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Fall 1 - Flaminio Costa ./. E.N.E.L. – Lösung I. Prozessualer ...

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Europa-Universität Viadrina<br />

Jean-Monnet-Lehrstuhl für Öffentliches Recht<br />

mit Schwerpunkt Europarecht<br />

Prof. Dr. iur. Matthias Pechstein<br />

AG Europarecht<br />

Sommersemester 2011<br />

<strong>Fall</strong> 1 - <strong>Flaminio</strong> <strong>Costa</strong> ./. E.N.E.L. – Lösung<br />

I. <strong>Prozessualer</strong> Hintergrund: Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 AEUV, Variante nach Art. 267<br />

Abs. 1 lit a), Abs. 2 AEUV.<br />

II. Beantwortung der Vorlagefrage durch den EuGH<br />

Wichtig: Der EuGH beantwortet Vorlagefragen ausschließlich aus der Sicht des Unionsrechts. Der<br />

Gerichtshof legt kein nationales Recht aus.<br />

1. Zum Einwand, dass das staatliche Gericht nur zur Anwendung des innerstaatlichen Rechts<br />

verpflichtet ist, bzw. das Unionsrecht nicht anwenden darf.<br />

=> Hier ist das Verhältnis des Unionsrechts zum nationalen Recht zu erörtern:<br />

Ausgangspunkt des EuGH:<br />

Der AEUV ist an sich ein völkerrechtlicher Vertrag. Folgende Merkmale unterscheiden den AEUV jedoch<br />

von den herkömmlichen völkerrechtlichen Verträgen:<br />

• Die EU ist für eine unbestimmte Zeit gegründet worden (Art. 53 EUV), sie verfügt über eigene Organe,<br />

besitzt Völkerrechtspersönlichkeit (Art. 47 EUV) und innerstaatliche Rechts- und Geschäftsfähigkeit<br />

(Art. 335 AEUV).<br />

• Darüber hinaus ist die EU mit eigenen Hoheitsrechten gegenüber ihren Mitgliedstaaten ausgestattet, die<br />

aus der Beschränkung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten oder der Übertragung von Hoheitsrechten<br />

der Mitgliedstaaten auf die Union resultiert.<br />

Insbesondere aus dem letzten Punkt schließt der EuGH,<br />

• dass die Mitgliedstaaten durch die Beschränkung ihrer Souveränitätsrechte - wenn auch nur auf einem<br />

begrenzten Gebiet - im Rahmen des AEUV und EUV zugunsten der EU einen eigenen Rechtskörper,<br />

durch den AEUV (ehemals EGV) eine eigene - auf Grundlage der Gegenseitigkeit angenommene -<br />

autonome Rechtsordnung geschaffen haben,<br />

• die bei ihrem Inkrafttreten nicht nur für die Mitgliedstaaten als Völkerrechtssubjekte verbindlich ist<br />

(so der klassische völkerrechtliche Vertrag), sondern auch in ihnen und somit auch für ihre Organe<br />

und Bürger.<br />

Daraus folgt, dass das Unionsrecht von den Mitgliedstaaten in die jeweilige nationale Rechtsordnung<br />

aufgenommen wurde und somit<br />

• unmittelbare Geltung in den Mitgliedstaaten entfaltet und<br />

• eine unmittelbare Rechtsquelle für die durch sie betroffenen Rechtssubjekte darstellt: Union und ihre<br />

Organe, MS und deren Organe, natürliche und juristische Personen.<br />

Aus diesem Grund sind auch die Gerichte der Mitgliedstaaten an den EUV und AEUV gebunden und<br />

müssen diesen anwenden, sofern die in ihm enthaltenen Bestimmungen unmittelbar anwendbar sind.<br />

Ergebnis: Der Einwand der italienischen Regierung ist somit zurückzuweisen.<br />

2. Zur Frage, ob das Unionsrecht angesichts des zeitlich später erlassenen italienischen Rechtsaktes<br />

überhaupt anzuwenden sei.<br />

Anwendung der lex posterior-Regel im Verhältnis zwischen der Unionsrechtsordnung und den<br />

Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten?<br />

1


Europa-Universität Viadrina<br />

Jean-Monnet-Lehrstuhl für Öffentliches Recht<br />

mit Schwerpunkt Europarecht<br />

Prof. Dr. iur. Matthias Pechstein<br />

AG Europarecht<br />

Sommersemester 2011<br />

Das nationale Recht, auch wenn es später erlassen wurde, kann das Unionsrecht aus folgenden Gründen nicht<br />

verdrängen:<br />

• Gefährdung der Vertragsziele und Verstoß gegen den Grundsatz der praktischen Wirksamkeit (effet<br />

utile);<br />

• Die aufgrund der Verträge (EUV und AEUV) bestehenden Verpflichtungen der Mitgliedstaaten wären<br />

nur noch eventuelle und keine unbedingten mehr, wenn sie durch spätere Gesetzgebungsakte in Frage<br />

gestellt werden könnten.<br />

• Der Vorrang des Unionsrechts werde auch durch Art. 288 AEUV (Verordnung: „verbindlich“ und „gilt<br />

unmittelbar“ – vgl. Art. 288 Abs. 2 AEUV) bestätigt. Diese Bestimmung wäre ohne Bedeutung, wenn die<br />

Mitgliedstaaten sie durch Gesetzgebungsakte, die den unionsrechtlichen Normen vorgingen, einseitig<br />

ihrer Wirksamkeit berauben könnten.<br />

Ergebnis: Auf die Vorlagefrage ist daher zu antworten, dass das Unionsrecht auch im Hinblick auf später<br />

erlassenes nationales Recht mit Vorrang anzuwenden ist.<br />

Zusatz: Art des Vorrangs/Rechtsfolge bei Kollision: => Anwendungsvorrang<br />

2

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