wortlaut<br />
von Art. 36a Abs. 2 GSchG kann der Bund nur vorschreiben, in welchem Rahmen sich<br />
die Kantone zu bewegen haben, nicht aber abschliessendes Recht festlegen<br />
(FRITZSCHE/BÖSCH/WIPF, S. 793).<br />
C. Zulässige Nutzungen im Gewässerraum<br />
Allgemeines<br />
21. Gemäss Art. 36a GSchG darf der Gewässerraum nur extensiv gestaltet und bewirtschaftet<br />
werden. Der Gewässerraum gilt nicht als Fruchtfolgefläche.<br />
Im Detail wird die Nutzung des Gewässerraums in Art. 41c GSchV geregelt. Im Gewässerraum<br />
dürfen grundsätzlich nur standortgebundene, im öffentlichen Interesse liegende<br />
Anlagen neu erstellt werden, wobei zur Füllung von Baulücken in dicht überbauten<br />
Gebieten Ausnahmen von diesem Grundsatz möglich sind (Abs. 1). Rechtmässig erstellte<br />
und bestimmungsgemäss nutzbare Anlagen sind in ihrem Bestand grundsätzlich geschützt<br />
(Abs. 2). Abs. 3 enthält ein weitgehendes Verbot von Dünger und Pflanzenschutzmitteln.<br />
Der Gewässerraum darf landwirtschaftlich genutzt werden, sofern die<br />
Nutzung bestimmten Anforderungen der Verordnung vom 7. Dezember 1998 über die
14 | 52<br />
Direktzahlungen an die Landwirtschaft (Direktzahlungsverordnung, DZV, SR 910.13) an<br />
ökologische Ausgleichsflächen entspricht (Abs. 4). Abs. 5 und 6 enthalten hier nicht im<br />
Detail wiederzugebende Ausnahmen.<br />
Die Vorschriften über die im Gewässerraum zulässigen Nutzweisen in Art. 41c GSchV<br />
sind abschliessendes Bundesrecht. Den Kantonen ist verwehrt, eigene Vorschriften<br />
hierzu aufzustellen.<br />
Bundesrechtlicher Bestandesschutz<br />
22. Rechtmässig erstellte und bestimmungsgemäss nutzbare Anlagen sind in ihrem Bestand<br />
grundsätzlich geschützt (Art. 41c Abs. 2 GSchV). Über den blossen Bestand der Anlage<br />
hinaus sind auch die zu ihrer Erhaltung notwendigen Massnahmen geschützt. Darunter<br />
fallen nicht nur Unterhalts-, sondern ebenso, sofern sie der Werterhaltung dienen, einfache<br />
Erneuerungsarbeiten. Nicht gestattet sind hingegen Umbauten, Erweiterungen oder<br />
Nutzungsänderungen (MASSÜGER, S. 3). Insoweit umschreibt Art. 41c Abs. 2 GSchV<br />
die sich bereits aus der Eigentumsgarantie (Art. 26 BV) und dem Vertrauensschutz<br />
(Art. 9 BV) ergebende Besitzstandsgarantie (vgl. dazu etwa MUGGLI, Kommentar RPG,<br />
Art. 24c, Rz. 19 und 20). Die Frage, inwieweit bestehende nicht landwirtschaftliche Anlagen<br />
ausserhalb der Bauzonen baulich oder bezüglich deren Nutzung verändert werden<br />
dürfen, richtet sich nach den diesbezüglichen Bestimmungen (Art. 24 ff. sowie Art. 37a)<br />
des Raumplanungsgesetzes (so jedenfalls BAFU, ERLÄUTERNDER BERICHT, S. 15).<br />
23. Der Bestandesschutz gilt auch im Anwendungsbereich der Übergangsbestimmungen zur<br />
Änderung der GSchV vom 4. Mai 2011, weil deren Abs. 1 ausdrücklich auf Art. 41 c<br />
Abs. 1 und 2 GSchV verweist. Anlagen innerhalb des Uferstreifens nach der Übergangsbestimmung<br />
dürfen demzufolge, wie solche innerhalb des später festzusetzenden Gewässerraums,<br />
schon von Bundesrechts wegen im Rahmen des Notwendigen unterhalten<br />
und erneuert werden.<br />
III. UMSETZUNG IM KANTONALEN RECHT<br />
A. Ausgangslage und Zuständigkeitsfragen<br />
Anpassungsbedarf<br />
24. Die kantonalen Planungen und Bauvorschriften sind nach dem Gesagten entsprechend<br />
den bundesrechtlichen Minimalforderungen von Art. 41a und 41b GSchV anzupassen.
15 | 52<br />
Nicht mehr haltbar in der bestehenden Formulierung ist insbesondere § 21 WWG, soweit<br />
die Bestimmung für oberirdische Gewässer einen Mindestabstand von (nur) 5 m festlegt<br />
und Ausnahmen davon zulässt. Allerdings kann nach § 21 Abs. 2 WWG der Abstand im<br />
Einzelfall durch die zuständige kantonale Direktion erhöht werden, wenn wasserbauliche<br />
Bedürfnisse dies erfordern. Soweit also in diesem Sinne auf Grund der konkreten örtlichen<br />
Gegebenheiten und der Bedürfnisse ein erhöhter Gewässerabstand festgelegt<br />
worden ist und dieser nicht hinter den bundesrechtlichen Vorgaben zurückbleibt, steht er<br />
nach wie vor in Kraft und wird nicht durch Art. 41a und 41b GSchV derogiert.<br />
25. Davon aber einmal abgesehen erweist sich eine Neuordnung als unumgänglich. Diese<br />
hat die bundesrechtlich geforderte Anhörung der betroffenen Kreise (Art. 36a GSchG) zu<br />
gewährleisten. Regelungsbedarf besteht auch hinsichtlich der Zuständigkeitsordnung<br />
(Kanton/Gemeinde), des Verfahrens und des Rechtsschutzes. Das Bundesrecht legt<br />
hierzu keine Einzelheiten fest, sondern lässt den Kantonen mit Absicht bei der Festlegung<br />
des Gewässerraums einen erheblichen Spielraum.<br />
Zur Zuständigkeit<br />
26. Das Bundesrecht schreibt nicht vor, dass die Gewässerraumfestlegung von den Kantonen<br />
selber vorzunehmen sei. Das kantonale Recht kann demzufolge anordnen, die Gemeinden<br />
hätten diese Aufgaben zu übernehmen. Auf der Ebene des Kantons Zürich wäre<br />
dies an sich auch naheliegend, weil für die Nutzungsplanung primär die Gemeinden<br />
zuständig sind (§§ 45 ff. PBG) und sich dergestalt die Koordination zwischen Gewässerraumfestlegung<br />
einerseits und kommunaler Nutzungsplanung andererseits ohne grosse<br />
Schnittstellenprobleme angehen lässt. Für diese Koordination sind die Gemeinden prädestiniert,<br />
weshalb sich offenbar die meisten Kantone für diese kommunale Lösung entschieden<br />
haben. STUTZ, URP S. 112 weist allerdings mit Recht auf die mit dem kommunalen<br />
Verfahren verbundenen Probleme und die Vorteile einer kantonalen Lösung<br />
hin. Die Gewässerraumfestlegung durch den Kanton bietet eher Gewähr für eine rechtsgleiche<br />
und nicht von Partikularinteressen beeinflusste Verwaltungspraxis. Sodann werden<br />
mit der Zuweisung dieser Aufgabe an den Kanton die Gemeinden von einer anspruchsvollen<br />
und aufwändigen zusätzlichen Verwaltungsaufgabe entlastet.<br />
27. Beizufügen ist, dass dieser Primat des Kantons bereits nach dem nun weitgehend derogierten<br />
kantonalen Recht bestand: Nach § 21 Abs. 1 WWG obliegt zwar die Durchsetzung<br />
des kantonalrechtlichen Gewässerabstands von 5 m primär den kommunalen Behörden<br />
im Rahmen des baurechtlichen Bewilligungsverfahrens. Die Baudirektion bzw.<br />
das AWEL kann aber im Einzelfall den Regelabstand von 5 m erhöhen, wenn wasserbauliche<br />
Bedürfnisse dies erfordern, oder andererseits auch eine Ausnahme zur Unterschreitung<br />
des Mindestabstands gewähren, wenn besondere Verhältnisse dies rechtfer-
16 | 52<br />
tigen (§ 21 Abs. 2 WWG). Für die Festlegung des Gewässerabstands nach § 21 WWG<br />
ist die Gewässerdefinition nach § 3 WWG massgebend (§ 15 Abs. 1 HWV). Nach § 3<br />
WWG umfasst der Gewässerbereich das Bett mit Uferböschungen, Vorländern und<br />
Dämmen einschliesslich des darin stehenden oder fliessenden Wassers sowie das darunterliegende<br />
Erdreich und die Luftsäule. Nach Massgabe dieser Kriterien legen die<br />
Gemeinden das Gewässergebiet im Einzelfall oder gebietsweise fest (§ 15 Abs. 2 HWV).<br />
Massgebend sind im Detail die Richtlinien der Baudirektion zum Gewässerabstand, letzte<br />
Fassung 2009. Angesichts der Schwierigkeiten bei der Bestimmung der für den Gewässerabstand<br />
massgebenden Ausgangslinie sind die Gemeinden trotz ihrer Zuständigkeit<br />
dazu übergegangen, den Gewässerabstand durch das AWEL bestimmen zu lassen<br />
und sich danach zu richten.<br />
Aus diesen Gründen verfügt die kantonale Zuständigkeit wohl über die erforderliche Akzeptanz<br />
bei den zürcherischen Gemeinden. Es ist somit auch von da her folgerichtig,<br />
wenn die Festlegung des Gewässerraums durch den Kanton erfolgt.<br />
Das beschlossene Vorgehen<br />
28. Der Kanton Zürich hat entschieden, die Ausscheidung des Gewässerraums in einem<br />
förmlichen kantonalen Verwaltungsverfahren vorzunehmen; gegen Verfügungen über die<br />
Festlegung ist Rechtsschutz zu gewähren (ABl 1/2012, S. 18, auch zum Folgenden).<br />
Schon gemäss § 36a Abs. 1 GSchG sind die betroffenen Kreise anzuhören.<br />
29. Als ersten Schritt für eine kantonale Regelung hat der Regierungsrat mit Beschluss vom<br />
13. Dezember 2011 (vgl. ABl 1/2012 S. 17 ff.) die HWSchV mit Bestimmungen ergänzt,<br />
deren Erlass angesichts der sofort wirksamen Übergangsbestimmungen zur GSchV keinen<br />
Aufschub erträgt. Die HWSchV beinhaltet die Festlegung von Zuständigkeit, Verfahren<br />
und Rechtsschutz bei der Umsetzung der Übergangsbestimmungen im Bereich<br />
Raumbedarf für Gewässer, eine vorläufige Regelung der endgültigen Überführung in den<br />
Gewässerraum nach Art. 41a und b GSchV bei Nutzungsplanverfahren und Festsetzungen<br />
von Wasserbauprojekten sowie eine vorläufige Regelung derjenigen Fälle, für die<br />
der Bund keine Übergangsbestimmungen erlassen hat. Das Verwaltungsgericht hat die<br />
Beschwerde des Zürcher Bauernverbands und verschiedener Privatpersonen gegen die<br />
revidierten Bestimmungen mit Entscheid vom 26. Juni 2012 rechtskräftig abgewiesen,<br />
soweit es darauf eintrat (AN.2012.00001).<br />
30. Abgesehen von dieser dringlichen und sofortigen Anpassung der HWSchV müssen die<br />
erforderlichen Festlegungen auf Verordnungsebene und dann auch auf Gesetzesebene<br />
(im Rahmen der eingeleiteten Revision des kantonalen Wasserrechts; vgl. RRB<br />
Nrn. 344/2010 und 651/2011) getroffen werden. Es soll ein allgemeines Verfahren entwi-
17 | 52<br />
ckelt werden, mit dem (auch ausserhalb von ohnehin durchzuführenden Änderungen der<br />
kommunalen Nutzungsplanungen) die Ausscheidung des Gewässerraums gemäss<br />
Art. 41a und b GSchV sachgerecht durchgeführt werden kann (ABl 1/2012, S. 19). In<br />
diesem Sinne liegt ein erster (verwaltungsinterner) Entwurf zu einem neuen Wassergesetz<br />
(WsG) vor, womit das Einführungsgesetz zum Gewässerschutzgesetz vom 8. Dezember<br />
1974 und das Wasserwirtschaftsgesetz vom 2. Juni 1991 in einem einzigen Erlass<br />
zusammengefasst werden sollen.<br />
B. Kernpunkte der neuen Regelungen<br />
Zuständigkeiten und Verfahren<br />
31. Die HWSchV regelt die Festlegung des Gewässerraums im Rahmen der kommunalen<br />
Nutzungsplanung (§§ 15 ff.). Dabei handelt es sich um ein freiwilliges Verfahren: Die<br />
Gemeinde kann, muss aber nicht, der Baudirektion im Rahmen von nutzungsplanerischen<br />
Verfahren beantragen, den Gewässerraum festzulegen. Die §§ 15-15c HWSchV<br />
stellen hierzu ein Verfahren zur Verfügung. Dieses wird dadurch abgeschlossen, dass<br />
die Baudirektion den Gewässerraum mit Verfügung festsetzt. Sie behandelt darin auch<br />
die gegen den Entwurf erhobenen Einwendungen und die Stellungnahme der Gemeinde<br />
hierzu (§ 15b Abs. 1 HWSchV). Die Gemeinde macht die Festlegung zusammen mit dem<br />
Nutzungsplan öffentlich bekannt (§ 15b Abs. 2 HWSchV). Der Rechtsschutz richtet sich<br />
nach dem entsprechenden Planungsverfahren (§ 15b Abs. 3 HWSchV). Das AWEL stellt<br />
die rechtskräftigen Gewässerräume in einem Übersichtsplan dar (§15c HWSchV). Dieser<br />
Übersichtsplan umschreibt also den Gewässerraum, der nach Art. 36a GSchG bei der<br />
Richt- und Nutzungsplanung zu berücksichtigen ist.<br />
Bemessung des Gewässerraums<br />
32. Die revidierte HWSchV enthält zur Festsetzung der Gewässerräume nur wenige materiellrechtliche<br />
Vorgaben: Die Gewässerräume werden in der Regel beidseitig zum Gewässer<br />
angeordnet. Bei besonderen Verhältnissen kann davon abgewichen werden (§ 15d<br />
Abs. 1 HWSchV). § 15d Abs. 2 HWSchV enthält Anordnungen zur Bestimmung der Gerinnesohlenbreite.<br />
33. § 15d Abs. 3 HWSchV enthält besondere Bestimmungen für eingedolte Fliessgewässer:<br />
Bei diesen beträgt die Breite des Gewässerraums mindestens 11 m, wobei in begründeten<br />
Fällen davon abgewichen werden kann. Das entspricht materiell in etwa der bisherigen<br />
kantonalrechtlichen Regelung in § 21 WWG (vgl. ABl 6. Januar 2012, S. 19). Mit<br />
dieser Bestimmung macht der Regierungsrat von der in Art. 41a GSchV enthaltenen
18 | 52<br />
Kompetenz keinen Gebrauch, bei eingedolten Gewässern auf die Festlegung des Gewässerraums<br />
zu verzichten.<br />
34. Grenzt ein Planungsgebiet (zum Beispiel in Form eines Gestaltungsplans) an ein Fliessgewässer,<br />
wird der Gewässerraum in diesem Gewässerabschnitt nur dann festgelegt,<br />
wenn dies auch auf der gegenüberliegenden Seite erfolgt (§ 15e). Die Rechte der betroffenen<br />
Grundeigentümerinnen und -eigentümer werden gewahrt durch die öffentliche<br />
Auflage der geplanten Festlegung (Einwendungsverfahren) und den Anspruch auf<br />
Rechtsschutz.<br />
Ausnützung<br />
35. Die an die bauliche Ausnützung von Grundstücken anrechenbare Fläche wird durch Nutzungsbeschränkungen<br />
nach Art. 41c GSchV nicht verändert (§ 15 f HWSchV). Dieser<br />
Verweis auf Art. 41c GSchV dürfte einem Versehen entsprechen. Die Frage der massgeblichen<br />
Grundfläche stellt sich ja nicht im Zusammenhang mit der in Art. 41c GSchV<br />
geregelten extensiven Gestaltung und Bewirtschaftung des Gewässerraums, sondern<br />
vielmehr der Ausscheidung des Gewässerraums, wofür Art. 41a und b GSchV bundesrechtliche<br />
Vorgaben enthalten. Inhaltliche Aussage von § 15 f HWSchV ist also, dass die<br />
Ausscheidung von Gewässerraum, mit welchen Instrumenten dies letztlich auch erfolgt,<br />
die für die Berechnung der Ausnützung massgebliche Grundfläche nicht verändert. Nur<br />
so macht die Bestimmung wirklich Sinn.<br />
36. § 15 f HWSchV ist gesetzeskonform auszulegen, sodass die Bestimmung nicht in Widerspruch<br />
zu § 259 PBG steht, worin die massgebliche Grundfläche auf Gesetzesstufe abschliessend<br />
festgelegt ist. Gemäss § 259 Abs. 1 PBG ist massgebliche Grundfläche die<br />
von der Baueingabe erfasste Fläche der baulich noch nicht ausgenützten Grundstücke<br />
oder Grundstücksteile der Bauzone. Bei einer allfälligen Auszonung (auch zur Sicherung<br />
des Gewässerraums) reduziert sich nach dem klaren Wortlaut der Bestimmung die massgebliche<br />
Grundfläche. Ausser Ansatz fallen nach § 259 Abs. 2 PBG unter anderem<br />
auch offene Gewässer.<br />
37. Mit § 94 des neuen WsG soll allerdings § 259 Abs. 3 PBG dadurch ergänzt werden, dass<br />
nicht nur bei Ausdolungen, sondern auch bei Gewässerraumfestlegungen, Hochwasserschutzmassnahmen<br />
und Revitalisierungen von Gewässern die massgebliche Grundfläche<br />
keine Änderung erfährt, sofern die Einzonung vor dem 1. Juni 2011 (vor Inkrafttreten<br />
der revidierten GSchV) stattgefunden hat. Wird also beispielsweise durch die Revitalisierung<br />
eines Bachs im Baugebiet die Gewässerfläche vergrössert, erfährt die massgebliche<br />
Grundfläche dadurch keine Änderung (BAUDIREKTION, ERLÄUTERNDER BE-<br />
RICHT WASSERGESETZ, S. 55). Nach wie vor massgebend ist aber auch § 259 Abs. 1
19 | 52<br />
PBG, wonach zur massgeblichen Grundfläche nur Grundstücke und Grundstücksteile<br />
der Bauzone gehören. Dies soll mit dem WsG nicht geändert werden, zumal nicht vorgesehen<br />
ist, den Gewässerraum mit Auszonungen, etwa der Zuteilung zu einer Freihaltezone<br />
zu sichern (vgl. dazu MASSÜGER, S. 8).<br />
Besitzstandsgarantie<br />
38. Gemäss § 15g HWSchV dürfen rechtmässig erstellte und bestimmungsgemäss nutzbare<br />
Bauten und Anlagen innerhalb der Bauzonen, die im Gewässerraum liegen, nach § 357<br />
PBG geändert werden. In diesem Rahmen können also bestehende Bauten und Anlagen,<br />
die Bauvorschriften widersprechen, umgebaut, erweitert und anderen Nutzungen<br />
zugeführt werden, sofern sie sich für eine zonenkonforme Nutzung nicht eignen, wenn<br />
keine überwiegenden öffentlichen oder nachbarlichen Interessen entgegenstehen. Dasselbe<br />
sieht auch der Entwurf zum neuen Wassergesetz vor (§ 9 Abs. 6 E-WsG). In den<br />
Erläuterungen zum Entwurf wird dazu ausgeführt, die Kantone hätten mit Bezug auf den<br />
Bestandesschutz in den Bauzonen Spielraum, gegenüber der Bundesregelung eine angepasstere<br />
Lösung ins kantonale Recht aufzunehmen (BAUDIREKTION, ERLÄUTERN-<br />
DER BERICHT WASSERGESETZ, S. 21). Das entspricht der auch vom BAFU vertretenen<br />
Auslegung von Art. 41c Abs. 2 GSchV als „minimale“ Bestandesgarantie. MASSÜ-<br />
GER (S. 3) sieht den Grund für diese Auslegung des BAFU nicht ganz unbegründet darin,<br />
dass es dem Bundesgesetzgeber vorab darum ging, neue Bauten und Anlagen im<br />
Gewässerraum zu verhindern.<br />
39. Nach § 357 Abs. 1 PBG dürfen bestehende Bauten und Anlagen, die Bauvorschriften<br />
widersprechen, über die bundesrechtliche Besitzstandsgarantie hinausgehend, umgebaut,<br />
erweitert und andern Nutzungen zugeführt werden, sofern sie sich für eine zonengemässe<br />
Nutzung nicht eignen, wenn keine überwiegenden öffentlichen oder nachbarlichen<br />
Interessen entgegenstehen. Für neue oder weiter gehende Abweichungen von<br />
Vorschriften bleiben die erforderlichen Ausnahmebewilligungen vorbehalten. Vgl. zur<br />
Auslegung dieser Bestimmung im Detail WILLI sowie FRITZSCHE/BÖSCH/WIPF,<br />
S. 1132 ff.<br />
40. Nach anerkannter Lehre (vgl. etwa WILLI, S. 88; FRITZSCHE/BÖSCH/WIPF, S. 1136)<br />
werden die Bestimmungen des Bundesverwaltungsrechts wie jene über den Gewässerschutz<br />
nicht vom Begriff der Bauvorschriften im Sinne von § 357 Abs. 1 PBG erfasst.<br />
Somit sind die zwingend zu beachtenden Übergangsbestimmungen der GSchV keine<br />
„Bauvorschriften“ im Sinne von § 357 PBG. Daher gilt während der Übergangszeit ausschliesslich<br />
Art. 41c Abs. 2 GSchV, wonach rechtmässig erstellte und bestimmungsgemäss<br />
nutzbare Anlagen im Gewässerraum in ihrem Bestand grundsätzlich geschützt<br />
sind. Diese Bestandesgarantie ist, wie erwähnt, keine erweiterte im Sinne von § 357
20 | 52<br />
PBG. Der Verweis in § 15g HWSchV und § 9 Abs. 6 E-WsG ändert an der Rechtslage<br />
nichts, werden doch diese Bestimmungen gemäss ihrem ausdrücklichen Wortlaut erst<br />
mit der Festlegung des Gewässerraums anwendbar. Das Baurekursgericht hat allerdings<br />
in einem Entscheid vom 20. November 2012 (BRGE II Nr. 0186/2012) befunden, § 357<br />
Abs. 1 PBG werde auch hinsichtlich der Übergangsbestimmungen anwendbar, da diese,<br />
wie der Titel ausdrücke, nur vorübergehender Natur seien. Der Entscheid ist noch nicht<br />
rechtskräftig.<br />
41. Eine andere Ausgangslage ergibt sich in Anwendung von Art. 41a und b GSchV über<br />
den Gewässerraum, welche Bestimmungen zwingend der Umsetzung durch kantonales<br />
Recht bedürfen. Wie mittlerweile allgemein anerkannt ist, sind die kantonalrechtlichen<br />
Vorschriften über den Gewässerabstand „Bauvorschriften“ im Sinne von § 357 Abs. 1<br />
PBG (vgl. etwa WILLI, S. 88 sowie VB.2010.00630; a.M. noch FRITZ-<br />
SCHE/BÖSCH/WIPF, S. 1136). Dasselbe muss im Grundsatz auch für die Festlegungen<br />
über den Gewässerraum zutreffen, welche der Kanton erst noch vorzunehmen haben<br />
wird. Es ergibt sich die analoge Rechtslage wie bezüglich des Waldabstands: Wie das<br />
Verwaltungsgericht entschieden hat, sind die Waldabstandsvorschriften (auch in Form<br />
der Waldabstandslinien) Bauvorschriften im Sinne von § 357 PBG (VB.2002.00030).<br />
MASSÜGER (S. 9) hält jedoch dafür, dass die kantonalen Festlegungen zum Gewässerraum,<br />
soweit sie nur Bundesrecht wiedergeben und nicht über die Minimalanforderungen<br />
von Art. 41a und b GSchV hinausgehen, keine „Bauvorschriften“ im Sinne von § 357<br />
Abs.1 PBG darstellen. Ob dem so ist, erweist sich allerdings als fraglich und wird letztlich<br />
durch die Gerichte zu entscheiden sein.<br />
42. Die Frage kann allerdings letzten Endes offen bleiben, weil § 15g HWSchV und § 9<br />
Abs. 6 E-WsG auf den Begriff der Bauvorschriften verzichten. Im Unterschied zu § 357<br />
PBG („Bestehende Bauten und Anlagen, die Bauvorschriften widersprechen, dürfen…“)<br />
umschreiben die genannten Bestimmungen den Anwendungsbereich der erweiterten<br />
Bestandesgarantie mit „rechtmässig erstellte und bestimmungsgemäss nutzbare Bauten<br />
und Anlagen innerhalb der Bauzonen“. Der Verweis auf § 357 PBG bezieht sich nur auf<br />
das Mass der zulässigen Änderungen (so auch MASSÜGER, S. 9). Dieses Mass ist<br />
nach § 357 Abs. 1 PBG erheblich eingeschränkt, soweit und sofern sich die betroffenen<br />
Bauten oder Anlagen innerhalb des Gewässerraums befinden. Bauliche Erweiterungen<br />
führen regelmässig zu „weitergehenden Abweichungen“, welche sich ohne die Erteilung<br />
einer Ausnahmebewilligung als unzulässig erweisen (§ 357 Abs. 1 Satz 2 PBG) und es<br />
dürften oftmals auch die gewichtigen öffentlichen Interessen an der Ausscheidung des<br />
Gewässerraums einer Erweiterung im Wege stehen (vgl. § 357 Abs. 1 PBG). Die Bestandesgarantie<br />
beschränkt sich daher auch nach § 357 Abs. 1 PBG auf interne Ausund<br />
Umbauten sowie Nutzungsänderungen (so auch MASSÜGER, S. 11), die aber<br />
durchaus weiter gehen können als die enge bundesrechtliche Besitzstandsgarantie.
21 | 52<br />
Derart ausgelegt steht der kantonalrechtliche Bestandesschutz nicht in Widerspruch zum<br />
Bundesrecht. Die Kantone haben bei der Regelung dieser Fragen im Rahmen der Eigentumsgarantie<br />
einen Spielraum (BAFU, ERLÄUTERNDER BERICHT, S. 15). Von diesem<br />
hat der Kanton Zürich mit § 15g HWSchV zulässigerweise Gebrauch gemacht. Auch die<br />
gleich lautende Bestimmung in § 9 Abs. 6 E-WsG ist aus dieser Sicht nicht zu beanstanden.<br />
43. § 15g HWSchV und § 9 E-WsG beschränken den Anwendungsbereich von § 357 PBG<br />
auf Bereiche innerhalb der Bauzonen. Ausserhalb der Bauzonen bleibt § 357<br />
Abs. 1 PBG nur dann direkt anwendbar, wenn man der Auffassung folgt, dass die Festlegungen<br />
zum Gewässerraum Bauvorschriften kantonalen Rechtes bilden (vgl. oben Ziffer<br />
41). Andernfalls richtet sich die Bestandesgarantie nach Bundesrecht, und zwar einzig<br />
nach Art. 41c Abs. 2 GSchV, nicht nach Art. 24c oder 37a RPG, zumal sich letztere<br />
Bestimmungen auf „bestehende zonenwidrige Bauten und Anlagen“ ausserhalb der<br />
Bauzonen beziehen. Die Festlegungen zum Gewässerschutz führen aber nicht zur Zonenwidrigkeit.<br />
Die Unterscheidung zwischen zonenkonformen und zonenwidrigen Bauten<br />
und Anlagen ist beim Gewässerraum ohne Relevanz. Daher erweist sich der Verweis<br />
des BAFU (ERLÄUTERNDER BERICHT S. 15) auf das Raumplanungsgesetz als offensichtlich<br />
unzutreffend.<br />
C. Instrumente zur Festlegung des Gewässerraums<br />
44. Wie sich aus Wortlaut und Sinn der ergänzten HWSchV ergibt, sind die Gewässerräume<br />
individuell-konkret auszuscheiden. Daher ist im Kanton Zürich die Festsetzung des Gewässerraums<br />
(zu Recht) mit planungsrechtlichen Massnahmen, nicht mit generell-abstrakten<br />
Vorschriften vorgesehen. Bevor das WsG oder das PBG neue Instrumente<br />
schaffen, haben sich die Massnahmen nach den im PBG enthaltenen Instrumenten zu<br />
richten. Im Rahmen der kantonalen Zuständigkeiten wäre an sich die Festsetzung von<br />
einer Freihaltezone (§ 39 PBG) denkbar. Eine solche dürfte aber wohl schon deshalb<br />
nur selten (da unverhältnismässig) in Frage kommen, weil damit für die betroffenen<br />
Grundstücke eine Einbusse an Ausnützung verbunden wäre (§ 259 Abs. 1 PBG). Gewässerabstandslinien<br />
(§ 67 PBG) sodann sind ein Element der kommunalen Bau- und<br />
Zonenordnung. Indessen können durch die Baudirektion Baulinien nach § 96 Abs. 1 und<br />
2 lit. b PBG für „Fluss- und Bachkorrektionen“ (und nach der Revision durch § 94 E-WsG<br />
für „die Umsetzung von kantonalen und kommunalen Wasserbauprojekten“) festgelegt<br />
werden. Diese sehr einschränkende Zweckbestimmung erlaubt keine allgemeine Festlegung<br />
eines Gewässerraums, jedenfalls soweit eine solche über den Zweck des Hochwasserschutzes<br />
(Art. 36a Abs. 1 lit. b GSchG) hinausginge. Ein Zurückgreifen auf derartige<br />
Baulinien ist aber auch nicht erforderlich. Denn die Baudirektion geniesst bei der
22 | 52<br />
Festlegung des Gewässerraums nach § 9 Abs. 1 E-WsG bzw. § 15b HWSchV Spielraum<br />
hinsichtlich der Instrumente. In concreto ist an eine Sondernutzungsplanung analog<br />
etwa den Verkehrsbaulinien (vgl. dazu VB.2008.00401, E. 7.3.2) oder den Strassenprojektplänen<br />
(HALLER/KARLEN, Rz. 325) zu denken. Es finden demzufolge die Bestimmungen<br />
des RPG zur Nutzungsplanung Anwendung, insbesondere über die Information<br />
und Mitwirkung der Bevölkerung (Art. 4 RPG), die Grundsätze der Koordination (Art.<br />
25a RPG), die Genehmigung der Nutzungspläne durch eine kantonale Behörde (Art. 26<br />
RPG) und den Rechtsweg (Art. 33 RPG).<br />
45. Der Gewässerraum liesse sich auch als Baupolizeivorschrift mit festen Masszahlen, also<br />
einem Abstand in Metern ab dem Gewässer umschreiben, wie dies mit § 21 WWG geschehen<br />
ist. Es darf dies dann aber (im Unterschied zur genannten Bestimmung) nicht<br />
flächendeckend und für den Kanton einheitlich erfolgen, sondern es ist Art. 36a GSchG<br />
und Art. 41a und b GSchV und den Zielsetzungen dieser Bestimmungen Rechnung zu<br />
tragen: Es sind nach Anhörung betroffener Kreise individuell-konkrete Festlegungen zu<br />
treffen.<br />
46. Nicht der Rechtsweggarantie nach Art. 29a BV würden reine Konzepte und Sachpläne<br />
gemäss Art. 13 RPG/Art. 14 ff. RPV entsprechen wie (auf Bundesebene) zum Beispiel<br />
der Plan über die Fruchtfolgeflächen und der Plan „Infrastruktur der Luftfahrt“ oder (auf<br />
kantonaler Ebene) Energiepläne oder Kiesabbaupläne. Solche Pläne sind zwar ebenso<br />
wie der Gewässerraum bei der Ausarbeitung von Richt- und Nutzungsplänen zu berücksichtigen<br />
(Art. 2 Abs. 1 RPG/Art. 23 Abs. 1 RPV), aber rein behörden- und nicht grundeigentümerverbindlich.<br />
Dasselbe gilt für Festlegungen auf Stufe der kantonalen Richtplanung.<br />
Auch die Richtplanung ist lediglich, aber immerhin behördenverbindlich (§ 19<br />
Abs. 1 PBG) und erst bei Anfechtung der Nutzungsplanung akzessorisch überprüfbar<br />
(§ 19 Abs. 2 PBG; FRITZSCHE/BÖSCH/WIPF, S. 114). Mit Recht wird denn auch gemäss<br />
§ 9 Abs. 1 E-WsG der Gewässerraum „grundeigentümerverbindlich“ festgelegt.<br />
47. Erste Erfahrungen mit der neuen Regelung in der HWSchV zeigen, dass die durch die<br />
Übergangsbestimmungen zur GSchV entstehenden Konfliktsituationen gemeistert werden<br />
können, wenn der Weg der kombinierten Festlegung des Gewässerraums und eines<br />
(Sonder-) Nutzungsplans beschritten wird. Die Initiative für ein solches kombiniertes Verfahren<br />
muss allerdings vom Planenden bzw. Bauwilligen und der Gemeinde (Federführung)<br />
ausgehen (BPUK, UMFRAGE, S. 14 f., Antwort des Kanton Zürich auf Frage 2).<br />
Als Pilotfall hierzu kann der Gestaltungsplan Orüti in der Gemeinde Fischenthal dienen:<br />
48. In der Orüti, Steg, Gemeinde Fischenthal, finden sich entlang der Töss Grundstücke in<br />
der Bauzone, die infolge der neuen, restriktiven Übergangsbestimmungen zum Uferstreifen<br />
praktisch unüberbaubar geworden sind. Das war Anlass für die Erarbeitung eines
23 | 52<br />
privaten Gestaltungsplans. Mit dem Gestaltungsplan kann zwar von den Bestimmungen<br />
der Bau- und Zonenordnung und den kantonalen Mindestabständen abgewichen werden<br />
(§ 83 Abs. 1 PBG), naturgemäss nicht aber von den Übergangsbestimmungen zur<br />
GSchV, welche den Uferstreifen zwingend festlegen. Also war im Gestaltungsplan nötig,<br />
der Gewässerraum gemäss Art. 41a GSchV festzulegen, um die Übergangsbestimmungen<br />
rasch möglichst abzulösen. Dazu wurde einerseits der Gewässerraum asymmetrisch<br />
zur Töss-Achse ausgeschieden (was der Zustimmung der gegenüberliegenden Grundeigentümer<br />
bedurfte) und andererseits der Strassenabstand verringert (vgl. FISCHEN-<br />
THAL, GESTALTUNGSPLAN, Bericht Ziffer 1.1, Ausgangslage).<br />
49. Der Gewässerraum wird vorerst durch den im Gestaltungsplan ausgeschiedenen Baubereich<br />
gesichert und später von der Baudirektion nach dem Verfahren nach §§ 15 ff.<br />
HWSchV festgesetzt. Der Festsetzungsbeschluss zum Gewässerraum wird gleichzeitig<br />
mit dem Gemeinderatsbeschluss über die Festsetzung des Gestaltungsplans amtlich<br />
publiziert und ist analog anfechtbar.<br />
IV. GEWÄSSERRAUM ALS ÖFFENTLICH-RECHTLICHE<br />
EIGENTUMSBESCHRÄNKUNG<br />
A. Überblick<br />
50. Wie dargelegt, ist zu Recht die Festlegung des Gewässerraums mit individuell-konkreten<br />
und direkt grundeigentümerverbindlichen kantonalen Massnahmen vorgesehen. Damit<br />
wird durch öffentlich-rechtliche Massnahmen in die Rechtsstellung der betroffenen<br />
Grundeigentümerinnen und -eigentümer eingegriffen:<br />
51. Einerseits schränkt Art. 36a GSchG in Verbindung mit Art. 41a, b und c GSchV die bauliche<br />
Nutzung an Gewässern stark ein. Anderseits wird ebenso die sonstige Flächennutzung,<br />
namentlich die landwirtschaftliche Bewirtschaftung, eingeschränkt. So dürfen nach<br />
Art. 41c Abs. 3 GSchV im Gewässerraum (grundsätzlich) kein Dünger und keine Pflanzenschutzmittel<br />
eingesetzt werden. Eine extensive landwirtschaftliche Nutzung ist gemäss<br />
Art. 36a Abs. 3 GSchG und Art. 41c Abs. 4 GSchV erlaubt, eine intensive Nutzung<br />
hingegen nicht (STUTZ URP, S. 109).<br />
52. Das berührt das Grundrecht der Eigentumsgarantie nach Art. 26 BV. Gemäss dieser<br />
Verfassungsbestimmung ist das Eigentum gewährleistet (Abs. 1). Einschränkungen richten<br />
sich wie bei andern Grundrechten nach Art. 36 BV. Sie bedürfen einer gesetzlichen<br />
Grundlage (Art. 36 Abs. 1 BV). Sie müssen durch ein öffentliches Interesse oder durch
24 | 52<br />
den Schutz Dritter gedeckt und verhältnismässig sein (Art. 36 Abs. 2 und 3 BV). Der<br />
Kerngehalt der Grundrechte ist unantastbar (Art. 36 Abs. 4 BV). Enteignungen und Eigentumsbeschränkungen,<br />
die einer Enteignung gleichkommen, werden voll entschädigt<br />
(Art. 26 Abs. 2 BV).<br />
53. Nachfolgend werden die Voraussetzungen eigentumsbeschränkender Massnahmen näher<br />
umschrieben. Dies durchaus im Bestreben, zu verdeutlichen, dass primär der Gewässerraum<br />
bundesverfassungskonform festzulegen ist. Erst hernach stellt sich gegebenenfalls<br />
die Frage der Entschädigung aus materieller Enteignung.<br />
B. Gesetzliche Grundlage<br />
54. Gemäss Art. 36a GSchG legen die Kantone nach Anhörung der betroffenen Kreise den<br />
Raumbedarf der oberirdischen Gewässer fest, der erforderlich ist für die Gewährleistung<br />
der natürlichen Funktionen der Gewässer, den Schutz vor Hochwasser und die Gewässernutzung<br />
(Gewässerraum). Diese Bestimmung, welche sich ihrerseits auf Art. 76 BV<br />
stützt, ist nicht nur Auftrag des Bundesgesetzgebers an die Kantone, sondern stellt auch<br />
die für Eingriffe ins Eigentum erforderliche formellgesetzliche Grundlage (Art. 36 Abs. 1<br />
BV) dar (STUTZ URP, S. 109). Die Kantone sind mithin gehalten und auch befugt, gestützt<br />
auf Art. 36a GSchG eigentumsbeschränkende Massnahmen wie die Festsetzung<br />
eines Gewässerraums anzuordnen. Sofern sie sich an das ausführende Verordnungsrecht<br />
halten (Art. 41a und b GSchV), verfügen ihre grundeigentümerverbindlichen Festlegungen<br />
des Gewässerraums über die erforderliche gesetzliche Grundlage.<br />
55. Wie das Verwaltungsgericht zu Recht entschieden hat (AN.2012.00001, E. 4.1 betreffend<br />
die HWSchV), werden die eingedolten Gewässer (die im Kanton Zürich rund<br />
30% der Fliessgewässer ausmachen) den oberirdischen Gewässern zugerechnet, für<br />
welche nach Art. 36a Abs. 1 GSchG die Kantone den Gewässerraum festzulegen haben.<br />
Es ist also nicht nur bei offenen, sondern auch bei eingedolten Gewässern von einer gesetzlichen<br />
Grundlage für die Ausscheidung des Gewässerraums auszugehen.<br />
C. Öffentliches Interesse<br />
56. Gestützt auf Art. 36 Abs. 2 BV dürfen Eigentumsbeschränkungen nur dann erfolgen,<br />
wenn sie durch ein die privaten Eigentumsinteressen überwiegendes öffentliches Interesse<br />
oder durch den Schutz von Grundrechten Dritter gefordert sind. Dies bedingt eine<br />
Interessenabwägung zwischen der beschränkenden Massnahme einerseits und der Eigentumsgarantie<br />
andererseits. Aktuelle Staatsaufgaben, welche heute das Privat-
25 | 52<br />
eigentum beschränken und/oder ausgestalten, sind unter anderem im Bereich der<br />
Raumplanung (Art. 75 BV), des Umweltschutzes (Art. 74 BV) und des Gewässerschutzes<br />
(Art. 76 BV) zu sehen (VALLENDER, Kommentar BV, Art. 26 N 48).<br />
57. Art. 36a GSchG setzt Art. 76 BV (Bundeszuständigkeiten im Bereich Wasser) hinsichtlich<br />
des Gewässerraums um. Danach ist der Raumbedarf für die natürlichen Funktionen des<br />
Gewässers und für den Schutz vor Hochwasser festzulegen (vgl. Details in BAFU, ER-<br />
LÄUTERNDER BERICHT, S. 10 f.; STUTZ, URP, S. 97 ff.). Die in Art. 76 BV zum Ausdruck<br />
gebrachten Anliegen entsprechen einem gewichtigen öffentlichen Interesse (VAL-<br />
LENDER, Kommentar BV, Art. 26 N 47).<br />
D. Verhältnismässigkeit<br />
58. Eigentumsbeschränkungen unterliegen auch dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit<br />
(Art. 36 Abs. 3 BV). Dieser Grundsatz verlangt, dass die Bestimmungen, die das Eigentum<br />
beschränken, geeignet und auch erforderlich sind, um das angestrebte Ziel zu erreichen.<br />
Es muss ein vernünftiges Verhältnis zwischen diesem und den betroffenen öffentlichen<br />
und privaten Interessen bestehen (VALLENDER, Kommentar BV, Art. 26 N 49).<br />
59. Somit müssen drei Aspekte erfüllt sein: die Eignung, die Erforderlichkeit und die Verhältnismässigkeit<br />
von Eingriffszweck und Eingriffswirkung. Geeignet ist eine staatliche Handlung<br />
dann, wenn der im öffentlichen Interesse liegende Zweck auch erreicht werden<br />
kann. Unter dem Aspekt der Erforderlichkeit wird (soweit hier wesentlich) verlangt, dass<br />
der Eingriff sachlich und räumlich nicht über das Notwendige hinausgeht. Schliesslich<br />
muss sich der Eingriffszweck im Verhältnis zur Eingriffswirkung im konkreten Fall bewähren,<br />
das heisst für den oder die Betroffenen zumutbar sein. Es ist zu prüfen, ob das konkrete<br />
Ziel in einem vernünftigen Verhältnis zur hierfür notwendigen Freiheitsbeschränkung<br />
steht (vgl. etwa SCHWEIZER, Kommentar BV, Art. 36 N 22 ff.).<br />
60. Die Festlegung des Gewässerraums bedarf demnach wie jede planungsrechtliche Massnahme<br />
einer umfassenden Interessenabwägung. Art. 3 Abs. 1 RPV gibt hier Anleitungen<br />
zum Vorgehen: Vorerst sind die betroffenen Interessen zu ermitteln. In einem zweiten<br />
Schritt sind sie mithilfe ausgewiesener Massstäbe zu beurteilen. Abschliessend sind<br />
die ermittelten und beurteilten Interessen derart zu optimieren, dass sie im Entscheid<br />
umfassend zur Geltung gebracht werden können (vgl. dazu TSCHANNEN, Kommentar<br />
RPG, Art. 3 Rz. 23 ff.; WALDMANN/HÄNNI, Art. 3 N 4; STUTZ, URP, S. 122).
26 | 52<br />
61. Das den zuständigen Behörden bei der Abwägung zustehende Ermessen ist pflichtgemäss<br />
auszuüben, was hinsichtlich des Gewässerraums insbesondere die folgenden<br />
Elemente betrifft:<br />
- Bei der Festlegung des Gewässerraums für Fliessgewässer (Art. 41a GSchV) muss<br />
das Gerinne nicht in der Mitte des Gewässerraums liegen. Die Behörde hat einen<br />
gewissen Spielraum bei der Festlegung des Gewässerraums. Die Festlegung des<br />
Gewässerraums als Korridor ermöglicht es, diesen an die Gegebenheiten im Umfeld<br />
des Gewässers anzupassen, so zum Beispiel bei Gebäuden, Strassen, Fruchtfolgeflächen<br />
(vgl. BAFU, ERLÄUTERNDER BERICHT, S. 10). In diesem Sinne ist auch<br />
eine Würdigung der privaten Anliegen vorzunehmen. Es ist jener Korridor zu wählen,<br />
welcher die öffentlichen Interessen wahrt, gleichzeitig aber auch möglichst behutsame<br />
Eingriffe in das Privateigentum mit sich bringt.<br />
- Spielraum besteht auch in der Festsetzung der Breite des Gewässerraums, indem<br />
Art. 41a und b GSchV lediglich Mindestmasse vorschreiben. Von einer Erhöhung der<br />
Mindestmasse ist zurückhaltend Gebrauch zu machen, jedenfalls aber dann eine<br />
besondere sorgfältige Interessenabwägung vorzunehmen. In dicht überbauten Gebieten<br />
kann die Breite des Gewässerraums den baulichen Gegebenheiten angepasst<br />
werden, soweit der Schutz von Hochwasser gewährleistet bleibt (Art. 41a Abs. 4 und<br />
41b Abs. 3 GSchV). Die GSchV konkretisiert den Begriff der dichten Überbauung<br />
nicht, sodass auch hier ein erheblicher Spielraum bei der planerischen Umsetzung<br />
verbleibt.<br />
- Rechtmässig erstellte und bestimmungsgemäss nutzbare Bauten und Anlagen innerhalb<br />
der Bauzonen, die im Gewässerraum liegen, dürfen nach § 357 PBG geändert<br />
werden (§ 15 g und § 9 Abs. 6 HWSchV). Diese Bestimmungen enthalten eine<br />
zulässige Konkretisierung von Art. 41c Abs. 2 GSchV. Sie beschränken Umbauten<br />
und Erweiterungen am betroffenen Gebäude auf die erweiterte Bestandesgarantie,<br />
die allerdings nur sehr eingeschränkt gilt (vgl. dazu vorn Ziffer 38 ff.). Daher sind bestehende<br />
Gebäude im Rahmen des Spielraums bei der Festlegung des Gewässerraums<br />
wenn möglich nicht in diesen einzubeziehen. Eine derartige Anpassung an die<br />
baulichen Gegebenheiten erweist sich nicht nur in dicht überbauten Gebieten, sondern<br />
generell als zulässig (so auch STUTZ, URP, S. 123). Dabei ist allerdings Zurückhaltung<br />
geboten: Das Baurekursgericht hat in einem ersten Entscheid zu dieser<br />
Thematik die Idee einer „Umfahrung“ abgelehnt. Als Folge der Bestandesgarantie<br />
bestand im zu beurteilenden Fall kein zwingender Grund, bestehende Gebäude bei<br />
der Festsetzung des Gewässerraums zu umfahren. Im Hinblick auf eine irgendwann<br />
allenfalls erfolgende Neuüberbauung erscheint es vielmehr zweckmässig, den definitiven<br />
Gewässerraum unter teilweisem Einbezug von bestehenden Bauten festzuset-
27 | 52<br />
zen (BRGE III Nr. 104/2012, E. 5.3, vom 29. August 2012, zurzeit publiziert in Fehler!<br />
Hyperlink-Referenz ungültig. Entscheide). Dies entspricht der Zielsetzung der<br />
langfristigen Sicherung des Gewässerraums. Bei dessen Festlegung müssen daher<br />
nicht nur die aktuellen Verhältnisse berücksichtigt werden, sondern es ist auch eine<br />
mittel- und langfristige Perspektive erforderlich. Man muss den dereinst einmal möglichst<br />
zu erreichenden Zustand des Gewässers im Auge behalten (STUTZ, URP, S.<br />
99). Insoweit ist die Zielsetzung eine andere als im Falle von Waldabstandslinien mit<br />
welchen bestehende Gebäude oft und zulässigerweise umfahren werden, sofern<br />
keine wohnhygienischen Bedenken bestehen (dazu FRITZSCHE/BÖSCH/WIPF, S.<br />
138).<br />
E. Schutz des Kerngehalts<br />
62. Nach Art. 36 Abs. 4 BV ist der Kerngehalt der Grundrechte unantastbar. Dies gilt auch<br />
für die Eigentumsgarantie. Der Gesetzgeber hat demnach, wenn er das Eigentum beschränkt,<br />
den Kerngehalt unangetastet zu lassen. Er darf der Eigentumsgarantie keine<br />
beliebigen Schranken setzen.<br />
63. Im Schrifttum wird die Kern- oder Wesensgehaltsgarantie tendenziell mit der Institutsgarantie<br />
gleichgesetzt (VALLENDER, Kommentar BV, Art. 26 N 51). Diese verbietet es<br />
dem Gesetzgeber, das Eigentum als Institut unserer Rechtsordnung in Frage zu stellen.<br />
Dieser Schutz des Instituts des Eigentums folgt, wie erwähnt, aus Art. 36 Abs. 4 BV,<br />
welcher den Kerngehalt aller Grundrechte als unantastbar erklärt. Der Gesetzgeber darf<br />
mithin nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichts keine Normen aufstellen,<br />
welche das Rechtsinstitut der Eigentumsgarantie beseitigen, aushöhlen, seiner Substanz<br />
berauben oder seinen Wesenskern antasten. Er muss also die wesentlichen, sich aus<br />
dem Eigentum ergebenden Verfügungs- und Nutzungsrechte wahren (HÄFE-<br />
LIN/MÜLLER/UHLMANN, Rz. 2041 f.; HÄNNI, S. 28).<br />
64. Im Einzelnen verbietet die Institutsgarantie der Gesetzgebung Folgendes: Die völlige Ersetzung<br />
der heutigen Ordnung durch ein privateigentumsfeindliches System staatlicher<br />
Güterverwaltung, die Überführung auch nur einzelner Güterkategorien wie zum Beispiel<br />
Grund und Boden aus dem Bereich der Privatautonomie in denjenigen staatlicher Bewirtschaftung,<br />
soweit nicht eine ausreichende Menge derselben Kategorie der freien<br />
Nutzung verbleibt; die Übertragung zentraler Entscheidungsbefugnisse des Eigentümers<br />
an den Staat auf dem Weg genereller Normierung (vgl. HÄNNI, S. 29).<br />
65. Dem Gesetzgeber belässt die Institutsgarantie bei der Umschreibung der Eigentumsfreiheit<br />
allerdings einen weiten Ermessensspielraum. So sind mit der Institutsgarantie bei-
28 | 52<br />
spielsweise vereinbar gesetzliche Waldabstandsvorschriften für Gebäude (BGE 96<br />
I 126), ja selbst eine Bestimmung, welche die Ufer von Seen – unter Wahrung der Bestandesgarantie<br />
– als öffentliche Sachen definiert (BGE 123 III 458 ff.; vgl. weitere Beispiele<br />
in HÄNNI, S. 29 f.). Wegen der weitgezogenen Ermessensfreiheit des Gesetzgebers<br />
und den sich zulässigerweise wandelnden politischen Anschauungen sind die Fälle<br />
selten, wo ein Gesetz wegen Verletzung der Institutsgarantie als verfassungswidrig erklärt<br />
worden wäre.<br />
66. Aus diesen Gründen ist nicht denkbar, dass die Festlegung eines Gewässerraums die<br />
Eigentumsgarantie in ihrem Kerngehalt zu treffen vermöchte. Es geht in diesem Zusammenhang<br />
eben nicht nur um die Beschränkungen, die ein einzelner Eigentümer allenfalls<br />
zu dulden hat, sondern um eine generelle Betrachtungsweise. So können individuellkonkrete<br />
Festlegungen, im Unterschied zu abstrakten (flächendeckend wirksamen) Bestimmungen<br />
von vornherein nicht den Kerngehalt treffen, weil immer die konkrete Interessenabwägung<br />
im Einzelfall verbleibt.<br />
V. GRUNDLAGEN DER ENTSCHÄDIGUNGSPLICHT<br />
A. Abgrenzungen und Voraussetzungen<br />
Abgrenzungen<br />
67. Vorerst ist zwischen der formellen und materiellen Enteignung zu unterscheiden: Mit der<br />
formellen Enteignung wird einem Grundeigentümer für öffentliche Zwecke das Eigentumsrecht<br />
endgültig oder vorübergehend entzogen. Oder das Eigentumsrecht an einer<br />
Liegenschaft wird zwar nicht entzogen, aber durch ein anderes Recht (zum Beispiel eine<br />
Dienstbarkeit, etwa in Form eines Wegrechts) belastet. Eine derartige Enteignung ist<br />
immer voll zu entschädigen.<br />
68. Die materielle Enteignung unterscheidet sich von der formellen dadurch, dass die Trägerschaft<br />
der vermögenswerten Rechte unverändert bleibt; es findet also weder ein Entzug<br />
noch eine Übertragung des Eigentums statt. Das Gemeinwesen beschränkt indessen<br />
die Verfügungs- oder Nutzungsbefugnisse im Interesse der Allgemeinheit, namentlich<br />
aus Gründen der Raumplanung, des Gewässer- oder des übrigen Umweltschutzes<br />
derart, dass sich dies für den Eigentümer wie eine Enteignung auswirkt. Es ist dann wie<br />
bei der formellen Enteignung eine volle Entschädigung geschuldet (Art. 26 Abs. 2 BV),<br />
die hier allerdings nicht Voraussetzung des Übergangs des Rechts auf den Enteigner ist,
29 | 52<br />
sondern die Folge einer Eigentumsbeschränkung, die einer Enteignung gleichkommt<br />
(HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Rz. 2161).<br />
69. Die meisten öffentlich-rechtlichen Eigentumsbeschränkungen sind allerdings entschädigungslos<br />
zu dulden, weil die Beschränkung der aus dem Eigentum fliessenden Rechte<br />
nicht so intensiv ist, dass sie einer Enteignung gleichkommt und damit eine materielle<br />
Enteignung darstellt. Somit kommt der Abgrenzung zwischen materieller Enteignung einerseits<br />
und entschädigungslosen öffentlich-rechtlichen Eigentumsbeschränkungen andererseits<br />
für den Betroffenen und auch für das allenfalls entschädigungspflichtige Gemeinwesen<br />
eminente Bedeutung zu (HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Rz. 2162). Im Sinne<br />
einer vorläufigen Bemerkung kann hierzu festgehalten werden, dass nach der bundesgerichtlichen<br />
Rechtsprechung die Entschädigungslosigkeit der Regelfall, das Vorliegen<br />
einer materiellen Enteignung dagegen die Ausnahme darstellt. So ist auch die Festlegung<br />
des Gewässerraums in den meisten Fällen entschädigungslos hinzunehmen.<br />
Allgemeine Voraussetzungen<br />
70. In der Regel sind also rechtmässige, d.h. auf einer Rechtsgrundlage basierende Eigentumsbeschränkungen,<br />
die im öffentlichen Interesse liegen und verhältnismässig sind,<br />
entschädigungslos hinzunehmen. Dies gilt es als Grundsatz wie erwähnt festzuhalten.<br />
Eigentumsbeschränkungen aber, die einer Enteignung gleichkommen, sind voll zu entschädigen<br />
(Art. 26 Abs. 2 BV). Der gleiche Grundsatz wird in Art. 5 Abs. 2 RPG für Eigentumsbeschränkungen,<br />
die sich aus Planungen und Massnahmen, die im Anwendungsbereich<br />
des RPG ergehen, wiederholt. Für die Umschreibung des Entschädigungstatbestands<br />
der materiellen Enteignung ergibt sich aus dem Verfassungs- und Gesetzestext<br />
nur, dass es sich um Eigentumsbeschränkungen handeln muss, „die einer (formellen)<br />
Enteignung gleichkommen". Im Übrigen werden die Voraussetzungen dieses Entschädigungstatbestands<br />
durch Richterrecht konkretisiert. Für die Abgrenzung zwischen<br />
entschädigungspflichtigen und entschädigungslosen Eigentumsbeschränkungen hat das<br />
Bundesgericht eine Grundkonzeption entwickelt und diese mit verschiedenen ergänzenden<br />
Grundsätzen bzw. „Rechtsprechungslinien" nuanciert (WALDMANN, S. 162).<br />
71. Nach diesen „Rechtsprechungslinien“ geht das Bundesgericht für die Umschreibung von<br />
Massnahmen, die einer Enteignung gleichkommen, seit dem Entscheid BGE 91 I 329 ff.<br />
(„Barret") von einer immer wiederkehrenden Grundkonzeption aus, die im Allgemeinen<br />
auch als „Barret-Formel" bezeichnet wird. Demgemäss liegt eine entschädigungspflichtige<br />
materielle Enteignung vor,<br />
- „wenn dem Eigentümer der bisherige oder ein voraussehbarer künftiger Gebrauch einer Sache<br />
untersagt oder in einer Weise eingeschränkt wird, die besonders schwer wiegt, weil der
30 | 52<br />
betroffenen Person eine wesentliche aus dem Eigentum fliessende Befugnis entzogen wird,<br />
oder,<br />
- geht der Eingriff weniger weit, falls einzelne Personen so betroffen werden, dass ihr Opfer<br />
gegenüber der Allgemeinheit unzumutbar erscheint und es mit der Rechtsgleichheit nicht<br />
vereinbar wäre, wenn hierfür keine Entschädigung geleistet würde.<br />
In beiden Fällen ist die Möglichkeit einer künftigen besseren Nutzung der Sache nur zu berücksichtigen,<br />
wenn im massgebenden Zeitpunkt anzunehmen war, sie lasse sich mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />
in naher Zukunft verwirklichen. Unter besserer Nutzung eines Grundstücks ist in<br />
der Regel die Möglichkeit seiner Überbauung zu verstehen".<br />
Vgl. dazu auch weitere Entscheide des Bundesgerichts (etwa BGE 123 II 481 ff. E. 6;<br />
121 II 423 f.; 119 Ib 128 f. und 109 Ib 15) sowie des zürcherischen Verwaltungsgerichts<br />
(etwa VR.2011.00004).<br />
72. Eigentumsbefugnisse, die als solche – gleichsam als allgemeine Kategorie – wesentlich<br />
wären und deren Entzug gemäss der Konzeption Barret nur gegen Entschädigung erfolgen<br />
dürfte, lassen sich in der Rechtsprechung nicht ausmachen. Das Bundesgericht<br />
prüft immer anhand der konkreten Umstände des einzelnen Falles, ob der Eingriff die Intensität<br />
einer materiellen Enteignung erreicht.<br />
73. Der zweite, sog. Sonderopfer-Tatbestand ist vom Gedanken der Opfersymmetrie geprägt,<br />
der im öffentlichen Recht vielfach zum Tragen kommt (WALDMANN, S. 163). Dieser<br />
Tatbestand bedingt ebenfalls einen Eingriff in das Eigentumsrecht von einer gewissen<br />
Intensität, auch wenn die Schwelle zum besonders schweren Eingriff nicht erreicht<br />
wird. Was die Entschädigung auslöst, ist die dazu tretende „stossende Rechtsungleichheit<br />
des Eingriffs gegenüber anderen Eigentümern in gleichen Verhältnissen", und die<br />
Entschädigung ist „zum Ausgleich dieser Ungleichheit" geschuldet. Zu untersuchen ist<br />
also, ob die Eigentumsbeschränkung den Ansprecher im Vergleich zu den Verhältnissen<br />
bei anderen (vom Eingriff nicht betroffenen) Grundeigentümern qualitativ und quantitativ<br />
erheblich härter trifft. Oder, wie sich das Bundesgericht ausdrückte: „Einzelne Grundeigentümer<br />
müssen zu Gunsten der Allgemeinheit oder Dritter ein Opfer erbringen, sodass<br />
es mit der Rechtsgleichheit nicht vereinbar wäre, wenn hierfür keine Entschädigung geleistet<br />
würde“ (Urteil des Bundesgerichts vom 9. November 2011, 2C_46/2011, E. 5.6, in<br />
URP 2012 S. 255). Leitender Gesichtspunkt für die Annahme eines Sonderopfers<br />
scheint zu sein, dass die Eigentumsbeschränkung sich wie eine zu Gunsten des Gemeinwesens<br />
begründete Dienstbarkeit auswirkt, die ausschliesslich einen (oder einzelne)<br />
Eigentümer belastet und somit auch Gegenstand eines formellen Enteignungsverfahrens<br />
bilden könnte (HÄNNI, S. 606).
31 | 52<br />
74. Die Fälle, in denen eine Entschädigung für materielle Enteignung durch Auferlegung eines<br />
Sonderopfers zugesprochen wurde, sind allerdings selten. In der Literatur werden<br />
hauptsächlich Massnahmen des Denkmal- und Landschaftsschutzes genannt. Die Eigentümer<br />
solcher Objekte befinden sich regelmässig in einer singulären Situation, da die<br />
Objekte oder Gebiete einzigartig oder von besonderer Schönheit und Eigenart sind<br />
(WALDMANN/HÄNNI, Art. 5 N 39). So hat das Bundesgericht etwa die Auferlegung von<br />
Baubeschränkungen zum Schutze eines Aussichtspunkts und dessen Umgebung, die<br />
nur einen einzigen Grundeigentümer treffen, als mögliches Sonderopfer bezeichnet<br />
(BGE 107 Ib 380, 384 ff.). Auch wenn einzelne Grundstücke herangezogen werden, um<br />
für eine grössere Zahl weiterer Grundstücke die Hochwassersicherheit zu verbessern, so<br />
liegt ein klassischer Fall des Sonderopfers vor, welches Ausprägung des generellen Gedankens<br />
des Lastenausgleichs ist (vgl. Urteil BGer. 2C_46/2011 vom 9. November 2011,<br />
E. 5.6, URP 2012 S. 255).<br />
75. Festlegungen im Zusammenhang mit dem Gewässerraum werden kaum je zu einem<br />
Sonderopfer führen, weil von der gleichen Planungsmassnahme zumeist mehrere<br />
Grundeigentümer in vergleichbarem Umfang betroffen werden und von einer „singulären“<br />
Betroffenheit, die ein unzumutbares Opfer gegenüber der Allgemeinheit bedeuten würde<br />
(vgl. BGE II 728 E. 2. S. 730), kaum je die Rede sein kann. Es geht bei solchen Massnahmen<br />
zur Sicherung des Gewässerraums ja auch nicht darum, dass ein Einzelner zugunsten<br />
der Allgemeinheit oder Grundstücken Dritter Opfer erbringt.<br />
B. Massgebliche Eigentumsposition<br />
76. Bei der Beurteilung der Entschädigungspflicht ist primär zu klären, wovon örtlich und<br />
zeitlich auszugehen ist, das heisst, welche Eigentümerposition und welcher Zeitpunkt für<br />
die Beurteilung als massgebend erscheinen.<br />
77. Trifft eine Eigentumsbeschränkung in inhaltlicher oder räumlicher Beziehung nur den<br />
„Teil eines grösseren Ganzen", so stellt sich die Frage, welches die betroffene Eigentumsposition<br />
ist, auf die für die Beurteilung der Eingriffsintensität Bezug genommen werden<br />
muss. Grundsätzlich ist bei einer Begrenzung der Nutzung auf die ganze Parzelle<br />
und nicht nur einen Teil derselben abzustellen. Es ist also eine auf die ganze Parzelle<br />
bezogene Betrachtungsweise erforderlich (Urteil BGer. 1A.19/2004 vom 25. Oktober<br />
2004, E. 2.3.1-2.3.4 und 3.2.2, auszugsweise in ZBl 101/2000 S. 41; RB 1997 Nr. 117,<br />
1995 Nr. 100 mit zahlreichen Hinweisen auf Entscheide des Bundesgerichts;<br />
VR.2011.00004 und 2002.00005, E. 3d; vgl. auch RIVA, S. 268 f.; RIVA, Kommentar<br />
RPG, Art. 5 Rz. 167 und 180; HÄNNI, S. 599).
32 | 52<br />
78. Dabei ist allerdings ein gewisser Zusammenhang mit dem von der Eigentumsbeschränkung<br />
betroffenen Grundbesitz erforderlich (RB 1997 Nr. 117; vgl. auch VR.2000.00001<br />
und 2011.00004 mit zahlreichen Hinweisen, auch zum Folgenden). Der Zusammenhang<br />
muss indessen nur locker sein, wie er im letztgenannten Präjudiz zwischen dem östlichen<br />
und westlichen Parzellenteil gegeben war. Diese Beziehung ergab sich im konkreten<br />
Fall nicht nur auf Grund der Eigentumsverhältnisse, sondern auch aus dem Situationsplan<br />
und den Fotografien. Entsprechend war für die Beurteilung der durch die partielle<br />
Auszonung des östlichen Teils bewirkten Eingriffsintensität auf die gesamte Fläche<br />
des streitbetroffenen Grundstücks und nicht nur auf den östlichen Teil abzustellen. Dies<br />
galt unabhängig von der effektiv ausgeübten Nutzung der Liegenschaft. Ebenso wenig<br />
rechtfertigte nach Auffassung des Verwaltungsgerichts (unter Hinweis auf ein Urteil des<br />
Bundesgerichtes vom 14. Dezember 1983, in ZBl 85/1984 S. 366) der Umstand, dass<br />
das Grundstück in zwei verschiedene Zonen fiel und der östliche Teil noch anderweitig<br />
strassenmässig erschlossen war, eine separate Betrachtung des westlichen und östlichen<br />
Grundstückteils. Jedenfalls lagen keine Umstände vor, welche ausnahmsweise eine<br />
isolierte Betrachtung des östlichen Parzellenteils – beispielsweise weil eine Baute<br />
wegen der Grundstücksform nur gerade auf diesem Nichtbaubereich hätte realisiert werden<br />
können (BGE 89 I 381 E. 2) – rechtfertigen würden.<br />
79. Aus den nämlichen Gründen, die bei einer einzigen nur teilweise von einem Bauverbot<br />
betroffenen Parzelle eine Gesamtbetrachtung gebieten, ist eine solche auch dort erforderlich,<br />
wo Flächen mehrerer Grundstücke desselben Eigentümers mit einem Bauverbot<br />
belegt werden (FRITZSCHE/BÖSCH/WIPF, S. 240). Als massgebende Bezugsgrösse ist<br />
grundsätzlich weder der gesamte Grundbesitz des Betroffenen noch jede einzelne von<br />
der Massnahme erfasste Parzelle zu betrachten, sondern die Gesamtheit seiner Grundstücke,<br />
die – wenn auch allenfalls je nur mit Teilflächen – von ein und derselben planerischen<br />
Massnahme betroffen worden sind (vgl. den vom Bundesgericht am 21. August<br />
1996 bestätigten Entscheid des Verwaltungsgerichts in RB 1995 Nr. 100; der Entscheid<br />
des Bundesgerichts ist nicht publiziert).<br />
80. Diese Sicht (Gesamtbetrachtung) trägt dem Umstand Rechnung, dass Parzellengrenzen<br />
oft zufällig verlaufen; ferner steht es dem Grundeigentümer kraft § 228 Abs. 2 PBG zumindest<br />
bei unüberbauten Parzellen weitgehend frei, diese zu vereinigen oder zu unterteilen.<br />
Unter solchen Umständen würde eine zwingende parzellenbezogene Betrachtungsweise<br />
die Entschädigungspflicht von einem offensichtlich sachwidrigen und damit<br />
willkürlichen Erfordernis abhängig machen (HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Rz. 426 f.),<br />
wodurch der Eigentümer von zusammenhängenden Kleinparzellen gegenüber dem Inhaber<br />
eines Grossgrundstücks ungerechtfertigt bevorzugt würde. Allerdings setzt die<br />
Gesamtbetrachtung einen gewissen Zusammenhang des von der Eigentumsbeschrän-
33 | 52<br />
kung betroffenen Grundbesitzes voraus; dieser kann sich daraus ergeben, dass die einbezogenen<br />
Flächen nur zusammen zweckmässig nutzbar wären (vgl. den in RB 1995<br />
Nr. 100 auszugsweise publizierten Entscheid) oder dass das gesamte Areal als wirtschaftliche<br />
Einheit erscheint (vgl. RB 1997 Nr. 117 mit zahlreichen Verweisen auf Entscheide<br />
des Bundesgerichts). Eine solche wirtschaftliche Einheit ist etwa dann nicht<br />
mehr gegeben, wenn zwei Grundstücke durch eine im öffentlichen Gemeingebrauch stehende<br />
Strasse getrennt sind und der Gewässerraum nur das eine von beiden betrifft.<br />
C. Massgebender Zeitpunkt (Stichtag)<br />
Im Grundsatz<br />
81. Für die Entschädigungspflicht und die Bemessung der Entschädigung sind die Verhältnisse<br />
bei Inkrafttreten der Eigentumsbeschränkung massgebend (§ 183 bis Abs. 3 EG<br />
zum ZGB), bei kommunalen Festlegungen also jene nach der Genehmigung durch die<br />
Baudirektion (vgl. BGE 117 Ib 4; 114 Ib 103 E. 2; 114 Ib 283 E. 2a; 114 Ib 286 E. 5; 112<br />
Ib 390 E. 3), beim Gewässerraum (so wie im Kanton Zürich vorgesehen) jene zur Zeit<br />
der Festsetzung durch die Baudirektion. Nicht schon die Anordnungen in der HWSchV<br />
oder im späteren WsG lösen Enteignungstatbestände aus.<br />
82. In diesem Sinne kann von einer materiellen Enteignung im Licht der verfassungsrechtlichen<br />
Ordnung des Bodenrechts grundsätzlich nur dann gesprochen werden, wenn<br />
im Zeitpunkt der Rechtskraft der Planungsmassnahme, die einer Enteignung (also vorliegend<br />
die Festlegung des Gewässerraums) gleichkommen soll, eine raumplanerische<br />
Grundordnung galt, welche die Berechtigung zum Bauen auf dem fraglichen Grundstück<br />
einschloss. Eine solche verfassungsmässige Grundordnung liegt vor, wenn die Gemeinde<br />
über einen Nutzungsplan verfügte, der die Bauzonen entsprechend Art. 15 RPG in<br />
zweckmässiger Weise rechtsverbindlich von den Nicht-Bauzonen trennt und jenes Land<br />
in die Bauzonen einbezieht, das sich für die Überbauung eignet und weitgehend überbaut<br />
ist oder voraussichtlich innert 15 Jahren benötigt und erschlossen wird (vgl. etwa<br />
VR.2011.00004 mit zahlreichen Hinweisen). Diese Voraussetzung ist heute in allen zürcherischen<br />
Gemeinden gegeben, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist.<br />
83. Damit ist also die Festlegung des Gewässerraums mit jenem rechtlichen und faktischen<br />
Zustand zu vergleichen, welcher vorher bestand. An jenen Rechtszustand, der durch die<br />
Zonenordnung (auch allfällig bereits ausgeschiedene Freihaltezonen) und die primären<br />
Baubegrenzungsnormen (etwa durch Grenz- und Strassenabstände, aber auch durch<br />
den Gewässerabstand nach § 21 WWG), oder – entlang des Zürichsees – durch die<br />
Konzessionsbestimmungen gegeben ist, hatte oder hätte sich der betroffene Grundei-
34 | 52<br />
gentümer auch ohne den Gewässerraum zu halten (ZBl 1997 S. 370 ff.; Mönchaltorf).<br />
Analoges gilt für die Ausscheidung von Gewässerräumen nach Art. 41a Abs. 1 GSchV in<br />
Naturschutz- und in Moorgebieten, wo bauliche und landwirtschaftliche schon grundsätzlich<br />
ausscheiden.<br />
Übergangsbestimmungen zur GSchV<br />
84. Die Übergangsbestimmungen zur revidierten GSchV setzen den Kantonen für die Ausscheidung<br />
des Gewässerraums eine Frist bis zum 31. Dezember 2018 (Abs. 1). Solange<br />
diese den Gewässerraum nicht festgelegt haben, gelten die Vorschriften des Bundes<br />
zum Uferstreifen. Damit sind die Festlegungen der Übergangsbestimmungen vorübergehender<br />
Natur, das heisst gelten ab 1. Juni 2011 für maximal sechseinhalb Jahre. Sie<br />
werden spätestens dann vom definitiven Gewässerraum abgelöst (vgl. vorn Ziffern 18 ff.).<br />
85. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist ein Eingriff eher unzumutbar, wenn er<br />
lange dauert oder definitiv ist. Vorübergehende Beschränkungen in Form von Planungszonen<br />
(Art. 27 RPG bzw. § 346 PBG), Bausperren (§ 234 PBG) und dergleichen, die 5-8<br />
Jahre dauern, begründen keine Entschädigung aus materieller Enteignung (vgl. etwa<br />
BGE 123 II 481 ff.; 120 Ia 209 f.; 109 Ib 20 f.; 135 I 233 ff., Urteil 1C_317/2007 vom<br />
14. März 2008, E.2, mit Hinweisen auf frühere Entscheide; HÄNNI, S. 602; FRITZ-<br />
SCHE/BÖSCH/WIPF, S. 344). Eine feste zeitliche Begrenzung besteht allerdings nicht;<br />
massgebend sind vielmehr die Umstände des Einzelfalls (vgl. WALDMANN/HÄNNI,<br />
Art. 5 N 68 und dort genannte Entscheide). In diesem Sinne lösen auch die Übergangsbestimmungen<br />
zur GSchV keine Entschädigungspflicht aus.<br />
86. STUTZ, PBG AKTUELL, S. 16, vertritt die Auffassung, dass mit der Festlegung des Gewässerraums<br />
schon von vornherein keine entschädigungspflichtige materielle Enteignung<br />
stattfindet, da die einschneidendste Eigentumsbeschränkung schon am 1. Juni<br />
2011 mit dem Erlass der (direkt Rechtswirkungen entfaltenden) Übergangsbestimmungen<br />
der GSchV-Änderung vom 4. Mai 2011 stattgefunden hat. Die Ausscheidung des<br />
Gewässerraums sei in aller Regel (gegenüber der heute geltenden sehr strengen<br />
Rechtslage) eine Verbesserung der Lage der Grundeigentümerinnen und -eigentümer.<br />
Mithin sei mit der Festlegung des Gewässerraums keine Beschwer der Betroffenen verbunden,<br />
sondern eine Erleichterung gegenüber dem vorbestehenden, für die Eigentümerinnen<br />
und Eigentümer einschneidenderen Zustand. Grundeigentümerinnen und -eigentümer<br />
seien aber deshalb trotzdem nicht schutzlos, falls die mit der GSchV verbundenen<br />
Nutzungsbeschränkungen mit Bezug auf ihr Grundstück einer Enteignung gleichkommen.<br />
Nur müssten die Betroffenen ihre Entschädigungsansprüche nicht bei der Gewässerraumausscheidung<br />
(falls diese gegenüber dem Uferstreifen milder ausfällt) geltend<br />
machen, sondern sich, da die Rechtswirkungen des Uferstreifens bereits eingetreten
35 | 52<br />
seien, mit dem Entschädigungsbegehren an den Bund wenden (STUTZ, PBG aktuell, S.<br />
23, N 37).<br />
87. Nun ist allerdings auch eine andere Auffassung denkbar: Wird zuerst eine provisorische<br />
Massnahme, beispielsweise eine Bausperre angeordnet und diese später durch eine<br />
gleichartige Beschränkung mit dauernder Wirkung abgelöst, ist massgebender Stichtag<br />
das Inkrafttreten der definitiven Beschränkung; für die Beurteilung der Enteignungsähnlichkeit<br />
muss die provisorische Massnahme ausser Acht bleiben (RIVA, Kommentar<br />
RPG, Art. 5 Rz. 182). In diesem Sinne entschied das Bundesgericht im Zusammenhang<br />
mit einer provisorischen Schutzgebietsanordnung, welche dann durch einen definitiven<br />
Schutzzonenplan abgelöst wurde (BGE 109 Ib 13 E. 3). Das Gericht verwies auf einen<br />
früheren Entscheid (nicht veröffentlichte Erwägung 2c von BGE 108 Ib 352), wonach als<br />
massgebender Stichtag mit den sich hieraus ergebenden Konsequenzen für die Anmeldung<br />
des Entschädigungsbegehrens sowie die Ermittlung des Entschädigungsschuldners,<br />
die Höhe der Entschädigung, die Verjährung und Verzinsung der Forderung die<br />
Rechtskraft der definitiven Planungsmassnahme gelte; mit einer vorgängigen provisorischen<br />
Massnahme dürfe hingegen nicht zum Nachteil des Betroffenen der Ausschluss<br />
der Entschädigungspflicht begründet werden.<br />
88. In einem weiteren Entscheid führte das Bundesgericht aus, massgebend sei der Zeitpunkt,<br />
an welchem der Regierungsrat die konkret zur Diskussion gestandene Zonenplanänderung<br />
genehmigt habe; der Umstand, dass der Gemeinderat über das Grundstück<br />
bereits vorher eine Bausperre für die Dauer von zwei Jahren verhängt habe, sei<br />
ohne Einfluss auf die Frage, ob eine materielle Enteignung vorliege (BGE 117 I4 E 2b).<br />
89. Es ist nicht ersichtlich, inwieweit die Anordnungen gemäss Abs. 2 der Übergangsbestimmungen<br />
zur GSchV rechtlich grundsätzlich anders zu qualifizieren wären als die provisorische<br />
Planungsmassnahme oder die Bausperre gemäss den genannten Präjudizien.<br />
Die Übergangsbestimmungen sind in ihrem Charakter durchaus vergleichbar mit anderen<br />
provisorischen und befristeten Massnahmen, welche definitive Planungsmassnahmen<br />
sichern sollen. Auch hier geht es nicht um definitive Anordnungen; die Übergangsbestimmungen<br />
vermögen den Anforderungen einer Gewässerraumfestlegung weder inhaltlich<br />
noch hinsichtlich der Zuständigkeit und ihres Zustandekommens zu entsprechen.<br />
Sie sind zwingend durch kantonale Planungsmassnahmen abzulösen. Somit ist vorliegend<br />
nach Auffassung des Unterzeichnenden nicht von einer materiellen Enteignung<br />
durch die auf wenige Jahre befristeten Schranken der Übergangsbestimmungen auszugehen.<br />
Daher könnte nicht argumentiert werden, die Ausscheidung des Gewässerraums<br />
sei in aller Regel (gegenüber der heute geltenden sehr strengen Rechtslage nach Art. 2<br />
der Übergangsbestimmungen) eine Verbesserung der Lage der Grundeigentümerinnen<br />
und -eigentümer. Es trifft dies zwar wohl für viele Fälle zu, ist aber letztlich nicht ent-
36 | 52<br />
scheidend. Es bleibt dabei, dass erst die Festlegung des Gewässerraums im kantonalen<br />
Verfahren zu einer materiellen Enteignung führen kann und sich das Mass der Eigentumsbeschränkung<br />
erst dadurch ergibt. Für die Beurteilung der Eigentumsbeschränkung<br />
ist damit auf den rechtlichen und faktischen Zustand abzustellen, der nach Festsetzung<br />
des Gewässerraums besteht, und dieser Zustand ist mit jenem zu vergleichen, der vor<br />
Erlass der Übergangsbestimmungen zur GSchV bestand.<br />
90. Enteignungsrechtliche Entscheide im Zusammenhang mit Abs. 2 der Übergangsbestimmungen<br />
zur GSchV bestehen naturgemäss noch nicht. Es werden letztlich erst die Gerichte<br />
entscheiden, ob die vorstehend zum Ausdruck gebrachte Auffassung zutrifft.<br />
Hochwasserschutzverordnung<br />
91. Die revidierten Bestimmungen der HWSchV legen (mit Ausnahme von § 15d Abs. 3 betreffend<br />
die eingedolten Fliessgewässer und Abs. 1 der Übergangsbestimmungen betreffend<br />
die stehenden Gewässern bis zu 0,5 ha Fläche) keine Gewässerräume fest. In diesem<br />
Sinne hat das Verwaltungsgericht in seinem Entscheid zur HWSchV<br />
(AN.2012.00001) betreffend die eingedolten Fliessgewässern mit Recht erwogen (E.<br />
4.5):<br />
„Wenn § 15d Abs. 3 HWSchV die Ausscheidung von Gewässerraum im Bereich eingedolter Gewässer<br />
als Regel vorsieht, von der im konkreten Einzelfall Ausnahmen zulässig sind, so liesse<br />
sich fragen, ob dieser generell-abstrakten Bestimmung überhaupt eigentumsbeschränkende Wirkung<br />
zukommt, da die eigentliche Baubeschränkung erst bei der konkreten Ausscheidung des<br />
Gewässerraums erfolgt. Angesichts des Ermessensspielraums, über den die Behörden bei der<br />
Anwendung von § 15 Abs. 3 HWSchV anlässlich der Ausscheidung von Gewässerraum verfügen,<br />
kann das eigentumsbeschränkende Potenzial, das von dieser Bestimmung ausgeht, jedenfalls<br />
im Rahmen des abstrakten Normenkontrollverfahrens nicht als grösser bezeichnet werden<br />
als jenes, das von der GSchV ausgeht.“<br />
§ 15d Abs. 3 HWSchV enthält somit wie Abs. 1 und 2 der Bestimmung ausschliesslich<br />
Grundlagen für die Bemessung des Gewässerraums; die Umsetzung mit planerischen<br />
Massnahmen muss im konkreten Einzelfall erfolgen, was auch für eingedolte Fliessgewässer<br />
gilt. Hierbei besteht ein recht erheblicher Spielraum. Daher stellt sich die Frage<br />
einer allfälligen materiellen Enteignung erst bei der konkreten Festlegung des Gewässerraums.<br />
Abs. 2 der Übergangsbestimmungen zur HWSchV legt zwar für kleine stehende<br />
Gewässer (bis 0,5 ha Fläche) einen Uferstreifen von 8 m zwingend fest. Die Bestimmung<br />
gilt indessen nur bis zur Festlegung des Gewässerraums, ist also vorübergehender<br />
Natur. Es gilt dasselbe wie für die Übergangsbestimmungen zur GSchV.
37 | 52<br />
Fazit<br />
92. Als Fazit ist also festzuhalten, dass erst die Festlegung von Gewässerräumen Tatbestände<br />
schafft, bei welchen sich die Frage einer Entschädigung aus materieller Enteignung<br />
stellt. Die Übergangsbestimmungen zur GSchV und zur HWSchV sowie § 15d<br />
HWSchV schaffen solche Tatbestände nicht.<br />
VI. Tatbestände der Entschädigungspflicht<br />
A. Im Grundsatz nicht entschädigungspflichtige Massnahmen<br />
Massnahmen der reinen Gefahrenabwehr<br />
93. Keinen Anspruch auf Entschädigung geben bestimmte Eigentumsbeschränkungen zur<br />
Gefahrenabwehr (BGE 96 I 123, S. 128; ZBl 1991, 558; FRITZSCHE/BÖSCH/WIPF,<br />
S. 243). Es geht dabei um Anordnungen, die zur Abwendung einer ernsthaften und unmittelbaren<br />
Gefahr für die öffentliche Ordnung erforderlich sind oder unmittelbar dem<br />
Schutz des Grundeigentümers selber dienen (BGE 106 Ib 339; 103 Ib 231). In Frage<br />
kommen etwa Bauverbote wegen Lawinengefahr, Waldabstandsvorschriften aus feuerund<br />
forstpolizeilichen Gründen oder Massnahmen zum Hochwasserschutz. Zu Letzterem:<br />
Der Eintrag in der Hochwassergefahrenkarte nach § 22 WWG ist als rein behördenund<br />
nicht direkt grundeigentümerverbindliche Massnahme von vornherein nicht entschädigungspflichtig.<br />
Auch die Umsetzung kommt keiner materiellen Enteignung gleich, soweit<br />
die erforderlichen Massnahmen der Gefahrenabwehr dienen und daher polizeilich<br />
motiviert sind (so auch zutreffend umschrieben in BAUDIREKTION/GVZ, LEITFADEN).<br />
94. Entschädigungspflichtig werden aber, soweit sie eine materielle Enteignung bewirken,<br />
Anordnungen, die weiter gehen, als zur Abwendung der ernsthaften und unmittelbaren<br />
Gefahr erforderlich ist. In diesem Sinne hat das Bundesgericht drei mögliche Ausnahmen<br />
vom Grundsatz der Entschädigungslosigkeit von Eigentumsbeschränkungen polizeilicher<br />
Natur im engeren Sinne vorbehalten, nämlich die Fälle eines nicht nur polizeilich, sondern<br />
auch raumplanerisch bedingten Bauverbots und des Verbots einer bereits bestehenden<br />
Nutzung (BGE 96 l 359) sowie den Fall, in welchem die Schaffung einer Schutzzone<br />
eine Auszonung baureifen oder grob erschlossenen Landes bewirkt (vgl. BGE 105<br />
Ia 338 E. 3d) oder einer solchen Auszonung gleichkommt (BGE 106 lb 336, 338 f.; VAL-<br />
LENDER, Kommentar BV, 26 N 62; vgl. auch HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, Rz. 2208<br />
ff. und FRITZSCHE/BÖSCH/WIPF, S. 243 f.).
38 | 52<br />
95. Wie das Verwaltungsgericht in Präzisierung seiner früheren Rechtsprechung schon zu<br />
§ 21 WWG entschieden hat, kommt dem Mindest-Gewässerabstand nicht nur wasserbaupolizeiliche<br />
Funktion zu. Er dient vielmehr weiteren Interessen. Danach soll mit dem<br />
Gewässerabstand neben den wasserbaupolizeilichen Anliegen auch eine klare Trennung<br />
des Gewässerraums von den überbauten und überbaubaren Flächen, der Schutz der<br />
Ufervegetation sowie eine ästhetisch ansprechende Erscheinung des Gewässers gewährleistet<br />
werden. In diesem Sinne erfüllt der Gewässerabstand auch Funktionen der<br />
Raumplanung, des Natur- und des Landschaftsschutzes (FRITZSCHE/BÖSCH/WIPF,<br />
S. 794).<br />
96. Nichts grundsätzlich anderes gilt für den Gewässerraum nach Art. 36a GSchG (vgl.<br />
Abs. 1 der Bestimmung). Zwar gewährleistet der Gewässerraum auch den Schutz vor<br />
Hochwasser; ein ausreichender Gewässerraum dient der Gefahrenprävention und ermöglicht<br />
es, erforderliche Hochwasserschutzbauten wesentlich kostengünstiger zu erstellen.<br />
Darüber hinaus steht aber der Gewässerraum dem Gewässer zur Verfügung und<br />
gewährleistet damit dessen natürliche Funktionen: den Transport von Wasser und Geschiebe,<br />
die Ausbildung einer naturnahen Strukturvielfalt in den aquatischen, amphibischen<br />
und terrestrischen Lebensräumen, die Entwicklung standorttypischer Lebensgemeinschaften,<br />
die dynamische Entwicklung des Gewässers und die Vernetzung der Lebensräume.<br />
Er dient auch der Erholung der Bevölkerung und ist ein wichtiges Element<br />
der Kulturlandschaft. Zudem verringert ein ausreichender Abstand der Bodennutzung<br />
zum Gewässer den Eintrag von Nähr- und Schadstoffen (BAFU, ERLÄUTENDER BE-<br />
RICHT, S. 10 f). Damit dient der Gewässerraum, soweit er über den Hochwasserschutz<br />
hinausgeht, regelmässig verschiedenen, auch raumplanerischen Zwecken und nicht reiner<br />
Gefahrenabwehr. Dies ist bei der Umsetzung der Gewässerräume und vor dem Hintergrund<br />
möglicher Entschädigungsansprüche im Auge zu behalten.<br />
Massnahmen der Richtplanung und der Sachplanung<br />
97. Massnahmen der Richtplanung sind nicht direkt für die Grundeigentümer, sondern nur<br />
für die Behörden verbindlich (vgl. etwa § 19 Abs. 1 PBG). Daher wird einem Grundeigentümer<br />
nicht schon dadurch der Gebrauch seiner Sache untersagt oder besonders eingeschränkt.<br />
Dasselbe trifft für Sachpläne des Bundes und der Kantone zu, da diese wie die<br />
Richtplanung rein behördenverbindlich sind (FRITZSCHE/BÖSCH/WIPF, S. 102). Sie<br />
beeinflussen die kantonale und kommunale Nutzungsplanung, welche erst den Grundeigentümer<br />
verbindlich trifft. Erst dann stellt sich die Frage der materiellen Enteignung.<br />
98. In diesem Sinne liefern etwa Gefahrenkarten wie zum Hochwasserschutz „nur" die Elemente<br />
des rechtserheblichen Sachverhalts für die Anordnung der behördenverbindlichen<br />
Richtpläne einerseits und der grundeigentümerverbindlichen Nutzungsbeschränkungen
39 | 52<br />
oder Nutzungsverbote (Nutzungsplan, Verweigerung Baubewilligung, Baubewilligung mit<br />
Auflage) andererseits. Hingegen vermögen sie die Art der zu treffenden Massnahme in<br />
keiner Weise zu präjudizieren. So können sich beispielsweise in einem erheblich lawinengefährdeten<br />
Gebiet, das bereits überbaut ist, aus Gründen des Besitzstandsschutzes<br />
und der Verhältnismässigkeit weitere Objektschutzmassnahmen oder Schutzbauten aufdrängen,<br />
während in unüberbauten Gebieten Nutzungseinschränkungen gerechtfertigt<br />
erscheinen. Was konkret zu tun ist, muss in einem Planungsverfahren unter Einbezug aller<br />
relevanten Interessen (insbesondere in Berücksichtigung der Eigentumsgarantie und<br />
der Verhältnismässigkeit) entschieden werden. Vorbehalten bleiben polizeiliche Verfügungen<br />
innerhalb und ausserhalb eines Baubewilligungsverfahrens für Fälle, in denen<br />
der Planungsentscheid noch aussteht oder keine Gefahrenkarten existieren (WALD-<br />
MANN, S. 167).<br />
99. Zwar kann sich der Wert eines Grundstücks bereits durch die Aufnahme in eine Gefahrenkarte<br />
mindern. Diese Wertverminderung bleibt jedoch für die Frage einer Entschädigungspflicht<br />
aus materieller Enteignung irrelevant, da diese Kartierung allein noch keinen<br />
Eingriff in die Eigentumsrechte des Grundeigentümers bewirkt. Deshalb muss die allfällige<br />
Wertverminderung auch bei der Höhe der Enteignungsentschädigung bei einem darauf<br />
folgenden Wasserbauprojekt im Grundsatz unberücksichtigt bleiben.<br />
100. Interessant dazu ist der bundesgerichtliche Entscheid zum Fall Glyssibach (BGer.<br />
2C_461/2011 vom 9. November 2011). Die Vorinstanz hatte erwogen, wenn Land für ein<br />
Gewässerschutzprojekt benützt werde, sei die Entschädigung in einem Zweistufenverfahren<br />
zu bemessen: In einem ersten Schritt sei zu prüfen, ob die Differenz zwischen<br />
Bauland- und Nichtbauland-Werten nach den Kriterien der materiellen Enteignung zu<br />
entschädigen sei. Sodann sei in der anschliessenden formellen Enteignung nur der Wert<br />
von Nicht-Bauland zu entschädigen. Die Zuweisung zur roten Zone (gemäss Hochwasserschutzkarte)<br />
sei eine polizeiliche Massnahme im engeren Sinne, die der Grundeigentümer<br />
entschädigungslos zu dulden habe. Da in der roten Zone schon aus faktischen<br />
Gründen eine bauliche Nutzung nicht möglich sei, entfalle eine Entschädigung aus materieller<br />
Enteignung. Geschuldet sei daher nur der Preis entsprechend der am Stichtag<br />
noch möglichen Nutzung, d.h. der Nicht-Baulandpreis (Preis für Landwirtschaftsland).<br />
101. Dass in der roten Zone eine bauliche Nutzung nicht möglich sei, hielt das Bundesgericht<br />
zwar (mit ausführlichen Erwägungen) als zu undifferenziert. Doch das von der Vorinstanz<br />
angewendete Zweistufenverfahren wurde im bundesgerichtlichen Verfahren nicht in Frage<br />
gestellt. Das Bundesgericht hielt allerdings dazu fest, dass dieses Verfahren auf Fälle<br />
zugeschnitten sei, wo mit zeitlichen Abständen zunächst eine Baubeschränkung auferlegt<br />
und später das Grundstück formell enteignet werde. Sei die Baubeschränkung hingegen<br />
nur eine planerische Vorwirkung des Werks, für welches formell enteignet werde,
40 | 52<br />
so handle es sich dabei um einen werkbedingten Nachteil, der bei der Bemessung der<br />
Entschädigung für die formelle Enteignung ausser Acht zu bleiben habe. Bei der Bestimmung<br />
des Verkehrswerts des formell enteigneten Grundstücks dürfe somit nicht berücksichtigt<br />
werden, dass es im Zeitpunkt der formellen Enteignung bereits mit einer<br />
Baubeschränkung belegt war.<br />
102. Anderes würde gelten, wenn die Erstellung der Gefahrenkarten mit der Nutzungsplanung<br />
verknüpft wäre, sodass sie über die Sachverhaltselemente hinaus auch bereits unmittelbar<br />
anwendbare Nutzungsbeschränkungen enthielten. Dann wären die Gefahrenkarten<br />
verfahrensrechtlich wie Nutzungspläne zu behandeln. Dasselbe würde dann auch mit<br />
Bezug auf die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen aus materieller Enteignung<br />
gelten (WALDMANN, S. 167).<br />
B. Beschränkung der baulichen Nutzung eines Baugrundstücks<br />
Beschränkungen ohne Ausnützungseinbusse<br />
103. Bei der Festlegung des Gewässerraums stehen Massnahmen im Vordergrund, welche<br />
im Sinne von § 15 HWSchV bzw. § 259 PBG (in der ergänzten Form gemäss Entwurf<br />
§ 94 E-WsG) die für die Ausnützung massgebliche Grundfläche nicht verändern. Damit<br />
soll insoweit an der heutigen Rechtslage nichts geändert werden. Denn bereits der wasserpolizeiliche<br />
Gewässerabstand von 5 m (§ 21 WWG), Gewässerabstandslinien (§ 67<br />
PBG) oder Baulinien für Fluss- oder Bachkorrektionen (§ 96 Abs. 2 lit. b PBG) bleiben für<br />
das Mass der zulässigen Ausnützung unbeachtlich, da nur das Gewässer selbst ausser<br />
Ansatz fällt (vgl. § 259 PBG). Daher bewirkt der Gewässerraum für sich selbst keine Reduktion<br />
der zulässigen baulichen Dichte. Es gilt dies selbstredend auch für jene Baugebiete,<br />
welche in einer Zone ohne Nutzungsziffern (Ausnützungs- oder Baumassenziffer)<br />
liegen und sich die bauliche Dichte ausschliesslich nach den Abständen, Geschosszahlen<br />
und Gebäudehöhen bestimmt.<br />
104. Demzufolge sind Beschränkungen durch den Gewässerraum grundsätzlich entschädigungslos<br />
hinzunehmen. Zwar mag die Bewegungsfreiheit in der Überbauung des restlichen<br />
Areals eingeschränkt werden. In einer blossen Einschränkung der Gestaltungsfreiheit<br />
kann aber keine materielle Enteignung liegen, wenn die vorhandene Nutzungsmöglichkeit<br />
noch voll ausgeschöpft werden kann und eine vernünftige, der Lage und Umgebung<br />
angepasste Überbauung realisierbar ist. Es fehlt dann schon an einem Schaden<br />
(BGE 110 Ib 359 ff.).
41 | 52<br />
105. Die Beschränkung liegt einzig – aber immerhin – darin, dass auf dem ausgeschiedenen<br />
Bereich nach Massgabe von Art. 41c GSchV nur sehr beschränkt bauliche Massnahmen<br />
und landwirtschaftliche Nutzungen zulässig sind, und sie manifestiert sich erst dann,<br />
wenn nicht Ausnahmen (etwa im dicht überbauten Gebiet) erteilt werden können. Von<br />
materieller Enteignung kann in der Regel also erst die Rede sein, wenn ein Baugrundstück<br />
durch den Gewässerraum besonders belastet wird, d.h. vollständig oder zum<br />
grössten Teil innerhalb dieses Raums liegt oder durch diesen derart zerschnitten wird,<br />
dass darauf nicht mehr oder nicht mehr wirtschaftlich gebaut werden kann (vgl. BGE 95<br />
I 461; 110 Ib 359 S. 362). Dazu Näheres im folgenden Abschnitt. Nur in einem solchen<br />
Fall bewirkt bereits der Gewässerraum eine Entschädigungspflicht; ein konkretes Projekt<br />
oder auch nur ein Vorprojekt für eine bauliche Massnahme, welche der Gewässerraum<br />
sichert, muss nicht vorliegen.<br />
Gewässerraum mit faktischer Ausnützungseinbusse<br />
106. Der Gewässerraum liesse sich grundsätzlich auch mit einer Freihaltezone sichern (vgl.<br />
§§ 39 und 61 PBG). Das würde aber, in Widerspruch zu § 15 f. HWSchV und zu § 259<br />
PBG gemäss § 94 E-WsG zu einer Reduktion der zur Ausnützung massgeblichen<br />
Grundfläche und damit zu einer Reduktion der zulässigen Geschossfläche führen (§ 259<br />
PBG). Wie erwähnt, ist solches für die Festlegung des Gewässerraums nicht vorgesehen.<br />
107. Nun ist aber auch denkbar, dass etwa eine Gewässerabstandslinie oder eine andere<br />
Festlegung des Gewässerraums im Ergebnis zum selben Resultat führt, indem sich der<br />
ausserhalb der Grenzlinie verbleibende Parzellenteil nicht mehr entsprechend der Bauund<br />
Zonenordnung nutzen lässt bzw. das nach Zonenordnung zulässige Ausnützungsmass<br />
gar nicht realisierbar ist. Es handelt sich in diesen Fällen um eine horizontale Abzonung<br />
(durch Reduktion der überbaubaren Fläche), im Unterschied zur vertikalen Abzonung<br />
(durch Herabsetzung der Ausnützungsziffer oder Reduktion der zulässigen Anzahl<br />
Geschosse; vgl. HÄNNI, S. 598 f.). Bei beiden Arten von Abzonungen (vertikalen<br />
oder horizontalen) sind für die Beantwortung der Frage, ob ein enteignungsgleicher Eingriff<br />
vorliegt, die Auswirkungen des Verbots auf die ganze Liegenschaft (oder einer einheitlichen<br />
Mehrheit von solchen) zu beurteilen (ZBl 1997/98 S. 182). Es wurde dies bereits<br />
ausgeführt. Zu beurteilen ist also, welche Werteinbusse die Baubeschränkung auf<br />
das Areal hat.<br />
108. Dabei ist nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht allein die prozentuale<br />
Wertverminderung massgebend, sondern es wird darauf abgestellt, ob auf der betroffenen<br />
Parzelle eine bestimmungsgemässe, wirtschaftlich gute Nutzung weiterhin möglich<br />
bleibt (ZBl 1997/98, S. 368 ff.; VR 2011.00001 und 2011.00004; HÄFELIN/MÜLLER/
42 | 52<br />
UHLMANN, Rz. 2188, auch zum Folgenden; FRITZSCHE/BÖSCH/WIPF, S. 242;). Als<br />
wirtschaftlich sinnvoll werden dabei allgemein solche Nutzungen erachtet, die sich am<br />
bisherigen Zustand orientieren; auf eine Rendite, wie sie bei bestmöglicher Verwertung<br />
des Eigentums unter dem alten Rechtszustand möglich gewesen wäre, kommt es nicht<br />
an (RIVA, S. 284). Auch lehnt es das Bundesgericht in konstanter Praxis ab, eine materielle<br />
Enteignung ab einer bestimmten prozentualen Verminderung des Verkehrswerts zu<br />
bejahen (VR.2011.00001; WALDMANN/HÄNNI, Art. 5 N. 63; Enrico RIVA, S. 274 f.;<br />
KUTTLER, S. 197).<br />
109. Im Allgemeinen erreichen Beschränkungen der realisierbaren Ausnützung nicht die Intensität<br />
eines enteignungsgleichen Eingriffs (VR.2011.00001 E. 4.1). Einzelheiten ergeben<br />
sich aus den folgenden Beispielen:<br />
- Keine materielle Enteignung bedeutet nach einer „Faustregel“ des Bundesgerichts<br />
ein Bauverbot, das nur den dritten Teil eines Grundstücks trifft (ZBl 1997/98, S. 368<br />
ff.). So hat das Bundesgericht (BGE 112 Ib 507) weder in der Auszonung eines Viertels<br />
einer Parzelle, noch darin, dass ein Grundstück zu einem Drittel mit einem Bauverbot<br />
belegt worden ist, einen enteignungsgleichen Tatbestand erblickt. Es gelangte<br />
zum Schluss, dass der Eigentümer seine Parzelle auch nach dem Eingriff in angemessener,<br />
wirtschaftlich sinnvoller Weise nutzen könne (vgl. auch etwa ZBl 1984/85,<br />
S. 366 E. 2b; BGE 93 I 338 E. 7). Das Bundesgericht sah auch in der Reduktion der<br />
Ausnützungsziffer von 0,8 auf 0,6 (BGE 114 Ib 112, Trimmis GR) oder von 0,25 auf<br />
0,07 (ZBl 1985/86 S. 211) keinen entschädigungspflichtigen Sachverhalt.<br />
- In einem andern Fall (vgl. den bereits erwähnten BGE 110 Ib 359 ff.) hatten die vom<br />
Bundesgericht bestellten Experten anhand einer Plan-Skizze dargelegt, dass das<br />
Restgrundstück ohne Weiteres noch wirtschaftlich und planerisch sinnvoll überbaut<br />
werden kann, und zwar derart, dass die für die betreffende Bauzone zulässige Ausnützung<br />
(AZ 0,6) unter Berücksichtigung der geltenden Gebäude- und Grenzabstände<br />
erreicht wird. Die zur Diskussion gestandene Baulinie hatte einzig zur Folge, dass<br />
die Bewegungsfreiheit bei der Anordnung der Bauten etwas eingeschränkt wird. Eine<br />
Entschädigung wurde nicht zugesprochen.<br />
- Analog argumentierte das Bundesgericht in BGE 93 I 343, unter Bezugnahme auf<br />
ein unveröffentlichtes Urteil vom 26. Januar 1966: In jenem Fall berührte die Baulinie<br />
das bereits auf dem Grundstück stehende Wohnhaus nicht, sodass dem Beschwerdeführer<br />
nicht nur der wichtigste Gebrauch des Grundstücks, das Bewohnen des<br />
Hauses, erhalten blieb, sondern auch ein allfälliger Um- oder Ausbau des Hauses<br />
möglich war. Mit dem Baubann belegt war nur etwas mehr als ein Drittel des Grundstücks,<br />
und dieses Land konnte wie bisher weiter als Garten verwendet werden;
43 | 52<br />
ausgeschlossen war nur die Überbauung. Einen derart nach seinem Inhalt und Umfang<br />
beschränkten Eingriff muss sich ein Grundeigentümer selbst dann ohne Entschädigung<br />
gefallen lassen, wenn er definitiv ist, d.h. wenn die Baulinie in Kraft tritt<br />
und auf unbestimmte Zeit gilt.<br />
- Auch in BGE 97 I 632 ff., wo eine Reduktion des baulichen Nutzungsmasses auf einen<br />
Drittel und eine geschätzte Wertverminderung von 20 % eingetreten war, wurde<br />
keine materielle Enteignung angenommen. Die den Eigentümern verbleibenden Eigentumsbefugnisse<br />
erschienen dem Bundesgericht immer noch als ausreichend.<br />
Denn die Eigentümer könnten aus ihrem Land weiterhin einen beachtlichen wirtschaftlichen<br />
Nutzen ziehen.<br />
Das Bundesgericht präzisierte später, das letztgenannte Urteil sei nicht so zu verstehen,<br />
dass im Sinne einer allgemeinen Richtlinie oder gar eines absoluten Grenzwerts bestimmt<br />
worden wäre, der Ansatz von 20 % Wertverminderung sei entscheidend für die<br />
Frage, ob eine materielle Enteignung vorliege oder nicht (BGE 111 Ib 257 E. 4a).<br />
110. Für die Beurteilung der Eingriffsintensität ist im Einzelfall zu prüfen, welche Bezugsgrössen<br />
die Intensität des Eingriffs am plausibelsten aufzuzeigen vermögen. So hat das Verwaltungsgericht<br />
am 20. August 2009 auf eine Nutzflächenberechnung bezogen auf einzelne<br />
Gebäude abgestellt (VR.2008.00001, E. 6.3.7; vom Bundesgericht diesbezüglich<br />
bestätigt, Urteil 1C_487/2009 vom 10. August 2010, E.6). Die Berücksichtigung des Baulandverlusts<br />
kann insbesondere bei nicht überbautem Land – mangels anderer Anknüpfungspunkte<br />
– massgebender Indikator für die Beurteilung der Schwere des Eingriffs und<br />
der damit einhergehenden wirtschaftlichen Einbusse sein. Ist das Land demgegenüber<br />
bereits teilweise überbaut und wäre auf dem nun dem Gewässerraum zugewiesenen Bereich<br />
eine weitere bauliche Nutzung möglich gewesen, liegt es auf der Hand, dass der<br />
Baulandverlust – im Gegensatz zur anrechenbaren Geschossfläche – kein zuverlässiger<br />
Indikator hinsichtlich der Schwere des Eingriffs ist. Es erweist sich dann als korrekt,<br />
wenn die bestehende anrechenbare Geschossfläche des Grundstücks zuzüglich der vor<br />
Festsetzung der Freihaltezone noch möglichen mit der Situation nach dem Stichtag verglichen<br />
und der entsprechende Ausnützungsverlust zum Massstab genommen wird<br />
(VR.2011.00004).<br />
111. In Anlehnung an die bundesgerichtliche Praxis hat das Zürcher Verwaltungsgericht im<br />
Fall von Auszonungen am Zürcher Burghölzlihügel einen Bauland- bzw. Ausnützungsverlust<br />
von 40 % als entschädigungspflichtig erklärt (RB 1997 Nr. 118). Sodann hat das<br />
Gericht in einer Kernzone einen Ausnützungsverlust von 35-45 % als entschädigungspflichtig<br />
erkannt (VR.2000.0001). In einem andern Fall, wo es um die Reduktion der Baumasse<br />
ging, lagen die Verhältnisse wie folgt: Die tiefere Baumassenziffer führte zu ei-
44 | 52<br />
nem Baumassenverlust von lediglich 15,8 % bzw. zu einem Nutzflächenverlust von nur<br />
gerade 16 %. Darüber hinaus konnte mit dem Erstellen der weiterhin zulässigen Terrassenwohnungen<br />
gemäss eigener Darstellung der Rekurrierenden eine Rendite von immerhin<br />
noch 34,47 % erzielt werden. Damit war eine bestimmungsgemässe, wirtschaftlich<br />
sinnvolle und gute Nutzung der Liegenschaft ohne Weiteres auch bei einer Baumassenziffer<br />
von 1,6 m 3 /m 2 möglich (VR.2011.00001, bestätigt mit Urteil BGer.,<br />
1C_349/2011 vom 9. Januar 2012, teilweise wiedergegeben in PBG aktuell 2012/2<br />
S. 16; Gemeinde Stäfa).<br />
112. Daher ist ein grundsätzlicher Unterschied zu jenen Teilbauverboten gegeben, die nicht in<br />
Form von Plänen festgelegt werden, sondern mit unmittelbarer Wirkung für alle Grundstücke<br />
gelten, wie etwa die gesetzlichen Grenz-, Gebäude-, Strassen- und Waldabstandsvorschriften,<br />
und die als Inhaltsbestimmungen des Eigentums grundsätzlich entschädigungslos<br />
hinzunehmen sind (vgl. zu diesen Abständen BGE 96 I 123; RIVA,<br />
Kommentar RPG, Art. 5 Rz. 169 Fn 221). Somit gilt für einen allenfalls mit festen Masszahlen<br />
umschriebenen Gewässerraum nichts anderes als für entsprechende planerische<br />
Festlegungen.<br />
Fazit<br />
113. Wird die bauliche Grundstücksnutzung durch die Festlegung eines Gewässerraums eingeschränkt,<br />
so wird darauf abgestellt, ob auf der betroffenen Parzelle eine bestimmungsgemässe,<br />
wirtschaftlich gute Nutzung weiterhin möglich bleibt. Feste Masszahlen für die<br />
entschädigungsauslösende Nutzungseinbusse hat das Bundesgericht in seiner Rechtsprechung<br />
stets abgelehnt, sodass im Einzelfall zu entscheiden ist, wobei die vorn erwähnten<br />
Präjudizien immerhin gewisse Anhaltspunkte liefern. Im Einzelfall ergibt sich<br />
ebenso, welche Bezugsgrössen die Intensität des Eingriffs am plausibelsten aufzuzeigen<br />
vermögen. Bei unüberbauten Grundstücken wird mangels sinnvoller anderer Anknüpfungspunkte<br />
auf den Baulandverlust abzustellen sein, bei mindestens teilweise überbauten<br />
Grundstücke eher auf den Verlust an nutzbarer Geschossfläche (Nutzungseinbusse).<br />
C. Vollständige Unüberbaubarkeit eines Baugrundstücks<br />
Notwendige Gesamtbetrachtung<br />
114. Hier sind die Fälle zu beurteilen, bei denen der Gewässerraum zu einer vollständigen<br />
Unüberbaubarkeit führt, d.h. ein in der Bauzone gelegenes Grundstück (oder eine zusammenhängende<br />
Mehrheit davon) als Folge des Gewässerraums (unabhängig der Art<br />
seiner Festsetzung) nicht mehr baulich nutzbar ist. Hier ist davon auszugehen, dass der
45 | 52<br />
Wert des Eigentums nicht nur vom Gebrauch abhängt, den man davon bereits macht;<br />
wertvermindernd sind auch jene Nutzungsmöglichkeiten, die im Eigentum vorläufig nur<br />
schlummern, aber in naher Zukunft verwirklicht werden könnten. Eigentumsbeschränkungen<br />
treffen als Folge der Bestandesgarantie kaum je den gegenwärtigen Gebrauch,<br />
sondern heben in der Regel einen Teil der künftigen Verwendungsmöglichkeiten<br />
auf (RIVA, Kommentar RPG, Art. 5 Rz. 131).<br />
115. Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung muss die vom Grundeigentümer behauptete<br />
bessere Nutzung tatsächlich und rechtlich möglich gewesen sein (BGE 118<br />
Ib 38, 41). Dies wird im Allgemeinen angenommen, wenn es um erschlossenes und nach<br />
der betreffenden Nutzungsplanung sofort überbaubares Land geht (vgl. etwa BGE 131<br />
II 72; VALLENDER, Kommentar BV, Art. 26 N 70). Es bedarf dies einer Gesamtbetrachtung<br />
der Überbauungsmöglichkeiten vor und nach der eigentumsbeschränkenden Massnahme<br />
(vgl. dazu etwa ZBl 1997/98, S. 370).<br />
Massgebende Gesichtspunkte<br />
116. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Grundstück sehr wahrscheinlich in naher Zukunft<br />
besser hätte genutzt werden können, sind nach der Rechtsprechung alle rechtlichen und<br />
tatsächlichen Gegebenheiten zu berücksichtigen, welche die Überbauungschance beeinflussen<br />
können. Dazu gehören das im fraglichen Zeitpunkt geltende Bundesrecht sowie<br />
die kantonalen und kommunalen Bauvorschriften, der Stand der kommunalen und kantonalen<br />
Planung, die Lage und Beschaffenheit des Grundstücks, die Erschliessungsverhältnisse<br />
und die bauliche Entwicklung in der Umgebung. Diese verschiedenen Faktoren<br />
sind zu gewichten. Dabei ist in erster Linie auf die rechtlichen Gegebenheiten abzustellen.<br />
Nur wo das Bauen rechtlich zulässig, tatsachlich möglich sowie nach den Umstanden<br />
mit hoher Wahrscheinlichkeit in naher Zukunft zu erwarten gewesen wäre, wird<br />
eine Entschädigungspflicht ausgelöst.<br />
117. Entsprechend diesen Vorgaben muss also das Grundstück sofort überbaubar sein. Als<br />
Gründe, die gegen die Überbauung eines Grundstückes in naher Zukunft sprechen,<br />
nannte das Bundesgericht beispielsweise das Erfordernis einer Ausnahmebewilligung,<br />
einer Änderung in der Zonenplanung, eines Erschliessungs-, Quartier- oder Gestaltungsplans<br />
(BGE 113 Ib 133 ff.) oder weit gehender Erschliessungsarbeiten (BGE 112 Ib 109;<br />
109 Ib 13 f.; Fritzsche/Bösch/Wipf, S. 240). Auch bei einem Grundstück, das weitgehend<br />
im Waldabstandsbereich liegt, ist in absehbarer Zeit nicht mit einer Überbauung zu rechnen<br />
(VR.2001.00003). Subjektive Kriterien wie namentlich die Bauabsichten des Grundeigentümers<br />
spielen grundsätzlich keine Rolle (HÄFELIN/MÜLLER/UHLMANN, N 2182<br />
mit Hinweisen auf Entscheide des Bundesgerichts).
46 | 52<br />
118. Zur Erschliessung gehören die in § 236 Abs. 1 PBG genannten Elemente, nämlich die<br />
genügende Zufahrt, die Wasser- und Energieversorgung sowie die einwandfreie Behandlung<br />
von Abwassern, Abfällen und Altlasten. Zu beantworten ist also die Frage, ob<br />
der betroffene Grundeigentümer am Stichtag in der Lage war, das Grundstück in rechtlicher<br />
und tatsächlicher Hinsicht aus eigener Kraft zu erschliessen bzw. ob eine solche<br />
Erschliessung nach § 321 PBG mit Nebenbestimmungen zu einer Baubewilligung hätte<br />
gesichert werden können (VB.2005. 00005). Für den Fall, dass diese Frage zu bejahen<br />
ist, muss auch die objektive Realisierungswahrscheinlichkeit einer solchen Überbauung<br />
beurteilt werden, unter Berücksichtigung der Nachfrage nach Bauland in der entsprechenden<br />
Zone (vgl. Urteil BGer. 1A.263/2004 vom 24. Oktober 2005).<br />
119. Die fehlende Erschliessung führt allerdings ausnahmsweise zu keiner Verweigerung der<br />
Entschädigung, wenn eine Gemeinde ihrer Erschliessungspflicht (vgl. Art. 19 Abs. 2 und<br />
3 RPG) nicht nachkommt, obwohl sie selber das Grundstück einer bundesrechtskonformen<br />
Bauzone zugeteilt hat. Verhält es sich so, kann einem Grundeigentümer die fehlende<br />
Realisierungswahrscheinlichkeit nicht vorgeworfen werden (BGE 131 II 72;<br />
FRITZSCHE/BÖSCH/WIPF, S. 239 f.).<br />
120. In planerischer Hinsicht kann wie erwähnt etwa eine Quartierplanpflicht der Möglichkeit<br />
entgegenstehen, ein für sich allein betrachtet erschlossenes Grundstück in naher Zukunft<br />
aus eigener Kraft zu überbauen. Dabei ist aber in jedem Einzelfall anhand der konkreten<br />
Umstände zu prüfen, ob die Pflicht zu Erarbeitung eines Quartierplanes als rechtliches<br />
Hindernis angesehen werden muss, welches die Überbauung in naher Zukunft<br />
ausschliesst (vgl. VR.2003.00002). So kennt die Praxis Fälle, in denen die Realisierungswahrscheinlichkeit<br />
trotz einem hängigen Quartierplanverfahren bejaht wurde (vgl.<br />
etwa BGE 131 II 151; WALDMANN/HÄNNI, Art. 5 N 43).<br />
Fazit<br />
121. Soweit nicht ohnehin eine Entschädigungspflicht entfällt (vorn Ziffer 93 ff.) gilt zusammenfassend:<br />
Führt die Festlegung des Gewässerraums dazu, dass ein Grundstück (oder<br />
mehrere, eine planerische Einheit bildende Grundstücke desselben Eigentümers) unüberbaubar<br />
wird (bzw. werden), ist eine materielle Enteignung und damit eine Entschädigungspflicht<br />
anzunehmen, wenn eine Überbauung in naher Zukunft faktisch und rechtlich<br />
möglich gewesen wäre. Das Fehlen einer Erschliessung oder die Notwendigkeit eines<br />
Quartierplanes kann die Annahme der Überbaubarkeit in naher Zukunft zerstören.
47 | 52<br />
D. Beschränkung der landwirtschaftlichen Nutzung<br />
122. Nun ist noch zu klären, ob die Festlegung des Gewässerraumes zur Entschädigungsfolge<br />
führt, wenn (ausserhalb der Bauzone) ein ausschliesslich landwirtschaftlich genutztes<br />
und nutzbares Grundstück oder eine Mehrheit solcher Grundstücke von der Festsetzung<br />
eines Gewässerraums betroffen ist. Dabei ist zwischen eingedolten und nicht eingedolten<br />
Gewässern zu unterscheiden.<br />
Bei eingedolten Gewässern<br />
123. Unter Vorbehalt von überwiegenden entgegenstehenden Interessen können die Kantone<br />
auf die Ausscheidung des Gewässerraums bei eingedolten Gewässern verzichten, da<br />
ohne ein konkretes Projekt in vielen Fällen unklar ist, wo der Gewässerlauf bei einer allfälligen<br />
zukünftigen Ausdolung angelegt wird. Überwiegende Interessen, die eine Festlegung<br />
des Gewässerraums bei eingedolten Gewässern erfordern, sind insbesondere Interessen<br />
des Hochwasserschutzes sowie der Schutz vor Verbauung mit im Gewässerraum<br />
unzulässigen Anlagen (dazu zählen auch landwirtschaftliche Güterwege). Die Möglichkeit,<br />
auf die Festlegung des Gewässerraums bei eingedolten Gewässern zu verzichten,<br />
ändert nichts am grundsätzlichen Verbot von Eindolungen und Überdeckungen und den<br />
Voraussetzungen, unter denen solche ausnahmsweise bewilligt werden können (Art. 38<br />
GSchG; BAFU, ERLÄUTENDER BERICHT, S. 12).<br />
124. Art. 41c Abs. 3 und 4 GSchV, welche einschränkende Vorschriften über die landwirtschaftliche<br />
Nutzung von Grundstücken im Gewässerraum enthalten, gelten im Bereich<br />
eingedolter Gewässer nicht. Dies hält Art. 41c Abs. 6 lit. b GSchV ausdrücklich fest.<br />
Nach Art. 36a Abs. 3 Satz 1 GSchG haben zwar die Kantone dafür zu sorgen, dass der<br />
Gewässerraum extensiv gestaltet und bewirtschaftet wird. Indessen war es dem Bundesrat<br />
nicht verwehrt, eine Differenzierung vorzunehmen zwischen dem Gewässerraum offener<br />
Gewässer, wo einzig die extensive Gestaltung und Bewirtschaftung zugelassen ist,<br />
und dem Gewässerraum eingedolter Gewässer, wo diese Einschränkung nicht gilt. Die<br />
landwirtschaftlichen Nutzungsbeschränkungen gelten demnach nur im Gewässerraum<br />
offener Oberflächengewässer. § 15d Abs. 3 HWSchV bewirkt somit keine Beschränkung<br />
der landwirtschaftlichen Nutzung von Grundstücken im Bereich eingedolter Gewässer<br />
(AN.2012.00001, E. 4.3).<br />
Insoweit stellt sich die Frage der materiellen Enteignung von vornherein nicht. Aber auch<br />
bei offenen Gewässern kann von einer solchen nicht die Rede sein:
48 | 52<br />
Bei offenen Gewässern<br />
125. Art. 41c GSchV regelt in den Absätzen 3 und 4 die landwirtschaftliche Bewirtschaftung<br />
des Gewässerraums. Danach dürfen im Gewässerraum kein Dünger und keine Pflanzenschutzmittel<br />
ausgebracht werden, wobei Einzelstockbehandlungen von Problempflanzen<br />
ausserhalb eines 3 m breiten Streifens entlang des Gewässers vom Verbot<br />
ausgenommen sind. Der Gewässerraum darf landwirtschaftlich genutzt werden, sofern<br />
er gemäss den Anforderungen der DZV als Streuefläche, Hecke, Feld- und Ufergehölz,<br />
extensiv genutzte Wiese, extensiv genutzte Weide oder Waldweide bewirtschaftet wird.<br />
126. Die landwirtschaftliche Nutzung entlang von offenen Gewässern ist bereits durch die allgemeinen<br />
Sorgfaltspflichten des GSchG und die spezifischen Anforderungen dieses Gesetzes<br />
an die Landwirtschaft sowie die Abstandsvorschriften für die Verwendung von<br />
Düngern und Pflanzenschutzmitteln der ChemRRV und durch Art. 21 NHG (Schutz der<br />
Ufervegetation) eingeschränkt, was die zusätzlich durch den Gewässerraum bewirkten<br />
Erschwernisse relativiert. Im Übrigen gelten die genutzten Flächen des Gewässerraums<br />
als ökologische Ausgleichsflächen (Art. 68 Abs. 5 GSchG), für welche Beiträge nach<br />
Art. 40 ff. DZV gewährt werden (RRB Nr. 420/2012). Aus diesem Grunde wurde das<br />
landwirtschaftliche Bundesbudget um 20 Millionen Franken aufgestockt, da die extensive<br />
Bewirtschaftungsform zu einem Mehraufwand an Direktzahlungen an die Landwirte führt<br />
(vgl. VLP-ASPAN, INFORAUM, März Nr. 2/12, S. 6).<br />
127. Damit werden die sich aus der Nutzungsbeschränkung ergebenden Nachteile weitgehend<br />
abgegolten. Es ist sodann darauf hinzuweisen, dass sich meist alternative Nutzungsformen<br />
finden lassen und von materieller Enteignung auch deshalb nicht gesprochen<br />
werden kann (vgl. BGE 106 Ib 335; RIVA, Kommentar RPG, Art. 5 Rz. 172;<br />
WALDMANN/HÄNNI, Art. 5 N 72). Auch ist im Normalfall ein landwirtschaftliches Grundstück<br />
oder ein landwirtschaftlicher Betrieb wesentlich grösser als die durch den Gewässerraum<br />
beanspruchte und in der Nutzung beschränkte Fläche. Daher verbleibt dem Eigentümer,<br />
vielleicht von extremen Einzelfällen abgesehen, trotz Gewässerraum stets eine<br />
wirtschaftlich vertretbare landwirtschaftliche Nutzung. Von einer besonders starken<br />
Einschränkung oder von einem Sonderopfer im Sinne der Rechtsprechung zur materiellen<br />
Enteignung kann im Normalfall nicht die Rede sein. Dies auch dann nicht, wenn für<br />
die Milchwirtschaft im Unterschied zum Ackerbau eine zusätzliche Beschränkung erfolgen<br />
sollte, indem das Vieh nicht im Gewässerraum weiden darf.<br />
128. Auch bauliche Nutzungen ausserhalb der Bauzone erreichen in der Regel die Schwelle<br />
des enteignungsgleichen Eingriffes nicht. Dies gilt nicht nur für die Errichtung zonenwidriger<br />
Anlagen, sondern auch für die Erstellung von landwirtschaftlichen Wohn- und Öko-
49 | 52<br />
nomiegebäuden, da die Bauherrschaft sehr oft über alternative Standorte verfügt<br />
(WALDMANN/HÄNNI, Art. 5 N 71).<br />
VII. Hinweise zur Höhe der Entschädigung<br />
A. Anspruch auf volle Entschädigung<br />
129. Eigentumsbeschränkungen, die einer Enteignung gleichkommen, geben Anspruch auf<br />
volle Entschädigung. Dies hat zwar der Gesetzgeber im Unterschied zur formellen Enteignung<br />
nicht ausdrücklich festgeschrieben. Die Praxis wendet allerdings die für die formelle<br />
Enteignung geltenden Regeln auch auf Fälle materieller Enteignung an, soweit eine<br />
für beide Rechtsinstitute vergleichbare Fragestellung vorliegt. Volle Entschädigung<br />
bedeutet, dass der Anspruchsberechtigte vermögensmässig so zu stellen ist, wie wenn<br />
der enteignungsgleiche Eingriff unterblieben wäre. Zu entschädigen ist demzufolge der<br />
Minderwert der betroffenen Eigentumsposition. Nach dem „Alles-oder-nichts-Prinzip“ ist<br />
eine Entschädigung nur geschuldet, wenn eine materielle Enteignung vorliegt. Erreicht<br />
der Eigentumseingriff nicht die Intensität einer materiellen Enteignung, so ist nicht eine<br />
reduzierte Entschädigung, sondern gar keine geschuldet (FRITZSCHE/BÖSCH/WIPF,<br />
S. 251). Zu entschädigen sind ferner die Inkonvenienzen, also jene vermögenswerten<br />
Nachteile, die der Eigentümer oder die Eigentümerin neben dem Minderwert erleidet<br />
(RIVA, Kommentar RPG, Art. 5 Rz 185 ff.).<br />
130. Der Minderwert ist die Differenz der Verkehrswerte, welche die betroffenen Grundstücke<br />
ohne den planerischen Eingriff (also im hier gegebenen Zusammenhang ohne die Festlegung<br />
des Gewässerraums) und mit ihm erleidet (BGE 102 Ib 273). Bei landwirtschaftlichen<br />
Grundstücken, die dem BGBB unterstehen (Art. 2 BGBB), richtet sich die Entschädigung<br />
nach dem landwirtschaftlichen Ertragswert.<br />
B. Berechnungsmethoden<br />
Verkehrswert<br />
131. Der Verkehrswert ist der Preis, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für das Objekt<br />
(am Stichtag) mutmasslich hätte erzielt werden können (FRITZSCHE/BÖSCH/WIPF,<br />
S. 251, auch zum Folgenden). Die Verkehrswertschätzung von Grundstücken bedient<br />
sich – wenn möglich – der Vergleichsmethode. Diese leitet den massgebenden Landwert<br />
aus tatsächlich bezahlten Preisen für möglichst nahe gelegene, ähnliche und zur Zeit<br />
des Stichtags gehandelte Grundstücke ab (BEZ 2006 Nr. 35). Sind in einer Gemeinde
50 | 52<br />
nicht genügend Vergleichspreise verfügbar, so sind Preise von vergleichbaren Liegenschaften<br />
in Nachbargemeinden beizuziehen (ZBl 1998, S. 141 f.). Nur wenn keine Vergleichspreise<br />
vorliegen, kann die Entschädigung auf Grund der Lage und Erschliessung<br />
frei bestimmt werden (BGE 114 Ib 295 f.).<br />
Landwirtschaftlicher Ertragswert<br />
132. Als landwirtschaftlicher Ertragswert gilt das Kapital, für das der Zins (Landgutsrente),<br />
zum mittleren Satz für erste Hypotheken, bei landesüblicher Bewirtschaftung im Mittel<br />
mehrerer Jahre aus dem landwirtschaftlichen Gewerbe oder Grundstück erzielt werden<br />
kann (Art. 1 Abs. 1 VBB). Art. 2 Abs. 1 VBB verweist auf die „Anleitung für die Schätzung<br />
des landwirtschaftlichen Ertragswertes“ im Anhang 1 zur VBB (nicht in der amtlichen<br />
Sammlung). Die in dieser Anleitung des Bundesrates vom 26. November 2003, in Kraft<br />
seit 1. Februar 2004, enthaltenen Normen und Ansätze sind für die Schätzungsbehörden<br />
und Schätzungsexperten verbindlich (Art. 2 Abs. 2 VBB). Gemäss der Anleitung werden<br />
die einzelnen Betriebsbestandteile (Land, Gebäude, Wald etc.) separat bewertet. Den<br />
einzelnen Ertragswertansätzen sind Buchhaltungsergebnisse sowie eine Prognose und<br />
eine Trendschätzung zugrunde gelegt. Die Ertragswertansätze sind zudem je nach Verkehrslage<br />
von Wohnhaus und Betrieb (Ökonomiegebäude, Boden) abgestuft. Bei den<br />
Betrieben des produzierenden Gartenbaus, den Obst- und Beerenproduktionsbetrieben,<br />
den Gemüsebaubetrieben sowie den Sömmerungsbetrieben wird für die Bewertung der<br />
Spezialgebäude anstelle der Verkehrslage das Absatzpotential beurteilt.<br />
C. Weitere Fragen<br />
Bemessungszeitpunkt<br />
133. Die Entschädigung bemisst sich nach dem Minderwert, wie er im Zeitpunkt des Inkrafttretens<br />
der Planung entstanden ist (BGE 93 I 130 E. 7; vgl. ausdrücklich § 183 bis Abs. 3<br />
EG ZGB). Beurteilungszeitpunkt (entscheidend für die Frage, ob eine materielle Enteignung<br />
vorliegt) und Bemessungszeitpunkt (dies aestimandi) fallen also zusammen. Um<br />
den Anspruch auf volle Entschädigung auch in Zeiten zu gewährleisten, da die Landpreise<br />
erheblich steigen, ist allenfalls ein Ausgleich geboten, wenn das Gemeinwesen den<br />
Entschädigungsanspruch bestreitet und das Gerichtsverfahren lange dauert (RIVA,<br />
Kommentar RPG, Art. 5 Rz. 195 und Fn 272).
51 | 52<br />
Gläubiger und Schuldner<br />
134. Der Entschädigungsanspruch steht dem jeweiligen Eigentümer oder der Eigentümerin<br />
von Grundstücken zu, die von einer enteignungsgleichen Massnahme betroffen sind.<br />
Wird das Eigentum übertragen und ist eine Entschädigung noch nicht geltend gemacht<br />
bzw. bezahlt worden, geht der Anspruch, auch ohne ausdrückliche Abtretung, auf den<br />
neuen Eigentümer über. Weil über den Entschädigungsanspruch frei verfügt werden<br />
kann, können die Parteien auch vereinbaren, dass der Entschädigungsanspruch beim<br />
Veräusserer verbleibt und von diesem geltend gemacht wird (RIVA, Kommentar RPG,<br />
Art. 5, Rz 196).<br />
135. Wie bereits ausgeführt, bewirken die vom Bundesrat erlassenen Schranken gemäss den<br />
Übergangsbestimmungen zur GSchV (Uferstreifen) keine Entschädigungspflicht des<br />
Bundes aus materieller Enteignung. Somit ist die Frage nach dem Schuldner ausschliesslich<br />
bezüglich des Gewässerraums zu beantworten, den die Kantone nach Anhörung<br />
der betroffenen Kreise festzulegen haben.<br />
136. Schuldner einer Entschädigung aus materieller Enteignung ist dasjenige Gemeinwesen,<br />
das die Nutzungsbeschränkung eigentümerverbindlich anordnet, d. h. das für die Planung<br />
zuständige Gemeinwesen, und zwar ungeachtet der Tatsache, dass sich der Planungsauftrag<br />
aus Bundesrecht ergibt (WALDMANN/HÄNNI, Art. 5 N 92). Denn die Kantone<br />
legen ja erst die Begrenzung der überbaubaren Fläche fest, aus welcher sich allenfalls<br />
eine Entschädigungsfolge ergibt (vgl. BGE 105 Ia 338 f. E. 3 e).<br />
137. Dies bedeutet für den Gewässerraum, dass eine allfällige Entschädigungspflicht die Kantone<br />
trifft. Zwar enthält das Bundesrecht hinsichtlich der Breite des Gewässerraums Vorgaben<br />
im Sinne von Minimalanforderungen (Art. 41a und 41b GSchV) und legt abschliessend<br />
fest, welche Bauten und Anlagen im Gewässerraum zulässig sind (Art. 41c).<br />
Das ändert jedoch nichts am Umstand, dass die Festlegung des Gewässerraums (und<br />
damit die eigentumsbeschränkende planerische Massnahme) durch die Kantone erfolgt.<br />
Erst durch diese planerische Umsetzung erfährt der Gewässerraum seine Begrenzung.<br />
Damit ergibt sich ein Unterschied zu den Mooren und Moorlandschaften gesamtschweizerischer<br />
Bedeutung, die nach Art. 78 Abs. 5 BV bundesrechtlichen Schutz geniessen.<br />
Diese Verfassungsbestimmung ist grundsätzlich unmittelbar eigentümerverbindlich. Sie<br />
wird durch Art. 18a Abs. 1 in Verbindung mit Art. 23a NHG konkretisiert, wonach der<br />
Bundesrat die Biotope von nationaler Bedeutung bezeichnet. Er bestimmt die Lage dieser<br />
Biotope und legt die Schutzziele fest. Gemäss Art. 23c Abs. 2 NHG sorgen die Kantone<br />
für die Konkretisierung und Durchsetzung der Schutzziele. Damit können allfällige<br />
kantonale und kommunale Planungsmassnahmen nur konkretisieren, was sich bereits<br />
aus der Verfassung ergibt (WALDMANN/HÄNNI, Art. 5 N 92).
52 | 52<br />
138. Da im Kanton Zürich die Festlegung des Gewässerraums durch den Kanton selbst erfolgen<br />
soll, verbleibt die allfällige Entschädigungspflicht bei ihm. Wären dagegen die Gemeinden<br />
für die Festlegung des Gewässerraums zuständig, hätten sie trotz der in diesem<br />
Fall unverzichtbaren kantonalen Genehmigungspflicht die Kosten allfälliger Entschädigungen<br />
zu übernehmen.<br />
Fristen und Verjährung<br />
139. Der Betroffene hat seine Ansprüche innert zehn Jahren seit dem Inkrafttreten der Eigentumsbeschränkung<br />
dem Gemeinwesen schriftlich anzumelden (Art. 183 ter Abs. 1 EG<br />
ZGB). Die Erklärung muss unverständlich zum Ausdruck bringen, dass eine Vergütung<br />
für den planerischen Eingriff verlangt wird. Werden die Ansprüche ganz oder teilweise<br />
bestritten, so hat das Gemeinwesen das in den §§ 32 ff. des Gesetzes über die Abtretung<br />
von Privatrechten vorgesehene Verfahren einzuleiten (vgl. dazu FRITZSCHE/<br />
BÖSCH/WIPF, S. 247 ff.). Nach § 183 ter Abs. 3 EG ZGB ist das Gemeinwesen auch von<br />
sich aus jederzeit berechtigt, das Nichtbestehen einer Entschädigungspflicht oder die<br />
Höhe der Entschädigung von sich aus feststellen zu lassen. Die Entschädigung wird zum<br />
jeweiligen Zinsfuss der Zürcher Kantonalbank für bestehende erste Hypotheken auf<br />
Wohnliegenschaften von dem Zeitpunkt an verzinst, in dem der Berechtigte sie geltend<br />
macht (§ 183 bis Abs. 3 EG ZGB).<br />
140. Hat das Gemeinwesen Entschädigungen geleistet, können diese innert fünf Jahren nach<br />
ihrer Ausrichtung ganz oder teilweise zurückverlangt werden, wenn die Eigentumsbeschränkung<br />
nachträglich wesentlich gemildert oder beseitigt wird. Bei Handänderungen<br />
geht die Rückerstattungspflicht auf den neuen Eigentümer über (Art. 183 quater<br />
Abs. 1 Satz 2 EG ZGB). Hierzu ist zu bemerken, dass planerische Massnahmen aus<br />
Gründen der Rechtsgleichheit und der Rechtssicherheit nicht beliebig, sondern nur bei<br />
wesentlich veränderten Verhältnissen wiedererwogen bzw. aufgehoben oder abgeändert<br />
werden können (vgl. zur Planbeständigkeit FRITZSCHE/BÖSCH/WIPF, S. 99).<br />
______________________<br />
Feldmeilen, 3. Dezember 2012<br />
lic. iur. Christoph Fritzsche