Workshop D - Mittlerweile habe ich's gelernt - Universität Bremen

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03.06.2014 Aufrufe

Lerninseln – bildungshaltige Lernsituationen in den Pflege- und Gesundheitsberufen Sabine Muths, Universität Bremen 1 Kooperationspartner – an der Entwicklung und Erprobung beteiligt: Einrichtung(en): Studiengang „Gesundheits- und Pflegewissenschaften“, TU München Personen: ***** Studierende der Technischen Universität München Inhaltsdimensionen der Lerninsel: bearbeitete Schlüsselprobleme: • Umgang mit geringer Therapietreue / geringer Compliance Patientenedukation vs. Empowerment; Standardisierung vs. Individualisierung zentrale bearbeitbare technische Erkenntnisse / instrumentelle Fertigkeiten: • Therapeutische Interventionen bei PatientInnen nach Hirninfarkt (Infarktherd i.d. rechten Hirnhälfte) Physiotherapie, Logopädie, Ergotherapie, Neuropsychologie; System Rehabilitation; Soziale Unterstützungsleistungen für Mütter mit langfristigen Erkrankungen; Durchführung von Rehabilitationsberatungen Mögliche curriculare Bezugspunkte in den gesetzlichen Lehrplanvorgaben: integrierte Wissensgebiete (KrPflAPrV §1.1 – Anl.1): • Kenntnisse der Gesundheits- und Krankenpflege, der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege sowie der Pflege- und Gesundheitswissenschaften • Pflegerelevante Kenntnisse der Naturwissenschaften und der Medizin • Pflegerelevante Kenntnisse der Geistes- und Sozialwissenschaften • Pflegerelevante Kenntnisse aus Recht, Politik und Wirtschaft angesprochene Themenbereiche (KrPflAPrV §1.1 – Anl.1) / Lernfelder Rahmenrichtlinien Niedersachsen: • Pflegesituationen bei Menschen aller Altersgruppen erkennen, erfassen und bewerten (Tb 1 u. 5) • Pflegemaßnahmen auswählen, durchführen und dokumentieren (Tb 2) • Pflegebedürftige und Angehörige beraten, anleiten und unterstützen / Bei Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention mitwirken (Tb 3 u. 6) • An Rehabilitationskonzepten mitwirken (Tb 4) • In Gruppen und Teams zusammenarbeiten (Tb 12) *********** mögliche Einordnung in den bayerischen Rahmenlehrplan „Gesundheits- und Krankenpflege / Gesundheits- und Kinderkrankenpflege) 3. Ausbildungsjahr • Gesundheits- und Krankenpflege (Theorie und Praxis) LF 1: Bei der Eingliederung in das alltägliche Leben mitwirken • Gesundheits- und Krankenpflege (Theorie und Praxis) LF 7: „Menschen mit Störungen in der Steuerung von Körperfunktionen pflegen“ • Berufskunde LF: „Berufliches Selbstverständnis entwickeln“ • Recht und Verwaltung LF: „Ökonomisch und ökologisch agieren“ • Deutsch: „Kommunikationsprozesse reflektieren“ „Mittlerweile habe ich’s gelernt“ Das Interview, auf dem die Lerninsel basiert, dokumentiert ein Gespräch, das SchülerInnen (I.) einer Ergotherapieschule (1. Aj) mit der Patientin Hella B. (P.) geführt haben. Hella B. ist seit mehr als 4 Jahren bei der unterrichtenden Lehrerin (L.) in ergotherapeutischer Behandlung. Das Gespräch wurde mittels Tonträger aufgenommen und transkribiert. Dabei wurden minimale sprachliche Änderungen vorgenommen, um den Text lesbarer zu gestalten. Es ist auf den folgenden Seiten vor der Entwicklung der Lerninsel in einer gekürzten Form abgedruckt, die farbigen Markierungen verweisen – wegen der Länge des Textes – jeweils schon auf die anschließende Zuordnung der Textpassage zu den Lerninhalten/-zielen und den entsprechenden Lernsequenzen. Lernfelder (AltPflAPrV § 1.1. – Anl.1): 1.1 Theoretische Grundlagen in das altenpflegerische Handeln einbeziehen ( 1.1.3 - Handlungsrelevanz von Konzepten und Modellen der Pfege anhand konkreter Pflegesituationen / 1.1.4 – Pflegeforschung und Umsetzung von Forschungsergebnissen / 1.1.6 – Rehabilitation) 1.2 Pflege alter Menschen planen, durchführen, dokumentieren und evaluieren ( 1.2.7 – Pflegevisite / Fallbeispiele) 1.3Alte Menschen personen- und situationsbezogen pflegen ( 1.3.1.3 - Pflegerelevante Grundlagen der Neurologie / 1.3.3 Unterstützung alter Menschen bei präventiven und rehabilitativen Maßnahmen / 1.3.4 – Mitwirkung bei geriatrischen und gerontopsychiatrischen Rehabilitationskonzepten / 1.3.18 – Überleitungspflege, Casemanagement) 1.4 Anleiten, beraten und Gespräche führen ( 1.4.2 - Beratung und Anleitung alter Menschen ) 1.5 Bei der medizinischen Diagnostik und Therapie mitwirken ( 1.5.5 – Interdisziplinäre Zusammenarbeit, Mitwirkung im therapeutischen Team / 1.5.6 – Mitwirkung an Rehabilitationskonzepten) 3.1 Institutionelle und rechtliche Rahmenbedingungen beim altenpflegerischen Handeln berücksichtigen ( 3.1.1 – Systeme der sozialen Sicherung / 3.1.2 – Träger, Dienste und Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens / 3.1.7 – Institutionelle Rahmenbedingungen altenpflegerischer Arbeit 4.1 Berufliches Selbstverständnis entwickeln ( 4.1.5 – Teamarbeit und Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen) **************

Lerninseln – bildungshaltige Lernsituationen in den Pflege- und Gesundheitsberufen Sabine Muths, Universität <strong>Bremen</strong><br />

1<br />

Kooperationspartner – an der Entwicklung und Erprobung beteiligt:<br />

Einrichtung(en): Studiengang „Gesundheits- und Pflegewissenschaften“, TU München<br />

Personen:<br />

*****<br />

Studierende der Technischen Universität München<br />

Inhaltsdimensionen der Lerninsel:<br />

bearbeitete Schlüsselprobleme:<br />

• Umgang mit geringer Therapietreue / geringer Compliance Patientenedukation<br />

vs. Empowerment; Standardisierung vs. Individualisierung<br />

zentrale bearbeitbare technische Erkenntnisse / instrumentelle Fertigkeiten:<br />

• Therapeutische Interventionen bei PatientInnen nach Hirninfarkt (Infarktherd<br />

i.d. rechten Hirnhälfte) Physiotherapie, Logopädie, Ergotherapie, Neuropsychologie;<br />

System Rehabilitation; Soziale Unterstützungsleistungen für<br />

Mütter mit langfristigen Erkrankungen; Durchführung von Rehabilitationsberatungen<br />

Mögliche curriculare Bezugspunkte in den gesetzlichen Lehrplanvorgaben:<br />

integrierte Wissensgebiete (KrPflAPrV §1.1 – Anl.1):<br />

• Kenntnisse der Gesundheits- und Krankenpflege, der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege<br />

sowie der Pflege- und Gesundheitswissenschaften<br />

• Pflegerelevante Kenntnisse der Naturwissenschaften und der Medizin<br />

• Pflegerelevante Kenntnisse der Geistes- und Sozialwissenschaften<br />

• Pflegerelevante Kenntnisse aus Recht, Politik und Wirtschaft<br />

angesprochene Themenbereiche (KrPflAPrV §1.1 – Anl.1) / Lernfelder Rahmenrichtlinien<br />

Niedersachsen:<br />

• Pflegesituationen bei Menschen aller Altersgruppen erkennen, erfassen und<br />

bewerten (Tb 1 u. 5)<br />

• Pflegemaßnahmen auswählen, durchführen und dokumentieren (Tb 2)<br />

• Pflegebedürftige und Angehörige beraten, anleiten und unterstützen / Bei<br />

Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention mitwirken (Tb 3 u. 6)<br />

• An Rehabilitationskonzepten mitwirken (Tb 4)<br />

• In Gruppen und Teams zusammenarbeiten (Tb 12)<br />

***********<br />

mögliche Einordnung in den bayerischen Rahmenlehrplan „Gesundheits- und<br />

Krankenpflege / Gesundheits- und Kinderkrankenpflege)<br />

3. Ausbildungsjahr<br />

• Gesundheits- und Krankenpflege (Theorie und Praxis) LF 1: Bei der Eingliederung<br />

in das alltägliche Leben mitwirken<br />

• Gesundheits- und Krankenpflege (Theorie und Praxis) LF 7: „Menschen mit<br />

Störungen in der Steuerung von Körperfunktionen pflegen“<br />

• Berufskunde LF: „Berufliches Selbstverständnis entwickeln“<br />

• Recht und Verwaltung LF: „Ökonomisch und ökologisch agieren“<br />

• Deutsch: „Kommunikationsprozesse reflektieren“<br />

„<strong>Mittlerweile</strong> <strong>habe</strong> ich’s <strong>gelernt</strong>“<br />

Das Interview, auf dem die Lerninsel basiert, dokumentiert ein Gespräch,<br />

das SchülerInnen (I.) einer Ergotherapieschule (1. Aj) mit der Patientin<br />

Hella B. (P.) geführt <strong>habe</strong>n.<br />

Hella B. ist seit mehr als 4 Jahren bei der unterrichtenden Lehrerin (L.) in<br />

ergotherapeutischer Behandlung. Das Gespräch wurde mittels Tonträger<br />

aufgenommen und transkribiert. Dabei wurden minimale sprachliche Änderungen<br />

vorgenommen, um den Text lesbarer zu gestalten.<br />

Es ist auf den folgenden Seiten vor der Entwicklung der Lerninsel in einer<br />

gekürzten Form abgedruckt, die farbigen Markierungen verweisen – wegen<br />

der Länge des Textes – jeweils schon auf die anschließende Zuordnung<br />

der Textpassage zu den Lerninhalten/-zielen und den entsprechenden<br />

Lernsequenzen.<br />

Lernfelder (AltPflAPrV § 1.1. – Anl.1):<br />

1.1 Theoretische Grundlagen in das altenpflegerische Handeln einbeziehen (<br />

1.1.3 - Handlungsrelevanz von Konzepten und Modellen der Pfege anhand konkreter<br />

Pflegesituationen / 1.1.4 – Pflegeforschung und Umsetzung von Forschungsergebnissen<br />

/ 1.1.6 – Rehabilitation)<br />

1.2 Pflege alter Menschen planen, durchführen, dokumentieren und evaluieren (<br />

1.2.7 – Pflegevisite / Fallbeispiele)<br />

1.3Alte Menschen personen- und situationsbezogen pflegen ( 1.3.1.3 - Pflegerelevante<br />

Grundlagen der Neurologie / 1.3.3 Unterstützung alter Menschen bei<br />

präventiven und rehabilitativen Maßnahmen / 1.3.4 – Mitwirkung bei geriatrischen<br />

und gerontopsychiatrischen Rehabilitationskonzepten / 1.3.18 – Überleitungspflege,<br />

Casemanagement)<br />

1.4 Anleiten, beraten und Gespräche führen ( 1.4.2 - Beratung und Anleitung alter<br />

Menschen )<br />

1.5 Bei der medizinischen Diagnostik und Therapie mitwirken ( 1.5.5 – Interdisziplinäre<br />

Zusammenarbeit, Mitwirkung im therapeutischen Team / 1.5.6 – Mitwirkung<br />

an Rehabilitationskonzepten)<br />

3.1 Institutionelle und rechtliche Rahmenbedingungen beim altenpflegerischen<br />

Handeln berücksichtigen ( 3.1.1 – Systeme der sozialen Sicherung / 3.1.2 –<br />

Träger, Dienste und Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens / 3.1.7 –<br />

Institutionelle Rahmenbedingungen altenpflegerischer Arbeit<br />

4.1 Berufliches Selbstverständnis entwickeln ( 4.1.5 – Teamarbeit und Zusammenarbeit<br />

mit anderen Berufsgruppen)<br />

**************


Lerninseln – bildungshaltige Lernsituationen in den Pflege- und Gesundheitsberufen Sabine Muths, Universität <strong>Bremen</strong><br />

2<br />

Interviewauszüge<br />

5<br />

I: Also wir wissen ja, dass sie vor vier Jahren einen Schlaganfall hatten.<br />

Wie hat sich das denn dargestellt, also wie ist es passiert?<br />

P: Ich bin eigentlich ganz normal, wie jeden Morgen, um Viertel nach<br />

sechs aufgestanden, in die Dusche gegangen, hab das Frühstück<br />

35<br />

P: Es- minimal hing mir der eine Mundwinkel etwas runter und da hieß es<br />

dann ich möchte diese Fascialistherapie machen. Es war amüsant<br />

(lacht leise) es war echt amüsant, wenn man da selber- ja im Grunde<br />

genommen mich <strong>habe</strong>n sie nach zwei Wochen dann auch raus-<br />

gemacht, hab dann meinen Kaffee geholt, hab mich im Wohnzimmer<br />

geschmissen aus dem Kurs, weil ich nur am Lachen war (lacht lei-<br />

10<br />

hingesetzt ja und denn kriegte ich Schweißausbrüche. Und zwar so<br />

stark, dass ich gedacht hab, ich hätte mich gar nicht abgetrocknet.<br />

Das lief in Sturzbächen runter. Daraufhin hat mein Mann dann gesagt<br />

ich sollte zum Arzt gehen und nicht zur Arbeit. Denn sind wir<br />

40<br />

se), wenn jemand da nicht von betroffen ist, weil du guckst dich an<br />

im Spiegel und ich, ich hatte ja nichts, es war nichts, ich hatte am<br />

Kopf nichts und ich hatte nichts am Mundwinkel, also nichts für mich.<br />

Es war- es muss so minimal gewesen sein, dass das nur die gese-<br />

erstmal zu den Ärzten gefahren, aber es war ja keiner da, es war die<br />

hen <strong>habe</strong>n<br />

15<br />

Woche nach Ostern, alles hatte Urlaub. Dann sind wir ins Krankenhaus<br />

gefahren und kurz vorm Krankenhaus ist mir schlecht geworden.<br />

Ich musst mich übergeben und dann bin ich noch bis zur Anmeldung<br />

gekommen, und an der Anmeldung hab ich dann nur noch<br />

45<br />

und dann kommt man sich lächerlich vor, es ist verlorene Zeit für<br />

jemanden der- (.) ich habs nicht eingesehen, die Logopädie.<br />

Und die wollten mich noch länger da behalten, aber ich wollte nach<br />

Hause. Sie brauchen noch weiter Therapie, <strong>habe</strong>n die immer ge-<br />

sagen können: ich glaub, ich fall gleich um und das war‘s dann auch<br />

sagt, Sie sind noch nicht so weit.<br />

20<br />

schon und dann kriegte ich nur so von ganz weit mit, wie dann ein<br />

Arzt immer nur rief: Schlaganfall! (..) von da ab weiß ich dann erstmal<br />

nichts mehr. […]<br />

I: Und wie hat sich das dann weiterentwickelt? Gab es im Krankenhaus<br />

50<br />

Das werden wir sehen, sag ich, Sie können mich hier nicht festhalten.<br />

Ich sag: vier Wochen gebe ich Ihnen, ich sag: und denn geh ich<br />

nach Haus<br />

(.) Das ging nicht für mich, ich hab zwei Kinder zu Hause, einer da-<br />

schon therapeutische Maßnahmen?<br />

von ist siebzig Prozent behindert, ich kann die nicht alleine lassen,<br />

25<br />

P: Also im Krankenhaus kam dann an dem Tag, wo ich aufgewacht bin,<br />

erstmal der Arzt. Der hat mich vollgedonnert mit Fragen, ob ich<br />

weiß wie ich heiße (.). Wusst ich, wie ich heiß und joa denn am dritten<br />

oder vierten Tag fingen die dann an mit mir, mich umdrehen und<br />

55<br />

wo sollten die hin. Ich hätt meine Kinder ja nie wieder gesehen,<br />

wenn die ins Heim kommen. Das ging gar nicht (..)<br />

I: Nachdem Sie dann zu Hause waren, dann <strong>habe</strong>n Sie ambulante Therapie<br />

bekommen?<br />

so und ich kriegte sie nicht mit (.) also im Krankenhaus hab ich nur<br />

P: Also die ersten vier Wochen kam die Ergotherapeutin ja in der ersten<br />

30<br />

Krankengymnastik gekriegt.<br />

Nachher in der Rehaklinik, da hatte ich dann (.) Ergotherapie und (.)<br />

(atmet aus) was war dieser andere Kram, wie heißt das nochmal,<br />

Fascialistherapie, diesen andern Quatschkram da (..).<br />

60<br />

war‘s die Chefin von der Praxis und dann kam die Therapeutin erst<br />

zu mir nach Hause, auch für die Krankengymnastik und nach vier<br />

Wochen hieß es dann, ich wäre fit genug, ich sollte mit Taxi in die<br />

Praxis kommen, man könnte mehr machen und seit dem fahr ich mit<br />

L: Logopädie, wegen der Fascialisparese - ist dir der Mundwinkel ein<br />

Taxi in die Praxen. Ich mach zweimal in der Woche Ergotherapie,<br />

bisschen runtergehangen (/) oder?


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3<br />

65<br />

einmal die Woche Krankengymnastik tja und den Rest mach ich mit<br />

meinen Kindern oder ganz normalen Hausalltag.<br />

I: Wie alt waren denn ihre Kinder als-<br />

ßen hätten sie mir womöglich ins Heim gesteckt, so nach dem Motto:<br />

die Frau ist linksseitig gelähmt, die Frau kann doch nichts mehr,<br />

wie soll sie für die Kinder sorgen. Deswegen musste ich aus der Kli-<br />

70<br />

P: Als mir das passiert ist war (.) (schnalzt mit der Zunge) mein Jüngster<br />

zwölf, der wurde dreizehn (.) und mein Großer (.) war zwanzig (.).<br />

Aber wie gesagt, der Große ist auf Grund eines Unfalls auch siebzig<br />

Prozent behindert (4 sec.)<br />

I: Was hat er (/) also ich meine, was mit ihm?<br />

100<br />

nik wieder raus (.)<br />

I: Das ist ja durchaus auch ein Risikofaktor. Das heißt, sie <strong>habe</strong>n ja immer<br />

viel, viel Arbeit und viel Stress auch gehabt.<br />

P: Das war das unter Garantie.<br />

I: Diese wahnsinnige Belastung, auch mit dem behinderten Kind zu Hau-<br />

75<br />

P: Mein Großer ist mit anderthalb Jahren (.) ertrunken (.) und war vier<br />

Wochen im Koma und hat aufgrund seines Unfalls kein Kurzzeitgedächtnis<br />

(..). Das macht sich in so fern bemerkbar, wenn ich ihm<br />

nicht jeden Tag sag, du musst duschen gehen, zieh dir neue Socken<br />

an, denn lässt er das, bis wirklich dann jemand sagt: du Alter, du<br />

105<br />

se.<br />

P: Also die- mein Sohn war noch nicht mal das große Problem im Großen<br />

und Ganzen. (5 sec) (leise:) Wie soll ich das jetzt sagen (.) (wieder<br />

etwas lauter) ich hatte zu dem Zeitpunkt auch noch einen Mann, der<br />

Alkoholiker war (..) was heißt war? ist (…) und das war mein Prob-<br />

80<br />

müffelst (leises Gelächter). Der macht die Mikrowelle- man stellt Essen<br />

rein, das hab ich einmal gemacht, der stellt Essen in die Mikrowelle<br />

und dann hab ich ihm gesagt, ich sag, du denk dran, wenn du<br />

Hunger hast, mach die an auf drei Minuten, alles andere ist eingestellt.<br />

Jo, ich hab ne halbe Stunde später angerufen, ich sag hast du<br />

110<br />

lem (räuspert sich) und auf Grund dessen, der ständigen Arbeitslosigkeit<br />

und alles, ja gut, hab ich denn teilweise bis fünf Jobs an einem<br />

Tag gehabt, <strong>habe</strong> meinen eigenen Haushalt und die Kinder<br />

noch gemacht. Musste ja irgendwie gehen und das war so meine<br />

Angst auch – darum wollte ich aus der Klinik so schnell wie möglich<br />

85<br />

gegessen? Ja. Ich sag: und? Ja, war lecker, aber war‘n bisschen<br />

kalt. Ich sag: Wie kalt? Du solltest die Mikrowelle anmachen. Deswegen<br />

war das kalt. Er vergisst es. Er vergisst auch nen Wecker zu<br />

stellen, er macht den Herd an und vergisst einfach, dass der an ist.<br />

Da kann das Essen dann schon schmoren bis ins geht nicht mehr,<br />

115<br />

wieder nach Hause, weil ich gemerkt hab und gehört hab, bei den<br />

Kindern am Telefon, es ging nicht, es war gar nichts zu machen. Er<br />

war zwar da und Gott sei Dank hat das auch im Großen und Ganzen<br />

kaum einer mitbekommen, nur ich hatte halt immer Angst, dass irgendjemand<br />

kommt, mir die Kinder wegnimmt. Deswegen musste<br />

90<br />

da fragt er sich, wo der Qualm herkommt. Also körperlich is er Gott<br />

sei dank wieder fit, aber vom Kurzzeitgedächtnis her (.) da wird auch<br />

wohl nichts mehr wiederkommen.<br />

I: Wollten Sie deshalb auch wieder so schnell aus der Reha nach Hause?<br />

P: Wenn ich da nicht jemanden gehabt hätte, der im Grunde genommen<br />

120<br />

ich nach Hause. (6sec) Das war im Grunde genommen ein großes<br />

Problem.<br />

I: Ja, das ist ja auch son- so ne richtige Zerrissenheit, wenn man dann<br />

nicht sich ist, was zu Hause funktioniert und was nicht.<br />

P: Ja man hat Angst. Vor allen Dingen, wenn man anruft zu Hause und<br />

95<br />

auf die Kinder aufpasst, hätten sie mir die Kinder weggenommen.<br />

Der Kleine, wie gesagt, der war erst zwölf oder dreizehn. (.) Da wär<br />

der leibliche Vater gleich da gewesen, nach dem Motto: sie kann da<br />

nicht mehr für sorgen. Den wär ich ganz los gewesen und den Gro-<br />

125<br />

man fragt denn, wo ist denn der Mann? Ja, der liegt besoffen auf‘m<br />

Sofa, oohhh! nee! ging gar nich!. Wenn‘s nach mir gegangen wär,<br />

wär ich schon nach zwei Wochen wieder aus der Klinik raus.<br />

I: Mh (…)


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4<br />

130<br />

P: Aber ich durfte nicht, sie <strong>habe</strong>n mich nicht gelassen. (..)<br />

I: Das ist vielleicht auch ganz gut so. (…)<br />

P: Weiß ich nicht, ob das unbedingt so gut war (.), weil es ging mir erst<br />

wieder besser, als ich zu Hause war, da hatte ich dann auch so den<br />

160<br />

I: Für das Betten Beziehen sagten sie ja, das-<br />

P: Das machen meine Jungs am Wochenende. Das machen die dann<br />

immer, da richt- da richten wir das immer so ein, dass wir dann<br />

Samstags, weil wir dann alle zu Hause sind, die Sachen erledigen,<br />

135<br />

Willen, gewisse Sachen wieder selbst zu machen. In der Rehaklinik<br />

war das Einzigste, was ich wollte, war Treppensteigen, weil ich in<br />

der ersten Etage wohne (.), alles andere war mir eigentlich (atmet<br />

hörbar durch die Zähne aus) (..) Jacke wie Hose, das hab ich eigentlich<br />

erst alles zu Hause wieder <strong>gelernt</strong> für mich selbst und für meine<br />

165<br />

die wir in der Woche, wo die nicht dazu kommen, weil se arbeiten<br />

und die ich eben nicht kann - noch nicht kann (.) weil Kopfkissen<br />

krieg ich wohl, hin aber die Decke noch nicht. Ich bin am Üben, ich<br />

arbeite dran (…)<br />

I: Und wie sieht das denn aus mit Einkaufen, wenn sie sich-<br />

140<br />

Kinder /<br />

[technische Unterbrechung der Tonaufzeichnung. In dieser Zeit wird Frau<br />

B. gefragt, ob sie mit jemandem in der Klinik über ihre familiären<br />

Sorgen gesprochen <strong>habe</strong>. Frau B. erzählt, dass Sie einmal den behandelnden<br />

Arzt angesprochen <strong>habe</strong>, dass sie nach Hause wolle,<br />

170<br />

P: Das mach ich alleine ich fahr Auto, ich hab mir nen Automatikwagen<br />

gekauft Ich fahr mit dem Auto zum Einkaufen, ich fahr mit meinen<br />

Kindern zweimal im Jahr in den Urlaub. Mach ich allein (…)<br />

I: Also im Haushalt kommen sie ja so weit zurecht und wie sieht das denn<br />

in ihrer Freizeit aus? Was machen Sie denn da so als Ausgleich, sag<br />

145<br />

weil sie Angst <strong>habe</strong>, dass ihre Kinde nicht ausreichend versorgt sind.<br />

Der <strong>habe</strong> geantwortet, dass man dann die Familienfürsorge einschalten<br />

müsste. Frau B. berichtet, dass das ja das letzte gewesen<br />

sei, was sie gewollt hätte und dass sie das Gespräch dann lieber<br />

ganz schnell abgebrochen <strong>habe</strong>.]<br />

175<br />

ich mal?<br />

P: Ich geh mit meinen Jungs ins Kino, ich hab nen großen Freundes- und<br />

Bekanntenkreis, ich nehme an ganz normalen Partys teil. Was mich<br />

ärgert ist, ich kann noch nicht tanzen, noch nicht. (.) Wie gesagt,<br />

auch das ist in Arbeit, aber ansonsten mach ich alle Sachen, die hier<br />

150<br />

I: Wie sieht das denn überhaupt bei Ihnen zu Hause aus? Wie sind sie<br />

eingerichtet? (…)<br />

P: Also ich hab ne Vier-Zimmer-Küche-Bad-Wohnung mit Dachterrasse,<br />

hundertzwanzig Quadratmeter. Ich mach die alleine sauber, putze<br />

auch alleine die Fenster, das einzige was ich nicht kann, weil da<br />

180<br />

andere Leute auch machen. Ich geh am Strand spazieren mit meinen<br />

Kindern, wenn wir in Urlaub fahren, wir gehen ins Kino, wir gehen<br />

über Flohmärkte (.) im Sommer, wenn schönes Wetter ist, hab<br />

ich auch- <strong>habe</strong>n wir oft Besuch, abends zum Grillen (.) joa eigentlich<br />

ganz normale Sachen.<br />

155<br />

kämpf ich, das ist Betten beziehen und Gardinen wieder abnehmen,<br />

weil, wenn ich die Gardinen abnehm, das geht ja noch, aber wieder<br />

raufziehen, dann kipp ich nach hinten über. Ich kann durch die<br />

Schiene das Gleichgewicht nach hinten nicht halten - nach Vorne<br />

und Laufen, das krieg ich normalerweise jetzt alles gut gebacken (.)<br />

185<br />

(…)<br />

L: Was mir noch einfällt, ist, ob du nochmal was drüber erzählen magst,<br />

über deine Ängste, dass dir das nochmal passiert, so ein Schlaganfall<br />

P: Also die hatte ich zu Anfang ganz, ganz stark, weil ich immer die Angst<br />

Tn: Ja und für diese Dinge bekommen sie dann Unterstützung auch aus<br />

der Familie oder?<br />

P: Mh?<br />

190<br />

im Nacken hatte, wenn du dich zu sehr überanstrengst, kriegst du<br />

wieder Bluthochdruck, regst dich auf und nachher kriegst du wieder<br />

nen Schlaganfall oder ne Hirnblutung eben auf Grund wegen meiner


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5<br />

Kinder auch (.) und joa, was soll ich noch erzähle. Also das hat sich<br />

P: (leise) Da muss ich nachdenken, das ist jetzt vier Jahre her (.) (wieder<br />

195<br />

mit der Zeit gegeben. Jetzt nachdem ich mich dann von meinem<br />

Mann getrennt hatte, hab ich dann alles geregelt zu Hause, sei es<br />

versicherungsmäßig, wohnungsmäßig, dass, sollte mir nochmal was<br />

passieren, dass meine Kinder abgesichert sind, was ich ja vorher die<br />

225<br />

lauter) zwei Jahre, das letzte Mal bin ich gefallen vor zwei Jahren<br />

(..),<br />

aber irgendwie hab ich jetzt auch- ja gut auf Grund dessen, dass ich<br />

mit meinen Jungs alleine lebe, mehr Ruhe <strong>habe</strong> und meine Kinder<br />

Zeit nicht hatte. Jetzt hab ich das geregelt und jetzt geht’s mir gut es<br />

zum Beispiel, wenn ich hektisch werde, was ich ja immer noch <strong>habe</strong>,<br />

200<br />

kann nichts mehr passieren, es kann nur besser werden (…)<br />

L: Am Anfang bist du öfters mal gestürzt ne?<br />

P: Boah, schlimm gestürzt (.), weil es denn so gewisse Sachen- zu Anfang,<br />

wie gesagt, hab ich die linke Seite nicht wahrgenommen, das<br />

230<br />

teilweise mit dieser Hektik ganz anders umgeh. Früher hab ich dann<br />

rumgeschrien und denn ja meinen Mann angeschrien und dann<br />

wurd ich ja erst recht nervös. Heute, wenn ich anfange, hektisch zu<br />

werden oder rumzuschreien, drehen meine Kinder sich um, gehen in<br />

gehörte einfach nicht zu mir, das war nicht mein Ding, weil die ging<br />

ihr Zimmer und sagen: werd du erstmal ruhig, komm runter und<br />

205<br />

nicht, war nicht meine Seite. Ich hab sie vergessen, ich bin überall<br />

dagegen gelaufen oder, wenn ich so - also wir <strong>habe</strong>n, wie gesagt,<br />

vier Zimmer und die hinteren Zimmer, da ist so ne leichte Schräge<br />

und da bin ich mit dem linken Fuß gar nicht drüber gegangen, da bin<br />

235<br />

denn können wir uns weiter unterhalten. Dass sind dann aber so<br />

Sachen, da merk ich für mich, das wird wieder zu heftig - leg dich<br />

hin, komm erst mal runter und denn kannst du weiter machen. (…)<br />

Also dass ist ein langer Lernprozess, da hin zu kommen, wo ich jetzt<br />

ich immer gegen getreten und dadurch bin ich viel gefallen oder<br />

bin. Auch so jetzt über die Krankheit als solches zu reden und alles.<br />

210<br />

auch beim Wäsche Aufhängen, dass ich das Gleichgewicht verloren<br />

hab, wollte mich dann am Tisch mit samt Tischdecke festhalten und<br />

razong<br />

I: Mh<br />

240<br />

Zu Anfang hab ich mich hingesetzt und hab dann immer nur geheult;<br />

(.) nur es wird nicht besser vom Weinen und es wird auch nicht besser,<br />

wenn man sich alles vorn Mors kleen lässt 1 (.) nur das - ja das<br />

ist so, das sind Sachen und wenn man denn fällt, ja gut, jedes kleine<br />

P: Also da bin ich oft gefallen in der ersten Zeit, aber das lernt man. Mitt-<br />

Kind beim Laufen fällt und steht wieder auf, nur weil ich fünfzig bin,<br />

215<br />

lerweile bin ich in der Lage, auch wenn ich mal irgendwo gegen trete<br />

oder stolper, dass ich das Gleichgewicht halten kann, weil dann<br />

schalte ich gleich um auf die rechte Seite und versuch, das Ganze<br />

dann wieder auszubalancieren, weil ich weiß, die linke Seite, wenn<br />

245<br />

heißt das noch lange nicht, dass ich sitzen bleiben muss - also aufstehen,<br />

weiter machen, man lernt es (..)<br />

I: Sie sind das Beste Beispiel dafür.<br />

P: Und ich werd auch lernen, wie man wieder tanzt und schwimmen geht.<br />

ich stürze, zieht die linke Seite grundsätzlich rüber. (.) Also, man<br />

I: Ja.<br />

220<br />

muss gegensteuern. Schon von vornherein und joa mittlerweile hab<br />

ichs <strong>gelernt</strong>.<br />

I: Wie lange hat das gedauert, bis Sie dieses Bewusstsein hatten, dass<br />

das so ist, also dass Sie gegensteuern können mit der rechten Sei-<br />

250<br />

P: Hundert pro! (4 sec)<br />

[…]<br />

te? (…)<br />

1 die norddeutsche Variante von „sich Zucker in den A…. blasen lassen“ – sich alles<br />

abnehmen lassen


Lerninseln – bildungshaltige Lernsituationen in den Pflege- und Gesundheitsberufen Sabine Muths, Universität <strong>Bremen</strong><br />

6<br />

L: […] Ich wollte vorschlagen, dass wir uns deine Schiene nochmal angu-<br />

dann hat da einer gekündigt und ist hier in den Norden gezogen ei-<br />

cken - eine Sprunggelenks Orthese (.)<br />

ner von den Sanitätern, sag ich immer, den Orthopäden – ja, weil es<br />

P: Soll ich ausziehen<br />

ein Sanitätshaus ist (lacht leise) ja, und der hat an mir dann das ers-<br />

255<br />

L: Ja bitte (…)<br />

P: Im Krankenhaus kriegte man als erstes so ne Plastikschiene, läuft<br />

man drauf rum wie ne Ente (.) echt!<br />

285<br />

te Mal das ausprobiert. (.) Ich kriegte die als erste hier im Ort, weil<br />

viele lehnen die auch ab, weil es ist natürlich nicht schön (.) aber sie<br />

hilft beim Laufen. Ich kann damit wie gesagt überall hin laufen, was<br />

L: Das heißt die Plastikschiene ist praktisch durchgehend. Hier hinten<br />

ich mit der anderen nicht konnte. Gut dafür ist die andere nicht so<br />

führt sie bis oben an die Wade, bis unters Knie und die ist halt hier<br />

teuer (.) Nützt nichts (..)<br />

260<br />

starr, ja aus hartem Plastik, das ist das Problem bei der normalen<br />

Schiene, dass die Leute den Fuß nicht abrollen können, beim Laufen<br />

so und jetzt hat Hella /<br />

290<br />

I: Wurde die Schiene komplett übernommen oder mussten sie selber<br />

dazu zahlen (/)<br />

P: Diese Schiene wurde komplett übernommen (.) vor allen Dingen jetzt<br />

P: Vor drei- vor drei Jahren die erste<br />

waren sie das erste Mal da (.) von der Krankenkasse, weil sie wurde<br />

L: Vor drei Jahren die erste Schiene bekommen, die hier eine Scharnier<br />

jetzt wohl schon öfters verschrieben, doch viele Patienten tragen sie<br />

265<br />

hat und das unterstützt den Fuß beim Abrollen. Nachher gucken wir<br />

uns Hella an, wie sie läuft, dann können wir das nochmal genauer<br />

sehen.<br />

295<br />

nicht und das ist natürlich nicht Sinn und Zweck der Sache. Ich hab<br />

jetzt schon die Dritte und da kam einer und hat sich das angeguckt,<br />

ob ich die auch wirklich benutze und von daher, ich hab bis jetzt<br />

P: Also mit der Plastikschiene konnte ich auch nicht in die Hocke gehen<br />

noch keine Probleme gehabt, weil meine sind nach einem Jahr sind<br />

oder Arbeiten machen, die unten sind, weil die so hoch war und<br />

die hin. (.) Ja nun, wenn du jeden Tag einkaufen gehst, Haushalt<br />

270<br />

eben der Fuß war gerade, jetzt mit der hab ich da kein Problem mit,<br />

ist aber auch wieder so ein Lernprozess, also da kann nicht jeder mit<br />

klar kommen zu Anfang.<br />

300<br />

machst, spazieren gehst, dann sind die kaputt, dann ist das Gelenk<br />

hinten ausgeschlagen (..)<br />

I: Das ist dann auch ein sicheres Zeichen dafür, dass Sie die benutzen<br />

L: Ja guckt mal, jetzt hat sie die Schiene ausgezogen, was passiert hier<br />

(lacht leise)<br />

eigentlich mit den Zehen, ob ihr euch das gleich mal anguckt, die<br />

P: Mh<br />

275<br />

Zehen sind flektiert. Bist du aufgeregt ein bisschen?<br />

P: Nein, mhmh (leises Lachen) (8sec)<br />

L: Okay, die Schiene wird nicht so gerne verschrieben, kleiner praktischer<br />

305<br />

L: Und es war mit der anderen Schiene auch so, dass du sehr große<br />

Schuhe brauchtest, ne, die musste ja da eben rein passen.<br />

P: Und plötzlich brauchte ich Schuhe, die vier Nummern größer waren ja<br />

Tipp vielleicht, die ist ziemlich teuer, über zwei tausend-<br />

und dann äh so ne Schuhe und das ist kein Wunder, wenn du dann<br />

P: Zweieinhalbtausend Euro und wird eigentlich auch nur in einem Sani-<br />

hin fällst und du hast ja kein Gefühl, läufst ja überall gegen. Das war<br />

280<br />

tätshaus im Moment noch hergestellt. Da gibt es nur eins hier vor<br />

Ort, die kommt ursprünglich eigentlich aus Süddeutschland und<br />

310<br />

[…]<br />

schlimm.


Lerninseln – bildungshaltige Lernsituationen in den Pflege- und Gesundheitsberufen Sabine Muths, Universität <strong>Bremen</strong><br />

7<br />

Bildungsinhalte / -ziele:<br />

Zielebene: Pflegende Pat./Angehörige Institution/Gesell. pfleger. Handeln<br />

Wissenschaftsorientierung<br />

TE<br />

= technisches Erkenntnisinteresse<br />

(SchülerInnen<br />

nennen / erklären<br />

z.B.…)<br />

• Begriffe Frustrations- und<br />

Ambiguitätstoleranz und<br />

Strategien zu deren Entwicklung<br />

Strategien zum Umgang<br />

mit Zurückweisung,<br />

Entwertung der eigenen, als<br />

wertvoll empfundenen Arbeit<br />

o Abgrenzungsmöglichkeiten<br />

gegenüber geringer Kooperationsbereitschaft<br />

/ Therapietreue<br />

o Strategien der Psychohygiene<br />

(z.B. Meditation), um<br />

Konflikten mit KlientInnen /<br />

PatientInnen gelassen begegnen<br />

zu können<br />

o Wahrung einer professionell-objektiven,<br />

inneren<br />

Distanz<br />

• Rollenkonzeption für Pflegende<br />

und TherapeutInnen<br />

im Arbeitsfeld Rehaklinik<br />

• Loyalität und Umgang mit<br />

„negativen“ Informationen<br />

über KollegInnen (aus anderen<br />

Berufsgruppen)<br />

• Krankheitsbild „Hirninfarkt“<br />

o Ursachen<br />

o Risikofaktoren<br />

o Frühwarnzeichen<br />

o Symptome<br />

o Diagnose, Differentialdiagnostik<br />

o Erst- und Frühversorgung<br />

o therapeutische, rehabilitative Möglichkeiten<br />

o Medikationen und Nebenwirkungen<br />

o Bobath-Konzept<br />

o Basale Stimulation<br />

• Symptomkomplex Neglect-Phänomen<br />

• Symptomkomplex „Fascialis Parese“<br />

• Symptomkomplex Hemiplegie – Phänomen<br />

Spastik / assoziierte Reaktionen<br />

Bewegungseinschränkungen<br />

und Bewegungsanbahnung<br />

• Verlaufskurvenmodell am Bsp. Hirninfarkt<br />

• Anteil der KlientInnen/PatientInnen an<br />

der Mitwirkung in einem individuellen<br />

Therapieplan und für den Therapieerfolg<br />

• Begriff der Therapietreue / Compliance<br />

Auswirkungen auf den Therapieerfolg<br />

• Einfluss der sozialen und familiären<br />

Situation auf den Erfolg von Rehamaßnahmen<br />

• Unterstützungsleistungen /- Angebote<br />

für Müttern in schwierigen sozialen<br />

und gesundheitlichen Situationen<br />

• Abläufe der institutionellen Erstversorgung<br />

nach einem Hirninfarkt (Stroke-unit,<br />

Früh-Reha)<br />

• Struktur und Finanzierung der Versorgung<br />

nach einem Hirninfarkt im<br />

Anschluss an die Früh-Reha Anschlussheilbehandlung,<br />

Rehabilitation<br />

• Case-Management und Aufbau von<br />

strukturierten Behandlungspfaden<br />

nach Hirninfarkt<br />

• Struktur und Abläufe in der Institution<br />

Reha-Klinik – Interdisziplinäres Team<br />

• Möglichkeiten der Ambulanten Rehabilitation<br />

als Alternative zur Reha-<br />

Klinik<br />

• Ambulante Versorgung im Anschluss<br />

an eine Anschlussheilbehandlung /<br />

einen Aufenthalt in einer Reha-Klinik<br />

• Kassenleistungen am Beispiel<br />

Sprunggelenksprothese<br />

• Grundlagen der Familienpolitik: Familienunterstützende<br />

Versorgungskonzepte<br />

bei akuter und chronischer<br />

Krankheit/Behinderung/- Angebote für<br />

Mütter in schwierigen sozialen und<br />

gesundheitlichen Situationen<br />

• Sorgerechtsfragen bei akuter und<br />

chronischer Krankheit / Behinderung<br />

der Eltern<br />

• Zuständigkeitsbereiche des Jugendamts<br />

- Unterstützungsleistungen des<br />

Jugendamts<br />

• Gestaltung von Kommunikationssituationen<br />

/ Technik des aktiven Zuhörens<br />

• Beratungsgespräche im Rahmen des Casemanagements<br />

zur Entwicklung von individuellen<br />

Rehaverläufen<br />

• Begriffe und Konzepte von Patientenedukation<br />

und Empowerment<br />

• Möglichkeiten der professionellen Interaktion<br />

bei geringer Therapietreue<br />

• Regelungen der Zusammenarbeit im interdisziplinären<br />

Team einer Reha-Klinik und<br />

Durchführung von Fallbesprechungen<br />

• Rehabilitation nach Hirninfarkt<br />

o verschiedene (Pflege)-therapeutische<br />

Konzepte (Bobath-; Voita-, Perfetti-, Basale<br />

Stimmulation …) und ihre Evidenz<br />

bezogen auf<br />

Reduktion von Spastik bzw. assoziierter<br />

Reaktionen<br />

Anbahnung von Gehen und Treppensteigen<br />

– Fortsetzung der Physiotherapie<br />

im Pflegealltag<br />

<br />

<br />

<br />

Erhöhung der Mobilität der oberen<br />

Extremitäten und Anbahnung von Alltagskompetenzen<br />

– Fortsetzung der<br />

Ergotherapie im Pflegealltag<br />

Übungen zur Reduktion einer Fascialis-Parese<br />

– Fortsetzung der logopädischen<br />

Behandlung<br />

Übungen und Pflegeinterventionen<br />

zum Umgang mit und zum Abbau des<br />

Neglect-Phänomens - Fortsetzung<br />

der Arbeit des Neuro-Psychologen


Lerninseln – bildungshaltige Lernsituationen in den Pflege- und Gesundheitsberufen Sabine Muths, Universität <strong>Bremen</strong><br />

8<br />

Verständigungsorientierung<br />

PE<br />

= praktisches Erkenntnisinteresse<br />

(SchülerInnen<br />

nehmen wahr<br />

/verstehen / verständigen<br />

sich<br />

z.B. über …)<br />

• ihre emotionalen Reaktionen<br />

auf das ablehnende Verhalten<br />

der Klientin/Patientin,<br />

z.B.<br />

o Enttäuschung<br />

o Wut<br />

o Kränkung<br />

o Hilflosigkeit<br />

o Frustration<br />

o innere Abgrenzung und<br />

Distanzierung<br />

o Ironisierung<br />

o mitleidige Abwertung<br />

o Unverständnis<br />

o …<br />

• ihre emotionalen Reaktionen<br />

auf das Schicksal der Patientin<br />

o Mitleid, Mitgefühl<br />

o Bewunderung, Hochachtung<br />

o innere Abgrenzung und<br />

Distanzierung / Vorurteile<br />

gegenüber komplexen,<br />

schwierigen Familiensituationen<br />

• die individuellen Ressourcen der<br />

Patientin<br />

• die Wünsche und Bedürfnisse der<br />

Patientin<br />

• die Ängste und negativen Phantasien<br />

der Patientin<br />

mögliche Motive / Gründe für<br />

ihr ablehnendes Verhalten:<br />

o Zweifel an der Sinnhaftigkeit der<br />

Therapie<br />

o Zweifel an der professionellen Einschätzung<br />

des eigenen Unterstützungsbedarfs<br />

o Angst, die Kinder zu verlieren<br />

(Heimeinweisung)<br />

o Fürsorgegefühl, Verpflichtung den<br />

Kindern gegenüber<br />

o fehlendes Vertrauen in den aktuellen<br />

Ehemann (auch aus Erfahrung<br />

mit seiner Alkoholerkrankung)<br />

o Angst vor dem vorher gehenden<br />

Ehemann, dass er ihr den Sohn<br />

wegnimmt<br />

o Existenzängste für sich und die Familie<br />

o fehlendes Vertrauen in behördliche<br />

Unterstützung / Unterstützung durch<br />

Professionelle<br />

• Deutung der geringen Therapietreue<br />

im Rahmen der logopädischen Behandlung<br />

• Interesse der Institution Reha-Klinik<br />

an strukturierten Abläufen und Behandlungspfaden<br />

• Interesse der Gesundheitspolitik an<br />

Rehabilitativen Angeboten zur Verhinderung<br />

einer Chronifizierung <br />

langfristige Schonung gesellschaftlicher<br />

Ressourcen<br />

• Durchführung einer interdisziplinären Fallbesprechung<br />

im therapeutischen Team<br />

• Gestaltung eine Pflegeberatung über den<br />

möglichen Therapieverlauf


Lerninseln – bildungshaltige Lernsituationen in den Pflege- und Gesundheitsberufen Sabine Muths, Universität <strong>Bremen</strong><br />

9<br />

Reflexionsorientierung<br />

EE<br />

= emanzipatorisches<br />

Erkenntnisinteresse<br />

(SchülerInnen<br />

reflektieren z.B.<br />

den Widerspruch<br />

zwischen…)<br />

• Anspruch an den Therapieerfolg<br />

und Anspruch, die Bedürfnisse<br />

der Klientin ernst<br />

zu nehmen<br />

• Anspruch an den Therapieerfolg<br />

und Akzeptanz der<br />

Möglichkeit des Scheiterns<br />

• Anspruch der ärztlichen<br />

Verordnung zu folgen und<br />

der eigenen (biomedizinisch<br />

ausgerichteten) Expertise<br />

und dem Anspruch, den Patientenwunsch<br />

zu respektieren<br />

• Sorge um die Familie (Norm „Mütter<br />

können nicht krank werden“) und<br />

Sorge um die eigene Gesundheit und<br />

das eigene Wohlbefinden (= Mutterrolle<br />

vs. Patientenrolle)<br />

• aktiv und verantwortlich sein / Mutterpflichten<br />

erfüllen und Kontrolle<br />

über die Situation bewahren vs. sich<br />

fallen lassen, für sich zu sorgen / sorgen<br />

zu lassen und Verantwortung abgeben<br />

(sich ergeben in die Krankheit)<br />

• Anerkennung der Notwendigkeit der<br />

vollständigen Genesung vs. Gefühl<br />

der mangelnden Zeit, Verdrängen des<br />

Schweregrades der eigenen Erkrankung<br />

• Gestaltung effizienter, kostenreduzierender<br />

Behandlungsabläufe und dem<br />

Anspruch einer umfassenden individuellen<br />

Versorgung Ökonomie vs.<br />

Versorgungsansprüche<br />

• Standardisierung in der Gesundheitsversorgung<br />

vs. Versorgung individueller<br />

Bedarfe<br />

• Qualitätssicherung durch Trennung<br />

der Versorgung in kalkulierbare Einzelleistung<br />

mit hoher Evidenz durch<br />

ausgewiesene Experten vs. Qualitätssicherung<br />

durch Angebot einer<br />

ganzheitlichen, individuellen Versorgung<br />

• Wissen um die Möglichkeit eines Therapieerfolgs<br />

bei entsprechender Therapietreue<br />

und Anpassung an die Begrenzungen<br />

durch die anders gelagerten Interessen<br />

und Bedürfnisse der KlientInnen<br />

• der wissenschaftlich fundierten, fachbezogenen<br />

(bio-medizinische-ausgerichteten)<br />

Expertise mit entsprechend begründetem<br />

Regelhandeln<br />

und ganzheitlicher, an die Situation des Individuums<br />

angepassten Interventionen <br />

Regelhandeln vs. Fallverstehen / Edukation<br />

vs. Empowerment


Lerninseln – bildungshaltige Lernsituationen in den Pflege- und Gesundheitsberufen Sabine Muths, Universität <strong>Bremen</strong><br />

10<br />

Mögliche Sequenzbildung – Bündelung der Lerninhalte und Konzeption der<br />

Lerninsel<br />

Auf der Grundlage der didaktischen Sachanalyse mit Hilfe der heuristischen Matrix ist<br />

die folgende mögliche Ordnung der ermittelten Bildungsinhalte/-ziele vorstellbar:<br />

• Kenntnisse und Wissen bezogen auf<br />

o die im Fallbeispiel ersichtlichen Symptomatiken,<br />

o deren Ursachen,<br />

o jeweils geeignete Interventionen,<br />

o deren fachlicher Begründung, auch in Bezug auf die gegebene Evidenz<br />

aus dem Blickwinkel der verschiedenen therapeutischer Berufsgruppen;<br />

bezieht sich auf das technisches Erkenntnisinteresse;<br />

Hintergrundwissen (technisch-instrumentelle Wissensgrundlagen) und der Deutung<br />

der besonderen Situation von Hella B. (praktisches Erkenntnisinteresse); die<br />

in der Fallsituation gegebene geringe Therapiebereitschaft /Compliance fordert<br />

zur Reflexion der strukturellen Widersprüche des professionellen Handelns zwischen<br />

Regelhandeln und Fallverstehen heraus und zu einer begründeten Entscheidung<br />

für eine Beratung zwischen Patientenedukation und Empowerment;<br />

• Kritische Überprüfung und Reflexion des Systems der Rehabilitation im Gesundheitssystem<br />

vor dem Hintergrund der im Einzelfall gewonnenen Erkenntnisse<br />

zielt, auch im Sinne einer Ergebnissicherung auf das emanzipatorische Erkenntnisinteresse<br />

und die Entwicklung eines eigenen, kritisch-reflexiven Standpunktes;<br />

• die individuellen familiäre Bedingungen von Hella B. und die Ermittlung von<br />

Möglichkeiten einer professionellen Unterstützung auf der Grundlage des Sozialrechts<br />

ausgehend vom Verständnis der Situation im Einzelfall (praktisches Erkenntnisinteresse)<br />

wären die aktuellen Regelungen im Sozialrecht zu ermitteln (technisches<br />

Erkenntnisinteresse) und wiederum auf den Fall anzuwenden (das damit<br />

angesprochene Erkenntnisinteresse ist hier abhängig von der im Fall möglichen<br />

Lösung und kann nur durch eine Sachanalyse für diese Sequenz ermittelt werden);<br />

• System Anschlussheilbehandlung / Rehabilitationsklinik und ambulante Rehabilitation,<br />

• Verständnis von interdisziplinärer Zusammenarbeit<br />

und<br />

• Case-Management im Rahmen der Rehabilitation<br />

Möglichkeiten der Fallreflexion vor diesem Hintergrund<br />

ausgehend von der Erarbeitung der Wissensgrundlagen (technisches Erkenntnisinteresse)<br />

wären fallbezogen Deutungen und Lösungsansätze zu entwickeln<br />

(praktisches Erkenntnisinteresse) – dabei treffen die Lernemden folgerichtig auf<br />

den Widerspruch zwischen Standardisierung der Behandlung und fallbezogene<br />

Individualisierung im professionellen Handeln (emanzipatorisches Erkenntnisinteresse);<br />

• Entwicklung von fallbezogenen Beratungsinterventionen zwischen Patientenedukation<br />

und Empowerment<br />

zielt vor allem auf das professionelle Handeln im praktischen Erkenntnisinteresse<br />

vor dem bis zu diesem Zeitpunkt im Rahmen der Lerninsel entwickelten<br />

Einordnung in den Verlauf der Ausbildung<br />

Da die Fallsituation von den Lernenden fordert, sich auf einen schwierig zu rezipierenden<br />

Text und eine vielschichtige Patientensituation einzulassen, eignet sich diese<br />

Lernsituation eher für das Ende der Ausbildung und für die Anwendung bereits erworbener<br />

Kenntnisse. Der Schwerpunkt der Lerninsel läge damit auf dem System der<br />

Rehabilitation in seinen verschiedenen Facetten.<br />

Folgende Kenntnisse und Kompetenzen sollten deshalb vorhanden sein, ggf. im Vorfeld<br />

der Lerninsel erarbeitet werden und im Kontext der Lerninsel reaktiviert und zur<br />

Anwendung gebracht werden:<br />

• Grundlagen der Neurologie<br />

• Krankheitsbild Hirninfarkt, typische Symptomatiken und neuropsychologische<br />

Störungen – z.B. erarbeitet an einem Fallbeispiel aus der Stroke unit / Früh-<br />

Reha mit Ausfällen der linken Hirnhemisphäre (Aphasie, Apraxie …)<br />

• therapeutische Konzepte für die Rehabilitation nach Hirninfarkt und ihre theoretischen<br />

Begründungen (Bobathkonzept, …)<br />

• Grundsätzliche Aufgabenbereiche der in die Therapie neurologischer PatientInnen<br />

eingebundenen Berufsgruppen<br />

• Evidenbasierte Medizin und Strategien zur Recherche von Interventionsstudien<br />

• Grundsätze der Kommunikation, Regeln und Fähigkeiten zum aktiven Zuhörens<br />

und Verständnis von den Zielen einer ergebnisoffenen Beratung<br />

• möglichst auch Kenntnisse zur Verlaufskurvenarbeit mit chronisch Kranken<br />

nach dem Modell von Corbin und Strauss<br />

• Kompetenz, in schwierigen Situationen professionelle Distanz zu wahren und<br />

sich von einer ablehnenden Haltung durch PatientInnen mit geringer Therapietreue<br />

/ Compliance nicht persönlich entmutigen zu lassen


Lerninseln – bildungshaltige Lernsituationen in den Pflege- und Gesundheitsberufen Sabine Muths, Universität <strong>Bremen</strong><br />

11<br />

8 h<br />

Lernsequenz 1<br />

Fallbezogene Rehabilitationsmaßnahme aus<br />

der Sicht verschiedener Fachrichtungen<br />

Die SchülerInnen<br />

1. lesen die markierten Textpassagen, verdeutlichen sich<br />

die Symptomatiken der Patientin und ordnen sie den<br />

verschiedenen Berufsgruppen im therapeutischen<br />

Team zu<br />

2. recherchieren arbeitsteilig über Ursachen, Therapieverfahren<br />

und Behandlungsaussichten zu den folgenden<br />

Symptomen der Patientin:<br />

• Faszcialis Parese (Logopädie)<br />

• Neglect-Phänomen (Neuropsychologie)<br />

• Anbahnung von Gehen und Treppensteigen bei Hemiplegie<br />

und bestehender Spastik / assoziierten<br />

Reaktionen (Physiotherapie)<br />

• Anbahnung der Beweglichkeit des plegischen Arms<br />

bei bestehender Spastik / assoziierten Reaktionen<br />

(Ergotherapie)<br />

und klären dabei auch die Evidenz der ermittelten<br />

Interventionen<br />

3. tragen ihre Ergebnisse im Plenum vor und demonstrieren<br />

einen möglichen Ausschnitt aus der Behandlung.<br />

Methodische Anregungen:<br />

Selbstorganisiertes Lernen in Arbeitsgruppen mit entsprechenden<br />

Recherchern, Präsentation der Ergebnisse im<br />

Plenum mit praktischer Demonstration<br />

Einstieg: Fallbezogene Frage zur Rehabilitation<br />

SchülerInnen hören/lesen den gesamten Interviewtext und betrachten die Fotografien von der Patientin. Sie tauschen<br />

sich zunächst assoziativ über ihre Eindrücke aus. Anschließend ermitteln sie aktuelle und überwundene<br />

Symptome, Probleme und Ressourcen der Patientin und bringen dabei ihre bereits erworbenen Fachkenntnisse zur<br />

Anwendung. Sie formulieren Lernfragen: „Was muss ich wissen um eine Patientin wie Hella B. gut durch die Rehabilitation<br />

begleiten zu können?“ Die Lernfragen werden den Lernsequenzen zugeordnet.<br />

Methodische Anregungen: szenisches Lesen, Textarbeit / Beobachtung v. Fotografien, Unterrichtsgespräch, Partnerarbeit,<br />

Unterrichtsgespräch<br />

Lernsequenz 2 2- 6 h<br />

Sozialrechtliche Aspekte -<br />

Unterstützung von Familien<br />

im akuten oder chronischen<br />

Krankheitsfall<br />

Die SchülerInnen<br />

1. lesen die zur Lernsequenz markierten<br />

Textstellen des Interviews;<br />

2. formulieren die konkreten Ängste<br />

und Befürchtungen der Patientin mit<br />

eigenen Worten und leiten daraus<br />

konkrete Fragen an das Sozialrecht<br />

ab – in Ergänzung zu den Lernfragen<br />

aus der Einstiegssequenz<br />

3. klären diese Fragen im Expertengespräch<br />

(z.B. SozialarbeiterIn)<br />

4. evtl.: formulieren eine Informationsbroschüre<br />

für Mütter, die aufgrund<br />

längeren Krankheitsausfalls nicht<br />

für ihre Familie sorgen können<br />

Methodische Anregungen:<br />

Gruppen- oder Partnerarbeit, Expertengespräch,<br />

Unterrichtsgespräch u.<br />

Gruppen- oder Partnerarbeit<br />

Lernsequenz 3<br />

System Rehabilitation - Behandlungspfade<br />

und Case-Management<br />

Die SchülerInnen<br />

1. kennen Konzeption und Zielvorstellungen<br />

von Rehabilitation<br />

2. erarbeiten sich die sozialrechtlichen<br />

Grundlagen für Rehabilitation / Anschlussheilbehandlung<br />

und Langzeitbehandlung<br />

bei Chronifizierung von<br />

Symptomen<br />

3. klären die Möglichkeiten und Grenzen<br />

einer ambulanten Rehabilitation<br />

4. erarbeiten sich die Organisationsstrukturen<br />

einer stationären Reha-Klinik und<br />

das Prinzip von Case-Management<br />

5. führen eine interdisziplinäre Fallbesprechung<br />

zur Situation von Frau B. nach<br />

zwei Wochen Aufenthalt in der Klinik<br />

durch<br />

Methodische Anregungen:<br />

Lehrervortrag + Textarbeit, Unterrichtsgespräch,<br />

Rollenspiel mit VertreterInnen der<br />

Arbeitsgruppen aus Lernsequenz 1<br />

2 h<br />

6 h 4 h<br />

Lernsequenz 4<br />

Fallbezogene Re<strong>habe</strong>ratung<br />

Die SchülerInnen<br />

1. unterscheiden die Begriffe<br />

„Edukation“ und „Empowerment“<br />

in der Sozialen Arbeit – Entwicklung<br />

von Kriterien<br />

2. Teilung der Lerngruppe:<br />

• Gruppe A (Perspektive der<br />

Professionellen): formuliert auf<br />

der Grundlage der vorangegangenen<br />

Lernsequenzen Ziele<br />

für eine Rehabilitationsberatung<br />

• Gruppe B (Patientinnenperspektive):<br />

formuliert aufgrund<br />

der markierten Textstellen die<br />

Wünsche und Bedürfnisse der<br />

Patientin<br />

3. Rollenspiele zur Beratung der<br />

Patientin nach 2 Wochen Reha-<br />

Aufenthalt (mehrere Sequenzen)<br />

4. Einschätzung der Sequenzen<br />

anhand der unter 1 formulierten<br />

Kriterien<br />

Methodische Anregungen:<br />

Gruppenarbeit, Rollenspiele - Auswertungsdiskussion<br />

im Plenum<br />

Gesundheitspolitische Anhörung: Rehabilitation auf dem Prüfstand<br />

Vor dem Hintergrund des Einzelfalls und der Erarbeitung in der Lerninsel diskutieren die SchülerInnen multiperspektivisch<br />

aus der Sicht der verschiedenen Akteure und Experten im Gesundheitswesen (VertreterInnen verschiedener<br />

Berufsverbände, PatientenvertreterInnen, Gesundheitspolitiker, Gesundheitsökonomen …) eine Frage zur Ausweitung,<br />

Umstrukturierung oder zu Einsparungsmaßnahmen im Arbeitsfeld „Rehabilitation“.<br />

Methodische Anregungen: Erstellung von Thesenpapieren, Pro- und Contra-Diskussion<br />

4 h


Lerninseln – bildungshaltige Lernsituationen in den Pflege- und Gesundheitsberufen Sabine Muths, Universität <strong>Bremen</strong><br />

12<br />

Begründung methodischer Zugriffe<br />

Die Form eines transkribierten Interviews ist für die Lernenden ungewohnt und schwer<br />

lesbar – deshalb empfiehlt sich für die erste Rezeption in der Einstiegssequenz ein<br />

laut gelesener Vortrag mit verteilten Rollen – entweder als Tonaufnahme oder von drei<br />

guten LeserInnen aus der Lerngruppe. Die Lernenden können sich so auf das Zuhören<br />

konzentrieren. Im Anschluss daran sollten erste Eindrücke zur Schilderung der Patientin<br />

und zu den Bildern gesammelt werden, wobei die Lernenden aufgefordert werden,<br />

zunächst ganz subjektive Gedanken zu äußern und sich so der Situation anzunähern.<br />

Im Anschluss daran sind sie aufgefordert, ihre im vorangegangenen Unterricht erworbenen<br />

Fachkenntnisse zur Pflege von PatientInnen mit Hemiplegie nach Hirninfarkt zur<br />

Anwendung zu bringen und im Text und den Fotografien systematisch Symptome,<br />

Probleme und Ressourcen der Patientin herauszuarbeiten. Die Ergebnisse werden im<br />

Plenum gesammelt und an einer Wandzeitung, die für den Verlauf der Lerninsel hängen<br />

bleibt, dokumentiert. Darauf aufbauend werden Lernfragen gesammelt („Was<br />

muss ich wissen, um eine Patientin wie Hella B. gut durch die Rehabilitation begleiten<br />

zu können?“). Die Lernfragen werden ebenfalls an einer Wandzeitung, auf der die<br />

Lernsequenzen der Lerninsel dargestellt sind, geordnet. Für evtl. Lernfragen, die sich<br />

den Lernsequenzen nicht zuordnen lassen, wird geklärt, in welchem Kontext die Beantwortung<br />

erfolgen kann.<br />

Die Lernsequenz 1 setzt auf selbstorganisiertes Lernen. Sie sollte unmittelbar an die<br />

Einstiegssequenz anschließen. Im Plenum werden die ermittelten Symptome und<br />

Probleme von Hella B. den verschiedenen therapeutischen Berufsgruppen zugeordnet.<br />

Die Lernenden ordnen sich einer der vier Berufsgruppen zu und ermitteln arbeitsteilig<br />

in Gruppenarbeit jeweils<br />

• pathophysiologische Erklärungsansätze,<br />

• mögliche Behandlungsinterverntionen<br />

• und deren wissenschaftliche Absicherung durch evidenzbasierte Forschung.<br />

( Im Rahmen der Sachanalyse für die konkreten Unterrichtsvorbereitung muss diese<br />

Recherche durch die Lehrenden vorbereitend erfolgen, um aus möglicherweise auftretende<br />

Probleme vorbereitet zu sein – ggf. müsste der Arbeitsauftrag entsprechend<br />

angepasst werden.)<br />

Abschließend präsentieren die Arbeitsgruppen ihre Ergebnisse im Plenum und demonstrieren<br />

praktisch eine konkrete therapeutische Intervention.<br />

Das selbstorganisierte Lernen kann parallel zum Unterricht der folgenden beiden Lernsequenzen<br />

erfolgen und sollte vor der Fallbesprechung in Lernsequenz 3 abgeschlossen<br />

sein.<br />

Da in Lernsequenz 1 die Gruppenarbeit und das selbstorganisierte Lernen dominieren,<br />

kann es angeraten sein, dass in den anderen Lernsequenzen eher lehrerzentrierte<br />

Unterrichtsformen eingesetzt werden. In Lernsequenz 2 könnten die Ängste und Befürchtungen<br />

der Patientin im Unterrichtsgespräch entwickelt werden und daraus Fragen<br />

an Experten für das Sozial- und Familienrecht abgeleitet werden. Ein Experte<br />

wird zur Befragung eingeladen. Die Erkenntnisse können mit dem Ziel dokumentiert<br />

werden, daraus eine Informationsbroschüre für Patientinnen zu erstellen, die in einer<br />

vergleichbaren Situation wie Hella B. sind. Im Unterrichtsgespräch wird gemeinsam die<br />

Gliederung für eine solche Broschüre entwickelt. In Kleingruppen verfassen die Lernenden<br />

arbeitsteilig die einzelnen Textpassagen die abschließend zu einem gemeinsamen<br />

Ergebnis zusammengestellt werden. Alternativ dazu könnte die Lernsequenz in<br />

die Lernsequenz 1 integriert werden und eine weitere Arbeitsgruppe die sozialpädagogische<br />

Perspektive übernehmen – mit der Einschränkung, dass die Inhalte dieser<br />

Arbeitsgruppe sich z.T. auf andere Lernfelder beziehen und die Arbeitsaufgabe für die<br />

Gruppe teilweise anders ausgerichtet ist.<br />

Auch Lernsequenz 3 ist im Sinne des Methodenwechsels überwiegend lehrerzentriert<br />

gestaltet. Die hier zu erarbeitende Wissensbasis (Schritt 1-4) soll zunächst über entsprechende<br />

Arbeitsblätter, Textarbeit und/oder entsprechende Lehrervorträge gelegt<br />

werden, wobei die Fragen aus der Einstiegssequenz zum Ausgangspunkt genommen<br />

werden können – die inhaltliche Struktur muss nach einer gründlichen Sachanalyse<br />

zum aktuellen Sachstand der Thematik dieser Sequenz entwickelt werden.<br />

Im weiteren Verlauf dieser Lernsequenz soll zunächst die fallbezogene Interaktion im<br />

Interprofessionellen Team herausgearbeitet werden. Hierfür bilden die Lernenden 7<br />

Arbeitsgruppen zu den unterschiedlichen Perspektiven im multiprofessionellen Team<br />

(Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Neuro-)Psychologie, Sozialarbeit, Pflege,<br />

Medizin), wobei sie z.T. in den Arbeitsgruppen der Lernsequenz 1 verbleiben können<br />

und z.T. Mitglieder in die drei noch nicht besetzten Berufsgruppen abordnen können.<br />

In diesen Kleingruppen lesen sie zunächst die Textsequenzen von Zeile 29 bis 55 und<br />

138 bis 146 erneut und überlegen sich aus der Sicht ihrer Berufsgruppe, wie sie die<br />

Patientin möglicherweise wahrgenommen <strong>habe</strong>n könnten und was sie aus dieser<br />

Perspektive unter Berücksichtigung der Interessen ihrer Berufsgruppe für den weiteren<br />

Therapieverlauf der Patientin vorschlagen würden. Die Gruppen entsenden dann jeweils<br />

ein Mitglied in eine interdisziplinäre Fallbesprechung, um zu diskutieren, wie es<br />

für Frau B. weitergehen soll. Diese Fallbesprechung wird gestoppt, wenn die einzelnen<br />

Positionen deutlich geworden sind. Diese Positionen werden im Tafelanschrieb<br />

festgehalten und unterschiedliche Optionen herausgearbeitet.<br />

In Lernsequenz 4 steht die unmittelbare Interaktion mit der Patientin im Sinn einer<br />

Beratung zum weiteren Verlauf der Rehabilitation im Mittelpunkt, wobei auch hierfür<br />

methodisch ein Rollenspiel eingesetzt werden müsste, da Kommunikative Kompetenz<br />

am besten durch Erfahrung in der Kommunikation entwickelt werden kann . 2<br />

Nach einer Erarbeitung zur Unterscheidung von Patientenedukation und Empowerment<br />

in der sozialen Arbeit werden im Unterrichtsgespräch zu beiden Konzepten Kriterien<br />

für eine gelungene Beratung formuliert und im Tafelanschrieb festgehalten. Dabei<br />

können Erkenntnisse aus vorangegangenen Unterrichten zu Kommunikation und Beratung<br />

mit einbezogen werden. Anschließend bestimmen die SchülerInnen arbeitsteilig<br />

die Rolle der Patientin und der PflegeberaterIn und formulieren Wünsche und Bedürfnisse<br />

bzw. Zielvorstellungen für das Beratungsgespräch. Es werden möglichst mehrere<br />

Beratungsequenzen angespielt. Die Reflexion erfolgt in drei Schritten:<br />

• zunächst formuliert die „BeraterIn“, wie es ihr ergangen ist und welchen<br />

(unerwarteten ) Schwierigkeiten sie sich stellen musste<br />

• anschließend gibt die „Patientin“ Rückmeldung, wie sie die Beratung erlebt<br />

hat<br />

2 Wenn die Lerngruppe die Arbeit mit Rollenspielen nur schwer annimmt, sollte eher in<br />

Lernsequenz 3 alternativ die Form eines Unterrichtsgesprächs gewählt werden. Erfahrungsgemäß<br />

finden sich aber in den Lerngruppen immer einige SchülerInnen, die sich<br />

gerne auf diesen Lernweg einlassen. Es ist eine pädagogische Entscheidung, inwiefern<br />

man Lernende, die dieser Methode eher kritisch gegenüber stehen – oder sich<br />

nicht trauen – mit sanftem Druck zu einer Lernerfahrung verhelfen sollte.


Lerninseln – bildungshaltige Lernsituationen in den Pflege- und Gesundheitsberufen Sabine Muths, Universität <strong>Bremen</strong><br />

13<br />

• als Letzte geben die BeobachterInnen Rückmeldung, wobei sie sich an den<br />

zuvor erarbeiteten Kriterien orientieren.<br />

Abschließend werden die Konzepte „Patientenedukation“ und „Empowerment“ vor dem<br />

Hintergrund der Erfahrungen aus den Rollenspielen vertiefend diskutiert, auch in Hinblick<br />

auf die Frage des eigenen professionellen Selbstschutzes.<br />

In einer abschließenden Ergebnissicherung kommt das System „Rehabilitation“ unter<br />

einer aktuellen gesundheitspolitischen Fragestellung auf den Prüfstand – als provozierende<br />

Entscheidungsfrage, die im Rahmen der ausführlichen Sachanalyse zu Lernsequenz<br />

3 gewonnen werden kann (- z.B.: „Im Zuge der Qualitätssicherung der Rehabilitationsverläufe<br />

muss ein umfassendes Entwicklungsprogramm für die konsequente<br />

Entwicklung von strukturierten Behandlungspfaden aufgelegt werden.“) . Gewählt wird<br />

die Form einer gesundheitspolitischen Anhörung, für die die Schüler die Rollen verschiedener<br />

Experten übernehmen. Sie formulieren zunächst ihre jeweilige Position zu<br />

der Fragestellung und beziehen dabei ihre Erfahrungen mit dem Fall „Hella B.“ mit ein.<br />

Die Argumente werden in der Form einer Pro-Contra-Diskussion gegenüber gestellt,<br />

geordnet und gewichtet, um so eine Empfehlung für die gesundheitspolitische Entscheidung<br />

abzuleiten.<br />

Diese abschließende Ergebnissicherung kann auch am Ende der gesamten Lerneinheit<br />

zur Rehabilitation stehen und sich auf unterschiedliche im Lernfeld erarbeitete<br />

Fallsituationen beziehen. In diesem Fall würde die Lerninsel mit dem letzten Schritt der<br />

Lernsequenz 4 enden. Abschließend müsste anhand der Lernfragen aus der Einstiegssequenz<br />

evaluiert werden, inwiefern die gesteckten Lernziele realisiert wurden.

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