forward ever â backward never«. - Die Linke
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demokratische immer zu schlapp. Als<br />
ich mich mit den politischen Hintergründen<br />
und der Geschichte der SPD<br />
beschäftigte, merkte ich: <strong>Die</strong> Sozialdemokraten<br />
haben in entscheidenden<br />
Augenblicken ihrer Geschichte immer<br />
den Schwanz eingezogen. Deshalb bin<br />
ich später Kommunist geworden.<br />
Sie sind 1977 der Deutschen Kommunistischen<br />
Partei (DKP) beigetreten.<br />
1991 erfolgte Ihr Austritt. Was ist danach<br />
von Ihren politischen Überzeugungen<br />
geblieben? Was gibt man bei<br />
einem solchen Schritt hinaus wieder<br />
ab?<br />
Meine politischen Überzeugungen<br />
habe ich weitgehend beibehalten. Aber<br />
ich habe die Lust verloren, mich parteipolitisch<br />
zu binden und zu engagieren.<br />
<strong>Die</strong> Widersprüche im System des<br />
sogenannten real existierenden Sozialismus<br />
habe ich bereits vor der Wende<br />
gesehen. Ich war ein paar Mal in<br />
der Sowjetunion und habe dort für<br />
mich persönlich schlimme Dinge erlebt.<br />
Ich habe mich deswegen schon<br />
vor der Wende aus dem Parteiengagement<br />
zurückgezogen. Das fi el aber gar<br />
nicht auf, weil seinerzeit die DKP durch<br />
Gorbatschows Glasnost und Perestroika<br />
irrsinnige Turbulenzen durchmachte.<br />
An politische Arbeit war ja am Ende<br />
gar nicht mehr zu denken. Es wurde<br />
nur noch intern diskutiert, ob Gorbatschow<br />
ein Konterrevolutionär sei<br />
oder der neue Jesus. Ich habe plötzlich<br />
gemerkt, dass mich all das überhaupt<br />
nicht mehr interessierte.<br />
Ich habe damals die Widersprüche,<br />
die ich schon bei meinen Besuchen<br />
auch in der DDR gesehen hatte, umso<br />
stärker empfunden. Bis dato hatte<br />
ich immer gedacht: Das ist eben so,<br />
der Sozialismus ist ja noch im Werden,<br />
die müssen sich ja auch gegen den Kapitalismus<br />
zur Wehr setzen und und<br />
und. Aber es hat schließlich nicht mehr<br />
standgehalten.<br />
Ich verdanke natürlich meiner Zeit in<br />
der DKP sehr viel. Deswegen habe ich<br />
mich nie als Renegat in die vorderste Linie<br />
der Kommunistenhasser begeben.<br />
Es gibt in Ihrem Leben Kollegen, die<br />
mehr als bloß dies sind, die zu Freunden<br />
wurden. Reinhard Mey gehört dazu.<br />
Was schätzen Sie an Mey?<br />
Ich schätze ihn einfach. Und wir beide<br />
wissen, dass der eine dem anderen<br />
sehr viel bedeutet.<br />
Sind Sie beide Brüder im Geiste?<br />
Ich bin in vielem sperriger als Reinhard.<br />
Er war von vornherein jemand,<br />
den alle mögen mussten. Ich war nicht<br />
so jemand.<br />
KULTUR<br />
Bei Reinhard und mir ist es so, dass<br />
wir uns in dem entscheidenden Moment<br />
unseres Lebens begegnet sind.<br />
Es kam in unserem Fall einiges zusammen:<br />
Wir sind gleichaltrig; Reinhard<br />
ist ein halbes Jahr jünger als ich. Wir<br />
haben uns auf der Burg Waldeck kennengelernt,<br />
jenem Zentrum der ersten<br />
großen Liedermachertreffen in den<br />
60-er Jahren. Es hat von Anfang an eine<br />
große beiderseitige Sympathie geherrscht,<br />
weil wir uns in vielem ähnelten,<br />
etwa in der Art, wie wir Lieder auffassten.<br />
Eines Tages kam Reinhard dann zu<br />
mir und sagte: »Hannes, ich könnte eine<br />
Tournee machen. Willste nicht mitkommen?<br />
Ich habe ungefähr zehn<br />
Lieder, du hast zehn Lieder – das ergibt<br />
ein Programm.« Wir standen beide damals<br />
noch am Anfang. Reinhard wollte<br />
Betriebswirtschaft studieren, ich wollte<br />
Grafi ker werden. Wir sind also zusammen<br />
auf Tournee gegangen. Es war eine<br />
wunderbare Reise<br />
Auf »Neue Bekannte« fi ndet sich der<br />
französischsprachige Song »Recontre«,<br />
der auf eine etwas eigentümliche musikalische<br />
Kooperation Hannes Wader-<br />
Reinhard Mey zurückgeht.<br />
Ende der 60-er Jahre wohnte ich wie<br />
Reinhard in West-Berlin. Eines Morgens,<br />
es war gegen halb zehn und somit<br />
für unsereins mitten in der Nacht,<br />
klingelte er mich aus dem Bett und forderte<br />
mich auf, mein Lied »Begegnung«<br />
auf ein Vier-Spur-Tonbandgerät zu singen,<br />
welches er eigens mitgebracht hatte.<br />
Reinhard hat dann diesen Song für<br />
sich ins Französische übersetzt.<br />
Ich hatte nach rund 40 Jahren einfach<br />
Lust, das Lied in Reinhards Version<br />
aufzunehmen. Es war ein nostalgisches<br />
Vergnügen, das ich mir gegönnt<br />
habe. Denn es versetzt mich in die Zeit<br />
zurück, die ich gerade beschrieben habe<br />
– in die Zeit unserer Anfänge.<br />
Einem Mittsechziger sind Rückblicke<br />
erlaubt: Was war die größte Erfüllung<br />
Ihres bisherigen Lebens?<br />
Ich kann solche Fragen nicht beantworten,<br />
denn ich denke nicht in diesen<br />
Kategorien. Mit Enttäuschungen ist es<br />
genauso. Jedes Mal, wenn ich eine Enttäuschung<br />
erlebe, ist es die größte.<br />
In einem Ihrer Lieder schreiben Sie:<br />
»Vielleicht sind wir Menschen nur dazu<br />
geboren, um ruhelos zu suchen, bis<br />
zum Schluss.« Was suchen Sie noch?<br />
(denkt nach) Schwer zu sagen. Ich<br />
lese gerade ein Buch, das unter anderem<br />
von Heinrich von Kleist handelt.<br />
Kleist hat immer nach äußersten Gefühlen<br />
gesucht und etwa an seine Freun-<br />
din geschrieben, dass er mit dem Kopf<br />
gegen die Wand hauen müsse, weil es<br />
in ihm drin so leer sei. So geht es mir<br />
nicht, zum Glück. Ich bin nicht Kleist,<br />
und ich fühle mich im Kopf auch nicht<br />
leer. Höchstens, wenn Sie mir diese<br />
Frage stellen. (lacht)<br />
Aber natürlich suche auch ich etwas,<br />
irgendetwas Dunkles. Vielleicht die eigene<br />
Identität, immer noch? (lacht) Zumindest<br />
wenn es mal wieder an der Zeit<br />
ist, dass ich Lieder für ein neues Album<br />
schreiben muss, dann suche ich natürlich<br />
sehr intensiv. Nach Klischees, nach<br />
Themen, nach Reimen, nach Ausdruck.<br />
Aber das ist Ihnen jetzt wahrscheinlich<br />
zu konkret, oder? (lacht)<br />
Ich kann mit der Antwort gut leben.<br />
Das hört sich jetzt allerdings für mich<br />
so an, als seien Sie prinzipiell weniger<br />
ein Mensch, der etwas sucht, sondern<br />
vielmehr einer, dem irgendetwas<br />
zufällt?<br />
Nun ja, da kann man natürlich<br />
manchmal lange warten, bis einem etwas<br />
zufällt. (lacht)<br />
Wenn man Ihren Liedern glaubt, sind<br />
Sie ausgesprochen zukunftsscheu.<br />
Woran liegt das?<br />
(denkt nach) Zukunftsscheu bin<br />
ich eigentlich nicht. Ich denke schon<br />
manchmal über die Zukunft nach. Allerdings<br />
nicht intensiv. Zukunft, das ist<br />
etwas Esoterisches. Kein Mensch weiß<br />
doch, was gleich oder in fünf Minuten<br />
passiert. Von daher ist das gar nicht<br />
wert, dass man sich eingehend damit<br />
befasst.<br />
Gut, der Mensch ist anders als das<br />
Tier in der Lage, zu planen und diese<br />
Pläne vielleicht zu verwirklichen. Das<br />
mache ich auch. Andererseits: Ich bin<br />
inzwischen offi ziell Rentner. Und ich<br />
muss sagen: Hätte ich seinerzeit besser<br />
vorgesorgt, hätte ich jetzt eine<br />
bessere Rente. Hätte ich also nur etwas<br />
konkreter an die Zukunft gedacht!<br />
(lacht) Das ist das einzige, weswegen<br />
ich bedaure, mich mit Zukunftsfragen<br />
so wenig aufzuhalten.<br />
Zukunft … (denkt nach) Als Kommunist<br />
hatte ich natürlich eine Zukunftsvision.<br />
Man will den Kapitalismus abschaffen,<br />
im Austausch gegen eine bessere<br />
Zukunft. Aber das ist doch auch alles<br />
ganz schön vage.<br />
Interview: André Hagel<br />
Das aktuelle Album: »Neue Bekannte«<br />
erschien bei »Pläne«.<br />
Wader live: unter anderem 21.4. Tuttlingen,<br />
22.4. Fürstenfeldbruck, 23.4.<br />
Gersthofen, 23.4. Coburg, 25.4. Gera<br />
DISPUT April 2008 036