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04/2013 Der Fall Åkerberg Fransson

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DeLuxe – Europarecht aktuell – <strong>04</strong>/<strong>2013</strong> DeLuxe – Europarecht aktuell – <strong>04</strong>/<strong>2013</strong><br />

naler Grundrechte sowie einer ggf. hieraus resultierenden Vorlage an den<br />

EuGH (vgl. Rn. 88 bis 91). Hierbei knüpft das BVerfG zunächst an seine<br />

bisherige Rechtsprechungslinie an, wonach die EU-Grundrechte dann als Prüfungsmaßstab<br />

für nationale Vorschriften ausscheiden, wenn letztere nicht durch Unionsrecht<br />

determiniert sind. Insoweit fehle es an einer Durchführung des Unionsrechts im<br />

Sinne des Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh, so dass eine mitgliedstaatliche Bindung an<br />

die Charta nicht bestehe.<br />

Hiervon ausgehend untersucht das BVerfG die Bindung hinsichtlich des Antiterrordateigesetzes.<br />

Zwar bestünde eine Vielzahl von Berührungspunkten zum<br />

Unionsrecht, aus denen sich eine mittelbare Beeinflussung unionsrechtlich<br />

geordneter Rechtsbeziehungen ergeben könne (vgl. Rn. 89, 90), hieraus folge<br />

aber keine Determinierung hinsichtlich der Einrichtung und Ausgestaltung der<br />

Antiterrordatei: Denn es gebe kein Unionsrecht, das die Mitgliedstaaten zu<br />

Einrichtung einer derartigen Datei verpflichtet, sie daran hindert oder insoweit<br />

inhaltliche Vorgaben macht (Rn. 90). Vor diesem Hintergrund lehnt es eine<br />

Vorlage an den EuGH ab (Rn. 88, 91).<br />

Aus dieser Subsumtion wird deutlich, was das BVerfG unter einer Determinierung<br />

nationaler Vorschriften durch Unionsrecht und damit einer Durchführung<br />

im Sinne des Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh versteht: Unionsrecht muss das<br />

nationale Recht durch Gebot, Verbot oder inhaltliche Ausgestaltung – in den<br />

Worten des EuGH – bestimmen.<br />

Ob gerade die Bestimmung bzw. Determinierung durch inhaltliche Ausgestaltung<br />

„vollständig“ sein muss, kann den Ausführungen des BVerfG allerdings<br />

nicht entnommen werden. An seinem grundsätzlich engen Verständnis des<br />

Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh lässt das BVerfG jedoch keinen Zweifel. Ausdrücklich<br />

in Bezug auf das vorliegende EuGH-Urteil stellt das BVerfG fest, dass<br />

dieses nicht so verstanden werden dürfe, dass für eine Bindung der Mitgliedstaaten<br />

„jeder sachliche Bezug einer Regelung zum bloß abstrakten Anwendungsbereich des<br />

Unionsrecht oder rein tatsächliche Auswirkungen auf dieses ausreiche.“ (Rn. 91). Denn<br />

eine solche Lesart dieser Entscheidung würde dem kooperativen Miteinander<br />

zwischen den beiden Höchstgerichten zuwiderlaufen, weil sie zur Folge hätte,<br />

dass das Urteil „offensichtlich als Ultra-vires-Akt zu beurteilen wäre oder Schutz und<br />

Durchsetzung der mitgliedstaatlichen Grundrechte in einer Weise gefährdete, dass dies die<br />

Identität der durch das Grundgesetz errichteten Verfassungsordnung in Frage stellte.“ (Rn.<br />

91)<br />

An Deutlichkeit sind diese Formulierungen wohl kaum zu überbieten. Das<br />

Bemühen beider verfassungsrechtlichen Integrationsvorbehalte (ultra-vires-<br />

Kontrolle und Identitätskontrolle) bezeugt zudem unmissverständlich, welch<br />

hohe Bedeutung das BVerfG der Frage nach der mitgliedstaatlichen Bindung<br />

an die EU-Grundrechte einräumt. Ob diese Ausführungen im Nachhinein<br />

wieder nur als drohendes Spitzen verfassungsrechtlicher Lippen bewertet oder<br />

vielleicht erstmals auch mal ein Pfeifen im Kooperationsverhältnis vernommen<br />

werden könnte, wird maßgeblich davon abhängen, wie die Fachgerichte und<br />

sodann der EuGH diese Mahnung aufnehmen werden.<br />

Aus den Ausführungen des BVerfG wird schließlich noch etwas deutlich: dem<br />

engen Verständnis des Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh liegt zugleich eine klare<br />

Trennung der Grundrechtssphären zugrunde, welche für die wohl als Entgegenkommen<br />

gedachte Möglichkeit der parallelen Anwendung nationaler und<br />

unionaler Grundrechte unter der Ägide des Gerichtshofs keinen Raum lässt.<br />

Nur soweit Unionsrecht nationales Handeln determiniert, ist dieses nach<br />

BVerfG an EU-Grundrechten zu messen, außerhalb dieses Bereichs dagegen<br />

ausschließlich an den nationalen Grundrechten.<br />

Fazit<br />

Mit der Entscheidung in der Rechtssache <strong>Åkerberg</strong> <strong>Fransson</strong> weitet der EuGH<br />

die EU-Grundrechtsbindung der Mitgliedstaaten potentiell erheblich aus, das<br />

BVerfG tritt dieser Entwicklung nur kurze Zeit später in seinem Urteil zur<br />

Antiterrordatei entschieden entgegen. Die Bindungsproblematik wird vor dem<br />

Hintergrund dieser beiden Urteile endgültig zur kompetentiellen Gretchenfra-<br />

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