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Materialien und begleitende Unterlagen - Regionalverband Mittlerer ...

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Karlsruher Institut für Technologie<br />

Vorlesung Regionalplanung<br />

Dr. iur. Gerd Hager, Verbandsdirektor<br />

<strong>Materialien</strong> <strong>und</strong> <strong>begleitende</strong> <strong>Unterlagen</strong><br />

Sommersemester 2013<br />

INHALTSVERZEICHNIS<br />

A. Planung, Planungssystem<br />

B. Regionalplanung <strong>und</strong> Bauleitplanung<br />

C. Der Regionalplan <strong>Mittlerer</strong> Oberrhein 2003<br />

D. Regionale Freiraumstruktur<br />

E. Flexibilität versus Kontinuität<br />

Ausformung, Zielabweichung, Regionalplanänderung<br />

F. Der Aufbau eines <strong>Regionalverband</strong>es<br />

G. Teilregionalpläne<br />

H. Bürgerbeteiligung bei der Planung<br />

I. Metropolregionen<br />

J. Regionale Organisationsformen<br />

K. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit<br />

L. Exkursion: Ettlingen<br />

1


DATUM<br />

17.04.2013<br />

17:30-19:00 Uhr<br />

24.04.2013<br />

17:30-19:00 Uhr<br />

THEMA<br />

Das Planungssystem in Deutschland,<br />

Gr<strong>und</strong>begriffe der Regionalplanung<br />

Der Regionalplan <strong>Mittlerer</strong> Oberrhein 2003<br />

01.05.2013 entfällt<br />

08.05.2013<br />

17:30-19:00 Uhr<br />

15.05.2013<br />

17:30-19:00 Uhr<br />

Flexibilität versus Kontinuität,<br />

Ausformung, Zielabweichung, Regionalplanänderung<br />

Regionale Freiraumstruktur<br />

22.05.2013 entfällt<br />

29.05.2013<br />

17:30-19:00 Uhr<br />

05.06.2013<br />

17:30-19:00 Uhr<br />

12.06.2013<br />

15:30-17:00 Uhr<br />

19.06.2013<br />

17:30-19:00 Uhr<br />

26.06.2013<br />

17:30-19:00 Uhr<br />

03.07.2013<br />

17:30-19:00 Uhr<br />

10.07.2013<br />

17:30-19:00 Uhr<br />

17.07.2013<br />

17:00-19:30 Uhr<br />

Teilregionalpläne (Wind, Rohstoff, Einzelhandel)<br />

Vorbereitung Sitzung des Planungsausschusses,<br />

Organisation des <strong>Regionalverband</strong>es MO<br />

Sitzung des Planungsausschusses<br />

Bürgerbeteiligung in der Planung<br />

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit, Metropolregionen<br />

Regionale Organisationsformen, Regionalmanagement<br />

Vorbereitung Exkursion, Regionalplanung <strong>und</strong><br />

Bauleitplanung<br />

Exkursion: Ettlingen<br />

2


Dr. iur. Gerd Hager, Verbandsdirektor<br />

Vorlesung Regionalplanung – <strong>Materialien</strong> <strong>und</strong> <strong>begleitende</strong> <strong>Unterlagen</strong> – SS 2013<br />

A. Planung, Planungssystem<br />

1. Das Wort Plan besitzt in unserer Sprache verschiedene Bedeutungen. Es steht<br />

für eine zusammenfassende geographische Übersicht, für eine großmaßstäbliche<br />

Landkarte, für eine ebene Fläche, für einen Kampfplatz; in unserem Zusammenhang<br />

umfasst es Vorstellungen über eine künftige Handlungsabfolge.<br />

Planung ist dann die gedankliche Vorwegnahme von Handlungsschritten, die zur<br />

Erreichung eines Ziels notwendig erscheinen. Ein Planer setzt sich ein Ziel oder<br />

erhält es vorgegeben <strong>und</strong> macht sich Gedanken darüber, auf welchem Weg, mit<br />

welchen Maßnahmen er oder sein Auftraggeber dieses Ziel erreichen kann. Voraussetzung<br />

für Planung ist eine gewisse Autonomie, sowohl was die Zielsetzung<br />

als auch die Wahl der Mittel betrifft.<br />

2. Planung ist nur sinnstiftend, wenn die Ist-Situation, die Mittel <strong>und</strong> die Handlungsmöglichkeiten<br />

erhoben <strong>und</strong> bewertet werden; Planung beschreibt in der<br />

Regel einen längerfristigen Prozess. Am Ende steht ein beschlossenes Ergebnis,<br />

darauf folgt die Phase der Umsetzung. Der Plan als Produkt des Planungsprozesses<br />

fixiert ein Ergebnis, er kann weit oder eng, verbindlich oder unverbindlich,<br />

kurz-, mittel- oder langfristig angelegt sein. Wichtig für die Planungsqualität<br />

sind:<br />

- Analyse der Ist-Situation,<br />

- Bestimmung von Planbeteiligten <strong>und</strong> Adressaten,<br />

- Klarheit über die Planinstrumente <strong>und</strong><br />

- Überblick über die einsetzbaren Mittel (Ressourcen).<br />

3. In der politischen Wissenschaft <strong>und</strong> den Wirtschaftswissenschaften wird der<br />

Begriff Planung auch mit der zentralverwaltungswirtschaftlichen Herrschaftsperiode,<br />

insbesondere in den Staaten des Warschauer Paktes, in Verbindung gebracht.<br />

Die Staaten des sog. Ostblocks haben versucht, mittels einer staatlichen<br />

Planwirtschaft, durch Unterdrücken der Mechanismen des freien Marktes, durch<br />

zentralstaatliche 5-Jahrespläne ihre Volkswirtschaften zu entwickeln. Dieses<br />

Wirtschaftssystem hat in den Ruin aller beteiligten Volkswirtschaften geführt.<br />

Gleichzeitig entstand ein bürokratisches Herrschaftssystem mit einer alles dominierenden<br />

Nomenklatura, das den Bürgern viele Freiheiten nahm <strong>und</strong> ihre politische<br />

Beteiligung kanalisierte. Hinzu kam ein großer, unproduktiver Repressionsapparat<br />

(NKWD, Stasi, KGB, Securitate etc.). An dieser Geschichtsperiode zeigten<br />

sich die Grenzen, die der Planung gesetzt sind:<br />

Der Gegenstand der Planung darf nicht zu komplex sein. Daran litten die Zentralverwaltungswirtschaften,<br />

sie erzeugten enorme bürokratische Apparate (z. B.<br />

die sowjetrussische Gosplan), die für sich schwer steuerbar waren, trotz des Einsatzes<br />

rationaler Methoden (z. B. Kybernetik) zu irrationalen Entscheidungen<br />

neigten, den Wirtschaftskreislauf oft blockierten, ihre Herrschaft <strong>und</strong> Privilegien<br />

verfestigten <strong>und</strong> nach einer Periode relativer Erfolge zunächst zum ökonomischen<br />

Stillstand, am Ende zu einem ökonomischen Niedergang führten.<br />

Zudem dürfen planerische Vorgaben nicht zu starr sein. Sie wirken in ein Kräftefeld,<br />

in dem Menschen agieren <strong>und</strong> deren individuelles Verhalten nur begrenzt<br />

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Dr. iur. Gerd Hager, Verbandsdirektor<br />

Vorlesung Regionalplanung – <strong>Materialien</strong> <strong>und</strong> <strong>begleitende</strong> <strong>Unterlagen</strong> – SS 2013<br />

vorhersehbar ist. Deshalb entwickelt sich Wirklichkeit stets anders als der Plan.<br />

Wenn ein Plan eine längerfristige Steuerungswirkung entfalten will, muss er flexibel<br />

sein <strong>und</strong> unvorhersehbare Konstellationen integrieren. Deshalb müssen<br />

Pläne immer wieder der Wirklichkeit angepasst werden, um in eben dieser Wirklichkeit<br />

reale Steuerungswirkung zu entfalten. Hier erwiesen sich die zentralwirtschaftlichen<br />

Vorgaben als viel zu starr.<br />

Dennoch kommt ein modernes Wirtschaftsleben nicht ohne Planung aus. Jeder<br />

Marktteilnehmer setzt sich Ziele <strong>und</strong> entwickelt Vorstellungen über den Einsatz<br />

seiner Ressourcen zur optimalen Zielerreichung. Jedes Unternehmen, jede öffentliche<br />

Körperschaft, jeder private Verein macht sich Gedanken über seine<br />

Haushaltsführung <strong>und</strong> plant den Einsatz seiner (stets knappen) Mittel. Geschichtlich<br />

ist der zentrale Staatsplan zur Steuerung einer gesamten Volkswirtschaft<br />

gescheitert, die Planung bleibt aber ein selbstverständlicher <strong>und</strong> notwendiger<br />

Bestandteil eines modernen Gesellschafts- <strong>und</strong> Wirtschaftslebens.<br />

4. Deshalb finden wir sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor eine bunte<br />

Vielfalt von Planung <strong>und</strong> Plänen, die von individuellen Vorgaben für einen Menschen<br />

bis zum Wirtschaftsplan eines Großkonzerns <strong>und</strong> zu staatlichen Haushaltsplänen<br />

von Nationen mit einem Volumen bis zu 1 Billion Euro reichen. Als<br />

Beispiele seien genannt:<br />

- Eingliederungsplan für einen behinderten Menschen<br />

- Belegungsplan der Räume eines Universitätsinstitutes<br />

- Geschäftsplan eines Schachvereines<br />

- Bebauungsplan „Schießhüttenäcker“ der Gemeinde Karlsbad<br />

- Haushaltsplan 2013 der Stadt Ettlingen<br />

- Entwicklungsplan der Landesregierung zum Ausbau der regenerativen Energien<br />

- Fahrplan des Karlsruher Verkehrsverb<strong>und</strong>es<br />

- Plan der B<strong>und</strong>esnetzagentur zum Ausbau des Hochspannungsnetzes in der<br />

B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland<br />

5. Nach ihrer Bindungswirkung unterscheidet die Wissenschaft drei Formen von<br />

Plänen:<br />

- indikative Pläne enthalten Daten <strong>und</strong> Vorausberechnungen. Sie dienen der<br />

Information <strong>und</strong> liefern Daten für die Entscheidungen in einem bestimmten<br />

Sachbereich. Sie haben die Zielrichtung, private Rechtsträger oder staatliche<br />

Instanzen über den Ist-Zustand in einem bestimmten Bereich <strong>und</strong> über Entwicklungstendenzen<br />

zu informieren. Sie liefern damit Material für weitere<br />

Entscheidungen oder Dispositionen. Hier handelt es sich um einen Grenzfall<br />

der Planung am Übergang von reinen Datensammlungen zu einer zukunftsgerichteten<br />

Handlungsanweisung.<br />

- influenzierende Pläne wollen ein bestimmtes Verhalten nach Maßgabe der<br />

planerischen Zielvorstellungen veranlassen. Sie setzen nicht auf Befehl <strong>und</strong><br />

Zwang, sondern möchten die Planadressaten durch bestimmte Anreize zu<br />

planentsprechendem Verhalten veranlassen bzw. durch bestimmte Nachteile<br />

von planwidersprechenden abhalten. Vorteile können z. B. Zuschüsse, Steuervergünstigungen,<br />

der Bau von Infrastruktureinrichtungen sein. Nachteil sind<br />

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Dr. iur. Gerd Hager, Verbandsdirektor<br />

Vorlesung Regionalplanung – <strong>Materialien</strong> <strong>und</strong> <strong>begleitende</strong> <strong>Unterlagen</strong> – SS 2013<br />

insbesondere der Entzug von Vorteilen, steuerliche Belastungen oder der<br />

Abbau von Einrichtungen, Behörden, die Aufgabe von Standorten.<br />

Beispiele:<br />

Zuschüsse oder Steuervorteile bei der Ansiedlung eines Betriebes in einer<br />

bestimmten Region (Aufbau Ost), Subvention bei der Stilllegung von Ackerflächen<br />

durch die EU (Stilllegungsprämien), Anschubfinanzierung beim Ausbau<br />

von Kindertagesstätten durch ein B<strong>und</strong>esland, finanzielle Anreize zu<br />

Gemeindezusammenschlüssen in den 1970er Jahren in Baden-Württemberg<br />

(Sporthallenprämie).<br />

- imperative Pläne sind für die Planadressaten verbindlich. Sie arbeiten mit<br />

rechtlichen Vorgaben, die nicht umgangen werden können. Hier besteht keine<br />

Wahl, ob die Planvorgaben eingehalten werden; sie sind rechtlich verbindlich,<br />

wer dagegen verstößt, muss mit Sanktionen rechnen, entgegengesetztes<br />

Verhalten wird aufgehoben. Hierher gehören etwa die staatlichen Haushaltspläne,<br />

die kommunalen Bauleitpläne oder die Regionalpläne.<br />

6. In Deutschland findet sich ein stark gestuftes System der räumlichen Planung.<br />

Ihre Aufgabe besteht darin, die sozialen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Ansprüche an den<br />

Raum mit seinen ökologischen Funktionen in Einklang zu bringen <strong>und</strong> zu einer<br />

dauerhaften, großräumig ausgewogenen Ordnung zu führen (nachhaltige Raumbewirtschaftung).<br />

Räumliche Planung in Deutschland behandelt die Nutzungskonflikte<br />

der verschiedenen Raumansprüche in einem dichtbesiedelten, ökologisch<br />

vielgestaltigen Industriestaat. Im Kern geht es um Nutzungskonflikte bei<br />

der Bewirtschaftung der Flächen in einem bestimmten Gebiet. Raumplanung besitzt<br />

einen überortlichen, überfachlichen zusammenfassenden Ansatz zur Entwicklung<br />

<strong>und</strong> Ordnung eines bestimmten Raumes.<br />

7. Der Betrachtungsrahmen der Raumordnung bezieht sich auf ein B<strong>und</strong>esland o-<br />

der eine Region (Regional- <strong>und</strong> Landesplanung). Im Vordergr<strong>und</strong> stehen deshalb<br />

die Regionalpläne (z. B. Regionalplan <strong>Mittlerer</strong> Oberrhein 2003) <strong>und</strong> die<br />

Landesentwicklungspläne (z. B. Landesentwicklungsplan BW 2002). Mittlerweile<br />

bestehen auch Notwendigkeiten, dass der B<strong>und</strong> räumliche Gesamtpläne aufstellt.<br />

Diese in der föderalen Kompetenzordnung zunächst fragwürdige Entwicklung<br />

zeigt sich besonders bei der Nutzung der küstennahen Meeresgewässer.<br />

Hier sind in den vergangenen Jahren erhebliche Nutzungskonflikte entstanden,<br />

die nur durch eine räumliche Planung ausgeglichen werden können (Naturschutz,<br />

Seefahrt, Fischfang, Rohstoffgewinnung, Energienutzung, Leitungssysteme<br />

etc.). Neuestens reklamiert der B<strong>und</strong> auch eine Planungskompetenz beim<br />

Ausbau der Stromleitungsnetze auf der obersten Ebene (B<strong>und</strong>esnetzplan).<br />

8. Deutschland besitzt ein ausgeprägtes System der verbindlichen räumlichen Planung.<br />

An der Spitze stehen die Landesentwicklungspläne, ihnen folgen die Regionalpläne.<br />

Aus ihnen werden die kommunalen Bauleitpläne entwickelt. Die<br />

vorbereitende Bauleitplanung (Flächennutzungspläne) <strong>und</strong> die verbindliche Bauleitplanung<br />

(Bebauungspläne) konkretisieren die Vorgaben aus den Raumordnungsplänen.<br />

Auf der Gr<strong>und</strong>lage eines Bebauungsplanes wird am Ende die Nutzung<br />

einer bestimmten Parzelle durch eine bestimmte Person zugelassen (z. B.<br />

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Dr. iur. Gerd Hager, Verbandsdirektor<br />

Vorlesung Regionalplanung – <strong>Materialien</strong> <strong>und</strong> <strong>begleitende</strong> <strong>Unterlagen</strong> – SS 2013<br />

privates Einfamilienhaus, Industriebetrieb, Hotel etc.). Die einzelnen Planungsebenen<br />

unterscheiden sich in der Maßstäblichkeit ihrer Planaussagen <strong>und</strong> in der<br />

Körnigkeit, in denen die betroffenen Belange bearbeitet werden (LEP 1:100.000,<br />

Regionalplan 1:50.000, FNP 1:10.000, Bebauungsplan 1:1000).<br />

9. Neben der räumlichen Planung steht die Fachplanung. Sie behandelt einen bestimmten<br />

Sachbereich unter den Voraussetzungen <strong>und</strong> den Zielen eines bestimmten<br />

fachlichen Ansatzes. Dazu gehören insbesondere die Umwelt- <strong>und</strong> die<br />

Verkehrsplanung. Die Fachverwaltungen entwickeln Pläne z. B. für den Verkehrswegebau,<br />

die Abfallwirtschaft, die Wasserwirtschaft, den Naturschutz, den<br />

Artenschutz oder die Luftreinhaltung. Fachpläne <strong>und</strong> Raumordnungspläne werden<br />

von verschiedenen Administrationen in getrennten Verfahren erarbeitet. Entscheidend<br />

für eine geordnete Entwicklung der Gesellschaft ist die Abstimmung<br />

zwischen diesen beide Planungssystemen. Dabei handelt es sich um ein komplexes<br />

Austauschsystem, das keiner Planung einen eindeutigen Vorrang einräumt<br />

<strong>und</strong> deshalb von Information, Beteiligung <strong>und</strong> dem Ausgleich zwischen der<br />

Raumplanung <strong>und</strong> der Fachplanung lebt.<br />

Beispiele:<br />

Raumordnungsverfahren zur Prüfung von Trassenalternativen einer im B<strong>und</strong>esverkehrswegeplan<br />

ausgewiesenen B<strong>und</strong>esautobahn. Großräumige Sicherung<br />

der Freiräume im Zusammenspiel von Regionalplanfestlegungen <strong>und</strong> Naturschutz-<br />

<strong>und</strong> Landschaftsschutzgebieten.<br />

B. Der Regionalplan <strong>Mittlerer</strong> Oberrhein 2003<br />

1. Die 12 Regionalverbände in Baden-Württemberg organisieren sich als Körperschaften<br />

des öffentlichen Rechts. Ihr Hauptprodukt ist der Regionalplan. Er ergeht<br />

als landesrechtliche Satzung, d. h. als Rechtsnorm mit unmittelbarer Bindungswirkung<br />

für seine Adressaten. Betroffen sind in erster Linie die Gemeinden<br />

<strong>und</strong> die Fachplanungsträger, die Bürger erreichen die regionalen Plansätze nur<br />

mittelbar, aufgr<strong>und</strong> der kommunalen Bauleitplanung <strong>und</strong> der Zulassungsentscheidungen<br />

der Fachbehörden (z. B. Immissionsschutzgenehmigung). Im Kern<br />

löst der Regionalplan Raumnutzungskonflikte in einem bestimmten Gebiet für einen<br />

festgelegten Zeitraum. Seine Festlegungen möchten die sozialen <strong>und</strong> wirtschaftlichen<br />

Ansprüche an den Raum mit den ökologischen Funktionen in Einklang<br />

bringen <strong>und</strong> zu einer dauerhaften, großräumig ausgewogenen Ordnung<br />

führen (Leitbild der nachhaltigen Raumentwicklung).<br />

2. In unserer Region, am Mittleren Oberrhein, gilt der Regionalplan 2003. Sein Planungszeitraum<br />

umfasst ca. 15 Jahre. Mit den ersten Planentwürfen hat die Verbandsverwaltung<br />

bereits im Jahr 1998 begonnen. In den Aufstellungsverfahren<br />

beteiligt der Verband eine Vielzahl von Trägern öffentlicher Belange, sog. TÖB’s,<br />

aber auch eine weite Spanne von Nichtregierungsorganisationen (z. B. Naturschutzverbände,<br />

Sportverbände, Bürgervereine etc.). Zudem werden die Pläne<br />

öffentlich ausgelegt <strong>und</strong> bekannt gemacht, dass jeder seine Anregungen in den<br />

Prozess der Planaufstellung einbringen kann (Bürgerbeteiligung, Öffentlichkeit).<br />

Im Jahr 2001 hat die Verbandsversammlung (80 gewählte Mitglieder) den Plan<br />

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Dr. iur. Gerd Hager, Verbandsdirektor<br />

Vorlesung Regionalplanung – <strong>Materialien</strong> <strong>und</strong> <strong>begleitende</strong> <strong>Unterlagen</strong> – SS 2013<br />

als Satzung beschlossen. Aufgr<strong>und</strong> der Ausweisung von FFH-Gebieten (Natura<br />

2000-Netz der EU) <strong>und</strong> einer Vielzahl von neuen Konflikten hat das Wirtschaftsministerium<br />

als damalige Genehmigungsbehörde (heute Ministerium für Infrastruktur<br />

<strong>und</strong> Verkehr, MVI) die Rechtsnorm nicht genehmigt. Nach einer neuen<br />

Anhörungsr<strong>und</strong>e <strong>und</strong> verschiedenen Planänderungen legte der Verband die Satzung<br />

dem Ministerium erneut vor (2002). Im Jahr 2003 genehmigte die oberste<br />

Landesplanungsbehörde den Plan. Nach seiner Verkündung im Staatsanzeiger<br />

Baden-Württemberg trat er im selben Jahr in Kraft.<br />

Aufstellungsbeschluss<br />

Planentwurf<br />

SUP<br />

Beteiligung TÖB<br />

Beteiligung Öffentlichkeit<br />

Beratung der Anregungen<br />

Planänderung<br />

ja<br />

nein<br />

Satzungsbeschluss<br />

Genehmigung<br />

ja<br />

z. T.<br />

nein<br />

Verkündung<br />

Schema Planungsablauf<br />

3. Der Plan besteht aus vier Teilen:<br />

Textteil, Begründung, Anhang, Karten<br />

Der Textteil enthält die Ziele (als Z gekennzeichnet), Gr<strong>und</strong>sätze (G), Hinweise<br />

(H) <strong>und</strong> nachrichtlichen Übernahmen (N), die eigentlichen inhaltlichen Aussagen<br />

des Regionalplans. Jeder der Plansätze erhält eine Begründung. Sie erläutert<br />

die inhaltlichen Festlegungen, sie nimmt aber nicht an der rechtlichen Verbindlichkeit<br />

der Planaussagen teil. Im Anhang werden die im Text verwendeten<br />

Fachbegriffe erläutert. Damit möchte der Plangeber die Verständlichkeit <strong>und</strong><br />

Lesbarkeit des Planwerkes erhöhen. Denn der Text wurde in einer sehr fachspezifischen<br />

Sprache abgefasst. Wegen der sprachlichen Konzentration <strong>und</strong> Abstraktion<br />

sind die Aussagen exakt <strong>und</strong> die Seitenzahl konnte begrenzt werden,<br />

dieses Vorgehen bringt aber Nachteile bei der Verständlichkeit des Plans mit<br />

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Dr. iur. Gerd Hager, Verbandsdirektor<br />

Vorlesung Regionalplanung – <strong>Materialien</strong> <strong>und</strong> <strong>begleitende</strong> <strong>Unterlagen</strong> – SS 2013<br />

sich, es ist ein Dokument von Fachleuten für Fachleute. Der Kartenteil vermittelt<br />

die räumliche Dimension der Planaussagen. Ein Regionalplan wird erst in der<br />

Zusammenschau von Text <strong>und</strong> Karte verständlich. Mit Abstand die größte Bedeutung<br />

besitzt die Raumnutzungskarte, die die Planaussagen für die gesamte<br />

Region (über 2.000 km²) optisch konkretisiert.<br />

4. Der Textteil gliedert sich in 4 Kapitel:<br />

- räumliche Ordnung <strong>und</strong> Entwicklung der Region, z. B. Aufgaben im größeren<br />

Raum, Entwicklung de gewerblichen Wirtschaft<br />

- regionale Siedlungsstruktur, z. B. zentrale Orte, Entwicklungsachsen<br />

- regionale Freiraumstruktur, z. B. Grünzüge, Grünzäsuren<br />

- Bereiche für Trassen <strong>und</strong> Infrastrukturvorhaben, z. B. Verkehr, Energie<br />

5. Die Planaussagen unterscheiden sich aufgr<strong>und</strong> ihrer rechtlichen Verbindlichkeit<br />

erheblich. Sie enthalten Ziele, Gr<strong>und</strong>sätze, Vorschläge <strong>und</strong> nachrichtliche Übernahmen.<br />

Am Rande des Textes vermerkt der Plan für jede einzelne Planaussage<br />

ihre Einstufung als Ziel (Z), Gr<strong>und</strong>satz (G), Vorschlag (V) oder nachrichtliche<br />

Übernahme (N). Dieser Kennzeichnung folgen alle Regional- <strong>und</strong> Raumordnungspläne.<br />

6. Ziele (Z) sind verbindliche Vorgaben in Form von räumlich <strong>und</strong> sachlich bestimmten<br />

oder bestimmbaren, vom Träger der Raumordnung abschließend abgewogenen<br />

textlichen oder zeichnerischen Festlegungen zur Entwicklung, Ordnung<br />

<strong>und</strong> Sicherung des Raumes. Entscheidend für die Zielqualität ist die landesplanerische<br />

Letzt-Entscheidung. Nachfolgende Träger der räumlichen oder<br />

fachlichen Planung sind an diese Entscheidung geb<strong>und</strong>en. Sie müssen die Ziele<br />

beachten, sie ihren weiteren inhaltlichen Aussagen zugr<strong>und</strong>e legen. In den nachfolgenden<br />

Plänen (kommunale Bauleitplanung, Fachpläne) <strong>und</strong> Einzelgenehmigungen<br />

(z. B. immissionsschutzrechtliche Genehmigung, wasserrechtliche Erlaubnis)<br />

dürfen die Behörden Ziele der Raumordnung konkretisieren, sie entsprechend<br />

ihrer Maßstabsebene ausformen, sie dürfen die Ziele aber nicht beiseite<br />

schieben, sie nicht überwinden. In einem Bauleitplan kann der Rand einer<br />

zielförmig festgelegten Grünzäsur noch parzellenscharf fixiert werden, er kann<br />

aber in der Grünzäsur keine Bebauung festsetzen.<br />

7. Dagegen besitzen die Gr<strong>und</strong>sätze der Raumordnung eine geringere Bindungskraft<br />

für die nachgeordneten Entscheidungsträger. Gr<strong>und</strong>sätze (G) sind Aussagen<br />

zur Entwicklung, Ordnung <strong>und</strong> Sicherung des Raumes als Vorgaben für<br />

nachfolgende Abwägungs- <strong>und</strong> Ermessensentscheidungen. Die nachgeordneten,<br />

konkreteren Entscheidungsebenen müssen die Gr<strong>und</strong>sätze berücksichtigen.<br />

Bei einer Abwägungsentscheidung, beispielsweise in einem Bebauungsplan,<br />

gehören die Gr<strong>und</strong>sätze der Raumordnung zum Abwägungsmaterial. Der nachgeordnete<br />

Plangeber muss sich mit den Inhalten der Gr<strong>und</strong>sätze beschäftigen,<br />

er darf aber, wenn er gute Gründe besitzt, von ihnen abweichen <strong>und</strong> anderen öffentlichen<br />

Belangen ganz oder teilweise den Vorzug geben.<br />

8. Vorschläge (V) sind raumordnerische Aussagen ohne rechtliche Bindungswirkung.<br />

Die weiteren Planungsebenen müssen die Vorschläge zur Kenntnis neh-<br />

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Dr. iur. Gerd Hager, Verbandsdirektor<br />

Vorlesung Regionalplanung – <strong>Materialien</strong> <strong>und</strong> <strong>begleitende</strong> <strong>Unterlagen</strong> – SS 2013<br />

men, sich aber nicht unbedingt weiter mit ihnen auseinandersetzen. Vorschläge<br />

wirken durch ihren sachlichen Vernunftgehalt, sie wollen raten <strong>und</strong> überzeugen,<br />

aber niemanden zu einem Verhalten zwingen.<br />

9. Nachrichtliche Übernahmen (N) enthalten Hinweise auf (verbindliche) Regelungen<br />

in anderen Rechtsnormen. Im Vordergr<strong>und</strong> stehen die vielen Pläne der Umweltfachverwaltungen.<br />

Soweit sie verbindlich sind, enthalten sie raumrelevante<br />

Festsetzungen, die für die Raumnutzung unmittelbare Wirkungen haben. Im<br />

Vordergr<strong>und</strong> steht der flächenbezogene Naturschutz, z. B. das Natura 2000-Netz<br />

der EU mit den Vogelschutz- <strong>und</strong> den FFH-Gebieten, die Naturschutz- <strong>und</strong> Landschaftsschutzgebiete<br />

oder die Wasserschutzgebiete. Hier zeigt sich der überfachliche<br />

<strong>und</strong> integrierende Ansatz der Raumordnung. Der Plannutzer soll in einem<br />

Planwerk erkennen, welche gravierenden Raumnutzungskonflikte an einem<br />

bestimmten Standort bestehen. Nachrichtliche Übernahmen (N) besitzen deshalb<br />

große Bedeutung für die Lesbarkeit der Raumnutzungskarte.<br />

Auszug Raumnutzungskarte mit Landschaftsschutzgebiet (N)<br />

10. Inhaltliche Vorgaben für den Regionalplan folgen aus dem Landesentwicklungsplan<br />

(LEP BW 2002), den Gr<strong>und</strong>sätzen der B<strong>und</strong>esraumordnung aus dem<br />

Raumordnungsgesetz (ROG) <strong>und</strong> den fachlichen Entwicklungsplänen (z. B. B<strong>und</strong>esverkehrswegeplan,<br />

Generalverkehrsplan BW). Ein Regionalplan formt ihre<br />

Gr<strong>und</strong>sätze <strong>und</strong> Ziele räumlich <strong>und</strong> fachlich aus. Die Aussagen der höherstufigen<br />

Pläne sind häufig sehr abstrakt <strong>und</strong> auf regionale Konkretisierung angelegt,<br />

sie können aber auch schon ganz konkrete Inhalte ausweisen. So beginnt z. B.<br />

der erste Gr<strong>und</strong>satz der b<strong>und</strong>esdeutschen Raumordnung mit folgenden Worten:<br />

„Im Gesamtraum der B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland <strong>und</strong> in seinen Teilräumen sind<br />

ausgeglichene soziale, infrastrukturelle, ökologische, wirtschaftliche <strong>und</strong> kulturelle<br />

Verhältnisse anzustreben. Dabei ist die nachhaltige Daseinsvorsorge zu sichern,<br />

nachhaltiges Wirtschaftswachstum <strong>und</strong> Innovation sind zu unterstützen,<br />

Entwicklungspotenziale sind zu sichern <strong>und</strong> Ressourcen nachhaltig zu schützen.“<br />

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Dr. iur. Gerd Hager, Verbandsdirektor<br />

Vorlesung Regionalplanung – <strong>Materialien</strong> <strong>und</strong> <strong>begleitende</strong> <strong>Unterlagen</strong> – SS 2013<br />

Diese Aussagen lassen noch einen weiten Spielraum zur regionalen Konkretisierung<br />

<strong>und</strong> Umsetzung. Die Entscheidungsspielräume der Regionalplanung werden<br />

nicht sehr stark eingeengt, zumal die Aussagen im Einzelnen durchaus ambivalente,<br />

sogar teilweise gegenläufige Tendenzen enthalten.<br />

Andererseits legt der LEP BW 2002 kurz fest: „Oberzentrum der Region <strong>Mittlerer</strong><br />

Oberrhein ist die Stadt Karlsruhe.“ Hier bleibt keinerlei Entscheidungsmöglichkeit<br />

für die nachgeordnete Planungsebene. Konsequenterweise wiederholt der Plansatz<br />

2.1.2 N (1) diese Vorgabe als nachrichtliche Übernahme.<br />

C. Regionalplanung <strong>und</strong> Bauleitplanung<br />

1. Raumordnungspläne (Landesentwicklungsplan, Regionalpläne) wirken mit ihren<br />

Zielen <strong>und</strong> Gr<strong>und</strong>sätzen in erster Linie auf die kommunalen Bauleitpläne, d. h.<br />

auf die Flächennutzungspläne (vorbereitender Bauleitplan) <strong>und</strong> die Bebauungspläne<br />

(verbindlicher Bauleitplan). Die Bauleitpläne sind an die Ziele der Raumordnung<br />

anzupassen, Gr<strong>und</strong>sätze der Raumordnung bilden Abwägungsmaterial<br />

in der Bauleitplanung. Die Bauleitplanung ist ein zentraler Baustein der kommunalen<br />

Selbstverwaltung. Dies ist sowohl in der B<strong>und</strong>esverfassung (Gr<strong>und</strong>gesetz)<br />

als auch in der Landesverfassung Baden-Württemberg stark geschützt. Deshalb<br />

müssen die Raumordnungspläne ihrerseits auf die Bauleitpläne <strong>und</strong> damit auf<br />

die kommunale Selbstverwaltungsgarantie Rücksicht nehmen (Gegenstromprinzip).<br />

Dies hat Auswirkungen auf die Raumordnung in vielen Dimensionen.<br />

2. Inhaltlich müssen die Raumordnungspläne auf bestehende Bauleitpläne eingehen.<br />

Diese sind wichtiges Abwägungsmaterial bei der Aufstellung des Raumordnungsplanes.<br />

Ein Raumordnungsplan kann eine raumordnerische Fehlentwicklung<br />

in der Bauleitplanung korrigieren <strong>und</strong> eine Fläche anders überplanen, als<br />

sie in einem vorhandenen Bauleitplan ausgewiesen ist. Dazu sind allerdings<br />

überörtliche Gesichtspunkte von höherem Gewicht notwendig. Und der Raumordnungsplan<br />

muss sich mit dem Status quo <strong>und</strong> den Änderungsmöglichkeiten<br />

intensiv auseinandersetzen. Wenn der Raumordnungsplan verabschiedet wird,<br />

löst er eine Anpassungspflicht für die Bauleitplanung aus. Sie ist aber nur schwer<br />

durchsetzbar. In der Praxis entstehen am häufigsten solche Konflikte bei der<br />

Steuerung des Einzelhandels (z. B. EKZ Kuppenheim, Globus in Waghäusel).<br />

3. Das Gegenstromprinzip hat auch eine verfahrensleitende Funktion. Beim Erlass<br />

<strong>und</strong> jeder Änderung eines Raumordnungsplanes müssen die betroffenen Kommunen<br />

gehört werden. Ein Raumordnungsplan darf erst beschlossen werden,<br />

wenn die Kommunen Gelegenheit zur Äußerung erhalten haben. Auch wenn sie<br />

nicht Stellung nehmen, müssen ihre wichtigsten Belange von Amts wegen mit in<br />

den Entscheidungsfindungsprozess eingeb<strong>und</strong>en werden. Auch wenn der Plan<br />

im Verfahren geändert wird <strong>und</strong> Interessen einer Kommune davon betroffen sein<br />

können, muss die betroffene Kommune erneut Gelegenheit zur Stellungnahme<br />

erhalten.<br />

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Dr. iur. Gerd Hager, Verbandsdirektor<br />

Vorlesung Regionalplanung – <strong>Materialien</strong> <strong>und</strong> <strong>begleitende</strong> <strong>Unterlagen</strong> – SS 2013<br />

4. Hinzu kommt die Organisation des Trägers der Raumordnung. Auf der Ebene<br />

der Regionalplanung, die der kommunalen Bauleitplanung unmittelbar vorgelagert<br />

ist, müssen die gebietsangehörigen Kommunen in den Entscheidungsorganen<br />

vertreten sein. Damit wird die kommunale Selbstverwaltung auch institutionell<br />

abgesichert. In den Regionalverbänden entscheidet die Verbandsversammlung<br />

über den Regionalplan. Diese setzt sich aus Vertretern der Stadt- <strong>und</strong><br />

Landkreise zusammen, die wiederum aus den Kommunalwahlen hervorgehen.<br />

Diese Gremien besitzen aufgr<strong>und</strong> ihres Wahlhintergr<strong>und</strong>s ein ausgesprochen<br />

kommunalfre<strong>und</strong>liches Selbstverständnis. Gleichzeitig dürfen sie die übergemeindlichen,<br />

raumordnerischen Belange bei ihren Entscheidungen nicht unberücksichtigt<br />

lassen.<br />

5. Raumordnung in Baden-Württemberg entwickelt sich in einer dynamischen Austauschbeziehung<br />

zwischen örtlichen <strong>und</strong> überörtlichen Aufgaben <strong>und</strong> Interessen.<br />

Sie formuliert Spielregeln für die Entwicklung der Gemeinden, die überörtlich gelten<br />

<strong>und</strong> den Wettbewerb der lokalen Raumansprüche steuern. Deshalb ist für die<br />

Praxis bei der Umsetzung der raumordnerischen Vorgaben so wichtig, dass die<br />

einzelnen Gemeinden gleich behandelt werden <strong>und</strong> dennoch jeder Fall entsprechend<br />

seiner spezifischen Sachgesetzlichkeiten gelöst wird. Wie groß die Ausformungsspielräume<br />

eines Grünzuges sind, welche Möglichkeiten das Kongruenzgebot<br />

beim Einzelhandel in den Verflechtungsräumen bietet, welche<br />

Funktionen ein Kleinzentrum bei der Ausweisung von Wohngebieten besitzt –<br />

das muss die Raumordnung generell gleich vorgeben <strong>und</strong> gleichzeitig auch beachten,<br />

dass sich in Zukunft andere Kommunen auf gerade diesen Einzelfall berufen<br />

werden, wenn die Raumordnung großzügig entschieden hat.<br />

6. Die Gemeinden konkretisieren die raumordnerischen Vorgaben in den Bauleitplänen.<br />

Diese wenden sich unmittelbar an die Bürger, aus ihnen können direkt<br />

Baurechte oder auch Bau- <strong>und</strong> Nutzungsansprüche durch den Einzelnen abgeleitet<br />

werden. In den letzten Jahren wirken auch raumordnerische Vorgaben<br />

mehr <strong>und</strong> mehr direkt auf die Bürger. Im BauGB ist vorgesehen, dass im Außenbereich<br />

raumordnerische Ziele einem Vorhaben im Außenbereich entgegenstehen<br />

können. Raumbedeutsame Vorhaben, d. h. Vorhaben von einigem überörtlichen<br />

Gewicht, dürfen im Außenbereich nicht Zielen der Raumordnung widersprechen.<br />

Wichtig sind zunächst die Grünfestlegungen (z. B. Grünzug, Grünzäsur),<br />

die einer großflächigen Bebauung entgegenstehen. Hinzu kommen die sog.<br />

Konzentrationszonen. In ihnen legt ein Raumordnungsplan fest, dass bestimmte<br />

Nutzungen in einer bestimmten Fläche bevorzugt zulässig sind, z. B. Windenergieanlagen,<br />

Rohstoffabbau, Biomasseanlagen. Gleichzeitig sind solche Anlagen<br />

in den anderen Gebieten (sog. Ausschlussgebiete) in der Regel unzulässig. Damit<br />

steuert die Raumordnung auch konkrete Ansiedlungsentscheidungen (z. B.<br />

Baugenehmigung) auf der Vorhabensebene <strong>und</strong> entscheidet unmittelbar über<br />

einzelne Rechtspositionen der Betroffenen.<br />

7. Zum Schutz der Stadtzentren wirken raumordnerische Belange mittlerweile<br />

selbst innerhalb des Siedlungsverb<strong>und</strong>es. Einzelhandelsvorhaben dürfen keine<br />

schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde<br />

oder in anderen Gemeinden haben. Raumordnerische Fernwirkungen auf be-<br />

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Vorlesung Regionalplanung – <strong>Materialien</strong> <strong>und</strong> <strong>begleitende</strong> <strong>Unterlagen</strong> – SS 2013<br />

nachbarte Kommunen müssen von den Baugenehmigungsbehörden bei der Zulassung<br />

eines Einzelhandelsvorhabens mit beachtet werden. Damit dürfte die<br />

Grenze der Steuerungsmöglichkeiten raumordnerischer Belange erreicht sein.<br />

Denn die Raumordnung bearbeitet nur großräumige Entwicklungen, i.d.R. losgelöst<br />

von konkreten Einzelfällen.<br />

D. Regionale Freiraumstruktur<br />

1. Alle Regionalpläne in Baden-Württemberg enthalten Festlegungen zur regionalen<br />

Freiraumstruktur. Im Regionalplan <strong>Mittlerer</strong> Oberrhein behandelt das Kapitel<br />

3 das Thema Freiraum. In der Raumnutzungskarte werden die textlichen Aussagen<br />

räumlich konkretisiert. Die regionalplanerischen Vorgaben gelten für die<br />

Bauleitplanung, die Landschafts- <strong>und</strong> Fachplanungen <strong>und</strong> müssen in der Umweltverträglichkeitsprüfung<br />

mit beachtet werden.<br />

2. Folgende Freiraumfestlegungen sind möglich:<br />

- Grünzug<br />

- Grünzäsur<br />

- Schutzbedürftigen Bereich für Naturschutz <strong>und</strong> Landschaftspflege<br />

- Schutzbedürftigen Bereich für die Landwirtschaft<br />

- Schutzbedürftigen Bereich für die Forstwirtschaft<br />

- Schutzbedürftigen Bereich für die Erholung<br />

- Schutzbedürftigen Bereich für den vorbeugenden Hochwasserschutz<br />

- Schutzbedürftigen Bereich für den Abbau oberflächennaher Rohstoffe<br />

In den Schutzbedürftigen Bereichen ist jeweils nur eine vorrangige Freiraumfunktion<br />

festgelegt (monofunktional). Die einzelnen Bereiche überlagern sich gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

nicht. Ausnahmen bestehen für die Erholung <strong>und</strong> den Hochwasserschutz.<br />

Regelmäßig steht eine Funktion bei der künftigen Nutzung des Freiraums<br />

im Vordergr<strong>und</strong>. Die Landnutzung des Bereiches muss sich an der bestimmenden<br />

Funktion ausrichten. Dagegen besitzen die regionalen Grünzüge<br />

<strong>und</strong> Grünzäsuren mehrere Funktionen (multifunktional). Auch sie überlagern sich<br />

nicht. Der Umfang der Freiraumfestlegungen ergibt sich aus der Raumnutzungskarte.<br />

In der dicht besiedelten Rheinebene sind nahezu alle Flächen außerhalb<br />

des Siedlungsverbandes <strong>und</strong> den Erweiterungsflächen mit Freiraumfestlegungen<br />

beplant. Weiße Fläche ohne planerische Aussagen sind selten.<br />

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Vorlesung Regionalplanung – <strong>Materialien</strong> <strong>und</strong> <strong>begleitende</strong> <strong>Unterlagen</strong> – SS 2013<br />

Auszug Raumnutzungskarte mit Grünzäsur (Z)<br />

3. Grünzäsuren sollen bandartige Siedlungsentwicklungen verhindern. Sie sind die<br />

härtesten regionalplanerischen Ziele (PS 2.2.3). Sie haben verschiedene Funktionen:<br />

bandartige Siedlungsstrukturen (Siedlungsbrei) entgegenwirken, Identität<br />

der Gemeinden sichern, optimale bauliche Entwicklung, ökologischer <strong>und</strong> genetischer<br />

Austausch, Kleinklima, ortsnahe Erholung. In Ausnahmefällen zulässig<br />

sind im Außenbereich privilegierte Vorhaben, Verkehrsanlagen <strong>und</strong> Leitungen,<br />

wenn ihre Verwirklichung der generellen Zielsetzung der Grünzäsur nicht entgegensteht,<br />

d. h. in eher geringfügigem Umfang.<br />

4. Grünzüge nehmen Ausgleichsfunktionen für die besiedelten Flächen wahr. Plansatz<br />

3.2.2 möchte großflächige, zusammenhängende Teile der freien Landschaft<br />

für ökologische Funktionen oder Freiraumnutzungen erhalten. Dazu gehört auch<br />

die Erholung. Eine Bebauung ist regelmäßig ausgeschlossen. Auch hier können,<br />

bei Wahrung der Ausgleichsfunktion insgesamt, punktuell privilegierte Vorhaben,<br />

Leitungen <strong>und</strong> Verkehrsanlagen zugelassen werden. Im Vordergr<strong>und</strong> steht die<br />

Bewahrung der ökologischen Funktionen in einem dichtbesiedelten Raum mit<br />

hohem Siedlungsdruck. Dennoch soll der Naturhaushalt intakt bleiben <strong>und</strong> großräumige<br />

naturschutzfachliche Vernetzungsmaßnahmen möglich sein.<br />

5. Wertvolle Biotope werden als Schutzbedürftige Bereiche für Naturschutz <strong>und</strong><br />

Landschaftspflege durch PS 3.3.1.2 gesichert. Im Vordergr<strong>und</strong> steht der Schutz<br />

größerer Biotope, aber auch kleinere Biotope sollen gesichert werden (PS<br />

3.3.1.2). Am Mittleren Oberrhein findet sich eine vielgestaltige Biotopstruktur in<br />

den drei Naturräumen Rheinniederung, Kraichgauer Hügelland <strong>und</strong> Nordschwarzwald.<br />

Am naturnächsten finden wir den Schwarzwald, der noch große<br />

unzerschnittene Räume aufweist. Der fruchtbare Kraichgau wird intensiv landwirtschaftlich<br />

genutzt, im biologisch vielfältigen Rheintal bestehen die stärksten<br />

Nutzungskonflikte. Eine Bebauung der Schutzbedürftigen Bereiche für Naturschutz<br />

<strong>und</strong> Landschaftspflege soll weitgehend vermieden werden. Allerdings fin-<br />

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Vorlesung Regionalplanung – <strong>Materialien</strong> <strong>und</strong> <strong>begleitende</strong> <strong>Unterlagen</strong> – SS 2013<br />

det insbesondere im Rheintal ein schleichender Zersiedlungsprozess statt, u. a.<br />

getrieben von der industrialisierten Landwirtschaft.<br />

6. Die Schutzbedürftigen Bereiche für die Landwirtschaft gliedern sich entsprechend<br />

der Bodenfruchtbarkeit in die Stufen I <strong>und</strong> II. In Stufe I herrscht ein Bauverbot<br />

(Ziel) mit Ausnahmen für die Landwirtschaft, Verkehrsanlagen <strong>und</strong> Leitungen.<br />

Bei der Stufe II sollen andere Nutzungen nur in unbedingt notwendigem<br />

Maße zugelassen werden (PS 3.3.2.2). Sie sind durch einen Gr<strong>und</strong>satz (G 4) –<br />

<strong>und</strong> damit schwächer - geschützt. Besonders gute Böden finden sich im Kraichgauer<br />

Hügelland. Durch die industrialisierte Agrarwirtschaft ging die Biotopvielfalt<br />

deutlich zurück (ausgeräumte Landschaften). In den letzten Jahren hat die<br />

Landwirtschaft eine deutliche Renaissance erlebt. Eine wachsende Weltbevölkerung<br />

benötigt Nahrungsmittel, hinzu kommt in zunehmendem Umfang die Energieproduktion.<br />

Sie führt zum Rückgang der Fläche zur Nahrungsmittelproduktion,<br />

gleichzeitig entstehen große Monokulturen („Vermaisung“) <strong>und</strong> die regenerativen<br />

Energieerzeugungsanlagen (z. B. Solarparks) führen zur weiteren Aufsiedelung<br />

der Freiflächen.<br />

7. Die Schutzbedürftigen Bereiche für die Forstwirtschaft (PS 3.3.3.2) sichern den<br />

Wald. Hier besteht daneben ein noch stärkerer Schutz durch das Forstrecht<br />

(Fachplanung, in Deutschland traditionell stark). Die Steuerungswirkung des Regionalplanes<br />

ist deshalb gering. Im Prinzip muss Waldfläche bei Ausstockung<br />

mindestens flächengleich ersetzt werden. Deshalb nimmt die Waldfläche in der<br />

Region immer noch leicht zu. Allerdings finden sich heute in manchen Bereichen<br />

nur noch schwer Ersatzaufforstungsflächen in unserer Region. Die Nutzungskonkurrenz<br />

zur Landwirtschaft ist groß. Bisher setzt sich aber der Forst regelmäßig<br />

durch. Für die Zukunft wird die weitere ökologische Aufwertung des Waldes<br />

eine große Rolle spielen. Der derzeit diskutierte Nationalpark Nordschwarzwald<br />

würde im Wesentlichen Waldflächen (100 km² Minimum nach internationalen<br />

Standards) in Anspruch nehmen.<br />

8. Die Schutzbedürftigen Bereiche für die Erholung sichern besonders geeignete<br />

Freiräume mit günstiger Verkehrserschließung für die Erholung des Menschen.<br />

Dabei steht die Naherholung für die Bewohner der Ballungsräume im Vordergr<strong>und</strong>.<br />

Sie sind offen für eine Bebauung mit Erholungseinrichtungen (PS<br />

3.3.4.2).<br />

9. Schutzbedürftige Bereiche für den vorbeugenden Hochwasserschutz sind für natürliche<br />

Überflutungen <strong>und</strong> die Retention von Hochwässern sowie für Maßnahmen<br />

der Gewässerentwicklung <strong>und</strong> Auenrenaturierung zu sichern (PS 3.3.5.2).<br />

Bauliche Nutzungen sind ausgenommen, nur zwingende Maßnahmen im öffentlichen<br />

Interesse sind möglich (z. B. Hochwasserschutz, Polizei etc.). Durch den<br />

Verlust an Retentionsraum in Deutschland hat die Bedeutung des Hochwasserschutzes<br />

stark zugenommen. Der Schutz auch von überschwemmungsgefährdeten<br />

Bereichen steht dabei im Vordergr<strong>und</strong>. Hier wird der Schutz vor Hochwasserereignissen<br />

bestimmter Jährlichkeiten angestrebt. Entlang des Rheins soll der<br />

Schutz von HQ 200 erreicht werden, entlang der Nebenflüsse ist HQ 100 die<br />

Zielmarke. Das Integrierte Rheinprogramm aus dem Jahr 1988 hat daneben die<br />

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Auenrenaturierung im Blick. Das Programm ist bis heute nur teilweise umgesetzt,<br />

hier fehlen die finanziellen Mittel, um rascher zum Ziel zu gelangen. Zudem<br />

gibt es starke politische Protestbewegungen, getragen vor allem von den<br />

Gemeinden vor Ort.<br />

10. In den Schutzbereichen für den Abbau oberflächennaher Rohstoffe hat die Rohstoffgewinnung<br />

Vorrang vor anderen Nutzungen. Alle Maßnahmen, die der Rohstoffgewinnung<br />

entgegenstehen, sind nicht zulässig (PS 3.3.6.2). Der Planungshorizont<br />

beträgt hier ausnahmsweise 30 Jahre. Wichtige Rohstoffe unserer Region<br />

sind Kies, Sand, Festgestein, daneben Ton. Der Regionalplan 2003 enthält<br />

nach Ansicht des Landes nicht ausreichend Flächen zur Rohstoffsicherung. Deshalb<br />

hat der <strong>Regionalverband</strong> bereits seine Rohstoffkapitel überarbeitet (Festgestein)<br />

oder befindet sich in der Fortschreibung (Kies, Sand). Am Oberrhein bestehen<br />

mächtige nutzbare Kieslager (siehe dazu die Karte mineralische Rohstoffe<br />

des Landesamtes für Geologie <strong>und</strong> Rohstoffwesen, Freiburg). Gleichzeitig<br />

steht das Gr<strong>und</strong>wasser hoch an. Bei der Auskiesung entstehen große Seen<br />

(Nassauskiesung). Die Nutzungskonflikte sind deshalb sehr hoch. Die laufende<br />

Teilfortschreibung strebt die planerische Sicherung von Kiesvorkommen von 300<br />

Mio. Tonnen an. Sie orientiert sich an der durchschnittlichen Jahresförderrate<br />

der letzten Dekade von ca. 10 Mio. Tonnen.<br />

E. Flexibilität versus Kontinuität<br />

Ausformung, Zielabweichung, Regionalplanänderung<br />

1. Regionalpläne ergehen als Rechtsnormen. Sie fordern von den Planadressaten,<br />

dass sie sich an ihre Regelungen tatsächlich halten. Dafür ist einmal nötig, dass<br />

die staatlichen Aufsichtsbehörden die Normerfüllung überwachen <strong>und</strong> Verstöße<br />

auch tatsächlich sanktionieren. In Deutschland ist der Normbefolgungsgrad traditionell<br />

hoch. Deshalb können die Pläne ihren Steuerungsansatz in der Realität<br />

durchsetzen. Gleichzeitig geht das Leben im Plangebiet weiter, häufig anders als<br />

bei der Planerstellung vorausgesehen. Deshalb benötigt der Plan einen Anpassungsmodus,<br />

der Reaktionen auf gr<strong>und</strong>legende Änderungen rasch zulässt,<br />

gleichzeitig aber die planerischen Gr<strong>und</strong>lagen nicht erschüttert. Ein Plan, der reale<br />

Steuerungskraft erzeugen will, lebt von der richtigen Mischung aus Kontinuität<br />

<strong>und</strong> Flexibilität. Gleichzeitig ist wichtig, dass der Plangeber bestimmend auf<br />

die Änderungen einwirken kann, sonst wird ihm schleichend der Einfluss auf seinen<br />

Plan entzogen. Gleichzeitig kann der Plangeber in einem großen Planungsraum<br />

nur eine begrenzte Anzahl von Konflikten bearbeiten, entscheiden <strong>und</strong> politisch<br />

verkraften. Deshalb besitzt die Planungspraxis eine gestufte Folge von<br />

Plananpassungsmechanismen: Planausformung für unbedeutende Fälle, die<br />

Zielabweichung für größere, aber noch überschaubare Entwicklungen, die Planänderung<br />

bei gr<strong>und</strong>legenden Veränderungen in den Plangr<strong>und</strong>lagen. Beispielsweise<br />

gingen wir am Mittleren Oberrhein in den 1980er Jahren von einer moderaten<br />

Bevölkerungssteigerung aus. Dementsprechend haben wir neue Wohnbaugebiete<br />

nur in begrenztem Umfang zugelassen. Dann fiel 1989 die Berliner<br />

Mauer, zehntausende von Neubürgern aus der DDR strömten in den Südwesten.<br />

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Hier war eine schnelle Planänderung notwendig, wir wiesen neue Wohnungsbauschwerpunkte<br />

aus, etwa in Bretten.<br />

2. Die Ausformung der Planziele markiert die kleine Münze der Planänderung.<br />

Hochstufige Pläne werden bewusst abstrakt gefasst. Und ihre Karten besitzen<br />

einen großen Maßstab. Regionalpläne enthalten regelmäßig keine parzellenscharfen<br />

Festlegungen, sondern bieten gebietsscharfe Aussagen. Die nachfolgenden<br />

Planungsebenen formen diese Vorgaben näher aus, konkretisieren sie<br />

für ihre – genauere – Maßstabsebene. Dabei besitzen sie einen gewissen Spielraum,<br />

jeweils abhängig von der konkreten Aussage des höherstufigen Plans. Mit<br />

diesem Vorgehen wird gleichzeitig die Planaufstellung auf der höherrangigen<br />

Ebene entlastet. Diese kann sich auf die großen Linien konzentrieren, die Einzelheiten<br />

überlässt sie den weiteren Planebenen. Damit kann das Abwägungsmaterial<br />

für großräumige Planungen überschaubar gehalten, die Problemdichte<br />

begrenzt, damit wird eine Planung überhaupt erst möglich gemacht. Gleichzeitig<br />

erhält die nächste Planungsstufe die Spielräume, die sie für einen Interessenausgleich<br />

in den konkreten Einzelfällen benötigt. Weiterhin darf sie aber in den<br />

Einzelfällen, auch nicht durch eine Summe von Einzelfällen, das Gr<strong>und</strong>gefüge<br />

der übergeordneten Vorgaben in Frage stellen. Wenn der Regionalplan eine<br />

Trasse für eine Straße sichert, darf die Planfeststellung in Einzelpunkten auch<br />

einmal 50 oder 100 m abweichen, wenn sie die generelle Linienführung einhält.<br />

Dagegen darf eine Gemeinde in eine Grünzäsur nicht in dieser Tiefe hineinplanen.<br />

Hier sind allenfalls Randkorrekturen, etwa in einer Bebauungstiefe, denkbar<br />

<strong>und</strong> zulässig. Orientiert sich die Grünzäsur etwa an einem Gewässerlauf, darf<br />

die Gemeinde jenseits dieser natürlichen Barriere keine Baugebiete ausweisen,<br />

ihr Spielraum ist hier auf Null geschrumpft.<br />

3. Die Zielabweichung bietet eine konkrete Möglichkeit, von den Festlegungen eines<br />

Zieles der Raumordnung in einem Einzelfall abzuweichen. Das Ziel wird in<br />

einem speziellen Verfahren gerade für den genannten Fall außer Kraft gesetzt,<br />

bleibt aber für alle anderen Fälle gültig. Die Abweichungsfälle haben eine mittlere<br />

Dimension, soweit Flächen betroffen sind in dem Bereich zwischen (1 – 10 ha<br />

Anhaltsgröße). Wichtig ist die Begrenzung auf einen besonderen Einzelfall, soweit<br />

sich die Belange auf eine Vielzahl vergleichbarer Einzelfälle übertragen lassen,<br />

kommt eine Zielabweichung nicht in Betracht. Voraussetzung dafür ist, dass<br />

die Abweichung unter raumordnerischen Gesichtspunkten vertreten werden<br />

kann <strong>und</strong> die Gr<strong>und</strong>züge der Planung nicht berührt werden. Raumordnerisch<br />

vertretbar erscheinen Lösungen, die der Plangeber auch hätte planen können.<br />

Deshalb kann <strong>und</strong> darf nicht gegen höherrangige Ziele oder Fachplanungen verstoßen<br />

werden. Zudem sind extreme, nicht abwägbare Lösungen ausgeschlossen.<br />

Die Gr<strong>und</strong>züge der Planung bezeichnen das planerische Gefüge, das dem<br />

vorhandenen Plan zugr<strong>und</strong>e liegt. Wesentliche planerische Voraussetzungen<br />

dürfen durch die Einzelfallabweichung nicht in Frage gestellt werden. Das<br />

Hauptanliegen des Ziels darf allenfalls geringfügig beeinträchtigt werden. Besonders<br />

deutlich wird dies bei nachträglichen, bei der Zielformulierung noch nicht<br />

vorhersehbaren Umständen. Beispiel: der letzte Laden zur Gr<strong>und</strong>versorgung<br />

schließt in einer kleinen Gemeinde, Fusion mehrerer Feuerwehren, Aufgabe eines<br />

Unternehmens. In diesen außerordentlichen Fällen kann eine Zielabwei-<br />

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chung Gegenmaßnahmen erfordern, die Zielen der Raumordnung entgegenstehen,<br />

z. B. den Festlegungen Integrationsgebot, Grünzug, Wohnungsbauschwerpunkt.<br />

Hinzu kommen Härtefälle im Grenzbereich eines Zielverstoßes, z. B. ein<br />

Verstoß gegen das Kongruenzgebot im Einzelhandel bei einem Flughafenshop<br />

in einem nicht zentralen Ort (Baden-Airpark).<br />

Die Zielabweichung wird in einem speziellen Verwaltungsverfahren, dem Zielabweichungsverfahren,<br />

zugelassen. Zuständig ist in Baden-Württemberg die höhere<br />

Raumordnungsbehörde, das Regierungspräsidium. In dem Verfahren wird der<br />

Plangeber, d. h. der <strong>Regionalverband</strong> <strong>und</strong>/oder das Land angehört. Seiner Stellungnahme<br />

kommt wesentliche Bedeutung zu. Davon kann die Raumordnungsbehörde<br />

abweichen, in der Praxis sind solche Fälle äußerst selten. Das Verfahren<br />

beginnt auf Antrag eines Antragsberechtigten. Dazu gehören nur diejenigen,<br />

die das Ziel, von dem abgewichen werden soll, beachten müssen, die Antragsbefugnis<br />

folgt der Zielbeachtungspflicht. Zur Zielbeachtung verpflichtet sind die<br />

Träger der Bauleitplanung, die Fachplanungsträger, Bahn <strong>und</strong> Post <strong>und</strong> ganz<br />

selten auch Private, z. B. bei den Konzentrationsplanungen für privilegierte Außenbereichsvorhaben<br />

(insbesondere Windkraftanlagen). Regelmäßig unterliegen<br />

Private nur einer mittelbaren Zielbindung <strong>und</strong> können dann keine Zielabweichung<br />

beantragen. Z. B. ein Möbelhändler möchte auf einem Gr<strong>und</strong>stück, das<br />

bisher unbebaut ist, einen Markt errichten. Dafür benötigt er einen kommunalen<br />

Bebauungsplan (SO-Gebiet). Diesem Plan stehen Raumordnungsziele entgegen,<br />

die Gemeinde darf den Bebauungsplan nicht erlassen. Ein Zielabweichungsverfahren<br />

kann nur die Gemeinde als Träger der Bauleitplanung beantragen,<br />

nicht der private Möbelhändler (IKEA-Rastatt als prominentes Beispiel). Das<br />

Zielabweichungsverfahren schließt mit einer Entscheidung der höheren Raumordnungsbehörde.<br />

Dagegen können die Beteiligten Klage bei den Verwaltungsgerichten<br />

einreichen.<br />

4. Große Änderungen eines Raumordnungsplanes können nur im Wege der Planänderung<br />

zugelassen werden (Faustformel > 10 ha bei flächenhaften Festsetzungen).<br />

Zuständig dafür ist der Plangeber selbst, er kann bei Änderungen der<br />

Ausgangssituation seinen Plan den geänderten Verhältnissen anpassen. Dabei<br />

besitzt er die planerische Freiheit, auf eine neue Situation zu reagieren oder aber<br />

den Plan so zu belassen, wie bisher. Bei einem Regionalplan entscheidet darüber<br />

die Verbandsversammlung nach Vorberatung durch den Planungsausschuss.<br />

Eine Planänderung setzt ein förmliches Verfahren voraus. Die Verbandsverwaltung<br />

erarbeitet einen Planentwurf. Dazu gehört auch ein Umweltbericht,<br />

der die Voraussetzung für eine Strategische Umweltprüfung (SUP) bildet.<br />

In ihm werden die Auswirkungen der Planänderung auf die Umweltmedien erhoben,<br />

beschrieben <strong>und</strong> bewertet. Der Planentwurf wird danach den Trägern öffentlicher<br />

Belange zugeleitet <strong>und</strong> der Öffentlichkeit, u. a. im Internet, vorgestellt.<br />

Die eingegangenen Äußerungen der Privaten <strong>und</strong> der Behörden stellt die Verwaltung<br />

zusammen, gibt eine Stellungnahme ab <strong>und</strong> formuliert einen Entscheidungsvorschlag.<br />

Die Verbandsgremien beraten dann darüber <strong>und</strong> entscheiden,<br />

ob der Planentwurf geändert wird oder bestehen bleibt. Bei wesentlichen Änderungen<br />

muss erneut eine Beteiligungsr<strong>und</strong>e durchgeführt werden. Ansonsten<br />

beschließt die Verbandsversammlung nach Vorberatung im Planungsausschuss<br />

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die Planänderung. Die Verwaltung legt dann den Plan zur Genehmigung der o-<br />

bersten Landesplanungsbehörde vor (derzeit Ministerium für Verkehr <strong>und</strong> Infrastruktur).<br />

Nach der Genehmigung <strong>und</strong> der Verkündung im amtlichen Verkündungsorgan<br />

tritt die Planänderung als Rechtsnorm in Kraft. Beispiel: Regionalplanänderung<br />

zur Zulassung des Industriegebiets Rüdtwald in Bretten-Gölshausen<br />

zur Umsiedlung eines großen Betriebes in dem Mittelzentrum (ca. 25 ha<br />

Wald wurden überplant).<br />

F. Der Aufbau eines <strong>Regionalverband</strong>es<br />

1. Regionalverbände sind in Baden-Württemberg Körperschaften des öffentlichen<br />

Rechts. Sie sind mitgliedschaftlich strukturierte, eigenständige juristische Personen,<br />

gehören zur mittelbaren Landesverwaltung <strong>und</strong> besitzen eigene Beamte<br />

<strong>und</strong> Beschäftigte. Ihr wichtigstes Organ ist die Verbandsversammlung. Weiteres<br />

Organ ist der Verbandsvorsitzende. Zudem bildet die Verbandsversammlung<br />

Ausschüsse, die die eigentliche Alltagsarbeit bewältigen. In ihrer Struktur ähneln<br />

die Regionalverbände den Gemeinden.<br />

2. Im Südweststaat gibt es 12 Regionalverbände. Zwei Verbände greifen über Baden-Württemberg<br />

hinaus, der Verband Region Rhein-Neckar mit Teilen in Rheinland-Pfalz<br />

<strong>und</strong> Hessen sowie der <strong>Regionalverband</strong> Donau-Iller mit bayerischen<br />

Teilen. Die Verbände Region Stuttgart <strong>und</strong> Rhein-Neckar besitzen zusätzliche<br />

Kompetenzen, die weit über die Regionalplanung hinausgehen (z. B.<br />

SPNV/Planung in Rhein-Neckar, Betrieb in Stuttgart, Wirtschaftsförderung). Der<br />

größte Verband ist der Verband Region Stuttgart bei der Bevölkerung (ca. 2,5<br />

Mio. Einwohner), der Verband Heilbronn-Franken bei der Fläche (ca. 4.600 km²).<br />

Der <strong>Regionalverband</strong> <strong>Mittlerer</strong> Oberrhein besitzt die kleinste Regionsfläche (ca.<br />

2.100 km²), aber die vierthöchste Bevölkerung (1,01 Mio. Einwohner). Seine<br />

Siedlungsdichte ist besonders hoch. Die Regionen besitzen in der Regel ein<br />

Oberzentrum, die „Hauptstadt“ der Region. Unser Oberzentrum ist Karlsruhe mit<br />

ca. 300.000 Einwohnern. Daneben gibt es in der Region 7 Mittelzentren, am bekanntesten<br />

ist die Kurstadt Baden-Baden.<br />

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Die Regionen in Baden-Württemberg<br />

3. Hauptorgan des <strong>Regionalverband</strong>es ist die Verbandsversammlung. Ihre 80 Mitglieder<br />

(bei den einwohnerschwächeren Regionen entsprechend weniger) werden<br />

von den Kreistagen der Landkreise <strong>und</strong> den Stadträten der kreisfreien Städte<br />

gewählt. Die Amtszeit beträgt fünf Jahre. Die Verbandsversammlung sorgt für<br />

die demokratische Legitimation der Entscheidungen des <strong>Regionalverband</strong>es <strong>und</strong><br />

tagt 1 - 2 Mal im Jahr. Sie entscheidet die wichtigen Angelegenheiten, insbesondere<br />

verabschiedet sie den Regionalplan <strong>und</strong> den Haushalt, zudem wählt sie<br />

den Verbandsvorsitzenden auf 5 Jahre <strong>und</strong> den Verbandsdirektor auf 8 Jahre.<br />

Die Zusammensetzung ergibt sich aus der Einwohnerzahl der 4 Gebietskörperschaften,<br />

die den <strong>Regionalverband</strong> tragen: die Landkreise Karlsruhe <strong>und</strong> Rastatt<br />

sowie die Stadtkreise Karlsruhe <strong>und</strong> Baden-Baden. Mit Abstand die einwohnerstärkste<br />

Gebietskörperschaft ist der Landkreis Karlsruhe, er besitzt ca. 43 % der<br />

Bewohner. In dem Gremium gruppieren sich die Mitglieder entsprechend ihrer<br />

Zugehörigkeit zu den politischen Parteien. Die CDU stellt die größte Fraktion.<br />

Der Arbeitsstil entspricht den Kommunen, die Suche nach Konsens <strong>und</strong> überparteilicher<br />

Gemeinsamkeit steht im Vordergr<strong>und</strong>. Die politische Alltagsarbeit geschieht<br />

nicht im Plenum, sondern in den Ausschüssen. Im RVMO wurden 2 Ausschüsse<br />

mit jeweils 26 Mitgliedern gebildet: der Planungsausschuss <strong>und</strong> der<br />

Verwaltungs- <strong>und</strong> Finanzausschuss. Am wichtigsten ist der Planungsausschuss,<br />

er tagt in der Regel ein Mal pro Monat.<br />

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4. Die Verbandsversammlung wählt aus ihrer Mitte einen ehrenamtlichen Vorsitzenden.<br />

Er leitet die Sitzungen aller Gremien <strong>und</strong> vertritt den Verband nach außen.<br />

Der – hauptamtliche – Verbandsdirektor wird auf 8 Jahre gewählt. Er vertritt<br />

den Vorsitzenden ständig <strong>und</strong> leitet die operative Arbeit der Verbandsverwaltung.<br />

Der Sitz des RVMO ist in Karlsruhe.<br />

5. Der Verband finanziert sich durch eine Umlage, Zuschüsse des Landes <strong>und</strong><br />

sonstige Einnahmen. Die Umlage leisten die 4 Gebietskörperschaften. Sie deckt<br />

etwa 85 % des gesamten Aufwandes ab. Der <strong>Regionalverband</strong> besitzt ein Recht<br />

der Selbstverwaltung in Planungsangelegenheiten, das aber schwach ausgeprägt<br />

ist gegenüber der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie. Aufsichtsbehörden<br />

sind das Regierungspräsidium Karlsruhe als obere <strong>und</strong> das Ministerium<br />

für Verkehr <strong>und</strong> Infrastruktur als oberste Landesplanungsbehörde.<br />

6. Wichtigste Zuständigkeit des <strong>Regionalverband</strong>es ist die Regionalplanung. Dazu<br />

kommen die Landschaftsplanung, die Raumbeobachtung, das Regionalmanagement<br />

<strong>und</strong> die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Im Vordergr<strong>und</strong> steht<br />

die räumliche Planung im Dialog mit den 57 regionsangehörigen Kommunen,<br />

daneben die politische Interessensvertretung der Region.<br />

G. Teilregionalpläne<br />

1. Neben dem Hauptprodukt der Regionalverbände, dem auf die Freiraum- <strong>und</strong><br />

Siedlungsentwicklung ausgerichteten Regionalplan, finden sich Teilaspekte, die<br />

politisch einen hohen Stellenwert besitzen <strong>und</strong> häufig in selbstständigen Teilregionalplänen<br />

bearbeitet <strong>und</strong> entschieden werden. Am Mittleren Oberrhein führten<br />

die Teilregionalpläne zur Windkraftnutzung, zum großflächigen Einzelhandel <strong>und</strong><br />

zur Rohstoffsicherung zu intensiv diskutierten, eigenständigen Planungskonzeptionen.<br />

Im Vordergr<strong>und</strong> steht die räumliche Steuerung von Nutzungskonflikten,<br />

im Hintergr<strong>und</strong> werden gesellschaftliche Auseinandersetzungen in den politisch<br />

kontroversen Lebensbereichen entschieden.<br />

2. Bei den erneuerbaren Energien besitzt Deutschland eine Vorreiterrolle <strong>und</strong> einen<br />

Exportschlager: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Darin werden für die<br />

einzelnen Energieträger Abnahmeverpflichtungen der Netzbetreiber <strong>und</strong> feste<br />

Vergütungen über einen langen Zeitraum (z. B. für 20 Jahre) festgelegt. Die Gesamtheit<br />

der Strombezieher bezahlt dafür einen erhöhten (subventionsbelasteten)<br />

Strompreis. Im Jahr 2011 haben die Strombezieher ca. 12 Mia. € an Entgelten<br />

an die Betreiber der Anlagen bezahlt. Gefördert werden etwa die Wasserkraft,<br />

die Biomasse, die Photovoltaik <strong>und</strong> die Windenergie. Diese erhöhte Einspeisevergütung<br />

hat zu einem massiven Ausbau der regenerativen Energien in<br />

Deutschland geführt, aber auch den Strompreis deutlich erhöht.<br />

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Vorlesung Regionalplanung – <strong>Materialien</strong> <strong>und</strong> <strong>begleitende</strong> <strong>Unterlagen</strong> – SS 2013<br />

Photovoltaikanlagen<br />

24,43 ct/kWh<br />

Windkraft (onshore)<br />

8,93 ct/kWh<br />

Geothermie<br />

25,00 ct/kWh<br />

Biomasse<br />

14,30 ct/kWh<br />

Deponie<br />

8,60 ct/kWh<br />

Wasserkraft<br />

12,70 ct/kWh<br />

Quelle: Stadtwerke Schönbeck, Stand 1.01.2012<br />

Vergütung nach EEG<br />

Eine der marktnächsten, d. h. gering subventionierten Stromerzeugungsformen<br />

ist die Windenergie an Land. Moderne Windenergieanlagen (WEA) besitzen eine<br />

Nennleistung von 2 – 3 MW, eine Nabenhöhe von 100 – 140 m <strong>und</strong> eine Gesamthöhe<br />

von 150 – 180 m. Sie sind raumbedeutsame Vorhaben <strong>und</strong> unterliegen<br />

der Steuerung durch die Regionalplanung.<br />

Der B<strong>und</strong>esgesetzgeber hat WEA im Außenbereich privilegiert (§ 35 I Nr. 5<br />

BauGB). Gleichzeitig hat er einen Planvorbehalt erlassen. Die Regionalplanung<br />

oder die Flächennutzungsplanung können sog. Konzentrationszonen ausweisen.<br />

Dort hat die Windkraftnutzung Vorrang vor anderen Nutzungen. Der Rest des<br />

Plangebietes erhält dann durch das Gesetz den Status eines Ausschlussgebietes.<br />

Voraussetzungen sind eine gesamträumliche Planung <strong>und</strong> eine substanzielle<br />

Chance für die Windenergienutzung im Planungsraum. Im Verhältnis von Regionalplan<br />

<strong>und</strong> Flächennutzungsplan geht der Regionalplan vor. Wenn ein Regionalplan<br />

vorhanden ist, entfalten seine Festlegungen eine Bindungswirkung,<br />

wenn sie zielförmig formuliert <strong>und</strong> rechtlich einwandfrei abgewogen sind.<br />

Der RVMO hat das Thema Windenergie frühzeitig (2001) aufgegriffen <strong>und</strong> einen<br />

Teilregionalplan Windenergie aufgestellt. Die anfängliche Euphorie wich unter<br />

starken Bürgerprotesten schnell einer gewissen Ernüchterung. In einem aufwändigen<br />

Standortsuchverfahren erarbeitete die Verwaltung 19 Standorte für Windfarmen<br />

für jeweils 3 – 5 Anlagen (Bündelungsprinzip). Nach intensiven politischen<br />

Debatten blieben 4 Standorte für 20 Anlagen übrig. Die Planung erhielt im<br />

Jahr 2003 die Genehmigung der obersten Landesplanungsbehörde <strong>und</strong> wurde<br />

durch alle Instanzen vor den Verwaltungsgerichten beklagt. Am Ende hat das<br />

B<strong>und</strong>esverwaltungsgericht die Planung bestätigt. Von den 4 Vorrangstandorten<br />

wurde bis heute (11/12) kein einziger realisiert.<br />

Im Jahr 2010 begann die Verwaltung mit den Vorarbeiten für eine neue Planung.<br />

Mit dem Windatlas legte das Land Baden-Württemberg unterstützt von den<br />

Windenergieverbänden <strong>und</strong> den Regionalverbänden eine neue Windfibel mit<br />

sehr genauen Daten über die mögliche Windernte im ganzen Land vor. Auf die-<br />

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Vorlesung Regionalplanung – <strong>Materialien</strong> <strong>und</strong> <strong>begleitende</strong> <strong>Unterlagen</strong> – SS 2013<br />

ser Gr<strong>und</strong>lage führt der RVMO seine Planung fort. Nach der Reaktorhavarie in<br />

Fukushima erhielt das Verfahren weitere Aktualität. Gleichzeitig beschloss die<br />

neue grün-rote Landesregierung eine Beschränkung der Planungskompetenzen<br />

der Regionalverbände. Sie dürfen nur noch Vorranggebiete, aber keine Ausschlussgebiete<br />

mehr ausweisen (Windnovelle 2012). Die vorhandenen Regionalpläne<br />

werden zu einem Stichtag aufgehoben (31.12.2012). Damit wird der<br />

Weg frei für die kommunalen Flächennutzungspläne. Ein Plan wird durch eine<br />

Vielzahl von Plänen ersetzt. Wenn die jeweiligen Kommunen keinen FNP erstellen,<br />

greift die baurechtliche Privilegierung der WEA. Dann kann an jedem Ort im<br />

Außenbereich, soweit keine öffentlichen Belange entgegenstehen, eine oder<br />

mehrere WEA platziert werden. Deshalb haben die meisten Kommunen im Verbandsgebiet<br />

mit einer – isolierten – Flächennutzungsplanung für die Windenergienutzung<br />

begonnen. Gleichzeitig plant der RVMO Vorranggebiete. Der Arbeits<strong>und</strong><br />

Abstimmungsaufwand ist erheblich. Ziel ist es, in Baden-Württemberg bis<br />

zum Jahr 2020 10 % der Stromerzeugung durch Windkraft im Land zu gewinnen.<br />

Dazu müssen in den nächsten Jahren ca. 1.200 neue Anlagen installiert werden.<br />

Derzeit gibt es in Baden-Württemberg lediglich ca. 380 WEA.<br />

Auszug Windatlas 2011<br />

Der Standortsuchlauf hat mittlerweile begonnen. Parallel dazu planen die Gemeinden<br />

für ihr Gebiet weitere Windstandorte.<br />

3. Das Zentrale-Orte-System bildet das Rückgrat der regionalen Siedlungsstruktur.<br />

Der Begriff stammt aus der ökonomischen Theorie, erstmals verwendete ihn<br />

Walter Christaller in seiner Doktorarbeit 1933. In der Abfolge von Zentren bestimmter<br />

Stufen zielt es auf eine gute Versorgung aller Teile der Region mit Gütern<br />

<strong>und</strong> Dienstleistungen. Die Abstufung reicht vom Oberzentrum, den Mittelzentren<br />

über die Unterzentren bis hin zum Kleinzentrum. Den Zentren werden<br />

bestimmte Bereiche zur Versorgung zugewiesen (z. B. Mittelbereich Bruchsal).<br />

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Die Verkehrsinfrastruktur soll auf diese Zentren abgestimmt sein. Die einzelnen<br />

Zentrenstufen nehmen bestimmte Versorgungsfunktionen wahr.<br />

Oberzentren decken den hochqualifizierten Bedarf (z. B. Universität, Großarena,<br />

Spezialkliniken, Opernhaus) ab, Mittelzentren bedienen den gehobenen Bedarf<br />

(Krankenhaus, Gymnasien, Berufsschulzentren, Kinos), Unterzentren den<br />

Gr<strong>und</strong>bedarf des Nahbereiches (Ärztezentrum, Einzelhandel). Damit soll insbesondere<br />

die Versorgung der Bevölkerung in der Fläche sichergestellt <strong>und</strong> eine<br />

ausgewogene Siedlungsentwicklung erreicht werden. Allerdings gibt es in der<br />

Realität viele gegenläufige Entwicklungen, z. B. Ausdünnung der Infrastruktur im<br />

ländlichen Raum, Zusammenwachsen der Siedlungsbereiche, ungesteuerte urbane<br />

Zentren auf der grünen Wiese, Agglomerationen entlang von Verkehrskreuzen,<br />

Wachstum eines peripheren Industriestandortes.<br />

Die Ausstattung mit Einzelhandelsunternehmen in den zentralen Orten entsprechend<br />

der Zentrenstruktur ist seit Jahrzehnten eines der wichtigsten Anliegen<br />

der Raumordnung. In diesem Segment hat sie eine erhebliche Steuerungswirkung<br />

entfaltet, aber auch viele Konflikte ausgefochten. Gr<strong>und</strong>gedanke ist die europäische<br />

Stadt, die einen lebendigen Stadtkern besitzt. Dazu gehört der Handel<br />

als Frequenzbringer, Ort der Begegnung <strong>und</strong> belebendes Element. Hinzu kommt<br />

der Wunsch nach Versorgung der Fläche mit Gütern des täglichen Bedarfs, idealtypischer<br />

Weise im Ortskern. Allerdings bestehen in der Einzelhandelswirtschaft<br />

starke gegenläufige Entwicklungen. In Deutschland findet sich eine außerordentliche<br />

Konzentration der Anbieter. Die 10 größten Konzerne haben einen<br />

Marktanteil von deutlich über 90 %. Kleine <strong>und</strong> mittlere Anbieter verschwinden.<br />

Zudem haben autoorientierte Standorte außerhalb der Zentren wesentliche<br />

Wettbewerbsvorteile (Platz, Kosten, wenige Auflagen). Im Einzelhandel besteht<br />

der Trend zur Größe, Verkaufsfläche ersetzt Arbeitskraft, die Einzugsbereiche<br />

der einzelnen Betriebe werden immer größer, kleinere Gemeinden oder Ortsteile<br />

erhalten keine Gr<strong>und</strong>versorgung mehr. Handwerksbetriebe besitzen erhebliche<br />

Wettbewerbsnachteile gegen die Einkaufsmacht der Großbetriebe.<br />

Die Raumordnung möchte einen Rahmen für den Wettbewerb aufstellen. Ziele<br />

sind vor allem lebendige Innenstädte <strong>und</strong> eine ausgewogene Gr<strong>und</strong>versorgung<br />

in der Fläche. Dazu hat sie 4 Maxime festgelegt:<br />

- Konzentrationsgebot<br />

- Integrationsgebot<br />

- Kongruenzgebot<br />

- Beeinträchtigungsverbot<br />

Das Konzentrationsgebot fordert eine Konzentration der großflächigen Einzelhandelsvorhaben<br />

auf die zentralen Orte höherer Stufe. Ausnahmen sind zum<br />

Schutz der Gr<strong>und</strong>versorgung zugelassen.<br />

Das Integrationsgebot verlangt, dass großflächige Einzelhandelsvorhaben mit<br />

zentrenrelevantem Sortiment (insbesondere Bekleidung, Schuhe) sich in integrierten<br />

Lagen (Stadtzentrum) ansiedeln. Für nicht-zentrenrelevante Sortimente<br />

dürfen auch Randlagen in Anspruch genommen werden.<br />

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Das Kongruenzgebot verlangt, dass sich der Einzugsbereich von Einzelhandelsgroßbetrieben<br />

mit dem Verflechtungsbereich der Standortgemeinde im Wesentlichen<br />

decken (+ 30 % von außen möglich).<br />

Das Beeinträchtigungsverbot verlangt, dass neue Ansiedlungen von Einzelhandelsgroßprojekten<br />

die Funktionsfähigkeit der Stadt- <strong>und</strong> Ortskerne <strong>und</strong> die<br />

verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung im Einzugsbereich nicht wesentlich<br />

beeinträchtigen. Eine erhebliche Beeinträchtigung wird bei einem Kaufkraftabfluss<br />

von 10 % vermutet.<br />

Einzelhandelsgroßprojekte werden ab einer Verkaufsfläche von 800 m² angenommen.<br />

Ab der 800 m² VK-Grenze besitzt ein Betrieb nur ein Baurecht, wenn<br />

für ihn ein Sondergebiet (SO) oder ein Kerngebiet (MK) vorhanden ist oder ausgewiesen<br />

wird. Da SO-Gebiete selten bestehen, muss die Belegenheitsgemeinde<br />

ihre Bauleitpläne i.d.R. ändern. Hier greift die Steuerung der Raumordnung,<br />

da Bauleitpläne sich den Zielen der Raumordnung anpassen müssen. Deshalb<br />

besteht im Handelssektor eine starke Handlungsoption der Raumordnung, aber<br />

auch eine heftige Gegenbewegung bei den großen Anbietern. Sie wirken im politischen<br />

Raum gegen diese „Bevorm<strong>und</strong>ung“. Zudem rufen die Vorhabensträger<br />

häufig die Verwaltungsgerichte an. In den letzten Jahren erhoben die Anbieter<br />

vor allem europarechtliche <strong>und</strong> verfassungsrechtliche Einwände gegen die Begrenzung<br />

ihrer Niederlassungs- <strong>und</strong> Dienstleistungsfreiheit. Besonders spektakulär<br />

ist die Auseinandersetzung um die Zulassung eines IKEA-Einrichtungskaufhauses<br />

in Rastatt. Es wird auch die europäische Ebene beschäftigen.<br />

4. Ein wichtiger Aspekt der Regionalplanung ist die Rohstoffsicherung. Deutschland<br />

ist arm an natürlichen Bodenschätzen. In der Oberrheinebene finden sich jedoch<br />

große Kies- <strong>und</strong> Sandlager, Gr<strong>und</strong>stoffe für die Bauwirtschaft. Die Rohstoffwirtschaft<br />

besitzt keine eigene Fachplanung. Sie ist auf die Ausweisung von Standorten<br />

in der Regionalplanung angewiesen. In der dicht besiedelten Oberrheinebene<br />

besteht eine erhebliche Nutzungskonkurrenz zu anderen Bodennutzungen.<br />

Eine Auskiesung benötigt große Flächen über lange Zeiträume. Der Gr<strong>und</strong>erwerb<br />

durch die Firmen ist nur sinnvoll, wenn Gewissheit besteht, dass die Flächen<br />

in vielen Jahren auch tatsächlich für die Auskiesung zur Verfügung stehen.<br />

Hier bietet eine Ausweisung im Regionalplan langfristig Investitionssicherheit.<br />

Am Oberrhein steht das Gr<strong>und</strong>wasser sehr dicht unter der Geländeoberfläche.<br />

Rohstoffgewinnung heißt dann, dass ein See entsteht. Dadurch verändert sich<br />

die Landschaft, eine Nachnutzung ist nur beschränkt möglich, die Qualität des<br />

Gr<strong>und</strong>wassers <strong>und</strong> der Trinkwasserversorgung wird gefährdet <strong>und</strong> wertvolle<br />

Ökosysteme, gerade in der sensiblen Rheinniederung, verschwinden. Deshalb<br />

bestehen erhebliche Zielkonflikte zwischen der Rohstoffgewinnung <strong>und</strong> anderen<br />

wichtigen öffentlichen Belangen.<br />

Am Anfang der Planung stand die Frage nach dem Bedarf. Wir legten die durchschnittliche<br />

Rohstoffförderung der letzten Jahre zugr<strong>und</strong>e. Sie beläuft sich auf<br />

leicht über 10 Mio. Tonnen p. a., d. h. für jeden Einwohner ca. 10 Tonnen Kies<br />

<strong>und</strong> Sand im Jahr. Diese Menge entspricht auch in etwa dem tatsächlichen<br />

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Verbrauch für die Baugr<strong>und</strong>stoffe. Wegen der langen Investitionszyklen haben<br />

wir die Planung auf 2 x 15 Jahre angelegt: Abbaubereiche für die ersten 15 Jahre,<br />

Sicherungsbereiche für die zweite Periode. Zur Garantie, dass die ausgewiesenen<br />

Standortflächen auch tatsächlich für die Rohstoffgewinnung zur Verfügung<br />

stehen, legt sie der Plan als Ziele (Z) der Raumordnung fest. Verboten sind<br />

gegenläufige Nutzungen, z. B. Gewerbe, erlaubt sind unschädliche Nutzungen,<br />

z. B. Land- <strong>und</strong> Forstwirtschaft.<br />

In einem umfassenden Standortsuchlauf wurden zuerst Gebiete ausgeschlossen,<br />

die einer Rohstoffgewinnung dauerhaft entgegenstehen: Siedlungsbereiche,<br />

Verkehrsflächen, Gewässer, Naturschutzgebiete, Wasserschutzgebiete Zone 1<br />

<strong>und</strong> 2, Schonwald <strong>und</strong> Bannwald. Entfallen können auch Flächen ohne Kies- <strong>und</strong><br />

Sandvorkommen. Das verbleibende Gebiet bildet den Planungsraum. In diesem<br />

Raum haben wir Konfliktkriterien <strong>und</strong> Eignungskriterien einander gegenübergestellt.<br />

Konfliktkriterien nannten wir Belange, die gegen eine Rohstoffnutzung<br />

sprechen, ohne sie auszuschließen. Beispiele: Landschaftsschutzgebiete, Erholungswald,<br />

fruchtbare Böden. Als Eignungskriterien dient alleine die Rohstoffmächtigkeit.<br />

Je mächtiger das nutzbare Kies- <strong>und</strong> Sandlager ansteht, desto mehr<br />

spricht für seine Inanspruchnahme. Beide Kriterien haben wir miteinander verschnitten<br />

( Matrix) <strong>und</strong> damit 5 Klassen von Gebieten gebildet.<br />

Klasse 1 enthält Flächen mit hoher Rohstoffmächtigkeit (> 40 m) <strong>und</strong> geringer<br />

Konfliktdichte (weniger als 2 Konflikte). Klasse 5 enthält Flächen mit geringer<br />

Rohstoffmächtigkeit <strong>und</strong> hoher Konfliktdichte.<br />

Die Suche nach geeigneten Standorten begann in der Klasse 1. Da davon nicht<br />

genug Flächen zur Verfügung standen, griffen wir auch auf die Klasse 2 zurück.<br />

Diese Gebiete gingen in die öffentliche Anhörung, insbesondere die betroffenen<br />

Gemeinden, die Kiesunternehmer, die Behörden der Wasserwirtschaft <strong>und</strong> Naturschutzvertreter<br />

(privat, öffentlich) haben sich geäußert. Die vielen Anregungen<br />

führten zu erheblichen Änderungen der Planung. Eine erneute Offenlage der geänderten<br />

<strong>Unterlagen</strong> zeigte sich als unumgänglich. Der Teilregionalplan Kies <strong>und</strong><br />

Sand soll im Jahr 2012, von der Verbandsversammlung als Satzung beschlossen<br />

werden.<br />

Mächtigkeit<br />

Konfliktdichte<br />

> 40 m<br />

20 – 40 m<br />

< 20 m<br />

gering<br />

< 2<br />

1<br />

2<br />

3<br />

mittel<br />

(2-3)<br />

2<br />

3<br />

4<br />

hoch<br />

> 3<br />

3<br />

4<br />

5<br />

Planungsmatrix Kiesabbau<br />

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H. Bürgerbeteiligung bei der Planung<br />

1. Großvorhaben greifen stark in die Interessen der Betroffenen ein. In unserer<br />

dicht besiedelten Industriegesellschaft treffen neue Nutzungen stets auf bereits<br />

vorhandene Nutzungen, die von Vorhaben ausgelösten Nutzungskonflikte sind<br />

gravierend. Großvorhaben benötigen Raum, zerstören gewachsene Strukturen,<br />

lösen Verkehre aus, verändern die Kulturlandschaft, verursachen Emissionen.<br />

Das löst Gegenkräfte aus. Bei der Planung von Großvorhaben wird neben den<br />

Trägern der berührten öffentlichen Belange die Öffentlichkeit einbezogen.<br />

2. Unsere industrielle Gesellschaft lebt davon, dass sie in die Transport- <strong>und</strong> Verteilnetze<br />

der globalisierten Wirtschaft eingeb<strong>und</strong>en ist. Dazu gehört eine leistungsfähige<br />

Verkehrsinfrastruktur. Deshalb besteht in einer Region i. d. R ein politischer<br />

Konsens, dass die Verkehrsvorhaben verwirklich werden. Dagegen stehen<br />

häufig die direkt Betroffenen mit dem Anliegen, von weiteren Belastungen<br />

verschont zu bleiben. In diesem Widerspruch entstehen Konflikte. Zudem fordern<br />

die mündigen Bürger reale Mitsprache in ihren Angelegenheiten. In den letzten<br />

Jahren ging die Integrationsleistung der repräsentativen Demokratie zurück. Die<br />

Bürger möchten nicht nur bei Wahlen mitbestimmen, sondern auch bei wichtigen<br />

Einzelentscheidungen während der Legislaturperioden. Dazu gehören vor allem<br />

Infrasturkurvorhaben. Hier fordern die Betroffenen Gehör, Mitsprache, Mitentscheidung,<br />

mittlerweile auch oft die Letztentscheidung. Alle Formen der unmittelbaren<br />

Demokratie haben heute Konjunktur. Dazu gehören Volksabstimmungen,<br />

Referenden auf B<strong>und</strong>es- <strong>und</strong> Landesebene oder Bürgerbegehren <strong>und</strong> Bürgerentscheide<br />

in den Gemeinden.<br />

Beispiel: Volksentscheid über S 21, Bürgerentscheid über eine Ortsumfahrung,<br />

Bürgerentscheid über den Bau einer dritten Startbahn des Flughafens München.<br />

3. Aus diesem allgemeinen Unbehagen entwickeln sich soziale Bewegungen, politische<br />

Parteien <strong>und</strong> heftige politische Auseinandersetzungen. Häufig standen Infrastruktureinrichtungen<br />

im Brennpunkt des Geschehens. Aus den Protesten entstand<br />

die Bürgerinitiativbewegung, die Partei „Die Grünen“ <strong>und</strong> die manch heftige<br />

Auseinandersetzung, etwa die Anti-Atomkraft-Bewegung, der Kampf um die<br />

Startbahn 18 West in Frankfurt oder die Auseinandersetzung um Stuttgart 21 mit<br />

den schon sprichwörtlichen „Wutbürgern“. In unserem Raum seien die Diskussionen<br />

um die Staustufe Neuburgweier oder um die 2. Rheinbrücke bei Karlsruhe<br />

genannt. Der Widerstand der Bürger gruppierte sich immer wieder um die selben<br />

Themen:<br />

- Grenze der Belastung erreicht<br />

- keine ernsthafte Bürgerbeteiligung<br />

- lange <strong>und</strong> intransparente Verfahren.<br />

Die Politik sieht sich einem Dilemma ausgesetzt. Auf der einen Seite fordert die<br />

Bevölkerung Wohlstand <strong>und</strong> Wachstum. Auf der anderen Seite möchte sie den<br />

Wohlstand in Ruhe genießen <strong>und</strong> von der Infrastruktur zumindest in ihrer Nähe<br />

verschont bleiben, die es aber zur Sicherung <strong>und</strong> zum Ausbau des gleichfalls<br />

erwarteten Wohlstandes bedarf. Ein Beispiel geben die Bürgerinitiativen gegen<br />

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den Ausbau der Mobilfunknetze wegen der Gefahren des Elektrosmogs, deren<br />

Mitglieder keinen Widerspruch darin sehen, intensiv das Mobiltelefon zu nutzen.<br />

4. Die Vorhabenszulassung bietet in Deutschland zwei gr<strong>und</strong>legende Modelle an:<br />

Die Planfeststellung <strong>und</strong> die Bauleitplanung. In beiden Modellen ist eine Bürgerbeteiligung<br />

vorgesehen, allerdings in unterschiedlicher Form. Und beide Modelle<br />

sind eingeb<strong>und</strong>en in eine Abfolge von vorangehenden Verfahren, die die Entscheidungen<br />

aus übergeordneten Gesichtspunkten vorprogrammieren <strong>und</strong> inhaltlich<br />

mitbestimmen.<br />

Verfahrenswegebau: B<strong>und</strong>esverkehrswegeplan – Raumordnungsverfahren - Linienbestimmungsverfahren<br />

– Planfeststellung.<br />

Räumliche Planung: Landesentwicklungsplan – Regionalplan - Flächennutzungsplan<br />

– Bebauungsplan.<br />

Die vorgelagerten, raumübergreifenden Planungen sind weit weg vom konkreten<br />

Fall, abstakt <strong>und</strong> hoch komplex. Eine formelle Bürgerbeteiligung ist idR nicht<br />

vorgesehen <strong>und</strong> wird, wenn sie informell durchgeführt wird – häufig nur in geringem<br />

Maße genutzt. Zudem dauern diese Verfahren häufig sehr lange <strong>und</strong> der<br />

unmittelbare Bezug zu einer konkreten Maßnahme kann nur sehr schwer wieder<br />

hergestellt werden. In einer schnelllebigen Zeit können vor mehreren Jahren erzielte<br />

Ergebnisse häufig nicht wieder mobilisiert werden. Legitimation <strong>und</strong> Akzeptanz<br />

verlieren im Verlauf mehrerer Jahre ihre Wirkkraft.<br />

5. Das Planfeststellungsverfahren war bisher die entscheidende Drehscheibe für<br />

die Beteiligung der Öffentlichkeit auf dem Weg zur Realisierung von Infrastrukturprojekten.<br />

Dieses Verfahren legt das Gesetz als klassisches <strong>und</strong> konventionelles<br />

Verwaltungsverfahren zur Zulassung einer Einzelmaßnahme fest. Für die<br />

Beteiligung der Bürger weist es aber viele entscheidende Nachteile auf:<br />

- Das Planfeststellungsverfahren kommt zu spät. Zur Diskussion <strong>und</strong> Disposition<br />

stehen nur noch Detailfragen <strong>und</strong> kleinräumige Alternativen. Über das<br />

„Ob“ der Maßnahme, über die weiträumigen Weichenstellungen <strong>und</strong> die weiträumigen<br />

Alternativen wurde schon Jahre vorher intern entschieden. Bei den<br />

Bürgern entsteht der Eindruck, dass alles schon klar ist, bevor sie gefragt<br />

werden <strong>und</strong> sie nur noch pro Forma eingeb<strong>und</strong>en werden (Alibi-Veranstaltung).<br />

- Das Planfeststellungsverfahren konzentriert sich auf technische Einzelheiten.<br />

In den Planfeststellungsverfahren steht ein ganz konkretes, im Detail ausgearbeitetes<br />

Konzept zur Diskussion. Der Vorhabensträger hat sich schon festgelegt,<br />

langjährige <strong>und</strong> kostspielige Vorarbeiten geleistet <strong>und</strong> die Probleme<br />

bis in die kleinsten Verästelungen bedacht. Im Verfahren verhandeln Experten<br />

mit Experten. Im Vordergr<strong>und</strong> stehen komplizierte Einzelfragen des Vogelschutzes,<br />

des Naturschutzes, des Artenschutzes, des Immissionsschutzes<br />

etc. Wer daran teilnehmen will, muss sich gut auskennen <strong>und</strong> bis in das<br />

Detail vorbereitet sein, sonst besitzt seine Intervention kein Gewicht, sein<br />

Beitrag keine Bedeutung. Bei den Bürgern entsteht der Eindruck, dass sie<br />

nicht kompetent mitreden können.<br />

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- Im Vordergr<strong>und</strong> des Planfeststellungsverfahrens stehen juristische Probleme.<br />

Der Planfeststellungsbeschluss besitzt für die Betroffenen sehr einschneidende<br />

Wirkungen. Nicht vorgebrachte Einwendungen dürfen später nicht<br />

mehr vorgebracht werden (Präklusion) <strong>und</strong> auf seiner Gr<strong>und</strong>lage kann Eigentum<br />

entzogen werden (enteignungsrechtliche Vorwirkungen). Wegen dieser<br />

tiefgreifenden Folgen für die Betroffenen müssen die belastenden Maßnahmen,<br />

die mit der Verwirklichung des Vorhabens einhergehen, rechtlich sehr<br />

genau vorbereitet <strong>und</strong> durchdacht sein. In den Erörterungsterminen diskutieren<br />

Rechtsk<strong>und</strong>ige bis in kleinste Verästelungen komplizierte Rechtsfragen.<br />

Für die anwesenden Bürger fehlt die Transparenz, die langen Diskurse (oft<br />

über mehrere Tage) ermüden die Teilnehmer. Bei den Bürgern entsteht häufig<br />

das Gefühl, dass sie nicht mitreden können <strong>und</strong> dürfen, dass einige<br />

rechtsk<strong>und</strong>ige Schamanen einen geheimen Kult vorführen.<br />

- Das Planfeststellungsverfahren wendet sich nur an die Betroffenen. Beteiligen<br />

an dem Diskurs können sich nicht alle Bürger, sondern nur die Personen,<br />

deren Belange durch das Vorhaben berührt werden. Auch in dem zentralen<br />

Erörterungstermin darf nicht die Öffentlichkeit allgemein teilnehmen,<br />

sondern nur die Betroffenen, die rechtzeitig Einwendungen an die Planfeststellungsbehörde<br />

herangetragen haben. Bei den Bürgern entsteht der Eindruck<br />

einer geschlossenen Gesellschaft, zu der er keinen Zutritt hat.<br />

- Der Erörterungstermin im Planfeststellungsverfahren dauert oft mehrere Tage.<br />

Dort werden ziemlich ermüdend nach genauen Verfahrensregeln vorbereitete<br />

Statements von Experten vorgetragen. Wer hier aktiv teilnehmen will,<br />

opfert viel Zeit <strong>und</strong> benötigt viel Geduld, die Darstellungen sind oft wenig anschaulich,<br />

die Teilnahme bereitet den meisten Anwesenden wenig Vergnügen.<br />

Die Bürger haben häufig den Eindruck, dass sie durch Langeweile,<br />

Langwierigkeit <strong>und</strong> Ermüdung abgeschreckt werden sollen.<br />

6. Die Bauleitplanung verfolgt bei der Öffentlichkeitsbeteiligung ein zweistufiges<br />

Verfahren (frühzeitige <strong>und</strong> förmliche Beteiligung). Bei der frühzeitigen Beteiligung<br />

besteht eine große Formenfreiheit. Die Öffentlichkeit ist möglichst frühzeitig über<br />

die allgemeinen Ziele <strong>und</strong> Zwecke der Planung, sich wesentlich unterscheidende<br />

Lösungen <strong>und</strong> die voraussichtlichen Auswirkungen der Planung öffentlich zu unterrichten.<br />

Dabei muss Gelegenheit zur Äußerung <strong>und</strong> Erörterung gegeben werden.<br />

In der Ausgestaltung besitzt die Gemeinde eine große Freiheit. Neben klassischen<br />

Formen der Beteiligung mit Bekanntgabe <strong>und</strong> Erörterungstermin kann<br />

sie Beiräte einberufen, Bürgerforen durchführen, Planungszellen initiieren, Bürgergutachten<br />

in Auftrag geben, Internetforen einrichten, Haushalte befragen etc.<br />

Wichtig sind Offenheit des Prozesses <strong>und</strong> die möglichst frühzeitige Information.<br />

Die Ergebnisse müssen dokumentiert werden, damit sie im weiteren Planungsprozess<br />

nicht verloren gehen. Im zweiten Schritt folgt die formelle Öffentlichkeitsbeteiligung.<br />

Die Entwürfe der Bauleitpläne werden öffentlich ausgelegt für<br />

einen Monat. Ort <strong>und</strong> Dauer der Auslegung werden eine Woche zuvor ortsüblich<br />

bekannt gemacht. Stellungnahmen können während der Auslegungsfrist abgegeben<br />

werden. Fristgerecht abgegebene Stellungnahmen sind zu prüfen; das<br />

Ergebnis ist mitzuteilen. Am Ende entscheidet der Gemeinderat über die Stellungnahmen.<br />

Die Gemeindeverwaltung bereitet diese Entscheidung vor.<br />

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Die Bürgerbeteiligung möchte die Planbetroffenen einbeziehen, ihre Kenntnisse<br />

<strong>und</strong> ihren Sachverstand nutzen <strong>und</strong> die Akzeptanz fördern. Die Praxis zeigt,<br />

dass Planung deutlich transparenter, häufig auch sachlich besser durchgeführt<br />

wird. Wichtig ist, dass die Verwaltung bereits eine klare Vorstellung über die<br />

Gr<strong>und</strong>züge der Planung <strong>und</strong> das Planungsverfahren hat <strong>und</strong> gleichzeitig offen<br />

für Modifikationen ist. Gerade bei dem sehr konkreten Endpunkt der Planung,<br />

dem Bebauungsplan, spielen aber auch sehr konkrete Einzelinteressen eine große<br />

Rolle. Hier muss die Verwaltung vermitteln <strong>und</strong> darf sich nicht zu stark von<br />

dem Partikularinteressen leiten lassen.<br />

Wichtig ist schließlich, sich Zeit für die Diskussion zu nehmen <strong>und</strong> dennoch die<br />

Zielrichtung des Prozesses, den Plan als Ergebnis des Verfahrens, nicht aus den<br />

Augen zu verlieren.<br />

7. Derzeit diskutieren die Experten aus Politik, Wissenschaft <strong>und</strong> den Verwaltungen<br />

über die Chancen einer verstärkten Beteiligung der Öffentlichkeit <strong>und</strong> der Betroffenen<br />

an den Verfahren zum Ausbau der Infrastruktur, namentlich bei den Verkehrsanlagen.<br />

Als Lösungen kommen in Frage:<br />

- Raumordnungsverfahren mit genereller Öffentlichkeitsbeteiligung<br />

- Öffnung der Planfeststellungsverfahren für die Allgemeinheit<br />

- Vorstellung der Vorhaben vor Verfahrensbeginn oder am Anfang des Verfahrens<br />

in allgemeinverständlicher Form<br />

- Vorbereitende Öffentlichkeitsarbeit unter Einsatz der elektronischen Medien<br />

- Verstärkter Einsatz von Plebisziten<br />

- Beschleunigung <strong>und</strong> Straffung der Verfahren.<br />

In den Lösungsansätzen stecken einige gravierende Zielkonflikte. Behörden sollen<br />

die Verfahren schneller durchführen <strong>und</strong> gleichzeitig die Bürger intensiver beteiligen.<br />

Beteiligung braucht aber Zeit. Bei den Plebisziten stellt sich die Frage<br />

nach dem Personenkreis, der abstimmen darf. Nur die unmittelbar Betroffenen<br />

oder ein möglichst großer Kreis von Personen. Je kleiner der Kreis der Abstimmungsberechtigten<br />

gezogen wird, desto eher kommt es zur Ablehnung des Eingriffs<br />

(s. Stuttgart 21). Was geschieht, wenn alle Entscheidungen rechtmäßig getroffen<br />

wurden, ja das Vorhaben schon gebaut ist, der Protest aber dennoch<br />

nicht zu Ende geht (Flughafen Frankfurt mit den Montagsdemonstrationen der<br />

Anlieger)? Bei informellen Bürgerinformationen entsteht die Frage, wie die dabei<br />

gewonnenen Erkenntnisse in die förmlichen Verfahren einfließen können <strong>und</strong><br />

dürfen (s. Faktencheck zur 2. Rheinbrücke in Karlsruhe).<br />

8. Ein Ende der Diskussion kann noch nicht abgesehen werden. Im Trend liegen<br />

derzeit der Ausbau der Bürgerbeteiligung in den förmlichen Verfahren, mehr direkte<br />

Demokratie <strong>und</strong> die offene Information schon in einem frühen Verfahrensstadium.<br />

Ob damit eine Befriedung der Auseinandersetzungen erreicht werden<br />

kann <strong>und</strong> ob eine Beschleunigung der Verfahren umsetzbar ist, erscheint noch<br />

fraglich. Sicher steht uns in den kommenden Jahren eine intensive Auseinandersetzung<br />

um die richtige Ausgestaltung der Zulassungsverfahren für die Verkehrsinfrastruktur<br />

bevor.<br />

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Vorlesung Regionalplanung – <strong>Materialien</strong> <strong>und</strong> <strong>begleitende</strong> <strong>Unterlagen</strong> – SS 2013<br />

9. In den letzten Jahren wurden verstärkt neutrale Dritte in die Öffentlichkeitsbeteiligung<br />

mit einbezogen. Damit wird externer Sachverstand mobilisiert, das Renommee<br />

einer bestimmten Person einbezogen <strong>und</strong> eine neutrale Stelle mit in<br />

das Verfahren eingebracht. Dabei lassen sich verschiedene Konstellationen unterscheiden:<br />

- Der Verwaltungshelfer ist ein Dritter, den die Verwaltung in den Ablauf des<br />

Verfahrens mit einbezieht. Er unterstützt die Verwaltung <strong>und</strong> besitzt keine<br />

Entscheidungsbefugnis. Verwaltungshelfer bereiten einen Termin vor, unterstützen<br />

bei der Durchführung, dokumentierten die Ergebnisse oder erstellen<br />

die Sitzungsunterlagen. Sie können auch als Moderator die Verhandlung leiten<br />

<strong>und</strong> durch das Programm führen. Sie können auch bei der Planerstellung<br />

behilflich sein.<br />

- Der Mediator ist ein neutraler Dritter, der auf eine interessensgerechte kooperative<br />

Konfliktlösung hinarbeitet. Er mobilisiert die Konfliktlösungskräfte der<br />

beteiligten Parteien <strong>und</strong> wirkt auf eine tauschförmige Interessensoptimierung<br />

hin. Er legt keinen eigenen Entscheidungsvorschlag vor, sondern motiviert<br />

die Beteiligten zur eigenen Lösungsformulierung. Der Einsatz von Mediatoren<br />

setzt bereits einen erheblichen Konflikt voraus <strong>und</strong> kann nur bei einer gr<strong>und</strong>sätzlichen<br />

Bereitschaft der Beteiligten zur Konfliktlösung gelingen.<br />

- Der Schlichter ist ein neutraler Dritter, der mit den streitenden Parteien ein<br />

verabredetes, vorgegebenes Verfahren durchführt. Er wirkt auf eine Einigung<br />

zwischen den Beteiligten hin. Wenn eine Einigung nicht zustande kommt, legt<br />

er einen Schlichterspruch vor. An diesen sind die Parteien nicht geb<strong>und</strong>en,<br />

sie können ihn annehmen, müssen es aber nicht. Der Einsatz von Schlichtern<br />

ist bei Tarifauseinandersetzungen üblich. Er lebt von der Neutralität, der Ausstrahlung<br />

<strong>und</strong> dem öffentlichen Renommee des Schlichters. Bei den Auseinandersetzungen<br />

um das Verkehrsprojekt Stuttgart 21 wurde der ehemalige<br />

B<strong>und</strong>espolitiker Heiner Geißler als Schlichter eingesetzt. Er hat erheblich zur<br />

Beruhigung <strong>und</strong> Versachlichung des Konflikts beigetragen.<br />

- Der Schiedsrichter ist ein neutraler Dritter, auf den sich die streitenden Parteien<br />

einigen. Er führt ein vereinbartes Verfahren durch. Auch hier ist das Ziel<br />

die Einigung zwischen den Parteien. Falls keine Einigung zustande kommt,<br />

entscheidet der Schiedsrichter verbindlich den Konflikt. Er ist im deutschen<br />

Planungsrecht bisher nicht vorgesehen.<br />

10. Raumordnungsverfahren<br />

Großvorhaben besitzen häufig erhebliche Auswirkungen auf viele öffentliche <strong>und</strong><br />

private Belange. Beispiele: Pumpspeicher, Leitungstrassen, Hotelkomplexe,<br />

B<strong>und</strong>esstraßen, Kraftwerke, Flughäfen. Für ihre Standortwahl bietet die Raumordnung<br />

ein besonderes behördliches Verfahren (Raumordnungsverfahren), in<br />

dem die Auswirkungen unter überörtlichen Gesichtspunkten geprüft werden. Dazu<br />

gehören auch vom Planungsträger eingeführte Standort- <strong>und</strong> Trassenalternativen.<br />

An dem Verfahren werden die in ihren Belangen berührten Träger öffentlicher<br />

Verwaltung beteiligt, (z. B. Naturschutzbehörden, Wasserwirtschaft, Regionalverbände,<br />

Gemeinden). Die Öffentlichkeit kann einbezogen werden. Regelmäßig<br />

wird eine Öffentlichkeits- <strong>und</strong> Verbändeanhörung durchgeführt (Legitimation,<br />

Akzeptanz, Ermittlung der Betroffenheiten). Das Raumordnungsverfahren<br />

schließt eine raumordnerische Umweltverträglichkeitsprüfung ein. Am Ende steht<br />

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Vorlesung Regionalplanung – <strong>Materialien</strong> <strong>und</strong> <strong>begleitende</strong> <strong>Unterlagen</strong> – SS 2013<br />

eine raumordnerische Beurteilung. In ihr stellt die höhere Raumordnungsbehörde<br />

(Regierungspräsidium) fest:,<br />

- ob das Verfahren raumordnungskonform ist,<br />

- wie es mit anderen raumbedeutsamen Planungen abgestimmt ist <strong>und</strong> durchgeführt<br />

werden kann,<br />

- wie es sich zu Standort- <strong>und</strong> Trassenalternativen verhält.<br />

Das Raumordnungsverfahren soll die raumordnerisch günstigste Lösung aufzeigen.<br />

Beide Ergebnisse werden in den nachfolgenden Planungen berücksichtigt,<br />

unmittelbare Rechtsbindungen löst es nicht aus, faktisch wird regelmäßig nur<br />

noch die günstigste Lösung weiter verfolgt.<br />

I. Metropolregionen<br />

1. Seit mehr als 20 Jahren diskutiert die deutsche <strong>und</strong> europäische Raumwissenschaft<br />

intensiv über die Beschreibung <strong>und</strong> die Funktion von Metropolregionen.<br />

Die Verstädterung der Welt, eine globale funktionale Arbeitsteilung, die weite<br />

Zersiedelung des Stadtumlandes <strong>und</strong> eine mobilitätsorientierte Lebens- <strong>und</strong><br />

Wirtschaftsform haben zu einer Integration stadtregionaler Räume geführt, die<br />

mit dem Wort Metropolregion beschrieben werden können. Es entstand der Gedanke<br />

eines Netzes von Räumen mit internationaler, kontinentaler, in wenigen<br />

Fällen sogar globaler Ausstrahlung <strong>und</strong> Knotenpunkten, die wichtige Aufgaben in<br />

den globalen Austauschbeziehungen übernehmen. Der Blick richtete sich auf eine<br />

stadtregionale Kategorie oberhalb der aus dem Zentrale-Orte-System bekannten<br />

Oberzentren. Dabei stand nicht der Versorgungsgedanke für einen<br />

räumlichen Bereich, sondern die Rolle als Impulsgeber für die ökonomische, soziale<br />

<strong>und</strong> kulturelle Raumentwicklung im Vordergr<strong>und</strong>. (Stärken stärken)<br />

2. Dieser raumwissenschaftliche Ansatz geriet schnell auch in den Blick von Politik<br />

<strong>und</strong> Wirtschaft. Das Erklärungsmuster entsprach dem Globalisierungsprozess,<br />

ermöglichte eine Einordnung in diese oft als bedrohlich empf<strong>und</strong>ene Entwicklung,<br />

erlaubte eine eigene Positionsbestimmung <strong>und</strong> lieferte Lösungswege, wie<br />

der Prozess beeinflusst werden kann. Durch die Darstellung verschiedener Metropolregionsklassen<br />

(Ranking) konnte der Stellenwert der eigenen Regionen im<br />

nationalen <strong>und</strong> internationalen Vergleich festgelegt werden. Und die Stärkung<br />

der Metropolfunktionen, z. B. Ansiedlung von Institutionen, Ausbau der Verkehrsinfrastruktur,<br />

Aufbau von Clustern in Wissenschaft, Kreativwirtschaft, Kultur etc.<br />

zeigte einen Weg zur Gestaltung des Globalisierungsprozesses.<br />

3. Durch den Metropolregionsdiskurs erhielt ein fachwissenschaftliches Erklärungsmuster<br />

viel öffentliche Aufmerksamkeit <strong>und</strong> politische Wirkungsmacht.<br />

Gleichzeitig geriet der Diskurs in das Gravitationsfeld politischer Interessen <strong>und</strong><br />

zielgerichteter Forderungen, die sich nicht mehr an fachlichen Erkenntnissen,<br />

sondern an tagespolitischen Zwecken ausrichteten. Im globalen Wettlauf um Investitionen<br />

<strong>und</strong> Institutionen steht die Profilierung metropolitaner Zentren im<br />

Vordergr<strong>und</strong>. Der bisherige Mainstream der raumorientierten Politiken <strong>und</strong> wissenschaftlichen<br />

Arbeiten fokussierte aber eher auf den Ausgleich, einheitliche<br />

Lebensverhältnisse <strong>und</strong> Versorgungssicherheit, z. B. die europäische Agrarpoli-<br />

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Vorlesung Regionalplanung – <strong>Materialien</strong> <strong>und</strong> <strong>begleitende</strong> <strong>Unterlagen</strong> – SS 2013<br />

tik oder nationale Ausgleichsmechanismen. Damit entstanden Fragen über den<br />

Sinn <strong>und</strong> die Effizienz großer Geldströme, Interessenvertreter meldeten sich z.<br />

T. vehement zu Wort. Dem Motto „Stärken stärken“ begegnete eine auf Ausgleich<br />

angelegte (Fach)Öffentlichkeit mit Misstrauen. Diese Einwände schlugen<br />

zurück auch auf die Fachdiskussion, die nun wieder die Verantwortungsgemeinschaften<br />

zwischen Zentrum <strong>und</strong> Fläche betonte <strong>und</strong> nicht mehr die Motorfunktion<br />

der Metropolregionen für die Teilhabe an der globalen wirtschaftlichen Entwicklung.<br />

4. Hinzu kam ein zweites Phänomen. Der Metropolregionsgedanke beschreibt einen<br />

in der Wirklichkeit vorhandenen Trend. Durch die erhöhte Mobilität der Menschen<br />

entstanden über die administrativen Grenzen der Städte hinaus Lebensräume,<br />

in denen sich die Bevölkerung zwischen Wohnen – Arbeiten – Freizeit<br />

wie selbstverständlich bewegt. Diese funktionalen Gebiete haben gemeinsame<br />

Probleme <strong>und</strong> Interessen, verschiedene Akteure fanden sich entlang der Problemlösung<br />

zu informellen Handlungsgemeinschaften zusammen. Diese ungenau<br />

abgegrenzten Räume entsprechen dem Lebensgefühl der dort lebenden Menschen,<br />

die mentalen Zugehörigkeiten orientieren sich an den realen Aktionskreisen.<br />

Deshalb verbündeten sich Raumakteure, um nach innen eine Abstimmung<br />

der handelnden Institutionen zu erreichen <strong>und</strong> ihre Region nach außen als attraktiven<br />

Lebens- <strong>und</strong> Arbeitsstandort zu profilieren. Der Prozess des Regionenbauens<br />

entsprach den politischen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Entwicklungen in den Regionen.<br />

Die sich formierenden Einheiten verlangten nach einer konsistenten Beschreibung,<br />

öffentlicher Anerkennung <strong>und</strong> Aufnahme in den politischen Integrationsprozess.<br />

Ein gutes Beispiel dafür gibt der Wettbewerb um die Auszeichnung<br />

als Metropolregion im Raumordnungsbericht des B<strong>und</strong>esamtes für Raumordnung<br />

<strong>und</strong> Bauwesen 2005.<br />

5. Ein Meilenstein des Diskurses war die Studie von Roger Brunet „Les villes européennes“<br />

im Auftrag der französischen Raumentwicklungsbehörde DATAR aus<br />

dem Jahr 1989. Darin verwiesen die Raumwissenschaftlicher auf die „blaue Banane“,<br />

den wirtschaftlichen Kernraum der EU, der sich von London – Randstadt<br />

– Brüssel über das Rheintal bis nach Oberitalien zieht, an Frankreich vorbei. Zudem<br />

zeigte die Studie, dass neben dem starken Zentrum Paris in Frankreich keine<br />

Städte in der zweiten Liga der europäischen Metropolen vorhanden sind. Dies<br />

sollte durch Städtenetze geändert werden. In der Folgestudie aus dem Jahr<br />

2002 von Rozenblat <strong>und</strong> Cicille (deutsche Übersetzung BBR 2004) vertiefte die<br />

DATAR ihre Erkenntnisse. Auch hier zeigte sich, dass neben Paris, das als Zentrum<br />

der 1. Kategorie in der Weltliga spielt, kein zweites Zentrum von erheblichem<br />

Gewicht in Frankreich existiert. Lyon, Marseille <strong>und</strong> Toulouse werden in<br />

die Kategorie 4 (von 7) eingeordnet. Seitdem unternimmt unser Nachbarstaat<br />

erhebliche Anstrengungen, über großräumige Zusammenarbeit die internationale<br />

Stellung der Zentren zu verbessern.<br />

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Metropolen in Europa<br />

6. Die Positionierung einer Region hängt davon ab, wie die Metropolitanität festgestellt<br />

wird. Entscheidend sind zwei Gesichtspunkte: welcher Raum wird betrachtet<br />

<strong>und</strong> welche Indikatoren bestimmen die Metropolklasse. Der räumliche Umgriff<br />

orientiert sich an den funktionalen <strong>und</strong> administrativen Verflechtungen, er beschreibt<br />

einen realen gemeinsamen Lebens- <strong>und</strong> Arbeitsraum (Agglomerationsbereiche).<br />

Allerdings gab es – außerhalb der Wissenschaft – immer wieder Ansätze<br />

zur Vergrößerung des Gebietes, um ein Mehr an Metropolfunktionen zu erlangen.<br />

Dieser Prozess lief parallel mit der Integration politischer <strong>und</strong> gesellschaftlicher<br />

Akteure, mit dem Zusammenschluss einer Raumschaft zu neuen (informellen)<br />

governance-Strukturen.<br />

Stärker dem wissenschaftlichen Ansatz verpflichtet war die Auswahl der Indikatoren,<br />

durch die die Metropolitanität einer Region abgebildet werden soll. Am Anfang<br />

steht die Bevölkerungszahl, der Blick richtete sich schnell auf Funktionen,<br />

die Metropolen erfüllen müssen. Der Raumordnungsbericht 2005 des BBR legte<br />

seiner Betrachtung 3 Funktionen zugr<strong>und</strong>e:<br />

- Steuerungs- <strong>und</strong> Kontrollfunktion („Machtzentrum“)<br />

- Innovations- <strong>und</strong> Wettbewerbsfunktion („kreatives Milieu“)<br />

- Gatewayfunktion (Einbindung in die Verkehrsnetze)<br />

Diese einzelnen Funktionen werden anhand von verschiedenen, messbaren Kriterien<br />

bestimmt.<br />

Beispiele für Indikatoren:<br />

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- Zahl der Studenten<br />

- Herausgabe wissenschaftlicher Zeitschriften<br />

- Patentanmeldungen<br />

- Hauptsitz großer Unternehmen<br />

- Zahl der Flugpassagiere<br />

- Zahl der Übernachtungen<br />

- bis hin zur Anzahl der Konzerte der Rolling Stones.<br />

Dieses Indikatorenset wurde noch weiter verfeinert, z. B. BBSR Studie 2010<br />

„Metropolräume in Europa“, das den Metropolregionsindex über 5 Funktionsbereiche<br />

<strong>und</strong> 38 Indikatoren bestimmt. Im Kern ist die Vorgehensweise aber bei allen<br />

Studien ähnlich. Für räumlich festgelegte Agglomerationen werden die Indikatoren<br />

bestimmt. Je mehr Metropolindikatoren in größerem Maß erfüllt werden,<br />

desto besser ist die Stellung im Index. Pro Raum wird eine Zahl ermittelt, je größer<br />

die Zahl, desto höher die Metropolitanität. Zur Vergleichbarkeit werden dann<br />

bestimmte Klassen gebildet, in denen sich Räume vergleichbarer Metropolitanität<br />

zusammenfinden.<br />

Beispiel: DATAR-Studie 2002<br />

180 Agglomerationsräume, 15 Indikatoren, 7 Kategorien:<br />

Kategorie 1: London, Paris<br />

Kategorie 2: Madrid, Amsterdam, Mailand<br />

Kategorie 3: z. B. Berlin, Brüssel, München<br />

Kategorie 4: z. B. Köln, Lyon, Dublin, Frankfurt<br />

Kategorie 5: z. B. Stuttgart, Straßburg, Basel, Bordeaux<br />

Kategorie 6: z. B. Freiburg, Graz, Liverpool<br />

Kategorie 7: z. B. Belfast, Karlsruhe, Kassel, Turku<br />

7. In der b<strong>und</strong>esdeutschen Raumordnung fand sich erstmals in dem Beschluss der<br />

MKRO „Raumordnungspolitischer Handlungsrahmen“ aus dem Jahre 1995 die<br />

Bedeutung der europäischen Metropolregionen für die Raumentwicklung in<br />

Deutschland <strong>und</strong> Europa hervorgehoben. An Stelle eines „ungezügelten Wettbewerbs“<br />

sollten die Entwicklungspotenziale von internationaler Bedeutung auf<br />

„hierfür besonders geeignete Schwerpunkte konzentriert“ werden. Sie sollen internationale<br />

<strong>und</strong> interkontinentale Funktionen zusätzlich zu den zentralörtlichen<br />

Aufgaben in nationalem Maßstab erfüllen. Folgende sechs Regionen nannte der<br />

Beschluss: Berlin/Brandenburg, Hamburg, München, Rhein-Main, Rhein-Ruhr,<br />

Stuttgart. Als potenzielle Metropolregion war die Stadtregion Halle/Leipzig –<br />

Sachsendreieck vorgesehen.<br />

Zwei Typen lassen sich unterscheiden: monozentrische Metropolregionen mit einer<br />

starken Kernstadt (München, Hamburg) <strong>und</strong> polyzentrische Metropolregionen<br />

mit mehreren Zentren (Rhein-Ruhr, Rhein-Neckar).<br />

Wegen der politischen Dynamik, die aus diesem Ansatz entstand <strong>und</strong> der öffentlichen<br />

Aufmerksamkeit, die mit der Auszeichnung verb<strong>und</strong>en war, versuchten<br />

viele Räume, die begehrte Bezeichnung zu erreichen. Am Ende des Wettbewerbs<br />

stand ein Beschluss der Ministerkonferenz für Raumordnung (MKRO) aus<br />

dem Jahre 2006 auf Gr<strong>und</strong>lage des Raumordnungsberichts 2005. Im Leitbild 1<br />

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„Wachstum <strong>und</strong> Innovation“ erhielten 4 weitere Regionen die Anerkennung als<br />

europäische Metropolregion: Hannover-Braunschweig-Göttingen; Nürnberg;<br />

Rhein-Neckar; Bremen-Oldenburg. Der Beschluss bezeichnet sie als Motoren<br />

der wirtschaftlichen, sozialen <strong>und</strong> kulturellen Entwicklung. Diese nun 11 Regionen<br />

benennt die b<strong>und</strong>esdeutsche Raumordnung für den europäischen Wettbewerb.<br />

Seit 2001 arbeiten die Regionen im Initiativkreis Europäische Metropolregionen<br />

in Deutschland (IKM) zusammen. Sie werden national <strong>und</strong> international<br />

mit ihren Aussagen <strong>und</strong> Anliegen wahrgenommen.<br />

8. Der Oberrheinraum hat die Anerkennung durch die b<strong>und</strong>esdeutsche Raumordnung<br />

als Metropolregion 2005/2006 nicht erhalten. Nach einer Zeit der politischen<br />

Diskussion hat sich die Raumschaft entschlossen, sich nicht weiter um die<br />

Anerkennung als zwölfte Metropolregion zu bewerben. Um dennoch eine gute<br />

Position bei dem Wettbewerb um Investitionen <strong>und</strong> Institutionen zu erlangen (z.<br />

B. Europastadt Straßburg, Transitkorridor Rheintal, Universitäten am Oberrhein),<br />

entstand der Gedanke einer Trinationalen Metropolregion Oberrhein. Anerkannt<br />

werden sollen die erste grenzübergreifende Metropolregion sowohl auf europäischer<br />

Ebene (ESPON-Prozess) als auch durch die MKRO Deutschland (Fortschreibung<br />

der Leitbilder). Die räumliche Ausdehnung der TMO ist sehr groß, sie<br />

entspricht dem Perimeter der ORK <strong>und</strong> reicht vom Kanton Jura im Süden bis<br />

nach Bruchsal im Norden. Mit 6 Millionen Einwohnern hat sie auch auf europäischer<br />

Ebene metropolitane Größe, die Frage nach der notwendigen Dichte der<br />

funktionalen Verflechtungen muss noch beantwortet werden. Die TMO hat sich<br />

auch politisch zusammengef<strong>und</strong>en. In den 4 Säulen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft<br />

<strong>und</strong> Zivilgesellschaft arbeiten viele Institutionen an gemeinsamen Projekten.<br />

In der weiten Raumschaft stellt sich ganz dringlich die Frage nach der jeweils<br />

richtigen Ebene für die konkrete Zusammenarbeit (multi-level-governance).<br />

Mittlerweile haben sich auch andere Grenzräume in Deutschland zusammengef<strong>und</strong>en.<br />

Die Partner TMO - Bodenseeraum – Großregion Saar-Lor-Lux <strong>und</strong> Aachen-Maastricht-Lüttich<br />

arbeiten im Initiativkreis metropolitaner Grenzregionen<br />

(IMeG). Sein Ziel ist die Anerkennung der Raumkategorie „grenzüberschreitender<br />

metropolitaner Verflechtungsräume“ durch die nationale <strong>und</strong> die europäische<br />

Raumordnung.<br />

Literatur<br />

- B<strong>und</strong>esministerium für Raumordnung, Bauwesen <strong>und</strong> Städtebau: Raumordnungspolitischer<br />

Handlungsrahmen, Bonn 1995.<br />

- B<strong>und</strong>esamt für Bauwesen <strong>und</strong> Raumordnung: Die Städte in Europa – Eine vergleichende<br />

Analyse, Bonn 2004 als Übersetzung des Werkes von Céline Rozenblat<br />

<strong>und</strong> Patricia Cicille aus dem Jahr 2002 im Auftrag der französischen Behörde<br />

für Raumplanung <strong>und</strong> regionale Entwicklung DATAR.<br />

- Blotevogel in Akademie für Raumforschung <strong>und</strong> Landesplanung: Handwörterbuch<br />

der Raumordnung, 4. Auflage 2005, Artikel Metropolregionen, S. 642 –<br />

647.<br />

- B<strong>und</strong>esministerium für Verkehr, Bau <strong>und</strong> Stadtentwicklung: Leitbilder <strong>und</strong> Handlungsstrategien<br />

für die Raumentwicklung in Deutschland, Berlin 2006.<br />

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- B<strong>und</strong>esinstitut für Bau-, Stadt- <strong>und</strong> Raumforschung (BBSR): Metropolräume in<br />

Europa, Bonn 2010.<br />

- B<strong>und</strong>esministerium für Verkehr, Bau <strong>und</strong> Stadtentwicklung: Metropolitane Grenzregionen<br />

– Abschlussbericht des Modellvorhabens der Raumordnung, Berlin<br />

2011.<br />

J. Regionale Organisationsformen<br />

1. Verwaltungsorganisationen sind kein Selbstzweck, sondern Mittel zur rationalen<br />

<strong>und</strong> effizienten Organisation öffentlicher Dienstleistungen. Deutschland versteht<br />

sich als föderaler B<strong>und</strong>esstaat mit zwei staatlichen Ebenen: dem B<strong>und</strong> <strong>und</strong> den<br />

16 B<strong>und</strong>esländern. Beide Ebenen sind Staaten <strong>und</strong> Völkerrechtssubjekte, der<br />

Schwerpunkt liegt beim B<strong>und</strong>. Aber auch die Länder reklamieren für sich eine eigene<br />

Staatlichkeit, sie besitzen eine Exekutive, eine Legislative <strong>und</strong> eine Jurisdiktion.<br />

Der Schwerpunkt der Länder liegt in der Exekutive, alle Länder besitzen<br />

ausdifferenzierte Verwaltungen. Innerhalb der Länder gliedert sich die Administration<br />

in die – staatliche – Landesverwaltung <strong>und</strong> die kommunale Selbstverwaltung.<br />

Dabei bedienen sich sowohl der B<strong>und</strong> als auch die Länder der Kommunen<br />

<strong>und</strong> ihren orts- <strong>und</strong> bürgernahen Verwaltungen. Die Gemeinden organisieren z.<br />

B. vor Ort die B<strong>und</strong>estags- <strong>und</strong> die Landtagswahlen, sind Pass- <strong>und</strong> Ausländerbehörden,<br />

erteilen Führerscheine <strong>und</strong> erledigen Umweltschutzaufgaben. Sie führen<br />

dabei b<strong>und</strong>es- oder landesstaatliche Aufgaben durch.<br />

2. Die allgemeine Landesverwaltung in einem Flächenstaat gliedert sich regelmäßig<br />

in 3 Ebenen. An der Spitze stehen die Ministerien, die politische <strong>und</strong> administrative<br />

Leitungsaufgaben für das ganze Land erledigen, z. B. Ministerium für<br />

Verkehr <strong>und</strong> Infrastruktur mit Sitz in Stuttgart. Derzeit gibt es 9 Ministerien in Baden-Württemberg.<br />

Als Mittelinstanz agieren 4 Regierungspräsidien mit Sitz in<br />

Stuttgart, Karlsruhe, Freiburg <strong>und</strong> Tübingen. Sie bündeln alle Zuständigkeiten<br />

der allgemeinen Verwaltung auf einer mittleren Ebene, z. B. Bauen, Polizei,<br />

Umweltschutz, Landwirtschaft, Straßenbau. Auf der unteren Ebene werden die<br />

staatlichen Aufgaben durch Kommunalverbände wahrgenommen. 35 Landkreise<br />

erledigen neben ihren eigenen Selbstverwaltungsaufgaben auch staatliche Aufgaben.<br />

Hinzu kommen 9 Kreisfreie Städte, z. B. Stuttgart, Mannheim, Karlsruhe,<br />

die als Kommunen staatliche Zuständigkeiten übernehmen. Daneben finden sich<br />

staatliche Sonderbehörden für einzelne Verwaltungsbereiche, etwa Schulämter,<br />

die Finanzverwaltung oder der Justizvollzugsdienst. Im wissenschaftlichen Bereich<br />

erledigen staatliche Selbstverwaltungskörperschaften (Universitäten,<br />

Hochschulen) Aufgaben der Wissenschaftsverwaltung.<br />

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Ministerien<br />

Regierungspräsidien<br />

9<br />

4<br />

Landratsämter<br />

35<br />

Schema Landesverwaltung<br />

3. Eine große Tradition besitzt in unserem Land die gemeindliche Selbstverwaltung.<br />

Von den Städten des Mittelalters über die Stein-Hardenbergsche Reform in<br />

Preußen führt die Linie in das aufgeklärte Baden <strong>und</strong> den Neubeginn unserer<br />

staatlichen Ordnung nach dem Nationalsozialismus. Unter dem Gr<strong>und</strong>gesetz erhielten<br />

die Gemeinden in der Verfassung die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung.<br />

Dazu gehören eine Allzuständigkeit bei Angelegenheiten der örtlichen<br />

Gemeinschaft, die Wahl der Selbstverwaltungsorgane Gemeinderat (alle 5<br />

Jahre) <strong>und</strong> Bürgermeister (alle 8 Jahre) <strong>und</strong> eine angemessene Finanzausstattung.<br />

Hinzu kommen staatliche Aufgaben aus dem übertragenen Wirkungskreis.<br />

Die Kommunen besitzen in der Landespolitik eine starke Stellung, unser Land ist<br />

von unten nach oben aufgebaut, die Gemeinden nehmen im Land traditionell eine<br />

herausgehobene Stellung ein. Das Amt des Oberbürgermeisters von Stuttgart,<br />

der Landeshauptstadt <strong>und</strong> größten Stadt des Landes, gilt als der zweitwichtigste<br />

politische Posten im Land, nach dem Ministerpräsidenten.<br />

4. Seit vielen Jahren wird intensiv die Aufgabe <strong>und</strong> der Stellenwert der Regionen<br />

diskutiert. Ausgangspunkt war die Stadt-Umland-Problematik. Zum Teil schon in<br />

den 1920er Jahren, aber intensiv nach dem 2. Weltkrieg, haben sich die Städte<br />

in ihr Umland hinaus entwickelt. Die Gemeindegrenzen wurden für die Siedlungsexpansion<br />

der Zentren zu eng. Wohnen – Gewerbe – Handel siedelten sich<br />

verstärkt im Umfeld der großen Städte an. Die Siedlungsgebiete wuchsen zusammen,<br />

insbesondere entlang der großen Verkehrsachsen. Allerdings blieben<br />

die Umlandgemeinden politisch selbstständig. In dem „Speckgürtel“ steigerte<br />

sich der Wohlstand, in den Zentren akkumulierten sich soziale Probleme. Durch<br />

das Zusammenwachsen der Siedlungsbereiche entstand ein gemeinsames<br />

Siedlungsgebiet, die einheitliche Entwicklung war jedoch durch die politischen<br />

Gemeindegrenzen erschwert. Zudem verlangten die Zentren einen Ausgleich für<br />

die Lasten, die sie für ihr Umland tragen (Oper, Museen, Zoo, Krankenhaus, Bäder,<br />

Bibliotheken etc.). Durch die gesteigerte Massenmobilität trugen die Menschen<br />

diese Entwicklung in einen zweiten Ring um die Städte. Entlang der Achsen<br />

des ÖPNV entstanden Stadtteile weit ab vom eigentlichen Zentrum (klassisch<br />

Münchener S-Bahn). In der globalisierten Welt werden Zentren erst ab einer<br />

gewissen Größe <strong>und</strong> mit einem bestimmten Infrastrukturniveau wahrgenommen<br />

(Flughafen, Universität, Großarena). Die Grenzen der Großstädte sind<br />

dafür zu eng. Daraus entstand der Druck zur regionalen Zusammenarbeit <strong>und</strong> zu<br />

einer regionalen Organisationsform.<br />

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5. Idealtypisch lassen sich drei Organisationsformen unterscheiden:<br />

a Freiwillige Zusammenarbeit<br />

Die politischen Kräfte in einer Region vereinbaren eine freiwillige Zusammenarbeit.<br />

Bei der Freiwilligkeit bestimmt der kleinste gemeinsame Nenner den<br />

Integrationsgrad. Finanzielle Ausgleichsmechanismen sind selten. Die Finanzausstattung<br />

der regionalen Akteure bleibt begrenzt. In der Region Karlsruhe<br />

haben sich die Stadt- <strong>und</strong> Landkreise schon vor 25 Jahren zu einer regionalen<br />

Gemeinschaft zusammengef<strong>und</strong>en. Die TechnologieRegion Karlsruhe<br />

organisiert die freiwillige Zusammenarbeit in einem Raum von 1,2 Mio. Menschen.<br />

Sie ist als Gesellschaft des bürgerlichen Rechts organisiert. Hier arbeiten<br />

Wirtschaft, Kultur, Politik gemeinsam an der Regionalentwicklung (governance).<br />

Der Etat ist vergleichsweise gering, im Vordergr<strong>und</strong> steht das Regionalmarketing.<br />

b Verbandslösungen<br />

In Städten mit stärkeren Stadt-Umland-Verflechtungen haben sich verschiedene<br />

Verbandslösungen herausgebildet (schon ganz früh im Ruhrgebiet).<br />

Regelmäßig sind die Verbände kommunal verfasst. Ihre Organisation entspricht<br />

den Kommunalverbänden. Die Mitgliedschaft kann nicht frei gewählt<br />

werden, sie legt ein (Landes-) Gesetz verbindlich fest. Die Zuständigkeiten<br />

gehen weit über Kooperationen im Standortmarketing hinaus. In der Region<br />

Rhein-Neckar findet sich der Raum Mannheim-Heidelberg-Ludwigshafen über<br />

die Grenzen von drei (B<strong>und</strong>es) Ländern hinweg zusammen. Pflichtaufgaben<br />

sind die Regionalplanung, die Wirtschaftsförderung, die ÖPNV-Planung, Trägeraufgaben<br />

im Tourismusmarketing <strong>und</strong> bei der Landschaftsplanung. Hinzu<br />

kommt eine intensive Zusammenarbeit mit Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft. Der<br />

Metropolraum Frankfurt arbeitet noch intensiver zusammen. Seine große Innovation<br />

ist der Regionale Flächennutzungsplan, eine Kombination aus Regionalplan<br />

<strong>und</strong> Flächennutzungsplan. Die stärkste Verbandslösung hat sich im<br />

Raum Stuttgart etabliert. Der Verband Region Stuttgart besitzt neben Regionalplanung,<br />

Wirtschaftsförderung, Tourismus, Messewesen die Trägerschaft<br />

für den regionalbedeutsamen SPNV. Damit steuerte die Region einen wesentlichen<br />

Treiber der Regionalentwicklung, eine Aufgabe mit einem erheblichen<br />

Finanzvolumen, <strong>und</strong> die Regionsbürger begegnen ihrer Region jeden<br />

Morgen am Bahnsteig. Der Regionshaushalt übersteigt die Grenze von 250<br />

Mio. € p.a. Die Regionalversammlung wird direkt vom Volk gewählt.<br />

c Die weitgehendste Lösung für die regionale Zusammenarbeit markiert in<br />

Deutschland der Regionalkreis. Im Regionalkreis verschmelzen kommunale<br />

<strong>und</strong> staatliche Aufgaben. Der Kommunalkreis organisiert sich als ein großer<br />

Landkreis, in dem das Regionszentrum mit aufgeht. Dort bündeln sich kommunale<br />

Aufgaben, Aufgaben der Landkreise <strong>und</strong> staatliche Zuständigkeiten.<br />

Die Organe des Regionalkreises gehen aus direkten Wahlen hervor <strong>und</strong> besitzen<br />

damit eine besondere demokratische Legitimation. Der Regionalkreis<br />

ist eine sehr große <strong>und</strong> schlagkräftige Verwaltungsstruktur mit vielen h<strong>und</strong>ert<br />

bzw. tausenden von Beschäftigten, einem großen Etat (1 Mia.-€-Dimension),<br />

vielen Einwohnern <strong>und</strong> umfassenden Verwaltungszuständigkeiten. Das be-<br />

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rühmteste Modell ist die Region Hannover, zu der sich die Landeshauptstadt,<br />

der Landkreis Hannover <strong>und</strong> der dortige <strong>Regionalverband</strong> zusammengeschlossen<br />

haben. Die Region Hannover hat ca. 1,1 Mio. Einwohner. Auch in<br />

Baden-Württemberg werden Regionalkreise diskutiert. Gedacht ist an 10 – 12<br />

Verwaltungseinheiten, die kommunale, regionale <strong>und</strong> raumordnerische Kompetenzen<br />

zusammenfassen.<br />

K. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit<br />

1. Der Mittlere Oberrhein besitzt entlang des Rheins eine lange Grenze mit Frankreich.<br />

Unser Oberzentrum Karlsruhe strahlt in den Grenzraum aus, für viele<br />

Menschen im Nordelsass erfüllt die Stadt wichtige Versorgungsaufgaben. Dazu<br />

gehören etwa der Einzelhandel, der Zoo oder das Arbeitsplatzangebot. Hinzu<br />

kommt Baden-Baden, als ehemaliges Hauptquartier der französischen Streitkräfte<br />

in Deutschland, als Bäder-, Kur-, Kultur- <strong>und</strong> Eventstadt. Auch der Baden-<br />

Airport wird gerne von den Nachbarn genutzt. Die Regionalverbände haben in ihrer<br />

Zuständigkeit die Aufgabe der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit.<br />

2. Der Oberrheinraum besitzt in Europa einen großes Renommee <strong>und</strong> ein beispielhaftes<br />

Niveau bei der Zusammenarbeit über den Rhein hinweg. Sein nördlichster<br />

Ausläufer, der PAMINA-Raum, arbeitet traditionell sehr eng miteinander zusammen.<br />

PAMINA steht für Mozarts Zauberflöte, aber auch für die drei Teilräume<br />

Pfalz (PAlatinat), <strong>Mittlerer</strong> Oberrhein (MI) <strong>und</strong> Nord Alsace (NA).<br />

3. Unser heute traditionell gutes Miteinander begann nach dem zweiten Weltkrieg<br />

mit Misstrauen <strong>und</strong> Abgrenzung. Einzelne Personen organisierten informelle<br />

Treffen, Gemeindevertreter lernten sich kennen, ein Austausch im kleinen<br />

Grenzverkehr startete. Wir haben im europäischen Kontext gelernt, dass Grenzen<br />

von Nationalstaaten Trennlinien sind, die vorhandene Zusammenhänge zerschneiden,<br />

vorhandene Gemeinsamkeiten negieren. Die wirtschaftliche Entwicklung<br />

verlief getrennt, der Arbeitsmarkt war separiert, Verkehrslinien enden abrupt,<br />

die Umweltpolitik kann gr<strong>und</strong>verschieden sein, etwa bei der Reaktion auf<br />

die Havarie des Tschernobyl-Reaktors. An der Grenze zeigen sich die unterschiedlichen<br />

Kulturen der Nationen, treffen sehr unterschiedliche Verwaltungsstrukturen<br />

aufeinander (Zentralstaat versus Föderalismus), finden sich sehr unterschiedliche<br />

Rechtssysteme.<br />

4. Grenzüberschreitende Zusammenarbeit gelingt, wenn sie die Gemeinsamkeiten<br />

sucht ohne die Unterschiede zu leugnen. Sie kann auch ergänzende Handlungsmöglichkeiten<br />

nutzen, etwa: ein Standort, zwei Märkte, hohe Jugendarbeitslosigkeit<br />

auf der einen, Fachkräftemangel auf der anderen Seite; TGV fährt<br />

nach Deutschland, die Stadtbahn nach Frankreich; unterschiedliche Preise für<br />

Gebrauchsgüter führen die Menschen in das Nachbarland; andere Gewohnheiten/Bräuche<br />

fördern die Neugier auf einen intensiven Austausch. Am Beginn einer<br />

Entwicklung werden kontroverse Themen ausgeklammert <strong>und</strong> der kleinste<br />

gemeinsame Nenner gesucht. Danach muss Vertrauen wachsen. Und Vertrauen<br />

basiert auf längeren guten Erfahrungen. Deshalb ist grenzüberschreitende Zu-<br />

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sammenarbeit ein langwieriger Prozess von notwendigerweise kleinen Schritten.<br />

Mit der Zeit können auch kontroverse Themen aufgegriffen werden. Die Zusammenarbeit<br />

lebt von Menschen, die vorangehen, gegen Vorurteile <strong>und</strong> Widerstände<br />

ankämpfen <strong>und</strong> aufstehen, wenn andere noch sitzen bleiben. Grenzüberschreitende<br />

Prozesse dauern lange, brauchen Zeit <strong>und</strong> viele Begegnungen.<br />

Rückschläge dürfen nicht zum Ende der Kooperation führen (z. B. Baden-Airport,<br />

FOC Roppenheim), Erfolge sorgen für zusätzliche Motivation (z. B. Landesgartenschau<br />

Kehl).<br />

5. Und so haben sich vor mehr als 25 Jahren die Planer des RVMO aufgemacht<br />

<strong>und</strong> einen Dialog mit ihren Kollegen im Elsass <strong>und</strong> der Pfalz begonnen. Daraus<br />

hat sich der Eurodistrict PAMINA entwickelt. 15 kommunale Gebietskörperschaften<br />

haben sich zu einem Zweckverband französischen Rechts zusammengeschlossen<br />

mit dem Ziel der Förderung der deutsch-französischen Zusammenarbeit,<br />

zur Weiterführung eines Raumentwicklungskonzepts, zur Betreuung europäischer<br />

Programme <strong>und</strong> zur Information <strong>und</strong> Beratung der Bürger, insbesondere<br />

der Grenzgänger (informelle Zusammenarbeit im Rahmen von governance-<br />

Strukturen). Als oberstes Organ des Eurodistrikts agiert die Verbandsversammlung<br />

mit 33 Mitgliedern, paritätisch besetzt aus den drei Teilräumen.<br />

3 Ausschüsse bewältigen die Alltagsarbeit, ein Vorstand mit 6 Personen führt<br />

den Verband, ein auf 3 Jahre gewählter Präsident repräsentiert den Eurodistrikt.<br />

Heute arbeiten 10 Personen im alten Zollhaus in Lauterbourg unter einem Dach,<br />

direkt an der Grenze, in einer umgebauten Grenzstation. Dort treffen sich die<br />

grenzüberschreitenden Netzwerke, dort findet die Bürgerberatung statt, dort wird<br />

ein Interreg-Programm betrieben, hinzu kommt ein kleiner Touristikverband. Weitere<br />

wichtige Institutionen sind die PAMINA-Volkshochschule oder der PAMINA-<br />

Rheinpark, ein Museum in der Landschaft mit vielen Stationen links <strong>und</strong> rechts<br />

des Rheins. Ein gut markiertes, grenzüberschreitendes Radwegenetz verbindet<br />

die Menschen in Baden, Elsass <strong>und</strong> Pfalz.<br />

Karte Regio PAMINA<br />

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6. In der Oberrheinkonferenz (ORK) arbeiten die Verwaltungen von Frankreich, der<br />

Schweiz <strong>und</strong> Deutschlands zusammen. Sie hat eine Vielzahl von Facharbeitsgruppen<br />

gebildet, z. B. Umwelt, Verkehr, Tourismus. Die ORK hat sich auch für<br />

kommunale Vertreter geöffnet, sie bildet das ganze Spektrum der administrativen<br />

Kooperationen ab. Eine besonders aktive Arbeitsgruppe ist die AG Raumordnung.<br />

Sie versucht, die vielfältigen Raumordnungskonzepte in dem großen<br />

Gebiet zusammenzuführen. Der Oberrhein reicht von dem schweizerischen Kanton<br />

Jura über Basel, Colmar, Freiburg, Straßburg bis nach Karlsruhe <strong>und</strong> in die<br />

Südpfalz. In dem Raum leben fast 6 Mio. Menschen, die Fläche übersteigt<br />

20.000 km². Auch das Interreg IV-Programm Oberrhein deckt mit dem schweizerischen<br />

Partnerprogramm den Gesamtraum ab. Zu der governementalen Kooperation<br />

tritt die Vertretung der Gewählten, der Oberrheinrat. Hier begegnen sich<br />

die Parlamentarier aus den drei Teilräumen. Bei der räumlichen Spannweite der<br />

Organisationen ist es immer wichtig, die richtigen Themen für die richtige Ebene<br />

zu identifizieren. Heute geschieht die grenzüberschreitende Zusammenarbeit am<br />

Oberrhein in drei Perimetern: weiträumiger Ansatz in den Gremien von ORK,<br />

ORR <strong>und</strong> Trinationale Metropolregion Oberrhein (TMO), regionaler Ansatz in den<br />

4 Eurodistrikten Basel, Straßburg/Ortenau, Mitte, PAMINA <strong>und</strong> den vielfältigen<br />

kommunalen Projekten im unmittelbaren Gegenüber (klassisch: Feuerwehren<br />

von Wissembourg <strong>und</strong> Bad Bergzabern). Bei den vielen Gremien <strong>und</strong> Ebenen ist<br />

die Abstimmung untereinander <strong>und</strong> die Bestimmung der Schnittstellen von großer<br />

Bedeutung (multi level governance). Bei der Vielfalt der Gremien besteht der<br />

Wunsch nach schlankeren Organisationsansätzen, eine wichtige Aufgabe für die<br />

TMO. Gleichzeitig wirken die europäische Integration, die Angleichung der<br />

Rechtssysteme <strong>und</strong> der europäische Binnenmarkt in unserem Raum. Sie führen<br />

zu einer immer stärkeren Integration des Gebietes <strong>und</strong> seiner Wirtschaft. Die<br />

Begegnung zwischen den Menschen nimmt zu, die funktionalen Verflechtungen<br />

wachsen <strong>und</strong> mit ihnen die Notwendigkeit von administrativen Strukturen (governement),<br />

die diese Realitäten abbilden <strong>und</strong> rational steuern. Deshalb wird der Integrationsprozess<br />

an einer Nahtstelle der europäischen Entwicklung (Europastadt<br />

Straßburg, Transitkorridor Oberrheingraben, Wissenschaftsstandort) weiterhin<br />

dynamisch bleiben.<br />

L. Exkursion: Ettlingen<br />

1. Lage im Raum<br />

Ettlingen liegt im Übergang der Rheinebene in den nördlichen Schwarzwald südlich<br />

des Oberzentrums Karlsruhe <strong>und</strong> ist Teil des Albtals. Die Alb fließt mitten<br />

durch die Kernstadt. Während der Hauptort noch am Rand des Oberrheingrabens<br />

liegt (Hardtebene mit ihren Niederterrassenresten <strong>und</strong> die östlich daran anschließenden<br />

nur wenig höheren, relativ ebenen Ortenau-Bühler-Vorberge), befinden<br />

sich einige ihrer ländlich geprägten Ortsteile bereits im deutlich höher gelegenen<br />

Bereich der Nordschwarzwald-Randplatten. Ettlingen ist ein Mittelzentrum<br />

innerhalb der Region <strong>Mittlerer</strong> Oberrhein. Zum Mittelbereich Ettlingen gehören<br />

darüber hinaus die Gemeinden Karlsbad, Malsch, Marxzell <strong>und</strong> Waldbronn.<br />

Die Böden in der Oberrheinebene sowie auf den lößüberwehten Hochebenen<br />

der Nordschwarzwald-Randplatten sind sehr fruchtbar.<br />

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2. Strukturdaten<br />

In Ettlingen leben ca. 38.500 Menschen in der Kernstadt <strong>und</strong> in sechs Stadtteilen.<br />

In der Kernstadt selbst wohnen 22.500 Menschen. Die Stadtteile liegen jeweils<br />

als einzelne Siedlungskörper <strong>und</strong> haben daher ihr eigenes Gewicht.<br />

Bruchhausen ist mit 5.100 Einwohnern der größte Stadtteil, dessen Zusammenwachsen<br />

mit dem Hauptort durch Grünzäsuren unterb<strong>und</strong>en wird.<br />

Für die wirtschaftliche Entwicklung von großer Bedeutung ist das Industriegebiet<br />

im Westen der Kernstadt mit einer Größe von ca. 150 ha. Ingesamt weist Ettlingen<br />

r<strong>und</strong> 275 ha Gewerbe- <strong>und</strong> Industriegebiete auf, die namhafte <strong>und</strong> innovative<br />

Unternehmen beherbergen. Ettlingen besitzt einen mittelalterlichen, durch<br />

den Wiederaufbau nach einem großen Stadtbrand im Jahr 1689 teilweise barock<br />

geprägten Ortskern, der auf eine große Geschichte hinweist. Seit über dreißig<br />

Jahren finden alljährlich im Sommer die Schlossfestspiele statt, die mit ihren<br />

Theater- <strong>und</strong> Musicalaufführungen im Schlosshof ein überregionales Publikum<br />

nach Ettlingen anziehen <strong>und</strong> von vielen anderen kulturellen Events in der Innenstadt<br />

begleitet werden.<br />

Die Bevölkerungszahl hat sich seit Ende der 80er Jahre wenig geändert <strong>und</strong> erreichte<br />

im Jahr 2003 mit 39.000 Menschen ihren Höchststand. Im Vergleich zu<br />

den Durchschnittswerten der Region <strong>Mittlerer</strong> Oberrhein hat Ettlingen einen hohen<br />

Anteil älterer Menschen über 60 Jahren (30,7% gegenüber 25,7%). Dennoch<br />

ist der Anteil an Kinder <strong>und</strong> Jugendlichen unter 18 Jahren nicht geringer als<br />

im regionalen Durchschnitt (15,6% gegenüber 16,3%). Die Einwohnerzahl wird in<br />

den nächsten Jahren leicht zurückgehen. Der Anteil ausländischer Mitbürger ist<br />

im regionalen Kontext mit 9,6% eher gering.<br />

3. Der Flächennutzungsplan<br />

Ettlingen ist Mitglied im Nachbarschaftsverband Karlsruhe. Der gemeinsame<br />

Flächennutzungsplan wurde zuletzt 2004 als Gesamtplan fortgeschrieben <strong>und</strong><br />

2009 aktualisiert. Derzeit ist die nächste Gesamtfortschreibung <strong>und</strong> Aufstellung<br />

des Flächennutzungsplans 2025 in Bearbeitung.<br />

Für die Stadt Ettlingen sind 102 ha geplante Siedlungsflächen dargestellt. 58 ha<br />

davon allein in der Kernstadt. Für die gewerbliche Entwicklung im Planungszeitraum<br />

bis ins Jahr 2025 wird für Ettlingen ein zusätzlicher Bedarf an ca. 15 ha<br />

prognostiziert.<br />

4. Innenstadt, Einzelhandel<br />

Ettlingen besitzt eine charmante, von barocken Bauten <strong>und</strong> mittelalterlichen<br />

Fachwerkhäusern geprägte Innenstadt. Entlang der durch die Altstadt fließenden<br />

Alb sind viele idyllische Kleinode, begrünte Plätze <strong>und</strong> Holzbrücken zu entdecken.<br />

Die innenstadttypischen Sortimente (z. B. Bekleidung, Schuhe, Bücher)<br />

werden in Ettlingen überwiegend im zentralen Versorgungsbereich der Innenstadt<br />

angeboten. Im Vergleich zu anderen Städten ist bei diesen Sortimenten die<br />

Konkurrenz von Anbietern auf der grünen Wiese sehr gering, da bis auf SB-<br />

Warenhäuser keine größeren Wettbewerber in den Gewerbegebieten liegen. Die<br />

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Einzelhandelsstruktur der Innenstadt ist kleinteilig, attraktiv <strong>und</strong> von zahlreichen<br />

inhabergeführten Fachgeschäften geprägt. Die Geschäfte profitieren von der hohen<br />

Funktionsvielfalt <strong>und</strong> den damit verb<strong>und</strong>enen Kopplungsmöglichkeiten mit<br />

Dienstleistungen, Gastronomie, Kultur <strong>und</strong> Wohnen. Publikumsfrequenz <strong>und</strong><br />

Verweildauer sind entsprechend hoch. Das Ettlinger Lichtkonzept verstärkt durch<br />

Beleuchtungen die Aufenthaltsqualität in den Abendst<strong>und</strong>en. Mit dem Einzelhandelskonzept<br />

2011 soll der innerstädtische Einzelhandel gesichert <strong>und</strong> Neuansiedlungen<br />

von zentrenrelevanten Angeboten in Gewerbegebieten weiterhin<br />

vermieden werden. Dabei wird auch der Zielkonflikt diskutiert, wie durch Zusammenlegungen<br />

von Ladengeschäften modernen Erfordernissen entsprochen<br />

<strong>und</strong> zugleich das attraktive architektonische Erscheinungsbild erhalten werden<br />

kann.<br />

Literatur<br />

- Koch/Hendler, Baurecht, Raumordnungs- <strong>und</strong> Landesplanungsrecht, 5 Auflage<br />

2009<br />

- Battis/Krautzberger/Löhr, Baugesetzbuch, 11. Auflage 2009<br />

- Akademie für Raumforschung <strong>und</strong> Landesplanung (ARL), Handwörterbuch der<br />

Raumordnung 2005<br />

- Vogt, Raumstruktur <strong>und</strong> Raumplanung, 3. Auflage 1999<br />

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