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04/2013 Der Fall Åkerberg Fransson

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DeLuxe – Europarecht aktuell – <strong>04</strong>/<strong>2013</strong> DeLuxe – Europarecht aktuell – <strong>04</strong>/<strong>2013</strong><br />

den Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit Richtlinien oder Verordnungen<br />

zukommen (vgl. hierzu Fuchs, DeLuxe 1/2012, N.S.). Schließlich sind auch<br />

keine Grundfreiheiten oder die Freizügigkeit nach Art. 21 AEUV einschlägig,<br />

im Rahmen derer EU-Grundrechte als Schranken oder Schranken-Schranken<br />

zur Anwendung gelangten.<br />

Gleichwohl entspricht die <strong>Åkerberg</strong> <strong>Fransson</strong>-Konstellation der hinter den<br />

beiden letzt genannten <strong>Fall</strong>gruppen stehenden Tendenz, wonach es nicht darauf<br />

ankommt, dass mitgliedstaatliches Handeln – wie bei der agency-Situation – vollständig<br />

durch Unionsrecht bestimmt wird. Das Neue in kasuistischer Hinsicht ist diesmal,<br />

dass für die mitgliedstaatliche Bindung sogar allgemein-sachbezogene<br />

Handlungspflichten genügen, die sich hier kumulativ aus dem Primärrecht<br />

(Art. 325 AEUV) und dem Sekundärrecht (Mehrwertsteuerrichtlinie) ergeben,<br />

soweit nur die in Frage stehenden nationalen Vorschriften oder Maßnahmen<br />

zumindest in objektiver Hinsicht zu deren Erfüllung einen Beitrag leisten. Auf<br />

die mitgliedstaatliche Veranlassung bzw. Motivation zur Anwendung der betreffenden<br />

Maßnahmen kommt es nicht an.<br />

<strong>Der</strong>artige allgemeine Handlungspflichten sind in zahlreichen Richtlinien aus<br />

unterschiedlichen Rechtsbereichen enthalten. Potentiell unterliegt somit das<br />

gesamte nationale Recht der EU-Grundrechtsbindung und zwar auch dort, wo<br />

das EU-Recht eben keine oder kaum inhaltliche (und zwingende) Vorgaben<br />

aufstellt – sei es, weil die EU übertragene Kompetenzen insoweit noch nicht<br />

ausgeübt hat, sei es, weil die betreffenden materiellen Zuständigkeiten bei den<br />

Mitgliedstaaten verblieben sind.<br />

Hierdurch etabliert der Gerichtshof die EU-Grundrechte als – neben die<br />

Grundfreiheiten und die Freizügigkeit tretende – Kompetenzausübungsschranken<br />

für (autonomes) nationales Recht im Rahmen der von den Mitgliedstaaten<br />

wahrgenommenen Zuständigkeiten. <strong>Der</strong> Unterschied zu den genannten<br />

Gewährleistungen besteht nur noch darin, dass die EU-Grundrechte die<br />

Eröffnung des (nunmehr weit zu verstehenden) Anwendungsbereichs des<br />

Unionsrechts voraussetzen, da sie diesen nicht – wie die Grundfreiheiten und<br />

die Freizügigkeit – aus sich selbst heraus begründen können (vgl. Kubicki, De-<br />

Luxe 2/<strong>2013</strong>, Iida). Ungeachtet dieser Akzessorietät werden die EU-<br />

Grundrechte in der <strong>Åkerberg</strong> <strong>Fransson</strong>-Konstellation vollends ihres ursprünglichen<br />

Gewandes entkleidet, nämlich die EU-Hoheitsgewalt, ggf. vermittelt<br />

über die Mitgliedstaaten, einer autonomen unionalen Grundrechtskontrolle zu<br />

unterwerfen.<br />

Weitere Konsequenz dieser EuGH-Rechtsprechung ist die Intensivierung<br />

einer bereits bestehenden, zweifachen Konkurrenzsituation: materiell zwischen<br />

den EU-Grundrechten und den nationalen Grundrechten und prozessual<br />

zwischen dem EuGH und den nationalen Verfassungsgerichten, in Deutschland<br />

dem BVerfG, hinsichtlich der grundrechtlichen Deutungshoheit.<br />

Dass dem Gerichtshof beide Konkurrenzsituationen bewusst sein durften,<br />

lässt sich aus Rn. 29 schlussfolgern: Danach steht es nationalen Behörden und<br />

Gerichten in Fällen, in denen mitgliedstaatliches Handeln nicht vollständig<br />

durch das Unionsrecht bestimmt wird, frei, nationale Grundrechte anzuwenden,<br />

soweit hierdurch weder das Schutzniveau der Grundrechtecharta, noch<br />

der Vorrang, die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrecht beeinträchtigt<br />

werden. <strong>Der</strong> EuGH öffnet durch diese, in der praktischen Handhabung sicher<br />

nicht unproblematische Formel einer parallelen Anwendung von EU-<br />

Grundrechten und nationalen Grundrechten die Tür, stellt letztere allerdings<br />

unter einen unionalen „Soweit“-Vorbehalt, der ihm das letzte Wort in (konkurrierenden)<br />

Grundrechtsfragen sichern soll.<br />

Die Antwort des BVerfG<br />

Die Antwort des BVerfG kommt postwendend und angesichts der potentiellen<br />

Reichweite der <strong>Åkerberg</strong> <strong>Fransson</strong>-Konstellation auch wenig überraschend.<br />

Gegenstand des Urteils zur Antiterrordatei war zwar eine Prüfung des<br />

einschlägigen Gesetzes am Maßstab grundgesetzlicher Grundrechte (1 BvR<br />

1215/07). Gleichwohl äußert sich das BVerfG auch zur Einschlägigkeit unio-<br />

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