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Steinkohle VORORT - RAG Deutsche Steinkohle AG

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<strong>Steinkohle</strong><br />

<strong>VORORT</strong><br />

R A G D E U T S C H E S T E I N K O H L E / B E R G W E R K W E S T 1 9. D E Z E M B E R 2 0 1 2<br />

FOTOS: FÖRDERGEMEINSCHAFT FÜR BERGMANNSTRADITION LINKER NIEDERRHEIN<br />

100 Jahre Bergbaugeschichte<br />

Mit der Fördereinstellung auf dem Bergwerk West endet eine industrielle Ära.<br />

Erfolgreiche Arbeit: Die ersten Kohlen auf Schacht 2 förderten Bergleute im Juni 1912 zutage.<br />

Im Vergleich zum Bergbau nördlich der<br />

Ruhr begann die <strong>Steinkohle</strong>nförderung<br />

auf der linken Rheinseite spät. Zwischen<br />

Unna und Duisburg hatte der Bergbau eine<br />

lange Vorgeschichte und nahm seit Mitte<br />

des 19. Jahrhunderts deutlich an Fahrt auf.<br />

Von den Kleinstzechen unmittelbar an der<br />

Ruhr weitete er sich im Zuge der Industrialisierung<br />

über das gesamte heutige Ruhrgebiet<br />

aus. Im Westen, jenseits des Rheins,<br />

zweifelten Geologen dagegen noch Mitte<br />

des 19. Jahrhunderts daran, ob sich die Kohlenvorkommen<br />

der rechten Seite auch tatsächlich<br />

linksrheinisch fortsetzten. Als Erster<br />

versuchte sich hier 1851 der Ruhrorter<br />

Kaufmann Franz Haniel an Probebohrungen.<br />

Er war zugleich Hüttenbesitzer, Spediteur,<br />

Schiffsbauer und Innovator im Bergbau.<br />

Unter anderem geht die Gründung der<br />

Zeche Zollverein 1847 auf Haniel zurück.<br />

Seine linksrheinischen Mutungen zeigten<br />

1854 in Homberg Erfolg. Drei Jahre später<br />

verlieh ihm das Bergamt Düren ein 93,5<br />

Quadratkilometer großes Feld mit dem<br />

Namen Rheinpreussen. Versuche, einen ersten<br />

Schacht abzuteufen, hatten jedoch über<br />

Jahre hinweg mit starken Wasserzuflüssen<br />

und Schwimmsand zu kämpfen. Die Fertigstellung<br />

des Schachts 2 und die damit verbundene<br />

Aufnahme der linksrheinischen<br />

<strong>Steinkohle</strong>nförderung gelangen dagegen<br />

vergleichsweise problemlos im Jahr 1877.<br />

Obwohl sich schon zu Haniels Lebzeiten<br />

auch andere Investoren erfolgreich um<br />

<strong>Steinkohle</strong>nkonzessionen in der Region<br />

bemühten, blieb Rheinpreussen für mehr<br />

als 30 Jahre das einzige linksrheinische<br />

Bergwerk. Im Juni 1857 erhielt die „Bohrgesellschaft<br />

Verein“ durch das Oberbergamt<br />

Bonn die Abbaurechte über ein Feld von 61,5<br />

Quadratkilometern verliehen, nachdem sie<br />

im Gebiet um Vluyn auf Kohle gestoßen<br />

war. Ebenfalls 1857 und 1862 erhielt eine<br />

weitere Interessentengruppe Abbaukonzessionen<br />

über die Felder „Humboldt“ zwischen<br />

Vluyn, Rheinberg und Geldern sowie<br />

über das nach einem der Hauptinvestoren<br />

benannte Feld Diergardt bei Rheinhausen.<br />

Anders als bei Rheinpreussen entschieden<br />

Abbildung aus dem Jahr 1904:<br />

<strong>Steinkohle</strong>nfelder am linken Niederrhein.<br />

sich die Konzessionäre in diesen Fällen<br />

jedoch nicht zu unmittelbaren Abteufprojekten.<br />

Vielmehr wurden die betreffenden<br />

<strong>Steinkohle</strong>nfelder in den nächsten Jahren<br />

geteilt und wechselten mehrfach die<br />

Besitzer. Von den Feldern „Verein“ blieben<br />

so die Konzessionen „Süddeutschland“,<br />

„Ernst Moritz Arndt“ und „Großherzog<br />

von Baden“, zu deren Ausbeutung 1911 die<br />

Niederrheinische Bergwerksgesellschaft<br />

gegründet wurde. Sie bildete mit dem Bergwerk<br />

Niederberg in Neukirchen-Vluyn den<br />

direkten Vorläufer des späteren Bergwerks<br />

West. In Rheinhausen nahmen 1912 und<br />

1914 die Bergwerke Diergardt und Wilhelmine<br />

Mevissen ihren Förderbetrieb auf, ab<br />

1927 als Betriebseinheit der gemeinsamen<br />

Bergwerksgesellschaft Diergardt-Mevissen.<br />

Langer Weg bis zur Förderung<br />

Wie langwierig der Weg vom Erhalt der<br />

Bergbaukonzession über den Aufbau der<br />

Schachtanlagen bis zur Aufnahme des<br />

Förderbetriebs sein konnte, zeigt das Beispiel<br />

des Bergwerks Friedrich Heinrich,<br />

auf dessen Schächte sich der Förderbetrieb<br />

des heutigen Bergwerks West konzen triert.<br />

Das Grubenfeld „Friedrich Heinrich“ bei<br />

Lintfort ging 1874 aus der Teilung des<br />

Feldes „Humboldt“ hervor. Namensgeber<br />

war der Sohn des Textilindustriellen Friedrich<br />

Diergardt, der sich zuvor maßgeblich<br />

an den Mutungen am linken Niederrhein<br />

beteiligte. Erst dessen Enkel machten u<br />

Das Bergwerk West<br />

und seine Menschen<br />

Engagiert für die Mitarbeiter<br />

Ausbildung, Gesundheitsschutz oder<br />

Betriebliche Sozialarbeit sind nur<br />

einige der Aspekte, in denen die <strong>R<strong>AG</strong></strong><br />

und das Bergwerk West die Verantwortung<br />

für ihre Mitarbeiter aktiv<br />

wahrnahmen. Auch die Maßnahmen<br />

zur sozialverträglichen Gestaltung<br />

des Auslaufs und der Schließung<br />

des Bergwerks gehören hierzu: Kein<br />

Bergmann fällt ins Bergfreie. Seite 4<br />

Chronik des Bergwerks<br />

Schon 1854 wurde der Hüttenbesitzer<br />

Franz Haniel in Homberg bei<br />

seinen Probebohrungen nach Kohle –<br />

sogenannten Mutungen – fündig,<br />

drei Jahre später bekam er die erste<br />

Konzession. Doch die schwierige<br />

Geologie verzögerte den Beginn der<br />

<strong>Steinkohle</strong>nförderung bis ins Jahr<br />

1912. Der Zeitraffer des Bergbaus<br />

am linken Niederrhein: Seite 6<br />

Bergbau-Gemeinde<br />

Ohne Bergbau keine Stadt Kamp-<br />

Lintfort – und umgekehrt. Ort und<br />

Bergwerk entwickelten sich schrittweise<br />

miteinander, die Infrastruktur<br />

der Stadt wuchs jahrzehntelang mit<br />

der <strong>Steinkohle</strong>nförderung. Seite 8<br />

Kulturelles Erbe<br />

Auch nach dem Ende der Förderung<br />

auf dem Bergwerk West werden<br />

zahlreiche Denkmale und Wahrzeichen<br />

der Bergbaukultur für die<br />

Nachwelt erhalten bleiben – von<br />

steinernen architektonischen Zeugen<br />

über Schauplätze der Auseinandersetzungen<br />

um die Kohle bis hin<br />

zum Landschaftsbauwerk der Halde<br />

Norddeutschland. Seite 9<br />

Herausforderung Wirtschaft<br />

Wirtschafts- und Kaufkraftverlust:<br />

Die Region muss den Wegfall von<br />

Arbeitsplätzen und Aufträgen kompensieren,<br />

die das Bergwerk bot.<br />

Auch wenn das nicht von heute auf<br />

morgen geht – erfolgversprechende<br />

Ansätze für den Strukturwandel<br />

gibt es bereits. Seite 11<br />

FOTO: OLAF ZIEGLER


<strong>VORORT</strong> R A G D E U T S C H E S T E I N K O H L E / B E R G W E R K W E S T <br />

Liebe Anwohner und Mitarbeiter des Bergwerks West<br />

Nachdem wir Mitte des Jahres bereits das Bergwerk Saar beendet<br />

haben, steht nun mit der Schließung des Bergwerks West das<br />

Ende einer weiteren bedeutenden Ära unseres Industriezweigs an:<br />

Nach mehr als einem Jahrhundert wird die <strong>Steinkohle</strong>nförderung<br />

am linken Niederrhein eingestellt.<br />

Die bereits Mitte des Jahres 2008 durch den Aufsichtsrat zur<br />

Kenntnis genommene Stilllegungsabsicht des Bergwerks West zum<br />

Jahreswechsel 2012/2013 wird nun gemäß endgültigem Aufsichtsratsbeschluss<br />

von Dezember 2011 entsprechend umgesetzt. Statt<br />

heute hätte die Schließung beinahe aufgrund der Auseinandersetzungen auf europäischer Ebene<br />

auch schon früher umgesetzt werden müssen. Das konnte verhindert werden, denn es hätte<br />

den sozialverträglichen Abbau der Arbeitsplätze gefährdet.<br />

Dank gilt den Städten und Gemeinden im Umfeld unseres Bergwerks. Sie waren uns in all den<br />

Jahren angenehme Partner. Die <strong>R<strong>AG</strong></strong> wird auch ohne Bergbau weiterhin Ihr Ansprechpartner<br />

bleiben. Im Rahmen unserer Möglichkeiten werden wir – wie bisher auch schon – den anstehenden<br />

Strukturwandel mit Ihnen gemeinsam gestalten. Ansprechpartner bleiben wir auch für die<br />

Regulierung von Bergschäden.<br />

Unser Dank gilt jedoch heute ganz besonders unserer Belegschaft. An einem solchen Tag<br />

erinnern wir uns gern daran, dass das Bergwerk West viele Jahre zu den leistungsstärksten<br />

und kostengünstigsten Bergwerken des Konzerns zählte. Für die nunmehr planmäßig umgesetzte<br />

Stilllegung – letztendlich ein unabdingbarer Schritt, um den sozialverträglichen Auslauf<br />

des gesamten heimischen <strong>Steinkohle</strong>nbergbaus nicht zu gefährden – gebührt allen Beteiligten<br />

aufrichtiger Dank: jedem einzelnen Bergmann, der Werksleitung und den Betriebsräten.<br />

Persönlich sowie im Namen meiner Vorstandskollegen sage ich Dank an die gesamte Belegschaft<br />

des Bergwerks West für ihre Anpassungsbereitschaft, berufliche Flexibilität und auch räumliche<br />

Mobilität, für die zuverlässig geleistete Arbeit und das Engagement zum Wohle des Konzerns.<br />

Herzliches Glückauf<br />

Bernd Tönjes,<br />

Vorsitzender des Vorstands der <strong>R<strong>AG</strong></strong> Aktiengesellschaft<br />

Nach 100 erfolgreichen Jahren verabschiedet sich der deutsche<br />

<strong>Steinkohle</strong>nbergbau vom letzten linksrheinischen <strong>Steinkohle</strong>nrevier<br />

unseres Unternehmens. Jedem Bergmann tut es weh, wenn ein<br />

Bergwerk geschlossen wird, auch wenn man es schon viele Jahre<br />

vorher gewusst hat, dass der Tag kommen wird.<br />

Die unmittelbar Betroffenen vom Bergwerk West wissen<br />

sehr genau, wie es weitergeht. Jede und jeder Einzelne hat dank<br />

vorausschauender Planung eine Perspektive. Aber daneben ist<br />

eine Schließung immer auch Herzenssache: Viele Jahre war das<br />

Bergwerk zumindest der berufliche Lebensmittelpunkt, und der wird sich nun für alle<br />

Betroffenen verlagern.<br />

Auch wenn die Stilllegung schwerfällt; jeder Einzelne kann mit Stolz auf das von Generationen<br />

von Bergleuten auf dem Bergwerk West Geleistete zurückschauen. Die Schließung dieses<br />

traditionsreichen Bergwerks ist keineswegs eine Schließung aufgrund mangelnder Leistung der<br />

Kolleginnen und Kollegen, sondern ist eine politische Stilllegung.<br />

Was dies für die Region bedeutet, muss sich in den nächsten Jahren zeigen. Den dazu notwendigen<br />

Strukturwandel, das haben wir in der Vergangenheit schon bewiesen, werden<br />

wir aktiv mitgestalten. Die noch aktiven Bergleute finden Einsatz auf den anderen Bergwerken<br />

der <strong>R<strong>AG</strong></strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Steinkohle</strong>. Ihre Unterstützung zur Integration auf anderen Bergwerken,<br />

um dort eine neue berufliche Heimat zu finden, ist ihnen von den Kolleginnen und Kollegen gewiss.<br />

Wieder einmal bewahrheitet sich unser Selbstverständnis: „Wir sind ein Bergwerk!“<br />

Das Bergwerk West ist ab 1. Januar 2013 Geschichte. Stolze Geschichte. Wir blicken<br />

anerkennend zurück und gehen zuversichtlich den gemeinsamen Weg nach vorne. Zusammen<br />

werden wir die Herausforderungen der Zukunft bewältigen, wenn wir weiterhin solidarisch sind.<br />

Glück auf<br />

Ludwig Ladzinski,<br />

Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft der Betriebsräte im <strong>R<strong>AG</strong></strong>-Konzern,<br />

Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats der <strong>R<strong>AG</strong></strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Steinkohle</strong><br />

Als Folge der kohlepolitischen Vereinbarung aus 2007 über die<br />

sozialverträgliche Beendigung der subventionierten <strong>Steinkohle</strong>nförderung<br />

in Deutschland hat der Vorstand der <strong>R<strong>AG</strong></strong> im Juni 2008<br />

dem Aufsichtsrat die Stilllegungsabsicht für das Bergwerk West<br />

zum Jahreswechsel 2012/2013 mitgeteilt. Im Dezember 2011 hat<br />

der Aufsichtsrat die endgültige Fördereinstellung Ende Dezember<br />

2012 beschlossen. Damit enden 100 Jahre <strong>Steinkohle</strong>nförderung<br />

in Kamp-Lintfort und zugleich der <strong>Steinkohle</strong>nbergbau im westlichen<br />

Ruhrgebiet am linken Niederrhein.<br />

Das Bergwerk West kann auf eine stolze Geschichte zurückblicken. Kernstück ist das Bergwerk<br />

Friedrich Heinrich, das im Laufe der vergangenen Jahrzehnte durch Verbundmaßnahmen sehr<br />

traditionsreicher Bergwerke des linken Niederrheins wie Rheinland und Niederberg aufgenommen<br />

hat. Es hat im Laufe seiner Geschichte weit über 200 Millionen Tonnen <strong>Steinkohle</strong> gefördert.<br />

Über 8500 Menschen waren zu Spitzenzeiten in den 1950er Jahren dort beschäftigt. 1998 wurde<br />

erstmalig auf der Welt in 1000 Meter Teufe ein Streb mit einer Länge von 430 Metern angefahren,<br />

ein technischer Rekord, um nur ein Beispiel für die Leistungskraft unseres Bergwerks und<br />

seiner Mannschaft zu nennen.<br />

Vor dem Beitritt in die <strong>R<strong>AG</strong></strong> 1969 war das Bergwerk 63 Jahre lang in französischem Besitz,<br />

und seine Geschichte ist wie ein Ausschnitt deutscher und europäischer Geschichte. Es hat das<br />

Kaiserreich, die Weimarer Republik und den Nationalsozialismus überlebt, dabei zwei Weltkriege<br />

überstanden, und seine Seilscheiben waren wertvolle Räder im Wiederaufbau unserer heutigen<br />

Bundesrepublik und Lebensgrundlage einer ganzen Region. Der Bergbau geht. Die <strong>R<strong>AG</strong></strong> bleibt aber<br />

aktiv dem Strukturwandel der Region wie beispielsweise mit Flächenentwicklungen verbunden.<br />

In der Rückschau danke ich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unseres Bergwerks,<br />

den Betriebsräten und den Führungskräften für diese großartige Gesamtleistung.<br />

Ein herzliches Glückauf!<br />

Karl-Heinz Stenmans,<br />

Werkleiter des Bergwerks West<br />

Das Bergwerk West blickt auf eine große Geschichte zurück.<br />

Alle Menschen, die hier über Generationen gearbeitet haben, können<br />

darauf stolz sein. Mit ihrer Arbeit haben sie zum Wohlstand der<br />

Region beigetragen. Ohne den <strong>Steinkohle</strong>nbergbau hätte es diesen<br />

Wohlstand nicht gegeben. Mit dem Bergbau kamen Industriearbeitsplätze,<br />

wuchsen die Städte, entstand die gesamte Infrastruktur,<br />

die heute wiederum neue Unternehmen und Arbeitsplätze anzieht.<br />

Wir Bergleute empfinden bei der Schließung eines Bergwerks<br />

Wehmut. Unsere Arbeit haben wir stets mit starker Motivation<br />

und großem Einsatz geleistet. Da kommen natürlich Gefühle der Trauer auf, wenn ein Bergwerk<br />

schließt, in dem die Mannschaft immer zusammengehalten und alles gegeben hat.<br />

Ich betone deshalb extra: Die Schließung des Bergwerks West geht auf die kohlepolitische<br />

Vereinbarung aus dem Jahr 2007 zurück. Diese politische Entscheidung haben wir zu akzeptieren.<br />

Es ist uns gelungen, ihre Umsetzung so zu gestalten, dass niemand ins Bergfreie fällt. Gleichwohl<br />

wird die Stilllegung des Bergwerks für viele Beschäftigte ein tiefer Einschnitt in ihrem Berufsleben<br />

sein. Sie werden auf andere Bergwerke versetzt oder verlassen das Unternehmen ganz, um sich<br />

beruflich neu zu orientieren. In beiden Fällen ist ein hohes Maß an Flexibilität erforderlich. Allen<br />

Betroffenen wünsche ich im Namen des Betriebsrats des Bergwerks West einen guten Übergang<br />

und eine erfolgreiche berufliche Zukunft.<br />

Im Namen des Betriebsrates bedanke ich mich bei allen Frauen und Männern, die hier<br />

bis zum Schluss engagiert ihre Arbeit verrichtet haben. Unser aller Dank gilt allen Mitstreitern,<br />

die unser Bergwerk in den vergangenen Jahren begleitet und unterstützt haben: Bundes-,<br />

Landes- und Kommunalpolitiker, Vertreter der Kirchen und von zahlreichen Verbänden und viele<br />

Bürgerinnen und Bürger der Region.<br />

Glück auf<br />

Friedhelm Vogt,<br />

Betriebsratsvorsitzender des Bergwerks West<br />

FOTOS: <strong>R<strong>AG</strong></strong><br />

2


1 9. D E Z E M B E R 2 0 1 2<br />

100 Jahre… Fortsetzung von Seite 1<br />

usich im Jahr 1900 daran, ihren Feldbesitz<br />

gewinnträchtig zu veräußern, als der Boom<br />

der Ruhrindustrie zu einer immer größeren<br />

<strong>Steinkohle</strong>nachfrage führte. Tatsächlich<br />

fand das Diergardt’sche Angebot größtes<br />

Interesse. Krupp, Haniel, Stinnes, Bayer<br />

und BASF und sogar das Königreich Bayern<br />

nahmen in den nächsten Jahren Verhandlungen<br />

mit den Besitzern des Grubenfelds<br />

auf. Den Zuschlag erhielt schließlich 1906<br />

ein in Paris ansässiges Konsortium, das<br />

vor allem die Interessen der französischen<br />

Stahl industrie repräsentierte.<br />

Ganze 44 Jahre nachdem Friedrich<br />

Diergardt gemeinsam mit seinen Partnern<br />

die Konzession über das Feld „Humboldt“<br />

er wor ben hatte, fanden sich für Friedrich<br />

Heinrich Käufer, die sich tatsächlich für den<br />

Abbau von Kohle interessierten. Die neuen<br />

Besitzer gründeten Ende 1906 die <strong>Steinkohle</strong>nbergwerk<br />

Friedrich Heinrich Aktiengesell<br />

schaft. Als technische und kaufmännische<br />

Direktoren stellte das Unternehmen<br />

den aus Aachen stammenden Berg ingenieur<br />

Franz Brenner und den Straßburger<br />

Kaufmann Albert Spaeth ein. Sie verantworteten<br />

in den nächsten Jahren sämtliche<br />

Aufgaben, die sich beim Aufbau des Bergwerks<br />

stellten. Üblicherweise mussten sich<br />

FOTO: FÖRDERGEMEINSCHAFT FÜR BERGMANNSTRADITION LINKER NIEDERRHEIN<br />

Brenner und Spaeth zur Absprache auf den<br />

Weg nach Frankreich machen. Aber gerade<br />

in der Aufbauphase bemühten sich die Aufsichtsräte<br />

auch häufiger von Paris an den<br />

Niederrhein. Im Sommer 1912 berichtete<br />

die „Rheinberger Zeitung“, dass „die Zeche<br />

Friedrich Heinrich seit einigen Tagen<br />

die ersten Wagen Kohle zum Versandt<br />

gebracht“ habe. „Die Qualität der Kohle<br />

ist vorzüglich. Sie eignet sich für den Kessel-<br />

und Hausbrand. Der Abbau schreitet<br />

rüstig vorwärts.“ Damit war ein 100 Jahre<br />

währender Förderbetrieb in Gang gekommen,<br />

der noch bis Ende 2012 den Kern des<br />

Bergwerks West bildete.<br />

Nach Rheinpreussen stellte Friedrich<br />

Heinrich das erste Bergwerk am linken<br />

Der Aufsichtsrat 1907 neben dem Abteufturm am Schacht 1: Große Wassermengen<br />

im Erdreich stellten die Bergleute vor Herausforderungen.<br />

Niederrhein dar, das die Förderung aufnahm.<br />

In kurzen Abständen folgten Diergardt,<br />

Mevissen und Niederberg, die das<br />

bergbauliche Ensemble der Region fast<br />

komplettierten. 1927 und 1934 folgte die<br />

Inbetriebnahme der Pattbergschächte,<br />

benannt nach dem langjährigen Direktor<br />

des Bergwerks Rheinpreussen. Einzig im<br />

benachbarten Feld Rossenray begann erst<br />

1963 der Abbaubetrieb. Zwar waren dort<br />

ebenfalls bereits 1909/10 erste Abteufarbeiten<br />

vorgenommen worden, doch hatten<br />

geologische Schwierigkeiten schnell zu<br />

deren Einstellung geführt.<br />

Enges Verhältnis der Bergwerke<br />

Die übrigen Bergwerke standen in engem<br />

Austausch miteinander und entwickelten<br />

ein Eigenleben abseits des Ruhrbergbaus.<br />

Wiederholter Feldesaustausch zwischen<br />

den einzelnen Bergwerken, gegenseitige<br />

Übernahmeversuche und gemeinsame<br />

In te res senvertretungen etwa im 1921 ge ­<br />

grün deten Verein der Bergwerke am linken<br />

Niederrhein, der unter anderem das bergbauliche<br />

Ausbildungswesen im Kreis Moers<br />

organisierte, deuten das enge Verhältnis<br />

der Bergwerksbetriebe untereinander an.<br />

In ersten Ansätzen zeigte sich bereits hier<br />

eine Tendenz, die langfristig zu betrieblichen<br />

Verbundmaßnahmen führte, deren<br />

Endpunkt das Bergwerk West bildet.<br />

Gäste über und unter Tage<br />

Zahlreiche Prominente aus Politik, Kultur und Gesellschaft, begrüßt von der Spitze des Unternehmens, des Bergwerks<br />

und des Betriebsrats, besuchten die Schachtanlagen am linken Niederrhein. Hier eine Auswahl aus dem Foto-Gästebuch.<br />

1995: Helmut Linssen, CDU-Fraktionsvorsitzender<br />

in Nordrhein-Westfalen (Mitte)<br />

1971: Verteidigungsminister Helmut Schmidt<br />

(rechts)<br />

2006: Nikolaus Schneider, Präses der Evangelischen Kirche<br />

im Rheinland (2. von links)<br />

FOTOS: BERGWERK WEST<br />

1988: Baden-Württembergs<br />

Ministerpräsident Lothar Späth<br />

2009: SPD-Fraktionsvorsitzende NRW<br />

Hannelore Kraft<br />

2009: SPD-Parteivorsitzender<br />

Franz Müntefering (links)<br />

2005: Bundeskanzler Gerhard Schröder als Gastredner<br />

auf der Betriebsversammlung<br />

3


<strong>VORORT</strong> R A G D E U T S C H E S T E I N K O H L E / B E R G W E R K W E S T <br />

Verantwortung wahrnehmen<br />

und die Mitarbeiter unterstützen<br />

Ausbildung, Gesundheitsschutz, Betriebliche Sozialarbeit, Arbeitsplatzvermittlung: Unternehmen und Bergwerk leisten Hilfe<br />

in vielen verschiedenen Lebenslagen. Das Unternehmen gestaltet den Auslauf des Bergbaus sozialverträglich.<br />

Der Auslauf des deutschen <strong>Steinkohle</strong>nbergbaus<br />

findet sozialverträglich<br />

statt, das heißt: Niemand fällt ins<br />

Bergfreie. Dazu bietet das Unternehmen<br />

jedem Mitarbeiter eine Perspektive außerhalb<br />

oder innerhalb des Unternehmens. So<br />

wechselten beispielsweise 86 Mitarbeiter<br />

des Bergwerks West auf das Bergwerk<br />

Auguste Victoria nach Marl und 477 auf<br />

das Bergwerk Pros per-Haniel nach<br />

Bottrop. „Das Unternehmen sorgt dafür,<br />

dass der deutschen <strong>Steinkohle</strong>nbergbau<br />

sozialverträglich ausläuft und die Mitarbeiter<br />

eine Perspektive be kommen“,<br />

ver sichert Peter Ermlich, Betriebsdirektor<br />

für Personal und Soziales auf dem Bergwerk<br />

West.<br />

Dazu schuf die <strong>R<strong>AG</strong></strong> auch eine Anlaufstelle,<br />

wo speziell geschulte Belegschaftsbetreuer<br />

Stellen akquirieren, über den<br />

internen Stellenmarkt informieren und<br />

jeden individuell beraten. Davon profitierten<br />

beispielsweise auch die Maschinensteiger<br />

Michael Kapahnke und Stefan Köppen,<br />

die sich erfolgreich bei der Berufsfeuerwehr<br />

Bottrop bewarben. „Wir sind froh,<br />

dass wir diesen Schritt gegangen sind“, sagt<br />

Kapahnke. Natürlich fiel ihnen die<br />

Entscheidung nicht leicht. „Der Zu sammenhalt<br />

unter den Kollegen und der<br />

Teamgeist im Bergbau waren immer etwas<br />

Besonderes“, so Köppen. Aber bei der Feuerwehr<br />

seien sie auf eine ähnlich gute<br />

At mosphäre gestoßen.<br />

Verantwortung übernahm das Bergwerk<br />

auch gegenüber jungen Menschen. „Am<br />

linken Niederrhein stellte der Bergbau den<br />

größten Ausbildungsbetrieb dar und schuf<br />

für viele eine berufliche Perspektive“,<br />

er klärt Ermlich. Seit 1993 bildeten die<br />

Bergwerke Niederberg, Friedrich Heinrich/Rheinland<br />

und später das Bergwerk<br />

West zusammen rund 5900 junge Menschen<br />

aus. Darunter die Ausbildungsberufe<br />

Indus trie me cha ni ker, Elektroniker<br />

für Betriebstechnik und Mechatroniker.<br />

Der letzte Bergmechaniker legte 2004<br />

seine Facharbeiterprüfung ab. Aufgrund<br />

der Stilllegung erhielten 2009 nur noch<br />

49 Auszubildende einen Arbeitsplatz.<br />

Auch wenn das Bergwerk vor der Beendigung<br />

ihrer Ausbildung schließt, können<br />

sie ihre Lehrzeit trotzdem fortführen und<br />

im Frühjahr 2013 ihre Facharbeiterprüfung<br />

ablegen.<br />

Perspektiven geschaffen<br />

In den vergangenen Jahren lag die Bestehensquote<br />

bei den Abschlussprüfungen<br />

vor den Prüfungsausschüssen der Industrie-<br />

und Handelskammer Duisburg bei<br />

98 Prozent. „Gute berufliche Perspektiven<br />

sind heute mehr denn je maßgebliche Faktoren<br />

für die Lebenszufriedenheit junger<br />

Menschen. Mit einer soliden Ausbildung<br />

schafft man die Grundlage für ein eigenständiges<br />

und unabhängiges Leben“,<br />

betont Harald Möller, Ausbildungsleiter<br />

Jung und Alt: Auf dem Bergwerk West arbeiteten Bergleute unterschiedlicher Generationen zusammen.<br />

auf dem Bergwerk West. Die Facharbeiterprüfungen<br />

in den technischen Ausbildungsberufen<br />

Industriemechaniker,<br />

Mechatroniker und Elektroniker für<br />

Betriebstechnik sind bundesweit einheitlich.<br />

„Der Industriemechaniker bei BMW<br />

in München erhält die gleichen Prüfungsaufgaben<br />

wie der Industriemechaniker auf<br />

dem Bergwerk West“, erklärt Möller. Das<br />

mache die Ausbildung vergleichbar und<br />

erhöhe die Chancen, auch in anderen Un -<br />

ternehmen Fuß fassen zu können. Durch<br />

Zusatz qua li fi ka tio nen wie zum Beispiel<br />

die Ausbildung zur Qualitätsfachkraft<br />

schafft das Unternehmen gute Möglichkeiten<br />

für junge Menschen, auch nach<br />

dem Ende des <strong>Steinkohle</strong>nbergbaus neue<br />

Arbeitsplätze zu finden.<br />

Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern<br />

zeigt die <strong>R<strong>AG</strong></strong> insbesondere im<br />

betrieblichen Alltag. „Mitarbeiter sind das<br />

wichtigste Kapital des Unternehmens. Nur<br />

von einer sowohl in körperlicher als auch<br />

in seelischer Hinsicht gesunden Belegschaft<br />

können wir Einsatzfähigkeit und<br />

Leistungsstärke erwarten“, be tonte <strong>R<strong>AG</strong></strong>-<br />

Vorstandsmitglied Peter Schrimpf auf<br />

einem Führungskräfte-Forum im vergangenen<br />

Herbst. Diese Verantwortung zeigt<br />

sich vor allem im Gesundheitsschutz. Dazu<br />

entwickelten Bergwerk und Unternehmen<br />

eine Reihe von Maßnahmen, darunter Veranstaltungen<br />

zum Thema Hautschutz so wie<br />

Gesundheitstage, die über Ernährung und<br />

FOTO: HANS-ULRICH KRESS<br />

Präventionsmaßnahmen informierten.<br />

Zudem bestand für die Mitarbeiter die<br />

Möglichkeit, sich impfen zu lassen. Schulungen<br />

zur sicheren Bandfahrung oder zum<br />

Umgang mit Hochdruck in einer eigens<br />

dafür eingerichteten Handlingstrecke<br />

gehörten ebenso zum Programm des<br />

Bereichs Belegschaftsschutz wie die regelmäßige<br />

Schulung der Sicherheitsbeauftragten.<br />

Im Dienst der Gesundheit stand auch<br />

der Belegschaftsbetreuer, der sich beispielsweise<br />

um erkrankte Mitarbeiter kümmerte<br />

und ihnen bei der Wiedereingliederung in<br />

den Betrieb nach einem Krankheitsfall half.<br />

Zudem nahm er regelmäßig an Revier- und<br />

Bereichsgesprächen teil, um immer gut<br />

informiert zu sein.<br />

Auch in privaten Fragen stand das Bergwerk<br />

der Belegschaft zur Seite. Die Betriebliche<br />

Sozialarbeit bot Mitarbeitern sowie<br />

ih ren Angehörigen Gesundheitsberatung,<br />

gab Tipps bei Veränderungen und Konflikten<br />

am Arbeitsplatz und half mit psychosozialer<br />

sowie finanzieller Beratung. Außerdem<br />

veranstaltete sie Maßnahmen zur<br />

betrieblichen Gesundheitsförderung und<br />

Gruppenberatungen. Zudem informierte<br />

und beriet sie Führungskräfte sowie<br />

Betriebsräte in sozialen Fragen.<br />

Hilfe für Mitarbeiter mit Handicap<br />

Um Mitarbeiter mit besonderen Handicaps<br />

kümmerte sich die Schwerbehindertenvertretung<br />

des Bergwerks West. Sie<br />

unterstützte die Mitarbeiter bei Antragsstellungen<br />

und im Umgang mit Behörden.<br />

Zudem gab sie Hilfestellung bei<br />

Verlegungen und brachte sich ein, wenn<br />

es darum ging, den Arbeitsplatz der ge -<br />

handicapten Mitarbeiter an deren Fähigkeiten<br />

anzupassen.<br />

Traditionell vermittelt der Bergbau<br />

seinen Mitarbeitern Wohnungen, so auch<br />

auf dem Bergwerk West, wo diese Aufgabe<br />

der Ausschuss Wohnen des Betriebsrats<br />

übernahm. Er vergab zur Verfügung<br />

stehenden Wohnraum und traf zudem<br />

Mietvereinbarungen mit der entsprechenden<br />

Wohnungs bau ge sell schaft. Da -<br />

rü ber hinaus besuchten die Mitglieder<br />

des Ausschusses erkrankte Mitarbeiter<br />

im Krankenhaus, auch dann, wenn das<br />

Hospital sich nicht in der Region befand.<br />

Soziale Verantwortung zeigten Mitarbeiter<br />

im Bergbau am linken Niederrhein<br />

jahrelang auch selbst. So nehmen sie beispielsweise<br />

seit dem Jahr 1953 regelmäßig<br />

an Blutspenden des <strong>Deutsche</strong>n Roten<br />

Kreuzes teil, die auf dem Gelände des<br />

Bergwerks stattfanden. „Die Bereitschaft<br />

der Bergleute war jedes Mal ungebrochen,<br />

und die Zusammenarbeit mit dem<br />

Bergwerk funktionierte immer einwandfrei“,<br />

betont Willi-Peter Bier vom <strong>Deutsche</strong>n<br />

Roten Kreuz.<br />

4


1 9. D E Z E M B E R 2 0 1 2<br />

1991: Gottesdienst auf der Halde Pattberg<br />

1997: Band der Solidarität<br />

FOTOS: BETRIEBSRAT<br />

1997: Kundgebung in Bonn 1993: mit einer Lore nach Berlin<br />

2004: Demonstration vor dem Landtag<br />

Gemeinsamer Kampf um die Kohle<br />

Zusammen mit Belegschaft und Gewerkschaft setzte sich die Mitbestimmung am linken Niederrhein bei Demonstrationen<br />

für die Arbeitsplätze und den Erhalt der Bergwerke in der Region ein.<br />

Mitbestimmen bedeutet, sich für die<br />

Arbeiternehmer einzusetzen, Arbeits<br />

plätze zu sichern und die Arbeitswelt<br />

mitzugestalten – rund um die Uhr,<br />

immer auf Augenhöhe mit dem Arbeitgeber.<br />

„Das hat auf dem Bergwerk West und seinen<br />

Vorgängern immer gut funktioniert“, bilanziert<br />

der Betriebsratsvorsitzende des Bergwerks<br />

Friedhelm Vogt, der seit 2001 das Amt<br />

bekleidet.<br />

Hinter der Mitbestimmung am linken<br />

Niederrhein liegen turbulente Zeiten. Zusammenlegungen,<br />

Stilllegungen und Arbeitskämpfe<br />

beherrschten die vergangenen drei<br />

Jahrzehnte. Dabei entstand eine wachsende<br />

Solidarität zwischen Mitbestimmung, Belegschaft<br />

und Gewerkschaft. „Auch wenn die<br />

Situation nicht immer einfach war, der<br />

Zusammenhalt war überragend“, erinnert<br />

sich Jürgen Kohl, der von 1993 bis 2001<br />

Betriebsratsvorsitzender des Bergwerks und<br />

später als Gesamtbetriebsratsvorsitzender der<br />

<strong>Deutsche</strong>n <strong>Steinkohle</strong> <strong>AG</strong> (DSK) direkt an<br />

den Verhandlungen um den Auslauf des<br />

Bergbaus beteiligt war. „Als Betriebsrat kann<br />

man mitgestalten, muss aber auch mitverantworten<br />

und der Belegschaft unangenehme<br />

Entscheidungen vermitteln. Doch die<br />

Beschlüsse haben die Mitarbeiter immer<br />

akzeptiert.“<br />

Arbeitsschutz im Alltag wichtig<br />

Als besonderes Verdienst der Mitbestimmung<br />

sieht Friedhelm Vogt die zunehmend<br />

wichtige Rolle des Arbeitsschutzes im<br />

Betrieb. „Heute gehört der Arbeitsschutz<br />

zum Arbeits alltag dazu und ist nicht mehr<br />

wegzudenken. Das war früher weniger ein<br />

Thema“, erinnert sich der Betriebsratsvorsitzende.<br />

Die Mitbestimmung auf dem<br />

Bergwerk West brachte sich kontinuierlich<br />

in den betrieblichen Alltag ein. In Ge-<br />

sprächskreisen mit Werksleitung und Be -<br />

reichsleitern sowie zu Themen rund um den<br />

Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutz<br />

vertraten die Betriebsräte die Partei der<br />

Arbeitnehmer. Bei regelmäßigen Befahrungen<br />

der einzelnen Betriebe suchten sie den<br />

Dialog mit den Mitarbeitern und setzten<br />

alles daran, das Arbeitsleben positiv zu<br />

gestalten. Durch Zusammenlegungen und<br />

Stilllegungen von Bergwerken in der Region<br />

mussten nicht nur Mitarbeiter, sondern<br />

auch die Gremien der Mitbestimmung im -<br />

mer wieder neu zusammenwachsen und<br />

sich an neue Situa tionen anpassen.<br />

Besonders die Arbeitskämpfe prägten die<br />

Arbeit des Betriebsrats in den vergangenen<br />

Jahrzehnten. Mit der Schließung von Rheinpreussen<br />

1990 begannen Mitbestimmung,<br />

Arbeiternehmer und Gewerkschaft, aktiv<br />

um ihre Arbeitsplätze zu kämpfen. Zum ersten<br />

Mal betraf eine Entscheidung die Region<br />

und die Existenz zahlreicher Mitarbeiter<br />

direkt. Von diesem Zeitpunkt an hielten sie<br />

Jahr für Jahr Mahnwachen und De -<br />

monstrationen ab. Gleichzeitig fanden Verhandlungen<br />

auf der politischen Bühne rund<br />

um den deutschen <strong>Steinkohle</strong>nbergbau statt.<br />

„Dabei hatten wir die Landesregierung von<br />

Nordrhein-Westfalen immer auf unserer<br />

Seite, wenn es um Sozialverträglichkeit ging.<br />

Das war für uns wichtig zu wissen“, sagt Jürgen<br />

Kohl.<br />

Trotz der Schließung Rheinpreussens<br />

zeigten sich Mitbestimmung und Belegschaft<br />

zuversichtlich. Mit dem Slogan „Rheinpreussen<br />

stirbt, damit der <strong>Steinkohle</strong>nbergbau<br />

länger leben kann“ hegten sie die Hoffnung,<br />

dass dafür das Bergwerk Rheinland länger<br />

Kohle schicken könne. Der Beschluss, 1993<br />

den Verbund Friedrich Heinrich/Rheinland<br />

zu schaffen, bildete den nächsten Rückschlag.<br />

Die Stimmung unter den Mitarbeitern wurde<br />

schlechter, doch der Kampf ging weiter. „Die<br />

Mitbestimmung war der Motor, die Belegschaft<br />

der Treibstoff “, beschreibt Vogt das<br />

Gefüge und seine Wechselwirkungen.<br />

Mit dem <strong>Steinkohle</strong>finanzierungsgesetz<br />

und der Kohlerunde 1997 zeichnete sich das<br />

Ende des Bergbaus in der Region ab. Selbst<br />

wenn es einen Sockelbergbau gegeben hätte,<br />

rechnete man auf West nicht damit, dabei zu<br />

sein. Das hätten die geologischen Verhältnisse<br />

nicht hergegeben. In der Zeit des Um -<br />

bruchs gingen Mitbestimmung, Belegschaft<br />

und Gewerkschaft immer wieder auf die<br />

Straße, um ihre Meinung zu den Entscheidungen<br />

der Politik kundzutun. Gleichzeitig<br />

förderten die Mitarbeiter weiter planmäßig<br />

<strong>Steinkohle</strong>. Ein Highlight stellte eine Aktion<br />

von 1993 dar, bei der Mitarbeiter der Bergwerke<br />

Rheinland und Friedrich Heinrich<br />

2010: Kohleaktionstag in Brüssel<br />

ei ne Kohlenlore zu Fuß nach Berlin schoben,<br />

um ein Zeichen für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze<br />

zu setzten. Denn die Stadt Berlin selbst<br />

bezog ihre Kohle vom linken Niederrhein.<br />

Mit Hilfe der Mitbestimmung präparierten<br />

die Mitarbeiter die Lore für den Transport,<br />

holten die nötigen Genehmigungen ein, legten<br />

die Route fest und organisierten die<br />

Teams, die sich entlang der Strecke abwechselten.<br />

Nach 18 Tagen schoben sie die Lore<br />

durch das Brandenburger Tor zum Roten<br />

Rathaus, wo sie der damalige Regierende<br />

Bürgermeister der Stadt Berlin Eberhard<br />

Diepgen empfing.<br />

Mit zur Aufgabe des Betriebsrats zählte es<br />

auch, Mitarbeiter zu begleiten, die von anderen<br />

Bergwerken kamen oder zu anderen<br />

wechselten. Damit sich die neuen Mitarbeiter<br />

wohl und von der ursprünglichen Belegschaft<br />

akzeptiert fühlten, unter der Prämisse,<br />

die betrieblichen Abläufe so wenig wie möglich<br />

zu beeinträchtigen, entwickelten Be -<br />

triebsrat und Werksleitung gemeinsam<br />

einen Ablauf zur Einführung und Eingewöhnung<br />

neuer Mitarbeiter. Das Feedback<br />

aus den Reihen der Belegschaft fiel durchweg<br />

positiv aus.<br />

Positiv beurteilt die Mitbestimmung des<br />

Bergwerks West heute auch das erzielte<br />

Gesamtergebnis für die Mitarbeiter. „Es hat<br />

sich gelohnt zu kämpfen. Wir haben Ar -<br />

beitsplätze gesichert und einen sozialverträglichen<br />

Auslauf erreicht. Kein Mitarbeiter<br />

ist arbeitslos geworden. Darauf können<br />

wir stolz sein“, sagt Vogt rückblickend.<br />

5


<strong>VORORT</strong> R A G D E U T S C H E S T E I N K O H L E / B E R G W E R K W E S T <br />

Von ersten Mutungen bis zur<br />

Fördereinstellung des Bergwerks West<br />

Die Chronologie der linksrheinischen Schachtanlagen im Überblick<br />

Friedrich Heinrich um 1914. Während des Ersten Weltkriegs stand das Bergwerk unter Zwangsverwaltung.<br />

1854<br />

uErfolgreiche Mutungen Franz Haniels<br />

in Homberg<br />

1857<br />

uVerleihung der Konzession über das Feld<br />

Rheinpreussen an Haniel und Teufbeginn<br />

uVerleihung der Konzession über das Feld<br />

Verein bei Vluyn an die Gesellschaft Verein<br />

uVerleihung der Konzession über das Feld<br />

Diergardt bei Rheinhausen an F. Diergardt,<br />

G. Mevissen, W. Koenigs und F. Stein<br />

1862<br />

uVerleihung der Konzession über das<br />

Feld Humboldt bei Lintfort an F. Diergardt,<br />

W. Koenigs und F. Stein<br />

1920: Kohleverladung per Kran von der<br />

Werksbahn aufs Wasser im Hafen Orsoy.<br />

6<br />

1868<br />

uGründung der Gewerkschaft Rheinpreussen<br />

1874<br />

uReale Teilung des Feldes Verein in<br />

die Felder Norddeutschland, Großherzog<br />

von Baden, Ernst Moritz Arndt und<br />

Süddeutschland<br />

uReale Teilung des Feldes Diergardt in<br />

die Felder Diergardt, Wilhelmine Mevissen<br />

und Fritz<br />

uReale Teilung des Feldes Humboldt<br />

in die Felder Alfred, Humboldt und<br />

Friedrich Heinrich<br />

1877<br />

uFörderaufnahme des Bergwerks<br />

Rheinpreussen<br />

1903<br />

uGründung der Gewerkschaft Wilhelmine<br />

Mevissen<br />

1906<br />

uVerkauf des Feldes Friedrich Heinrich<br />

an ein französisches Konsortium<br />

und Gründung der <strong>Steinkohle</strong>nbergwerk<br />

Friedrich Heinrich <strong>AG</strong><br />

1907<br />

uBeginn der Teufarbeiten zur Doppelschachtanlage<br />

Friedrich Heinrich<br />

1909/10<br />

uErwerb des Feldes Rossenray durch<br />

die Rheinischen Stahlwerke und Beginn<br />

erster Abteufarbeiten<br />

1911<br />

uGründung der Niederrheinischen Bergwerksgesellschaft<br />

mbH in Vluyn<br />

uEinstellung der Abteufarbeiten<br />

im Feld Rossenray wegen geologischer<br />

Schwierigkeiten<br />

1912<br />

uAufnahme der Förderung durch die<br />

Zeche Friedrich Heinrich<br />

1927: Der De-Wendel-Vorstand auf dem Balkon des Kasinos.<br />

uAbteufbeginn der Niederrheinischen<br />

Bergwerksgesellschaft in Vluyn<br />

uFörderaufnahme der Zeche Diergardt<br />

und Gründung der Bergwerksgesellschaft<br />

Diergardt mbH<br />

1914<br />

uAusbruch des Ersten Weltkriegs;<br />

die Friedrich Heinrich <strong>AG</strong> wird unter<br />

Zwangsverwaltung gestellt<br />

uFörderaufnahme des Bergwerks<br />

Wilhelmine Mevissen<br />

1917<br />

uBeschlagnahme eines Großteils der<br />

Aktien der Friedrich Heinrich <strong>AG</strong> und<br />

Verkauf an die Rheinischen Stahlwerke,<br />

Krupp und die IG Farben („kleine IG”)<br />

uFörderbeginn der Niederrheinischen<br />

Bergwerksgesellschaft, Vluyn<br />

1921<br />

uRückgabe der Zeche Friedrich Heinrich an<br />

die <strong>Steinkohle</strong>nbergwerk Friedrich Heinrich<br />

<strong>AG</strong> nach Urteil eines deutsch-französischen<br />

Schiedsgerichtes<br />

uBesetzung der linksrheinischen<br />

Bergwerke durch Arbeiter im Rahmen des<br />

„Osterputsches”<br />

1924<br />

uErwerb der Aktienmehrheit der Friedrich<br />

Heinrich <strong>AG</strong> durch den französischen<br />

De-Wendel-Konzern<br />

1926<br />

uErwerb des Feldes Norddeutschland<br />

durch de Wendel<br />

1927<br />

uGründung einer Betriebsgesellschaft<br />

für die Bergwerke Diergardt und Wilhelmine<br />

Mevissen als Bergwerksgesellschaft<br />

Diergardt-Mevissen mbH<br />

uUmbenennung von Rheinpreussen 6/7<br />

in Pattbergschächte<br />

1930<br />

uInbetriebnahme des Schachts<br />

Norddeutschland<br />

1931<br />

uOffizielle Übernahme des Schachts<br />

Norddeutschland durch Friedrich Heinrich<br />

(Schacht 3)<br />

1933<br />

uBeginn der NS-Diktatur; Verfolgung der<br />

Gewerkschaften und Arbeiterparteien,<br />

FOTOS: MONTANHISTORISCHES DOKUMENTATIONSZENTRUM BOCHUM, FÖRDERGEMEINSCHAFT FÜR BERGMANNSTRADITION<br />

LINKER NIEDERRHEIN, HANS-ULRICH KRESS


1 9. D E Z E M B E R 2 0 1 2<br />

1952: Bergwerk Niederberg 1/2, das 50 Jahre später zusammen mit Friedrich Heinrich/<br />

Rheinland das Bergwerk West bilden sollte.<br />

Außerkraftsetzen der bisherigen<br />

Betriebsverfassung<br />

1939<br />

uErwerb der Humboldt-Felder in Hoerstgen<br />

durch die Friedrich Heinrich <strong>AG</strong><br />

uAusbruch des Zweiten Weltkriegs und<br />

erneute Zwangsverwaltung der Friedrich<br />

Heinrich <strong>AG</strong><br />

1952<br />

uInbetriebnahme der 600-m-Sohle<br />

als Hauptfördersohle des Bergwerks<br />

Friedrich Heinrich<br />

1954<br />

uWiederaufnahme der Aufteufarbeiten<br />

im Feld Rossenray durch die Bergwerke<br />

Essen-Rossenray <strong>AG</strong><br />

uVerbund der Schachtanlagen Rossenray<br />

und Pattberg<br />

uUmbenennung der Niederrheinischen<br />

Bergwerks-<strong>AG</strong> in Niederberg<br />

1971<br />

uVerbund zwischen Pattberg/Rossenray<br />

und Rheinpreussen zum Bergwerk Rheinland<br />

1973<br />

uStilllegung des Bergwerks Mevissen<br />

1978<br />

uStilllegung der Kokerei Friedrich Heinrich<br />

1987<br />

uDurchschlag Niederberg und Schacht<br />

Norddeutschland<br />

1988<br />

uBeschluss der <strong>R<strong>AG</strong></strong>, Friedrich Heinrich<br />

und Rheinland in einem Verbund zusammenzuführen<br />

1990<br />

uStilllegung der Rheinpreussen-Schächte<br />

uFörderverbund Rheinland mit<br />

Friedrich Heinrich<br />

1997<br />

Einwöchiger Streik im Rahmen der<br />

Proteste gegen drohende kurzfristige<br />

Bergwerksschließungen<br />

1998<br />

u„Hochleistungsstreb” der Zeche Friedrich<br />

Heinrich/Rheinland im Flöz Girondelle 5<br />

in einer Teufe von 1000 m<br />

1999<br />

uBeschluss der <strong>R<strong>AG</strong></strong>, die Bergwerke Fried-<br />

rich Heinrich/Rheinland und Niederberg zu ei -<br />

nem Verbundbergwerk zusammenzuschließen<br />

2002<br />

uVerbund von Friedrich Heinrich/Rheinland<br />

und Niederberg zum Bergwerk West<br />

2008<br />

uBekanntmachung der Stilllegungsabsicht<br />

für das Bergwerk West zum Jahreswechsel<br />

2012/2013 durch die <strong>R<strong>AG</strong></strong> <strong>Deutsche</strong><br />

<strong>Steinkohle</strong><br />

2011<br />

uEndgültiger Beschluss zur Schließung<br />

Ende des Jahres 2012<br />

1942<br />

uBeginn des „Ostarbeiter”-Einsatzes im<br />

gesamten Ruhrbergbau<br />

uWiederaufnahme der Abteufarbeiten im<br />

Feld Rossenray durch die Friedrich Krupp <strong>AG</strong><br />

1943<br />

uBeginn der Abteufarbeiten für eine Doppelschachtanlage<br />

im Feld Humboldt/Hoerstgen<br />

1945<br />

uKriegsende<br />

1956<br />

uWiederaufnahme der Abteufarbeiten<br />

im Feld Humboldt/Hoerstgen<br />

uÜbernahme der Diergardt-Mevissen <strong>AG</strong><br />

durch die <strong>Steinkohle</strong>nbergwerke Mathias<br />

Stinnes <strong>AG</strong><br />

1957<br />

uInbetriebnahme des neuen Förderturms,<br />

Friedrich Heinrich Schacht 1<br />

uMit 8.625 Mitarbeitern ist die höchste<br />

Belegschaftszahl in der Geschichte<br />

der Bergwerke Friedrich Heinrich und<br />

West erreicht<br />

1966: Rossenray Schacht 2 mit dem eingehausten<br />

Förderband der Kohlenwäschen.<br />

1963<br />

uAufnahme der Förderung durch das<br />

Bergwerk Rossenray<br />

1964<br />

uInbetriebnahme des Schachts Hoerstgen,<br />

Friedrich Heinrich 4<br />

1967<br />

uEinstellung Förderbetrieb Bergwerk<br />

Diergardt<br />

1969<br />

uEinbringung des linksniederrheinischen<br />

<strong>Steinkohle</strong>nbergbaus in die neu gegründete<br />

Ruhrkohle <strong>AG</strong> (<strong>R<strong>AG</strong></strong>)<br />

1970<br />

uÜbernahme der linksrheinischen<br />

Bergwerke durch die Bergbau <strong>AG</strong> Niederrhein<br />

der <strong>R<strong>AG</strong></strong><br />

Durch den Zusammenschluss der Bergwerke Friedrich Heinrich/Rheinland und Niederberg<br />

entstand im Jahr 2002 das Verbundbergwerk West.<br />

1993<br />

uUmfirmierung in Bergwerk Friedrich<br />

Heinrich/Rheinland<br />

uHöchste je erreichte Förderleistung<br />

der Schächte Friedrich Heinrich 1/2 mit<br />

4.174.394 Jahrestonnen<br />

uStilllegung der Pattbergschächte<br />

2012<br />

uEinstellen des Förderbetriebs auf<br />

dem Bergwerk West und somit<br />

Rückzug des <strong>Steinkohle</strong>nbergbaus am<br />

linken Niederrhein – die Bergbau-Ära<br />

in der Region ist damit nach über<br />

100 Jahren beendet<br />

7


<strong>VORORT</strong> R A G D E U T S C H E S T E I N K O H L E / B E R G W E R K W E S T <br />

Straßenszene der späteren Altsiedlung vor 1914<br />

Bau der evangelischen Christuskirche, 1929<br />

Arbeitersiedlung Albertstraße/Ecke Maxstraße, um das Jahr 1925<br />

Geschäfte in der Moerser Straße, um 1930<br />

FOTOS: FÖRDERGEMEINSCHAFT FÜR BERGMANNSTRADITION LINKER NIEDERRHEIN<br />

Der Bergbau als Geburtshelfer<br />

Ohne den Bergbau gäbe es Kamp-Lintfort nicht – und umgekehrt. Schulen, Wohnsiedlung und Geschäfte entstanden<br />

mit der zunehmenden Förderung und dem Ausbau der Bergwerks-Infrastruktur.<br />

Der Bergbau gilt in der Region als der<br />

Bindestrich zwischen Kamp und<br />

Lintfort. Wie stark die Stadt nach<br />

wie vor von ihrer Vergangenheit als Bergbaugemeinde<br />

geprägt ist, zeigt sich sichtbar<br />

in den Fördertürmen und -gerüsten,<br />

die das Zentrum der Stadt ebenso wie ihre<br />

Ränder markieren – vom Förderturm des<br />

Schachts 1, der seit mittlerweile 55 Jahren<br />

das Stadtzentrum beherrscht, über das<br />

Bockgerüst des Schachts Norddeutschland<br />

bis zum Schacht Hoerstgen und dem<br />

imposanten Förderturm der Zeche Rossenray.<br />

Ohne Bergbau keine Stadtentwicklung –<br />

das trifft auf viele Gemeinden im Ruhrgebiet<br />

zu. Sicher auch auf Kamp-Lintfort, Moers<br />

oder Neukirchen-Vluyn. In den Dörfern<br />

Camp, Camperbruch und Lintfort stieg die<br />

Einwohnerzahl in nur acht Jahren von der<br />

Gründung der Bergwerksgesellschaft bis<br />

zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914<br />

von 2117 auf 11.001 an. Bis 1929 wuchs die<br />

Belegschaftszahl des Bergwerks auf über<br />

5800 Mitarbeiter und blieb bis nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg auf diesem Stand. Solche<br />

Belegschafts- und Einwohnerzahlen erforderten<br />

von Anfang an die Bereitstellung von<br />

Wohnraum, Schulen und Kirchen ebenso<br />

wie die Entwicklung eines funktionierenden<br />

Gemeinwesens.<br />

Die Errichtung der Arbeiterkolonie in<br />

Lintfort, später Altsiedlung genannt, verlief<br />

in zeitlich versetzten Schritten. Der<br />

erste Bauabschnitt begann 1910. Sämtliche<br />

Gebäude entstanden in Form von Doppeloder<br />

Vierfamilienhäusern und verfügten<br />

jeweils über einen Garten und einen Stall<br />

für Kleinvieh. Bis Mai 1911 verfügte die<br />

Stadt über insgesamt 270 Arbeiter- und 14<br />

Beamtenwohnungen. Der weitere Ausbau<br />

zog sich bis in den Ersten Weltkrieg und<br />

kam in den 1920er Jahren wieder in Gang,<br />

als sich die linksrheinischen Bergwerke in<br />

der Bergmannssiedlung GmbH Linker<br />

Niederrhein zusammenfanden, um den<br />

Werkswohnungsbau in der gesamten<br />

Region besser zu koordinieren. Parallel zu<br />

den Arbeiterkolonien begann auf der<br />

Westseite des Bergwerks die Errichtung<br />

einer Siedlung für die Angestellten des<br />

Unternehmens, die sich im Vergleich zur<br />

Arbeitersiedlung durch eine großzügigere<br />

Architektur auszeichnete.<br />

Zum Aufbau der Stadt zählte auch<br />

das Schulwesen. Vor Inbetriebnahme des<br />

Bergwerks gab es in jeder Landgemeinde<br />

eine Schule. Mit dem Baubeginn stieg der<br />

Bedarf, weil mehr und mehr Familien mit<br />

Kindern zuzogen, rapide an. Zusätzlich zur<br />

alten Lintforter Volksschule in der Schulstraße<br />

richtete die Gemeinde zwischen<br />

1907 und 1909 die provisorische Schule<br />

Lintfort II in einer von dem Bergwerk<br />

gestellten Scheune ein. 1912 erhielt Lintfort<br />

II unter dem Namen Barbaraschule<br />

ein festes Gebäude. Dieser katholischen<br />

Schule folgten 1912 und 1913 die Evangelische<br />

Schule Camp und die ebenfalls<br />

evangelische Wilhelmschule. In den<br />

1920er Jahren schlossen sich dann vier<br />

weitere Schulgründungen mit ebenfalls<br />

konfessioneller Ausrichtung an. 1921/22<br />

erfolgte auf Betreiben der örtlichen Sozialdemokratie<br />

die Gründung der „Weltlichen<br />

Schule“ als Alternative zu den konfessionellen<br />

Lehranstalten. Zur Vorbereitung auf<br />

einen höheren Bildungsabschluss dienten<br />

schließlich ab 1918 eine sogenannte Vorschule<br />

sowie die „Mittel- und Rektoratsschule“,<br />

die so gut wie ausschließlich von<br />

den Kindern der leitenden Zechenbeamten<br />

sowie jenen der besser betuchten Bürger<br />

aus dem Umkreis besucht wurden. Bis<br />

auf die weltliche Schule beteiligte sich die<br />

Friedrich Heinrich <strong>AG</strong> bei allen Schulgründungen<br />

finanziell.<br />

Bergwerk förderte Kirchenbau<br />

Das galt auch für den Kirchenbau. Bereits<br />

Ende 1912 gewährte der Friedrich-Heinrich-Aufsichtsrat<br />

dem Pfarrer der entstehenden<br />

katholischen Sankt-Josef-Ge meinde<br />

auf 15 Jahre eine Summe über 2000<br />

Mark jährlich zur Abzahlung eines Kredits<br />

für den provisorischen Kirchenbau. Der<br />

Vorstandsvorsitzende Albert de Montplanet<br />

verpflichtete sich persönlich, jeweils<br />

400 Mark jährlich als private Spende beizusteuern.<br />

Ab 1926 folgte mit Sankt Marien<br />

ein weiterer provisorischer Kirchenbau für<br />

die katholischen Bergarbeiterfamilien, an<br />

dessen Planung sich die Leitung des Bergwerks<br />

maßgeblich beteiligte. Ähnlich verhielt<br />

es sich beim Bau der evangelischen<br />

Christuskirche, deren Gemeindemitglieder<br />

sich bis dahin in Schul zim mern, Wirtschafts-<br />

oder Kinosälen zum Gottesdienst<br />

zusammenfinden mussten. Das Bergwerk<br />

stellte das Grundstück für eine provisorische<br />

Notkirche zur Verfügung, die 1920<br />

eingeweiht wurde, gefolgt von einem<br />

festen Kirchenbau zehn Jahre später. Bei<br />

dem stetigen Bevölkerungswachstum der<br />

Gemeinde entwickelte sich die Moerser<br />

Straße in Lintfort rasch zu einem neuen<br />

Zentrum. Schon bis 1913 wuchs die Zahl<br />

der hier und in den benachbarten Straßen<br />

angesiedelten Geschäfte auf 32 an. Auch<br />

hier beteiligte sich das Bergwerk und richtete<br />

bis 1923 drei Konsumanstalten ein.<br />

Wenn auch die offizielle Erhebung der<br />

Großgemeinde Kamp-Lintfort zur Stadt<br />

erst 1950 erfolgte, so waren in den ersten<br />

Jahrzehnten doch schon die Weichen für<br />

die städtische Entwicklung gestellt. Dem<br />

Betrieb des Bergwerks kam hierfür eine<br />

entscheidende Rolle zu. Gleichwohl be -<br />

stand eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen<br />

Bergwerk und Gemeinde. Ohne<br />

Bergbau keine Stadt, aber ohne funktionierende<br />

Stadtgemeinde auch kein Bergbau.<br />

8


1 9. D E Z E M B E R 2 0 1 2<br />

Spuren des Bergbaus über Tage<br />

bleiben der Nachwelt erhalten<br />

Nach der Fördereinstellung des Bergwerks West prägt Kamp-Lintfort eine Vielzahl von Bauwerken und Landmarken,<br />

die die Erinnerung wachhalten. Geschichte und Tradition werden für die folgenden Generationen dadurch erfahrbar.<br />

Auch wenn der <strong>Steinkohle</strong>nbergbau zu<br />

Ende geht, hinterlässt er über Tage<br />

Spuren und erinnert an 100 Jahre, in<br />

denen er die Region am linken Niederrhein<br />

prägte wie kein anderer Industriezweig. Allein<br />

rund um das Bergwerk West finden sich zahlreiche<br />

Bauwerke, die die Geschichte dokumentieren.<br />

Beginnend am Bergwerk selbst, fällt die<br />

Jugendstilfassade ins Auge, die sich entlang<br />

der Friedrich-Heinrich-Allee erstreckt.<br />

„Die se Fassade ist eine der größten Industriefassaden<br />

aus der Zeit vor dem Ersten<br />

Weltkrieg – neben dem ehemaligen Manganbergwerk<br />

Amalienhöhe in Waldalgesheim<br />

bei Bingen“, erklärt Dr. Walter Buschmann,<br />

zuständiger Denkmalschützer beim Landschaftsverband.<br />

Einen Steinwurf entfernt wohnten einst<br />

die höheren Angestellten des Bergwerks. Und<br />

weil sie sich gerne als Beamte bezeichneten,<br />

heißt das Viertel heute noch „Beamtensiedlung“.<br />

Die 14 Häuser in der Maria-Theresien-<br />

Straße und in der Bertastraße ließ das Bergwerk<br />

zwischen 1920 und 1924 im Stil des<br />

Backstein-Expressionismus errichten. Eine<br />

Besonderheit bilden zusätzliche Giebel zur<br />

Straßenseite hin, die die Form von Treppen,<br />

Kreisen oder Dreiecken aufnehmen. Außerdem<br />

sind Teile der Fassade mit Ziegeln<br />

schräg gemauert. „Es gibt keine andere Stadt<br />

in Deutschland, in der so viele Doppelhäuser<br />

im Stil des Backstein-Expressionismus zu<br />

finden sind wie in Kamp-Lintfort – und dazu<br />

noch so eng zusammen“, erklärt Geschichtslehrerin<br />

Birgit Spiecker, die mit ihrem Mann<br />

in einer Doppelhaushälfte wohnt.<br />

Mit der Kirche für die Kohle<br />

1995 suchten die Frauen der Kumpel Zu -<br />

flucht in der Christuskirche. Sie hielten Tag<br />

und Nacht das Gotteshaus „besetzt“, um für<br />

den Erhalt des Kohlenbergbaus zu demonstrieren.<br />

„Die Besetzung war sogar Schlagzeile<br />

in der ‚New York Times‘“, blickt Pfarrer<br />

Michael Ziebuhr auf das internationale<br />

Medienecho während der Aktion zurück,<br />

die in Abstimmung mit der evangelischen<br />

Kirchengemeinde stattfand. „Der Kontakt<br />

zwischen Kirchen und Bergbau ist immer<br />

sehr intensiv gewesen.“ Heute erinnert ein<br />

liegendes Kreuz als Mahnmal vor der Christuskirche<br />

an diesen engen Kontakt.<br />

Ein Ort, den Bergleute ebenfalls im<br />

Kampf um Arbeitsplätze aufsuchten, stellt<br />

der Prinzenplatz dar. Dort hielten sie 1996 –<br />

zwischen brennenden Feuerkörben – eine<br />

Mahnwache ab, um für ihre Arbeitsplätze zu<br />

demonstrieren. Zeitungen und Fernsehen<br />

berichteten bundesweit darüber. An der<br />

nahen Querspange befinden sich außerdem<br />

eine Seilscheibe und eine Lore als Zeichen<br />

dafür, dass hier Bergleute über 100 Jahre<br />

nach „schwarzem Gold“ gruben.<br />

FOTOS: DIETMAR KLINGENBURG, OLAF ZIEGLER, ANDRE THISSEN<br />

Die Mitglieder der Steigergemeinschaft wollen die Brauchtumspflege erhalten.<br />

Der Schachthut als Teil des bergmännischen Gewands hat hohen Wiedererkennungswert.<br />

Halde Norddeutschland in Neukirchen-Vluyn: Das „Hallenhaus” dient auch für Veranstaltungen.<br />

An jedem 4. Dezember findet in der Pfarrkirche<br />

Sankt Josef eine ökumenische Bar -<br />

ba ra feier statt. Schließlich steht in dem<br />

Got tes haus, dessen Bau das Bergwerk mitfi<br />

nan zier te, eine Figur der heiligen Barbara,<br />

die ihre Hand segnend auf das Strebfördergerüst<br />

von Schacht 2 legt. „Es kommen<br />

150 Mitglieder, die meisten mit Bergkittel<br />

und Schachthut. Es ist sehr bewegend. Die<br />

Barbarafeier bleibt bestehen, auch wenn das<br />

Bergwerk Ge schich te ist“, erklärt Manfred<br />

Stratenhoff, Vorsitzender der Fördergemeinschaft<br />

für Bergmannstradition.<br />

Häusliches Leben nachgestellt<br />

Um das Leben eines typischen Bergmanns<br />

zu zeigen, öffnet die Fördergemeinschaft<br />

für Bergmannstradition zweimal die Woche<br />

das 100-jährige „Haus des Bergmanns“, das<br />

Ecke Ebert-/Antonstraße liegt. „Das Leben<br />

spielte sich in der Küche ab. Im Wohnzimmer<br />

brann te fast nur zu Ostern und Weihnachten<br />

das Feuer im Ofen. Das Kinderzimmer<br />

und das Schlafzimmer im ersten Stock<br />

waren nicht beheizt. Das Wasser holte der<br />

Bergmann an Zapfstellen. Und der ganze<br />

Garten diente dazu, Essbares anzubauen“,<br />

berichtet Jörg Kaenders, der mit einem Dutzend<br />

Mitstreitern das Haus instand hält. Im<br />

Keller befindet sich sogar eine nachgebaute<br />

Strecke, die den Besuchern des Hauses einen<br />

Eindruck der Arbeit unter Tage vermittelt.<br />

Ebenfalls dem Erbe des Bergbaus verpflichtet<br />

fühlt sich die Steigergemeinschaft.<br />

Nach mündlicher Überlieferung gründete sie<br />

sich im Jahr 1948, um über die Arbeitszeit<br />

hinaus die Gemeinschaft der Mitglieder zu<br />

stärken. Durch geselliges Beisammensein<br />

und gemeinsame Veranstaltungen sollte sich<br />

gegenseitiges Vertrauen unter den Bergleuten<br />

bilden, das auch bei der Arbeit auf der<br />

Schachtanlage unabkömmlich ist. Diesem<br />

Ziel bleibt die Steigergemeinschaft bis heute<br />

treu und organisiert regelmäßig Ausflüge<br />

und Veranstaltungen. Auch nach der Schließung<br />

des Bergwerks West will die Gemeinschaft<br />

die Tradition weiter pflegen.<br />

Über all den Landmarken und Bauwerken<br />

der Region erhebt sich die Halde<br />

Norddeutschland, die Besucher über eine<br />

„Himmelstreppe“ besteigen können. Das<br />

Hallenhaus auf dem Gipfel steht für Veranstaltungen<br />

zur Verfügung. An Wochenenden<br />

bildet sie zudem ein attraktives Ziel für<br />

Gleitschirmflieger, die sich mit einer Seilwinde<br />

300 Meter hoch in die Luft ziehen.<br />

„Die Halde Norddeutschland ist die einzige<br />

im Ruhrgebiet, die das Gleitschirmfliegen<br />

erlaubt“, erklärt Dr. Theo Schürholz, Vorsitzender<br />

der Fliegerfreunde Niederrhein. „Bei<br />

guter Thermik können wir mehrere Stunden<br />

fliegen und den einmaligen Blick über den<br />

linken Niederrhein und das gesamte Ruhrgebiet<br />

genießen.“<br />

9


<strong>VORORT</strong> R A G D E U T S C H E S T E I N K O H L E / B E R G W E R K W E S T <br />

Technologische Schrittmacher: das<br />

Bergwerk West und seine Vorgänger<br />

Auf dem Weg von der Keilhaue zum modernen Gewinnungsbetrieb besaß das Bergwerk West eine Vorreiterstellung<br />

im <strong>Steinkohle</strong>nbergbau. In den 1990er Jahren gelang sogar ein Weltrekord.<br />

Wie im übrigen Ruhrgebiet be gann<br />

der Bergbau auch linksrheinisch<br />

mit der Keilhaue und en de te mit<br />

computergesteuerten Hightech-Ge winnungs<br />

maschinen. 1913, im ersten vollen<br />

Betriebsjahr des Bergwerks Friedrich Heinrich,<br />

betrug die Förderleistung mehr als<br />

468.000 Tonnen <strong>Steinkohle</strong>. 1993, im Jahr<br />

des Verbunds mit dem Bergwerk Rheinland<br />

– vormals Rheinpreussen und Rossenray<br />

–, erreichten die Bergleute mit 4,17<br />

Millionen Tonnen die höchste Jahresförderung<br />

überhaupt. Die Belegschaftszahl stieg<br />

durch den Verbund von 3300 auf über 6000<br />

an. Das zweithöchste Jahresergebnis in der<br />

Geschichte der Friedrich-Heinrich-Schächte<br />

stammt aus dem Jahr 2005 und lag bei 3,7<br />

Millionen Tonnen. Das entsprach dem Ertrag<br />

der ersten sechs Betriebsjahre des Bergwerks<br />

Friedrich Heinrich von 1912 bis 1917. 1917<br />

lag die Belegschaftszahl des Bergwerks mit<br />

3516 Mann fast ebenso hoch wie später auf<br />

dem Bergwerk West, wo im Jahr 2005 3573<br />

Bergleute arbeiteten. Hier zeigt sich der<br />

technische Wandel im Bergbau besonders<br />

deutlich.<br />

Die Bezeichnung „Zeche Beispiel“ für<br />

Friedrich Heinrich stammt aus den 1950er<br />

Jahren. Das bezog sich auf die herausgehobene<br />

Stellung als erstes voll mechanisiertes<br />

Bergwerk in Deutschland. In den<br />

1920er Jahren ersetzte man im Abbau die<br />

Keilhaue durch den luftdruckbetriebenen<br />

Ab bau ham mer. Die Gewinnung beruhte<br />

also nicht mehr ganz und gar auf Muskelkraft,<br />

hing aber dennoch weiterhin von der<br />

Leistung des einzelnen Hauers vor Ort ab.<br />

Die Schüttelrutsche gehörte seit 1912 zum<br />

Abbaubetrieb, und ab 1915 kamen elektrische<br />

Grubenbahnen zum Einsatz, die die<br />

Pferde verdrängten. Die technische Ausstattung<br />

bildete die Grundlage für weitere<br />

Entwicklungen des modernen Bergbaubetriebs<br />

im gesamten Ruhrgebiet.<br />

Bergwerk mit neuem Gesicht<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg und im Aufschwung<br />

des beginnenden Wirtschaftswunders<br />

erhielt der Bergbau auf Friedrich<br />

Heinrich ein anderes Gesicht. Das Ziel des<br />

neuen Zechendirektors Erwin Anderheggen<br />

bestand darin, „die Schallmauer der<br />

Bergtechnik zu durchbrechen“, wie er es<br />

1962 formulierte. Zwischen 1952 und 1964<br />

führte das Bergwerk einen komplexen Ausbauplan<br />

durch, der den Betrieb auf eine voll<br />

mechanisierte Grundlage umstellen und<br />

die jährliche Förderleistung auf drei Millionen<br />

Tonnen bringen sollte. Dazu nahmen<br />

die Bergleute 1952 eine neue Hauptfördersohle<br />

auf 600 Meter Teufe in Betrieb, die<br />

ein ausgefeiltes Streckennetz für elektrische<br />

Lokomotiven erhielt, das sich bis 1964 zum<br />

neuen, zehn Kilometer entfernten Schacht<br />

Hoerstgen zog. Mit dem neuen Förderturm,<br />

der 1957 das alte Fördergerüst am Schacht 1<br />

ersetzte, stiegen die Möglichkeiten, mehr<br />

Kohle zu fördern. Im August 1958 vollzog<br />

sich dann der vielleicht wichtigste Schritt<br />

der Neuaufstellung, als der ge samte Abbaubetrieb<br />

des Bergwerks mechanisch vonstattenging.<br />

Anderheggen verkündete, dass<br />

die Mannschaft aus „insgesamt 14 Abbaubetrie<br />

ben in neun verschiedenen Flözen<br />

mit einer Mächtigkeit von 60 bis 200 Zentimetern<br />

zurzeit rund 8000 Tonnen täglich“<br />

fördere. Damit stand Friedrich Heinrich an<br />

der Spitze des deutschen und internationalen<br />

Bergbaus.<br />

Noch 1970, nach Gründung der Ruhrkoh<br />

le <strong>AG</strong>, galt Technikentwicklung als beispielhaft.<br />

Maschinen lösten die Kohle aus<br />

dem Flöz und besorgten den Abtransport<br />

der Kohle sowie das Vortreiben von Strecken.<br />

Hydraulische Pumpen robuster Art<br />

ließen den Ausbau voranschreiten. Das ging<br />

schneller und sparte den Bergleuten Kraft<br />

und Zeit. Auch die übrigen links rhei ni schen<br />

Schachtanlagen arbeiteten auf ei nem technisch<br />

ähnlich hohen Niveau. Die Niederrheinische<br />

Bergwerks-<strong>AG</strong> etwa setz te in den<br />

1960er Jahren als Erste einen Con ti nuous<br />

Miner ein, eine in den USA ent wickel te<br />

groß dimensionierte Vortriebsmaschine.<br />

Und das Bergwerk Rossenray galt bei Gründung<br />

der Ruhrkohle <strong>AG</strong> mit ei ner durchschnittlichen<br />

Schichtleistung von sechs<br />

Tonnen pro Mann als eines der leis tungsstärksten<br />

Bergwerke der Bundesrepublik.<br />

Seit Ende der 1980er Jahre verlagerte sich<br />

der Abbaubetrieb in immer größere Teufen.<br />

Während in den Friedrich-Heinrich- und<br />

Rossenray-Feldern die 885-Meter-Sohle<br />

seit den 1970er Jahren die Hauptfördersoh<br />

le darstellte, verlagerte sich der Abbau<br />

noch weiter bis in Teufen von mehr als<br />

1200 Metern. Der immer tiefer gehende<br />

Ab bau betrieb ging in den 1990er Jahren<br />

und nach der Jahrtausendwende mit erheblichen<br />

Fortschritten der Technisierung<br />

einher. Durch erhöhte Automatisierung<br />

vollzogen sich bedeutende Leistungssteige<br />

run gen. So wurde 1998 im Flöz Girondelle<br />

5 des Verbundbergwerks Friedrich<br />

Heinrich/Rheinland ein „Hochleistungsstreb“<br />

in einer Teufe von 1000 Metern und<br />

einer Streblänge von 430 Metern angefahren.<br />

Im März 1998 brachte es das dortige<br />

Abbaurevier auf 20.262 Tagestonnen, ein<br />

weltweiter Rekord.<br />

Leistung im Vortrieb gesteigert<br />

Wie beim „Hochleistungsstreb“ beteiligte<br />

sich das Bergwerk aktiv auch im Bereich<br />

Forschung und Entwicklung. Das galt etwa<br />

für das neue „Alternative Vortriebssystem<br />

Schneiden und Ankern“ (AVSA). Das System<br />

konstruierten Fachleute für große Teufen<br />

mit hohem Gebirgsdruck. Es verband<br />

den schneidenden Vortrieb der Strecke mit<br />

dem gleichzeitigen Verankern des Gebirges<br />

während des Schneidvorgangs. Dadurch<br />

erhöhte sich die Arbeitssicherheit, und die<br />

Vortriebsleistung stieg um 50 Prozent.<br />

Die Vergrößerung der Streblänge, die<br />

Verdoppelung des Ausbauwiderstands<br />

beim hydraulischen Schreitausbau in den<br />

1990er Jahren, die automatische Steuerung<br />

von Gewinnungsabläufen und Schildausbau:<br />

All das zeigt, dass „Zeche Beispiel“ mit<br />

Blick auf die technische Entwicklung in<br />

gewissem Maße für sämtliche Vorläufer des<br />

Bergwerks West steht – und nicht zuletzt<br />

für das Bergwerk West selbst.<br />

Neueste Technologie im Einsatz: Die AVSA arbeitete schneller und erhöhte die Sicherheit für die Mannschaft.<br />

Ende der 1950er Jahre verfügte Friedrich Heinrich über einen<br />

neuen Förderturm und eine neue Kokerei direkt nebenan (rechts).<br />

Seit den 1980er Jahren stützen die mit Hydraulik betriebenen Stempel<br />

der Schilde das Hangende und lassen sich je nach Höhe anpassen.<br />

FOTOS: FÖRDERGEMEINSCHAFT FÜR BERGMANNSTRADITION LINKER NIEDERRHEIN<br />

1 0


1 9. D E Z E M B E R 2 0 1 2<br />

FOTO: DIETMAR KLINGENBURG<br />

Wirtschaftskraft in der Region: Dem Standort Kamp-Lintfort stehen nach der Schließung des Bergwerks Veränderungen bevor.<br />

Wirtschaftsfaktor in der Region:<br />

eine Herausforderung für die Zukunft<br />

Mit der Fördereinstellung des Bergwerks West schwindet Wirtschafts- und Kaufkraft am linken Niederrhein. Unternehmen<br />

aus dem Umfeld des Bergbaus erweitern ihre Geschäftsfelder erfolgreich und tragen zu positiven Veränderungen bei.<br />

Ohne den Bergbau gäbe es die Stadt<br />

Kamp-Lintfort nicht. Und ohne das<br />

Bergwerk West, die frühere Zeche<br />

Friedrich Heinrich, und alle anderen linksrheinischen<br />

Schachtanlagen hätte die Region<br />

einen ganz anderen Verlauf genommen. Das<br />

Bergwerk West ist zweifellos die prägende<br />

Wirtschaftskraft vor Ort. Dieser Einfluss geht<br />

mit dem Ende der <strong>Steinkohle</strong>nförderung am<br />

31. Dezember 2012 unwiderruflich verloren.<br />

Allein in der ersten Jahreshälfte 2012<br />

rechnete die <strong>R<strong>AG</strong></strong> <strong>Deutsche</strong> <strong>Steinkohle</strong> mit<br />

Lieferanten im Kreis Wesel gut 37 Millionen<br />

Euro für Waren und Dienstleistungen<br />

ab. Von Alpen über Kamp-Lintfort und<br />

Moers bis hin zu Wesel und Xanten wa ren<br />

es zwischen August 2011 und Juli 2012 fast<br />

65 Millionen Euro, die der Region im Kreis<br />

Wesel zugutekamen. 145 Unternehmen<br />

dort profitierten in diesem Zeitraum vom<br />

Bergbau. Knapp 30 Millionen Euro gingen<br />

nach Moers, etwa neun Millionen blieben<br />

in Kamp-Lintfort. Doch nicht nur auf den<br />

Bergbau ausgerichtete Unternehmen profitieren<br />

von dem Bergwerk. Wilhelm Bommann,<br />

Geschäftsführer des Einzelhandelsund<br />

Dienstleistungsverbands Niederrhein,<br />

denkt vor allem an die kleineren Betriebe.<br />

„Auch Bergleute, die nicht in Kamp-Lintfort<br />

wohnen, kaufen dort ein. Sie tanken in der<br />

Region, besorgen sich etwas zu essen oder<br />

zu trinken.“ Das alles fällt weg, wenn Ende<br />

2012 keine Kohle mehr gefördert wird.<br />

Die Belegschaft des Bergbaus, zunächst<br />

Friedrich Heinrich, später Friedrich Heinrich/Rheinland<br />

und zuletzt Bergwerk West,<br />

zählte immer zu den größten der Region. Im<br />

Jahr 1913 beschäftigte das Bergwerk 2065<br />

Menschen und 1929 bereits 5843. Im Jahr<br />

1957 erreichte die Zahl der Mitarbeiter mit<br />

8625 ihren Höchststand. Damals wurden<br />

gut 2,2 Millionen Tonnen <strong>Steinkohle</strong> gefördert,<br />

die noch bis 1978 existierende Kokerei<br />

produzierte 764.140 Tonnen Koks. „Das<br />

Bergwerk war immer ein wichtiger Wirtschaftsfaktor<br />

für die Region“, weiß Dr. Ansgar<br />

Müller, Landrat des Kreises Wesel.<br />

Dr. Jürgen Rupp, Vorstandsmitglied der<br />

<strong>R<strong>AG</strong></strong>, blickt in die Zukunft: „Es wird etwas<br />

Neues für die Region kommen, aber die<br />

Wirtschaftskraft des Bergbaus kann man<br />

nicht ersetzen.“ Diese Einschätzung teilt<br />

auch Dieter Tenhaeff, Chef der Wirtschaftsförderung<br />

in Kamp-Lintfort. „Das betrifft<br />

das Volumen der Auftragsvergaben in die<br />

Wirtschaft und auch die Zahl der Mitarbeiter.<br />

Es ist unstreitig, dass diese Mitarbeiterzahlen<br />

nicht durch strukturwandelbedingte<br />

Neuansiedlungen kompensiert werden<br />

können.“<br />

Aber man arbeitet daran, trotz der Na -<br />

ckenschläge der vergangenen Zeit. Siemens<br />

produzierte Handys in Kamp-Lintfort, vergab<br />

das Geschäft an BenQ, der Standort<br />

schloss.<br />

Neue Arbeitsplätze schaffen<br />

Bürgermeister Prof. Dr. Christoph Landscheidt<br />

hat seine Lehren daraus gezogen. Er<br />

setzt mittlerweile lieber auf kleinere Betriebe<br />

als auf große, möchte gerade nach dem Ende<br />

des Bergbaus Monostrukturen vermeiden.<br />

Fraglich bleibt, wie die große Zahl der wegfallenden<br />

Arbeitsplätze kompensiert werden<br />

kann. Am 1. Juli 2012 zählte das Bergwerk<br />

noch 2046 Mitarbeiter. Ende 2012 hat sich<br />

die Zahl auf 1583 reduziert. Wilhelm Bommann<br />

vom Einzelhandelsverband macht<br />

sich gleich in doppelter Hinsicht Sorgen.<br />

„Man kann die Kaufkraft der Mitarbeiter<br />

des Bergwerks in der Region nicht genau<br />

beziffern. Aber an der Schließung der Zeche<br />

Niederberg in der Nachbarstadt Neukirchen-Vluyn<br />

hat man die Auswirkungen<br />

gesehen. Bergleute haben gut bezahlte Arbeitsplätze.“<br />

Und das fehlt dem Einzelhandel,<br />

wenn die Kohle nicht mehr da ist. Zudem<br />

verweist Bommann auf die Ausbildungsplätze<br />

und erinnert daran, dass nicht<br />

nur Jobs für hoch Qualifizierte gefragt sind:<br />

„Vergesst nicht die Blaumann-Arbeitsplätze!“<br />

Neben dem Bergbau selbst gibt es Branchen<br />

und Unternehmen, die zwar mit dem<br />

deutschen <strong>Steinkohle</strong>nbergbau in Verbindung<br />

stehen, aber sich auch erfolgreich auf<br />

anderen Gebieten engagieren – und deswegen<br />

auch nach dem Abschied vom Bergbau<br />

weiterexistieren. Dazu zählen zum Beispiel<br />

die Unternehmensgruppe Maas in Moers<br />

mit gebirgsmechanischer Beratung, Ankertechnik<br />

im Streckenvortrieb und Spritzbeton<br />

vortrieb in horizontalen und seigeren<br />

Grubenbauen, der Maschinen-, Anlagenund<br />

Apparatehersteller Bürgel, ebenfalls in<br />

Moers, oder die Firma Niederholz, gegründet<br />

als Schmiede in Kamp-Lintfort, mittlerweile<br />

in Alpen ansässig und im Bereich<br />

Maschinen- und Stahlbau insbesondere bei<br />

der Förder- und Transporttechnik tätig. Sie<br />

al le haben sich mit dem Bergbau entwickelt,<br />

aber auch darüber hinaus – wie zum Beispiel<br />

GTA Maschinensysteme aus Hamminkeln,<br />

die Streckenausbaumaschinen für den<br />

Sankt-Gotthard-Eisenbahntunnel herstellte,<br />

die Mess- und Regeltechnikfirma Ferrotron<br />

aus Moers oder VS Optoelectronic im Kamp-<br />

Lintforter Technologiepark Dieprahm.<br />

Genau dieser Technologiepark ist eine<br />

der Hoffnungen der Stadt Kamp-Lintfort.<br />

Hier siedelten sich mittlerweile Firmen<br />

an, die jenseits des Bergbaus ihre Chancen<br />

sehen. Dazu zählt zum Beispiel das Institut<br />

für Mobil- und Satellitenfunktechnik<br />

(IMST) mit seinen etwa 165 Mitarbeitern<br />

Nukleus des Technologieparks, der derzeit<br />

etwa 1200 Menschen Arbeit bietet. Im Norden<br />

des Areals des Bergwerks West entsteht<br />

derzeit der Neubau des Campus der Hochschule<br />

Rhein-Waal. Seit dem Winter semester<br />

2010/11 gibt es hier die Fakultät für<br />

Kommunikation und Umwelt. Zum Sommersemester<br />

2014 soll der Bau mit einem<br />

Volumen von fast 50 Millionen Euro fertiggestellt<br />

sein.<br />

Kamp-Lintfort wandelt sich. Dazu trägt<br />

auch die Offenheit der Bergwerksgeländeeigner<br />

bei: <strong>R<strong>AG</strong></strong> Montan Immobilien ist mit<br />

im Boot, wenn es um die Nachnutzung der<br />

Flächen geht. In öffentlichen Arenen diskutierten<br />

alle Beteiligten über Vorschläge und<br />

Möglichkeiten. Die Planungsbüros arbeiten<br />

Vorschläge der Bevölkerung ein. Eine Jury<br />

entschied, wie der „Masterplan“ für das<br />

Bergwerk West aussieht.<br />

1 1


<strong>VORORT</strong> R A G D E U T S C H E S T E I N K O H L E / B E R G W E R K W E S T 1 9. D E Z E M B E R 2 0 1 2<br />

Abschied mit Wehmut und Stolz<br />

Stimmen von Nachbarn und Mitarbeitern zur Schließung des Bergwerks West<br />

Prof. Dr. Christoph Landscheidt (53), Bürgermeister<br />

der Stadt Kamp-Lintfort<br />

Mit der Schließung des Bergwerks West enden 100 Jahre stolze Bergbaugeschichte in Kamp-<br />

Lintfort. Es entfallen nicht nur für immer einige Tausend Industriearbeitsplätze und jährlich<br />

über 100 moderne Ausbildungsplätze, sondern es wird mitten im Herzen unserer Stadt<br />

auch eine Wurzel ihrer Entstehungsgeschichte und Kultur gekappt. Ermutigend ist trotz aller<br />

Betroffenheit die Erkenntnis, dass der jahrelange solidarische Kampf der Stadt gemeinsam<br />

mit den Bergleuten nicht gänzlich vergebens war. Wir haben immerhin den seinerzeit drohenden<br />

„Sturzflug“ ins Bergfreie, das heißt das sofortige Ende des Bergbaus und damit die<br />

kurzfristige Schließung unserer Zeche, verhindern<br />

können. So konnten wir in den Jahren des „Gleitflugs“<br />

die Zukunft planen und neue Strukturen schaffen.<br />

Schon heute sind wir Hochschulstadt und morgen<br />

attraktiver Logistikstandort, in der Erwartung, dass<br />

auf den ehemaligen Kohlelagerflächen attraktive<br />

Unternehmen möglichst viele neue Arbeitsplätze<br />

schaffen werden. Im Vertrauen darauf, dass der <strong>R<strong>AG</strong></strong>-<br />

Konzern weiterhin Verantwortung für seinen ehemaligen<br />

Bergbaustandort Kamp-Lintfort übernimmt<br />

und sich mit der Stadt um eine attraktive Nachnutzung<br />

des neu gestalteten Zechengeländes unter<br />

Erhalt vieler der historischen Gebäude bemüht, ist<br />

uns um die Zukunft auch ohne Bergbau nicht bange.<br />

Jörg Rösken (49), Leiter Lean<br />

1982 begann ich meine Lehre auf dem Bergwerk<br />

Friedrich Heinrich. Der Bergbau und<br />

das Bergwerk sind nicht nur das Zentrum<br />

meines Berufslebens, sondern auch ein großer<br />

Bestandteil meines Privatlebens. Durch<br />

meine über 20-jährige<br />

Tätigkeit in<br />

der Grubenwehr<br />

lernte ich, was es<br />

tatsächlich heißt,<br />

Kumpel zu sein,<br />

Solidarität zu erleben<br />

und zu leben<br />

sowie die persönlichen<br />

Interessen nicht in den Vordergrund<br />

zu stellen. Die Menschen im Ruhrgebiet<br />

werden sich in naher Zukunft vom aktiven<br />

Bergbau verabschieden müssen. Was bleibt,<br />

ist Erinnerung, aber die ist im Herzen und<br />

wird den Bergbau über weitere Generationen<br />

nicht sterben lassen.<br />

Gerd Kammerer (53), Augenoptiker<br />

Das Bergwerk gehört<br />

zu Kamp-Lintfort wie<br />

das Kloster Kamp. Erst<br />

durch den Bergbau<br />

ist unsere Stadt zu<br />

dem geworden, was sie<br />

heute darstellt. Unser<br />

Geschäft ist nun auch<br />

schon seit über 80 Jahren<br />

am Ort, und ich weiß noch seit meiner<br />

Lehrzeit, wie wir Fotopapier, Negativfilme<br />

und Ähnliches an Friedrich Heinrich lieferten.<br />

Auch ich habe das Bergwerk lange Jahre<br />

während der Betriebsversammlungen mit<br />

Beschallungs- und Beamertechnik betreuen<br />

dürfen. Es ist schade, dass durch verfehlte<br />

Energiepolitik das Bergwerk West nach über<br />

100 Jahren schließen muss. Ich hoffe nur,<br />

dass der Förderturm und die Gebäude entlang<br />

der Friedrich-Heinrich-Allee erhalten<br />

werden können.<br />

Willi-Peter Bier (76), <strong>Deutsche</strong>s<br />

Rotes Kreuz Kamp-Lintfort<br />

Das Bergwerk Friedrich-Heinrich und das<br />

<strong>Deutsche</strong> Rote Kreuz waren meine Berufsfelder.<br />

In beiden habe ich bergmännische<br />

Kamerad schaft kennengelernt. Das DRK-<br />

Haus an der Ringstraße ist eine Stiftung<br />

des damaligen Bergwerks unter Bergwerksdirek<br />

tor Brand aus dem Jahr 1954, wonach<br />

es den Namen „Herta Brand“ erhielt. Es war<br />

fast schon Tradition, dass die Bergleute auch<br />

DRK-Mitglieder waren. Ebenso nahmen<br />

die Blutspendetermine, bis zum Schluss in<br />

der Lohnhalle durchgeführt,<br />

ihren Anfang<br />

1953 in der werksärztlichen<br />

Abteilung. Es<br />

muss die Hoffnung<br />

bleiben, solche Traditionen<br />

im Areal des<br />

ehemaligen Bergwerks<br />

weiter zu pflegen.<br />

Fikret Ceran (39), Belegschaftsbetreuer<br />

Bergwerk West<br />

Ich arbeite seit 1988 im Bergbau und war<br />

immer auf West beschäftigt. Seit Beginn<br />

meiner Ausbildung standen wir auf der<br />

Straße und haben für den Erhalt des Bergbaus<br />

gekämpft. Dadurch habe ich die starke<br />

Gemeinschaft und die Solidarität im Bergbau<br />

kennengelernt,<br />

womit wir<br />

vieles erreichten.<br />

Nun gilt es,<br />

gemeinsam den<br />

Auslauf zu meistern.<br />

Es ist schon<br />

ein komisches<br />

Gefühl, mitzuerleben,<br />

wie das<br />

Bergwerk und<br />

der Bergbau enden. Das Bergwerk West ist<br />

wie eine große Familie. Es ist schön, Teil<br />

dieser Mannschaft zu sein.<br />

Oliver Daemen (47), Hauer in der<br />

Qualitätssicherung, Stabsstelle<br />

Seit meinen 15. Lebensjahr arbeite ich auf<br />

dem Bergwerk und habe in allen Bereichen<br />

gearbeitet. Die Arbeit unter Tage hat mir viel<br />

Spaß und Freude gemacht. Was mir immer<br />

in Erinnerung bleiben wird, ist die gute<br />

Kameradschaft unter uns Bergleuten. Ein<br />

besonderes Highlight in meinen Berufsleben<br />

war die Aufnahme<br />

in die<br />

Grubenwehr<br />

Bergwerk West.<br />

Da das Bergwerk<br />

West<br />

schließt, geht<br />

auch für mich<br />

ein schöner<br />

Lebensabschnitt<br />

zu Ende. Trotzdem<br />

bleibe ich<br />

immer ein stolzer<br />

Bergmann.<br />

Jörg Kaenders (56), Nachbar<br />

In Kamp-Lintfort geboren und aufgewachsen,<br />

lebe ich noch heute gerne mit meiner<br />

Familie in der Stadt. Mit dem Bergbau bin<br />

ich auch nach meinem Ausscheiden aus<br />

dem aktiven Berufsleben stark verbunden.<br />

Durch Mitgliedschaft in der Steigergemeinschaft<br />

Bergwerk West, dem Ring <strong>Deutsche</strong>r<br />

Bergingenieure (RDB) und besonders<br />

in der Fördergemeinschaft<br />

für<br />

Bergmannstradition<br />

linker Niederrhein<br />

nutze<br />

ich zusammen<br />

mit vielen Bergbauinteressierten<br />

jede Gelegenheit,<br />

um an einen für<br />

uns alle wichtigen<br />

Industriezweig<br />

zu erinnern.<br />

Regina Merz (51), Apothekerin<br />

Auch wenn es das Bergwerk nicht mehr gibt,<br />

werden wir die „Glückauf“-Apotheke nicht<br />

umbenennen. Der Name steht schließlich<br />

auch für unsere Verbundenheit mit der Stadt,<br />

mit den Bergleuten und mit der Tradition<br />

des Bergbaus. Der Gruß „Glück auf!“ wird<br />

den Menschen noch lange etwas bedeuten.<br />

Er symbolisiert Solidarität, Herzlichkeit<br />

und Geradlinigkeit der Menschen in dieser<br />

Region, die der Bergbau über all die Jahre<br />

prägte. Und das bleibt bestehen, wenn der<br />

Bergbau geht. Darauf können wir stolz sein.<br />

FOTOS: JÖRG HENNING, STADT KAMP-LINTFORT<br />

Ansprechpartner<br />

Auch wenn die Förderung eingestellt<br />

ist: Ihr Ansprechpartner auf dem<br />

Bergwerk West bleibt. In der Markscheiderei<br />

ist dies Heinz-Dieter<br />

Pollmann, der unter der Rufnummer<br />

(02842) 57-2318 erreichbar ist.<br />

Bürgersprechstunde<br />

Mit den Bürgersprechstunden<br />

kommt das Bergwerk West weiterhin<br />

den Wünschen vieler Bürger<br />

nach aktuellen Informationen nach.<br />

Das Bürgerbüro bleibt noch bis<br />

März besetzt. Sie finden es im<br />

Knappenheim an der Schulstraße 1<br />

in Kamp-Lintfort. Öffnungszeiten:<br />

jeden vierten Montag im Monat von<br />

14.30 bis 16 Uhr.<br />

Bergschaden-Hotline<br />

Auch nach dem<br />

Ende der Förderung<br />

auf dem Bergwerk<br />

West werden<br />

Bergschäden registriert<br />

und reguliert:<br />

Die <strong>R<strong>AG</strong></strong> bietet Betroffenen eine<br />

kostenlose Hotline rund um das<br />

Thema Bergschäden im <strong>Steinkohle</strong>nbergbau.<br />

Bei Schäden am Haus,<br />

bei Neu- und Umbauvorhaben rufen<br />

Sie uns bitte an. Unser Bergschaden-<br />

Service-Center ist zu folgenden<br />

Zeiten für Sie da:<br />

umontags bis freitags von<br />

7.30 bis 16 Uhr<br />

udonnerstags von 7.30 bis 18 Uhr<br />

uHotline (0800) 2727271<br />

In Verbindung bleiben<br />

Die <strong>R<strong>AG</strong></strong> Montan<br />

Immobilien ist<br />

Ihr Ansprechpartner<br />

für die Themen rund um die<br />

Folgenutzung. Die <strong>R<strong>AG</strong></strong> Montan<br />

Immobilien hat ihren Unternehmenssitz<br />

in Essen, Im Welterbe 8.<br />

Der „Mann vor Ort” ist Hermann<br />

Timmerhaus, Projektleiter der<br />

<strong>R<strong>AG</strong></strong> Montan Immobilien. Er ist<br />

Ansprechpartner für alle Fragen<br />

zum Areal und zu erreichen unter der<br />

Telefonnummer (0201) 378-2106.<br />

Seine E-Mail-Adresse lautet:<br />

hermann.timmerhaus@rag-montanimmobilien.de<br />

Impressum<br />

Herausgeber:<br />

<strong>R<strong>AG</strong></strong> Aktiengesellschaft<br />

Shamrockring 1,<br />

44623 Herne<br />

Verantwortlich:<br />

Christof Beike, Bereichsleiter<br />

Presse/Standortkommunikation<br />

<strong>R<strong>AG</strong></strong> Aktiengesellschaft<br />

Shamrockring 1,<br />

44623 Herne<br />

Tel. (02323) 15-2596<br />

Fax (02323) 15-3349<br />

E-Mail: Christof.Beike<br />

@rag.de<br />

Verlag: HOFFMANN UND<br />

CAMPE VERL<strong>AG</strong> GmbH,<br />

ein Unternehmen<br />

der GANSKE<br />

VERL<strong>AG</strong>SGRUPPE,<br />

Harvestehuder Weg 42,<br />

20149 Hamburg,<br />

Tel. (040) 441 88-457,<br />

Fax (040) 441 88-236<br />

Druck:<br />

Neef & Stumme,<br />

Wittingen<br />

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