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04/2013 Der Fall Åkerberg Fransson

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DeLuxe – Europarecht aktuell – <strong>04</strong>/<strong>2013</strong> DeLuxe – Europarecht aktuell – <strong>04</strong>/<strong>2013</strong><br />

zuvor wurden gegen ihn wegen des gleichen Sachverhalts steuerrechtliche<br />

Sanktionen verhängt. Für das Strafgericht stellte sich nun die Frage, ob einer<br />

möglichen Bestrafung nicht das auch unionsrechtlich in Art. 50 GRCh geregelten<br />

Verbot der Doppelbestrafung entgegenstehe. Im Rahmen des Vorlageverfahrens<br />

musste der EuGH jedoch zunächst zu klären, ob dieses EU-<br />

Grundrecht vorliegend überhaupt anwendbar war.<br />

Mehrere an dem Verfahren beteiligte Mitgliedstaaten, die Europäische Kommission<br />

als auch der Generalanwalt Cruz Villalón in seinen Schlussanträgen<br />

verneinten diese Frage, da ihrer Ansicht nach weder die steuerrechtlichen<br />

Sanktionen noch das Strafverfahren auf der Durchführung von Unionsrecht<br />

beruhten (vgl. Rn. 16).<br />

<strong>Der</strong> Gerichthof – als Große Kammer entscheidend (!) – gelangte hingegen zur<br />

gegenteiligen Auffassung und bejahte vorliegend die Voraussetzung des<br />

Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh für die Bindung der Mitgliedstaaten in zwei Schritten<br />

(Rn. 17 bis 31):<br />

Zunächst stellt der EuGH mit Blick auf den Wortlaut überraschend fest, dass<br />

Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh seine bisherige Rechtsprechung zur mitgliedstaatlichen<br />

Grundrechtsbindung bestätigt, wonach nationale Bestimmungen dann<br />

am Maßstab der EU-Grundrechte zu messen sind, wenn sie in den Geltungsbzw.<br />

Anwendungsbereich (die Begriffe werden in der deutschen Sprachfassung<br />

des Urteils offensichtlich synonym verwendet) des Unionsrechts fallen (Rn. 18<br />

f.). Überraschend ist diese Feststellung deshalb, weil die Formulierung des<br />

Art. 51 Abs. 1 GRCh ursprünglich gerade die weiterreichende Rechtsprechung<br />

des Gerichtshofs zumindest für den Charta-Bereich eingrenzen und auf die<br />

allgemein anerkannte sog. agency-Situation zurückführen sollte, in denen die<br />

Mitgliedstaaten lediglich als verlängerter Arm der EU-Hoheitsgewalt zwingende<br />

unionalen Vorgaben innerstaatlich vollziehen (Verordnungen) oder umsetzen<br />

(Richtlinien). Dieses Ansinnen wird allerdings durch die als „nützliche<br />

Interpretationshilfe“ bezeichneten Erläuterungen zur Grundrechtecharta, die<br />

nach Art. 6 Abs. 1 UAbs. 3 EUV bei deren Auslegung gebührend zu berücksichtigen<br />

sind, nicht unerheblich konterkariert. Denn in den Erläuterungen zu<br />

Art. 51 GRCh wird insoweit die bisherige Rechtsprechung zur mitgliedstaatlichen<br />

Grundrechtsbindung in Bezug genommen. Und so verwundert es nicht<br />

weiter, dass der Gerichthof diese Erläuterungen zur Bestätigung seiner Auffassung<br />

heranzieht (Rn. 20). Im Ergebnis stellt der EuGH hierdurch jedenfalls<br />

den Gleichlauf der beiden EU-Grundrechtsquellen bezüglich der mitgliedstaatlichen<br />

Bindung her.<br />

Dieses Anliegen ist grundsätzlich zu begrüßen. Entscheidend ist hierbei allerdings<br />

vielmehr, in welcher Weise der EuGH sodann die Formel vom Geltungs-<br />

bzw. Anwendungsbereich des Unionsrechts oder der so verstandenen<br />

Durchführung desgleichen ausfüllt. Vorliegend begründete der Gerichtshof die<br />

Anwendungsvoraussetzung wie folgt (Rn. 25 bis 27): Die Mehrwertsteuerrichtlinie<br />

2006/12 verpflichte die Mitgliedstaaten allgemein, die Erhebung der<br />

Mehrwertsteuer zu gewährleisten und Betrug hiergegen zu bekämpfen. Im<br />

Übrigen gebiete Art. 325 AEUV generell die Bekämpfung von Handlungen,<br />

die gegen die finanziellen Interessen der Union gerichtet sind. Zudem umfassten<br />

die EU-Eigenmittel Einnahmen aus dem mitgliedstaatlichen Mehrwertsteueraufkommen.<br />

Somit führe jedes Versäumnis bei der Erhebung der<br />

Mehrwertsteuern potenziell zu einer Verringerung der Mehrwertsteuermittel<br />

für den Unionshaushalt. Vor diesem Hintergrund handele es sich bei dem<br />

Steuerstrafverfahren gegen Herrn <strong>Åkerberg</strong> <strong>Fransson</strong> wegen unrichtiger Angaben<br />

zur Mehrwertsteuer (zumindest auch) um eine Durchführung des Unionsrechts<br />

im Sinne des Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh.<br />

In die bisher gängigen <strong>Fall</strong>gruppen lässt sich diese Konstellation nur bedingt<br />

einordnen: da weder die Mehrwertsteuerrichtlinie noch Art. 325 AEUV zwingende<br />

Vorgaben zur Umsetzung dieser allgemeinen Verpflichtungen enthalten,<br />

liegt jedenfalls keine agency-Situation vor. Auch dienten die dem Straf- und<br />

dem Steuerverfahren zugrunde liegenden Vorschriften nicht dem Ausfüllen<br />

von Umsetzungs- oder Vollzugs- bzw. Ermessensspielräumen (vgl. Rn. 28), die<br />

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