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<strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong><br />

Das Wichtige im Überblick<br />

Vertragsrecht<br />

Geschenk-Gutscheine: Kein Verfall nach einem<br />

Jahr (LG München I)<br />

Telefonsex: Werbe- und Vermittlungsverträge sind<br />

nicht sittenwidrig (OLG Karlsruhe)<br />

Mietrecht<br />

„Sonstige Betriebskosten“: Überprüfung der Elektroanlagen<br />

eines Mietobjekts ist umlagefähig (BGH)<br />

Arbeitsrecht<br />

BAT: Zeiten geringfügiger Beschäftigung sind<br />

anrechenbare Beschäftigungszeiten (BAG)<br />

Tarifliche Firmensozialpläne: Gewerkschaften dürfen<br />

zu Streik aufrufen (BAG)<br />

Handels- und Gesellschaftsrecht<br />

GmbH: Abberufenen Geschäftsführern kann trotz<br />

Geltung des KSchG ohne soziale Rechtfertigung<br />

gekündigt werden (OLG Hamm)<br />

Wettbewerbsrecht und gewerblicher<br />

Rechtsschutz<br />

Festgeldanlage: Banken dürfen Zinshöhe vom<br />

Ergebnis eines Fußballturniers abhängig machen<br />

(BGH)<br />

Internet-Auktionshäuser: Unterlassungsverpflichtung<br />

bei Markenverletzungen (BGH)<br />

Aus dem Inhalt:<br />

09/07<br />

Zwangsvollstreckung und Insolvenz<br />

Insolvenzverwaltervergütung: Keine Erhöhung bei<br />

nachträglichem Bekanntwerden einer Erbschaft<br />

(BGH)<br />

Verwaltungs- und Verfassungsrecht<br />

Ethikunterricht: Einführung an Berliner Schulen ist<br />

verfassungsgemäß (BVerfG)<br />

Sachverständige: Altersgrenze von 68 Jahren verstößt<br />

nicht gegen das AGG (VG Mainz)<br />

Steuerrecht<br />

Abgabenverkürzung: Benutzung des „grünen“<br />

Flughafenausgangs mit zu verzollenden Waren ist<br />

leichtfertig (BFH)<br />

Pendlerpauschale: Kürzung doch verfassungskonform?<br />

(FG Köln)<br />

Doppelte Haushaltsführung: In Ausnahmefällen<br />

auch bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften<br />

(BFH)


<strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 09/07 Inhalt<br />

Vertragsrecht<br />

Geschenk-Gutscheine dürfen nicht nach einem Jahr<br />

verfallen<br />

LG München I 5.4.2007, 12 O 22084/06 4<br />

Werbe- und Vermittlungsverträge für Telefonsexgespräche<br />

sind nicht sittenwidrig<br />

OLG Karlsruhe 14.3.2007, 7 U 62/06 4<br />

Mietrecht<br />

Die Kosten für die regelmäßige Überprüfung der<br />

technischen Anlage eines Mietobjekts sind umlagefähig<br />

BGH 14.2.2007, VIII ZR 123/06 4<br />

Wohnungseigentümergemeinschaften sind rechtsfähig<br />

BGH 12.4.2007, VII ZR 236/05 5<br />

Haftungs- und Versicherungsrecht<br />

Streit um Hochschulzulassung: Rechtsschutzversicherungen<br />

müssen Kosten für bis zu zehn Kapazitätsklageverfahren<br />

übernehmen<br />

OLG Celle 19.4.2007, 8 U 179/06 6<br />

Arbeitsrecht<br />

Auf die Beschäftigungszeiten im Sinn des BAT sind<br />

auch Zeiten geringfügiger Beschäftigungen anzurechnen<br />

BAG 25.4.2007, 6 AZR 746/06 6<br />

Gewerkschaften dürfen zu Streiks für einen tariflichen<br />

Firmensozialplan aufrufen<br />

BAG 24.4.2007, 1 AZR 252/06 7<br />

Neues Befristungsrecht für Arbeitsverträge in der<br />

Wissenschaft ist in Kraft getreten 7<br />

Neue Kriterien für die Abgrenzung zwischen einer<br />

bloßen Gleichstellungsabrede und einer generellen<br />

Bezugnahme auf den jeweils aktuellen Tarifvertrag<br />

BAG 18.4.2007, 4 AZR 652/05 8<br />

Handels- und Gesellschaftsrecht<br />

Bundeskabinett hat Novelle des Investmentgesetzes<br />

beschlossen 8<br />

Abberufenen GmbH-Geschäftsführern kann trotz<br />

Geltung des KSchG ohne soziale Rechtfertigung<br />

gekündigt werden<br />

OLG Hamm 20.11.2006, 8 U 217/05 9<br />

Bankrecht<br />

Europäisches Parlament verabschiedet Richtlinie<br />

über Zahlungsdienste 9<br />

Wettbewerbsrecht und Gewerblicher<br />

Rechtsschutz<br />

Bundesregierung will Rechte des geistigen Eigentums<br />

besser sichern 10<br />

Banken dürfen Zinshöhe für Festgeldanlagen vom<br />

Ergebnis eines Fußballturniers abhängig machen<br />

BGH 19.4.2007, I ZR 57/05 10<br />

Internet-Auktionshäuser können zur Unterlassung<br />

von Markenverletzungen verpflichtet sein<br />

BGH 19.4.2007, I ZR 35/04 10<br />

Zwangsvollstreckung und Insolvenz<br />

Zur Erhöhung der Vergütung eines Insolvenzverwalters<br />

bei nachträglichem Bekanntwerden einer Erbschaft<br />

des Schuldners<br />

BGH 1.3.2007, IX ZB 280/05 11<br />

Gebühren und Kosten<br />

Unternehmen hat eigene Rechtsabteilung: Die Terminreisekosten<br />

der eingeschalteten „Hauskanzlei“<br />

können trotzdem erstattungsfähig sein<br />

KG Berlin 16.3.2007, 1 W 276/06 12


<strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 09/07 Inhalt<br />

Berufsrecht<br />

Neuregelung der Telefonüberwachung: BStBK kritisiert<br />

geplante Einschränkung des Zeugnisverweigerungsrechts<br />

von Steuerberatern 12<br />

Verwaltungs- und Verfassungsrecht<br />

Unternehmen baut kein UMTS-Netz auf: Bundesnetzagentur<br />

darf UMTS-Lizenz widerrufen<br />

VG Köln 25.4.2007, 21 K 3675/05 13<br />

Einführung von Ethikunterricht an Berliner Schulen<br />

ist verfassungsgemäß<br />

BVerfG 15.3.2007, 1 BvR 2780/06 13<br />

Altersgrenze für öffentlich bestellte Sachverständige<br />

von 68 Jahren verstößt nicht gegen das AGG<br />

VG Mainz 21.3.2007, 6 L 149/07.MZ 14<br />

Strafrecht und OWi<br />

Bundeskabinett beschließt Neuregelung der Telefonüberwachung<br />

– BRAK und DAV kritisieren den<br />

Gesetzentwurf 14<br />

Steuerrecht<br />

Benutzung des „grünen“ Flughafenausgangs mit zu<br />

verzollenden Waren stellt regelmäßig eine leichtfertige<br />

Abgabeverkürzung dar<br />

BFH 16.3.2007, VII B 21/06 15<br />

Kürzung der Pendlerpauschale doch nicht verfassungswidrig?<br />

FG Köln 29.3.2007, 10 K 274/07 16<br />

In Ausnahmefällen kann auch bei nichtehelichen<br />

Lebensgemeinschaften eine doppelte Haushaltsführung<br />

anzuerkennen sein<br />

BFH 15.3.2007, VI R 31/05 16<br />

Verlag<br />

Impressum<br />

Verlag Dr. Otto Schmidt KG in Kooperation mit dem <strong>Anwalt</strong>-<strong>Suchservice</strong><br />

Gustav-Heinemann-Ufer 58<br />

50968 Köln<br />

Geschäftsführender Gesellschafter: Dr. h.c. Karl-Peter Winters<br />

Amtsgericht Köln, HRA 5237<br />

USt-Ident-Nr. DE 123047975<br />

Zitierweise<br />

<strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> Jahrgang, Ausgabe, Seite<br />

ISSN 1613-8090<br />

Schriftleitung und Verlagsredaktion:<br />

Petra Rülfing, Ass.jur; Imke Sawitzky, Ass.jur; Rüdiger Donnerbauer (verantw.)<br />

Redaktion <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong>, Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln-Marienburg<br />

E-Mail: anwaltswoche@otto-schmidt.de<br />

Tel.: +49 (0) 221-93738-501<br />

Fax: +49 (0) 221-93738-951<br />

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Anzeigenleitung: Renate Becker<br />

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Haftungsausschluss<br />

Inhalte<br />

Die Inhalte der <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> werden sorgfältig geprüft und nach bestem<br />

Wissen erstellt. Jedoch kann keinerlei Gewähr für die Korrektheit, Vollständigkeit,<br />

Aktualität oder Qualität der bereitgestellten Informationen übernommen<br />

werden. Haftungsansprüche gegen den Verlag Dr. Otto Schmidt, welche<br />

sich auf Schäden materieller oder ideeller Art beziehen, die durch die<br />

Nutzung oder Nichtnutzung der dargebotenen Informationen bzw. durch die<br />

Nutzung fehlerhafter und unvollständiger Informationen verursacht wurden<br />

sind grundsätzlich ausgeschlossen, sofern auf Seiten des Verlages Dr. Otto-<br />

Schmidt kein nachweislich vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verschulden<br />

vorliegt. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln nicht unbedingt die<br />

Meinung des Herausgebers wider.<br />

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Der Verlag Dr. Otto Schmidt ist bestrebt, in allen Publikationen die Urheberrechte<br />

der verwendeten Grafiken, Tondokumente, Videosequenzen und Texte<br />

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gestattet.<br />

Rechtswirksamkeit des Haftungsausschlusses<br />

Sofern Teile oder einzelne Formulierungen dieses Textes der geltenden<br />

Rechtslage nicht, nicht mehr oder nicht vollständig entsprechen sollten, bleiben<br />

die übrigen Teile des Dokumentes in ihrem Inhalt und ihrer Gültigkeit<br />

davon unberührt.


Vertragsrecht<br />

Geschenk-Gutscheine dürfen nicht nach<br />

einem Jahr verfallen<br />

LG München I 5.4.2007, 12 O 22084/06<br />

Unternehmen (hier: „Amazon.de“) dürfen in ihren Allgemeinen<br />

Geschäftsbedingungen nicht regeln, dass die von ihnen herausgegebenen<br />

Geschenk-Gutscheine ausnahmslos nur ein Jahr ab Ausstellungsdatum<br />

gültig sind und auch das Restguthaben ab dem<br />

Verfallsdatum nicht mehr verwendet werden kann. Dies stellt eine<br />

erhebliche Abweichung von den gesetzlichen Bestimmungen dar,<br />

wonach der Anspruch aus einem Gutschein erst nach drei Jahren<br />

verjährt, und benachteiligt damit die Verbraucher unangemessen.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der beklagte Internetversandhändler „Amazon.de“ bietet<br />

Geschenk-Gutscheine an. Diesbezüglich regelt er in seinen Allgemeinen<br />

Geschäftsbedingungen (AGB), dass die Gutscheine ausnahmslos<br />

nur ein Jahr ab Ausstellungsdatum gültig sind und auch<br />

das Restguthaben ab dem Verfallsdatum nicht mehr verwendet<br />

werden kann.<br />

Die Klägerin, eine Verbraucherzentrale, hielt die Klausel in den<br />

AGB des Beklagten für unwirksam, weil sie die Verbraucher<br />

unangemessen benachteilige. Demgegenüber trug der Beklagte<br />

vor, dass durch die lange Verwaltung der Gutscheinkonten und die<br />

notwendige Bilanzierung der Gutscheine ein erheblicher Verwaltungsaufwand<br />

entstünde, der durch die zeitliche Begrenzung eingeschränkt<br />

werden solle. Die Unterlassungsklage hatte Erfolg. Die<br />

Entscheidung ist nicht rechtskräftig.<br />

Die Gründe:<br />

Der Beklagte darf die streitige Klausel in ihren AGB nicht mehr<br />

verwenden und sich auch nicht mehr auf diese berufen. Mit dem<br />

Verfall des Gutscheins beziehungsweise des Restguthabens innerhalb<br />

eines Jahres ab Ausstellungsdatum weicht die Klausel erheblich<br />

von den gesetzlichen Bestimmungen zur Verjährung ab. Hiernach<br />

würde der Anspruch aus dem Gutschein nämlich erst nach<br />

drei Jahren verjähren. Diese Abweichung benachteiligt die Verbraucher<br />

unangemessen.<br />

Der Beklagte kann die Verwendung der nachteiligen Klausel auch<br />

nicht damit rechtfertigen, dass mit der Verwaltung der Gutscheinkonten<br />

ein erheblicher Aufwand verbunden sei. Denn ein Großteil<br />

der Gutscheine wird ohnehin innerhalb der ersten Monat nach dem<br />

Ausstellungsdatum eingelöst. Damit entsteht für den Beklagten<br />

kein unzumutbarer Aufwand. Außerdem ist es unbillig, wenn der<br />

Beklagte einerseits Zinsen aus den noch nicht eingelösten Beträgen<br />

ziehen kann und andererseits dann von den verfallenen Beträgen<br />

profitiert. Daher überwiegen vorliegend die Interessen der Verbraucher<br />

an einer möglichst langen Gültigkeit der Gutscheine.<br />

Werbe- und Vermittlungsverträge für Telefonsexgespräche<br />

sind nicht sittenwidrig<br />

OLG Karlsruhe 14.3.2007, 7 U 62/06<br />

Verträge über die Bewerbung und Vermittlung von Telefonsexgesprächen<br />

sind nicht wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB nich-<br />

tig. Dies ergibt sich im weitesten Sinn aus § 1 Abs.1 ProstG, wonach<br />

Prostituierte einen Anspruch auf Vergütung für erbrachte Leistungen<br />

haben. Diese Regelung kann nicht ohne Auswirkungen auf diejenigen<br />

Verträge bleiben, die wegen der Förderung eines sittenwidrigen<br />

Zwecks bisher selbst als sittenwidrig angesehen wurden.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Beklagte betreibt über eine 0190-Nummer eine „Erotik-<br />

Line“. Die Klägerin hatte für die Beklagte das Marketing und die<br />

Vermittlung der Gespräche über einen Server übernommen. Die<br />

von den Anrufern geschuldeten Gebühren wurden nach einem<br />

bestimmten Maßstab zwischen den Parteien aufgeteilt.<br />

Die Klägerin trug vor, dass sie noch offene Forderungen gegen<br />

die Beklagte habe. Ihre hierauf gerichtete Klage hatte Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Klägerin hat gegen die Beklagte aus den Verträgen über die<br />

Bewerbung und Vermittlung von Telefonsexgesprächen einen<br />

Anspruch auf die Begleichung der noch offenen Forderungen. Ihr<br />

Anspruch ist insbesondere nicht wegen Sittenwidrigkeit der Verträge<br />

nach § 138 BGB ausgeschlossen.<br />

Vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der rechtlichen<br />

und sozialen Situation der Prostituierten vom 20.12.2001<br />

(ProstG) hat die Rechtsprechung die Verträge zwischen Anbietern<br />

von Telefonsex und Unternehmen, die diesen Geschäftszweig<br />

durch etwaige Vermittlungsleistungen unterstützen, häufig als<br />

rechtswidrig eingestuft. So hat beispielsweise der BGH Ende der<br />

1990er Jahre den Vertrag zwischen dem Anbieter von Telefonsex<br />

und einem Unternehmen über den Vertrieb von Telefonsex-Karten<br />

für sittenwidrig erachtet. Demgegenüber hat er Verträge zwischen<br />

dem Anbieter und dem Netzbetreiber als wertneutral eingestuft.<br />

Im Streitfall muss nicht entschieden werden, ob der zwischen der<br />

Klägerin und der Beklagten geschlossene Vertrag gegebenenfalls<br />

wertneutral ist. Denn seit dem Inkrafttreten des ProstG stellt sich<br />

die Frage nach der rechtlichen Beurteilung von Vermittlungsverträgen<br />

völlig neu.<br />

Nach § 1 Abs.1 ProstG haben Prostituierte einen Anspruch auf Vergütung<br />

für erbrachte Leistungen. Die Wertung des Gesetzgebers,<br />

dass Prostituierte eine Leistung erbringen, die eine rechtswirksame<br />

Forderung begründet, kann bei der Beurteilung von Vermittlungsverträgen<br />

nicht außer Acht gelassen werden. Denn auch wenn das<br />

ProstG an erster Stelle die Rechte der Prostituierten stärken soll,<br />

so kann § 1 Abs.1 ProstG nicht ohne Auswirkungen auf diejenigen<br />

Verträge bleiben, die wegen der Förderung eines sittenwidrigen<br />

Zwecks bisher selbst als sittenwidrig angesehen wurden. Der im<br />

Streitfall geschlossene Werbe- und Vermittlungsvertrag ist daher<br />

im Lichte von § 1 Abs.1 ProstG nicht als sittenwidrig einzustufen.<br />

Mietrecht<br />

Die Kosten für die regelmäßige Überprüfung<br />

der technischen Anlage eines Mietobjekts<br />

sind umlagefähig<br />

BGH 14.2.2007, VIII ZR 123/06<br />

Vermieter, die regelmäßig die Betriebssicherheit der technischen<br />

Anlage (hier: Elektroanlage) des Mietobjekts überprüfen lassen,<br />

09/2007 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 4


können die hierfür anfallenden Kosten anteilig auf die Mieter<br />

umlegen. Diese Kosten stellen Betriebskosten dar, die bei entsprechender<br />

ausdrücklicher Vereinbarung der Mietvertragsparteien<br />

als „sonstige Betriebskosten“ im Sinne von § 2 Nr.17<br />

Betriebskostenverordnung umlagefähig sind.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Beklagte ist seit 1999 Mieterin einer Wohnung der Klägerin.<br />

Im August 2003 übersandte die Klägerin der Beklagten die<br />

Betriebskostenabrechnung für den Abrechnungszeitraum des<br />

Jahres 2002. Die Abrechnung wies eine Nachforderung auf, in<br />

der auch die Kosten für die alle vier Jahre anfallende Überprüfung<br />

der Betriebssicherheit der Elektroanlage des Hauses anteilig<br />

enthalten war.<br />

Die Beklagte beglich die Rechnung mit Ausnahme der anteiligen<br />

Kosten für die Überprüfung der Elektroanlage in Höhe von 22,65<br />

Euro. Diesen Betrag verlangte die Klägerin von der Beklagten<br />

nebst Zinsen ausbezahlt. Hierzu berief sie sich auf den zwischen<br />

den Parteien geschlossenen Mietvertrag, der die Umlage dieser<br />

Kosten im Rahmen der „sonstigen Betriebskosten“ ausdrücklich<br />

vorsah.<br />

AG und LG wiesen die Klage ab. Zu Begründung führte das LG<br />

aus, dass es sich bei den Kosten der Überprüfung der Elektroanlage<br />

nicht um Betriebskosten, sondern um nicht umlagefähige<br />

Instandsetzungs- und Instandhaltungskosten handele. Auf die<br />

Revision der Klägerin hob der BGH das Urteil des LG auf und<br />

gab der Klage statt.<br />

Die Gründe:<br />

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung<br />

der 22,65 Euro für die Überprüfung der Elektroanlage. Entgegen<br />

der Auffassung des LG handelt es sich bei diesen Kosten<br />

um umlagefähige Betriebskosten und nicht um Instandsetzungs-<br />

und Instandhaltungskosten.<br />

Betriebskosten sind Kosten, die dem Eigentümer durch das<br />

Eigentum an dem Grundstück oder durch den bestimmungsgemäßen<br />

Gebrauch des Gebäudes oder der Wirtschaftseinheit, der<br />

Nebengebäude, Anlagen, Einrichtungen und des Grundstücks<br />

laufend entstehen (Anlage 3 zu § 27 Abs.1 der II. Berechnungsverordnung;<br />

ebenso in § 1 der ab 1.1.2004 geltenden Betriebskostenverordnung<br />

vom 25.11.2003; sowie § 556 Abs.1 S.2 BGB<br />

in der ab 1.1.2007 geltenden Fassung).<br />

Demgegenüber werden Instandsetzungs- und Instandhaltungskosten<br />

durch Reparatur und Wiederbeschaffung verursacht oder<br />

müssen zur Erhaltung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs aufgewendet<br />

werden, um die durch Abnutzung, Alterung, Witterungseinwirkung<br />

entstehenden baulichen oder sonstigen Mängel<br />

ordnungsgemäß zu beseitigen (§ 28 Abs.1 der II. Berechnungsverordnung<br />

beziehungsweise § 1 Abs. 2 Nr. 2 Betriebskostenverordnung).<br />

Die regelmäßige Überprüfung der Funktionsfähigkeit der elektrischen<br />

Anlage eines Hauses dient regelmäßig nicht der Beseitigung<br />

von Mängeln. Die Überprüfung stellt auch nicht – wie<br />

das LG angenommen hat – eine vorbeugende Instandhaltung des<br />

Mietobjekts dar. Einer solchen einschränkenden Auslegung des<br />

Betriebskostenbegriffs kann nicht gefolgt werden. Denn Vorsorgemaßnahmen<br />

gehören nur dann zum Bereich der Instandhaltung,<br />

wenn ein Ausfall der Anlage zu befürchten ist.<br />

Anders verhält es sich jedoch bei regelmäßig anfallenden, durch<br />

keine konkrete Störung veranlassten Maßnahmen, die der Überprüfung<br />

der Funktionsfähigkeit und Betriebssicherheit einer<br />

technischen Einrichtung dienen. Hierzu gehören etwa die in den<br />

Verordnungen ausdrücklich als Betriebskosten genannten Kosten<br />

der Prüfung der Betriebsbereitschaft und Betriebssicherheit<br />

von Fahrstühlen und die Gebühren des Schornsteinfegers. Da<br />

die regelmäßige Überprüfung der Elektroanlage von der Klägerin<br />

zur Vorsorge durchgeführt wird, sind die hierfür anfallenden<br />

Kosten, wie im Mietvertrag der Parteien vereinbart, als Betriebskosten<br />

umlagefähig.<br />

Linkhinweis:<br />

- Für die auf den Webseiten des BGH veröffentlichte Entscheidung<br />

klicken Sie bitte hier.<br />

Wohnungseigentümergemeinschaften sind<br />

rechtsfähig<br />

BGH 12.4.2007, VII ZR 236/05<br />

Eine Wohnungseigentümergemeinschaft ist ein rechtsfähiger<br />

Verband sui generis. Ihre Rechtsfähigkeit ist dabei auf die Teilbereiche<br />

des Rechtslebens beschränkt, bei denen die Wohnungseigentümer<br />

im Rahmen der Verwaltung des gemeinschaftlichen<br />

Eigentums am Rechtsleben teilnehmen.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Klägerin ist eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Sie<br />

beauftragte einen Rechtsanwalt mit der Durchsetzung ihrer<br />

Rechtsansprüche wegen Baumängeln an der Wohnungseigentumsanlage.<br />

Die Baumängel betrafen sowohl das Gemeinschaftseigentum<br />

als auch das Sondereigentum. Der <strong>Anwalt</strong> machte für<br />

die Klägerin einen Kostenvorschuss für die Mängelbeseitigung<br />

geltend.<br />

Das mit der Sache befasste Berufungsgericht nahm an, dass<br />

die einzelnen Wohnungseigentümer Klagepartei seien, weil die<br />

Wohnungseigentümergemeinschaft nicht rechtsfähig sei. Der<br />

BGH hat diese Auffassung nicht bestätigt.<br />

Die Gründe:<br />

Die Klägerin hat einen Anspruch auf einen Kostenvorschuss für<br />

die Beseitigung der Mängel am Gemeinschaftseigentum. Diesen<br />

Anspruch kann sie in gesetzlicher Prozessstandschaft, hinsichtlich<br />

der Mängel am Sondereigentum in gewillkürter Prozessstandschaft<br />

geltend machen.<br />

Eine Wohnungseigentümergemeinschaft ist ein rechtsfähiger<br />

Verband sui generis. Ihre Rechtsfähigkeit ist auf die Teilbereiche<br />

des Rechtslebens beschränkt, bei denen die Wohnungseigentümer<br />

im Rahmen der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums<br />

als Gemeinschaft am Rechtsleben teilnehmen.<br />

Gemäß § 21 Abs.5 Nr.2 WEG gehört zu einer ordnungsgemäßen<br />

Verwaltung auch die ordnungsgemäße Instandhaltung und<br />

Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums. Zur Instandhaltung<br />

und Instandsetzung in diesem Sinne gehört auch die<br />

erstmalige Herstellung des Gemeinschaftseigentums. Die Wohnungseigentümergemeinschaft<br />

kann daher durch Mehrheitsbeschluss<br />

die Durchsetzung der auf die ordnungsgemäße Herstellung<br />

des Gemeinschaftseigentums gerichteten Rechte der<br />

Erwerber von Wohnungseigentum an sich ziehen. Macht sie<br />

von dieser Möglichkeit Gebrauch, begründet dies ihre alleinige<br />

Zuständigkeit und schließt ein selbständiges Vorgehen der<br />

Erwerber aus.<br />

Soweit Rechte der einzelnen Wohnungseigentümer wegen Mängeln<br />

des Sondereigentums betroffen sind, kann die Wohnungsei-<br />

09/2007 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 5


gentümergemeinschaft in gewillkürter Prozessstandschaft Ansprüche<br />

verfolgen, die in einem engen rechtlichen und wirtschaftlichen<br />

Zusammenhang mit der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums<br />

stehen. Sie kann deshalb von den einzelnen Wohnungseigentümern<br />

ermächtigt werden, neben den Ansprüchen wegen Mängeln<br />

des Gemeinschaftseigentums Ansprüche wegen Mängeln des<br />

Sondereigentums geltend zu machen.<br />

Haftungs- und<br />

Versicherungsrecht<br />

Streit um Hochschulzulassung: Rechtsschutzversicherungen<br />

müssen Kosten für<br />

bis zu zehn Kapazitätsklageverfahren übernehmen<br />

OLG Celle 19.4.2007, 8 U 179/06<br />

Studienplatzbewerber haben gegen ihre Rechtsschutzversicherungen<br />

grundsätzlich einen Anspruch auf Übernahme der Kosten<br />

für bis zu zehn Klagen gegen Hochschulen auf Hochschulzulassung<br />

außerhalb des allgemeinen Zulassungsverfahrens. Das gilt<br />

jedenfalls dann, wenn sie geltend machen, die Hochschulen hätten<br />

ihre tatsächlich vorhandenen Kapazitäten nicht hinreichend<br />

ausgeschöpft (so genannte Kapazitätsklageverfahren).<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Kläger ist bei der beklagten Versicherung rechtsschutzversichert.<br />

Sein Sohn S. wollte zum Wintersemester 2005/2006 ein<br />

Medizinstudium aufnehmen. Die Zentralstelle für die Vergabe<br />

von Studienplätzen (ZVS) lehnte seine Bewerbung allerdings ab,<br />

weil er nicht den erforderlichen Notendurchschnitt und die Wartezeit<br />

erfüllte. S. ersuchte daraufhin die Beklagte um Deckungsschutz<br />

für Eilverfahren (Kapazitätsklageverfahren) gegen 14<br />

verschiedene Hochschulen.<br />

Im Rahmen von Kapazitätsklageverfahren können Studienbewerber<br />

geltend machen, dass die Hochschulen ihre Kapazitäten<br />

mit den an die ZVS gemeldeten Studienplätze nicht ausgeschöpft<br />

haben. Erst im Rahmen dieses Gerichtsverfahrens müssen die<br />

Hochschulen ihre Berechnungskriterien offen legen. Kommt das<br />

Gericht zu dem Ergebnis, dass weitere Kapazitäten bestehen,<br />

verlost es die zusätzlichen Studienplätze unter allen Bewerbern,<br />

die ein Eilverfahren betreiben.<br />

Die Beklagte lehnte eine Deckungszusage für die 14 Kapazitätsklageverfahren<br />

ab, weil S. keinen Rechtsanspruch auf einen Studienplatz<br />

geltend mache, sondern lediglich ein wirtschaftliches Interesse<br />

auf Teilnahme an dem Losverfahren verfolgen wolle. Außerdem<br />

seien die Erfolgsaussichten nicht dargelegt und sei es mutwillig, 14<br />

Hochschulen gleichzeitig zu verklagen. Das LG wies die Klage auf<br />

Erteilung einer Deckungszusage ab; das OLG gab ihr überwiegend<br />

statt, ließ allerdings die Revision zum BGH zu.<br />

Die Gründe:<br />

Der Kläger hat gegen die Beklagte für zehn der 14 Verfahren<br />

einen Anspruch auf Erteilung einer Deckungszusage für die<br />

beabsichtigten Kapazitätsklageverfahren. S. verfolgt mit den<br />

Verfahren nicht lediglich ein wirtschaftliches Interesse, sondern<br />

macht seinen Anspruch auf freie Berufswahl aus Art. 12 Abs.1<br />

GG geltend. Dieses Grundrecht darf nur dann durch ein Zulassungsverfahren<br />

beschränkt werden, wenn alle vorhandenen Ausbildungsplatzkapazitäten<br />

ausgenutzt werden.<br />

Grundsätzlich setzt ein Anspruch auf Kostenübernahme durch<br />

die Rechtsschutzversicherung zwar voraus, dass das Verfahren<br />

hinreichende Erfolgsaussichten hat. In Kapazitätsklageverfahren<br />

besteht aber die Besonderheit, dass die Berechnungsgrundlagen<br />

der Hochschulen erst in dem Gerichtsverfahren bekannt werden.<br />

Daher reicht es für die Darlegung der Erfolgsaussichten aus, wenn<br />

der Kläger nachweist, dass die Kapazitäten in den Vorjahren nicht<br />

ausgeschöpft waren. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt.<br />

Der Kläger hat zudem einen Anspruch auf Kostenübernahme für<br />

Kapazitätsklageverfahren gegen mehrere Hochschulen. Denn<br />

bei einer einzigen Klage ist das Risiko, dass die Hochschule<br />

eine Ausschöpfung ihrer Kapazitäten nachweisen kann oder der<br />

Studienplatzbewerber bei der anschließenden Verlosung keinen<br />

Erfolg hat, sehr groß. Unter Kostengesichtspunkten ist allerdings<br />

bei zehn Verfahren pro Semester die Grenze zu ziehen. Der Kläger<br />

kann daher nur für zehn und nicht für die begehrten 14 Verfahren<br />

eine Deckungszusage beanspruchen.<br />

Arbeitsrecht<br />

Auf die Beschäftigungszeiten im Sinn<br />

des BAT sind auch Zeiten geringfügiger<br />

Beschäftigungen anzurechnen<br />

BAG 25.4.2007, 6 AZR 746/06<br />

Bei der Berechnung der Beschäftigungszeiten, die nach dem BAT<br />

Voraussetzung für eine ordentliche Unkündbarkeit sind, sind<br />

auch die Zeiten einer geringfügigen Beschäftigung zu berücksichtigen.<br />

Eine anderslautende Vorschrift des BAT, wonach eine<br />

Anrechnung von Zeiten geringfügiger Beschäftigung erst ab<br />

dem 1.1.2002 erfolgen soll, ist daher unwirksam. Sie verstößt<br />

gegen § 4 Abs.1 TzBfG in Verbindung mit Art. 3 Abs.1 GG, weil<br />

sie zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Benachteiligung von<br />

Teilzeitbeschäftigten führt.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Klägerin ist seit dem 1.1.1989 in dem von der Beklagten<br />

betriebenen Kindergarten zunächst als sozialpädagogische Assistentin<br />

und später als Erzieherin beschäftigt. Bis zum 30.9.1995<br />

war sie mit einer Arbeitszeit von 12 Stunden wöchentlich geringfügig<br />

beschäftigt im Sinn von § 8 SGB IV (so genannter „400-<br />

Euro-Job“). Danach arbeitete sie als Vollzeitkraft. Mit Schreiben<br />

vom 1.3.2005 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der<br />

Klägerin wegen rückläufiger Kinderzahlen zum 30.9.2005.<br />

Mit ihrer gegen die Kündigung gerichteten Klage machte die Klägerin<br />

geltend, dass sie bereits länger als 15 Jahre bei der Beklagten<br />

beschäftigt und daher gemäß § 53 Abs.3 BAT ordentlich unkündbar<br />

sei. Soweit vor dem 1.1.2002 zurückgelegte Zeiten geringfügiger<br />

Beschäftigung gemäß § 19 BAT in Verbindung mit § 4 Abs.1<br />

des 77. Änderungstarifvertrags für die Beschäftigungszeit nicht zu<br />

berücksichtigen seien, verstoße dies gegen § 4 Abs. 1 TzBfG. Das<br />

unterschiedliche Arbeitspensum allein rechtfertige keine unterschiedliche<br />

Behandlung von Teilzeit- und Vollzeitkräften.<br />

09/2007 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 6


ArbG und LAG wiesen die Klage ab. Auf die Revision der Klägerin<br />

hob das BAG die Vorentscheidungen auf und gab der Klage<br />

statt.<br />

Die Gründe:<br />

Die Kündigung ist unwirksam. Die Klägerin war im Zeitpunkt der<br />

Kündigung schon mehr als 15 Jahre bei der Beklagten beschäftigt<br />

und damit gemäß § 53 Abs.3 BAT ordentlich unkündbar.<br />

Für die Beschäftigungszeit im Sinn von § 53 Abs.3 BAT sind entgegen<br />

der Auffassung der Beklagten auch die Zeiten geringfügiger<br />

Beschäftigung zu berücksichtigen. Die anderslautende Regelung<br />

in § 19 BAT in Verbindung mit § 4 Abs.1 des 77. Änderungstarifvertrags<br />

ist unwirksam. Sie verstößt gegen § 4 Abs.1 TzBfG in<br />

Verbindung mit dem Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 GG. Denn<br />

die Nichtberücksichtigung von vor dem 1.1.2002 zurückgelegte<br />

Zeiten geringfügiger Beschäftigung führt zu einer Benachteiligung<br />

Teilzeitbeschäftigter. Es ist auch kein sachlicher Grund ersichtlich,<br />

der diese Benachteiligung rechtfertigen könnte.<br />

Die Klägerin war daher zum Zeitpunkt der Kündigung unkündbar<br />

im Sinn von § 53 Abs.3 BAT und hätte nur außerordentlich<br />

gekündigt werden können.<br />

Linkhinweis:<br />

- Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten<br />

des BAG veröffentlicht.<br />

- Für die Original-Pressemitteilung des BAG klicken Sie bitte<br />

hier.<br />

Gewerkschaften dürfen zu Streiks für einen<br />

tariflichen Firmensozialplan aufrufen<br />

BAG 24.4.2007, 1 AZR 252/06<br />

Gewerkschaften dürfen zu Streiks für einen Tarifvertrag aufrufen,<br />

mit dem die Nachteile aus einer von einem Unternehmen<br />

geplanten Betriebsänderung ausgeglichen oder gemildert werden<br />

sollen („tariflicher Firmensozialplan“). Für die Aufstellung<br />

von Sozialplänen sind nach §§ 111, 112 BetrVG zwar grundsätzlich<br />

Arbeitgeber und Betriebsrat zuständig. Hierdurch wird<br />

die Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien aber nicht eingeschränkt,<br />

da die typischen Sozialplaninhalte zugleich tariflich<br />

regelbare Angelegenheiten darstellen.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Ein Mitgliedsunternehmen des klagenden Arbeitgeberverbandes<br />

hatte seinen Betriebsrat am 16.12.2002 informiert, dass er eine<br />

Betriebsänderung durchführen und dabei mehr als 500 Arbeitsplätze<br />

abbauen wolle. Am 18.12.2002 forderte die beklagte<br />

Gewerkschaft (IG Metall) den Kläger auf, mit ihr in Verhandlungen<br />

über einen unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag zu<br />

treten. Ihre Forderungen betrafen verlängerte Kündigungsfristen,<br />

Qualifizierungsmaßnahmen und Abfindungen für die von<br />

der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer.<br />

Nachdem das Mitgliedsunternehmen des Klägers die Tarifforderungen<br />

abgelehnt hatte, organisierte die Beklagte in der Zeit<br />

vom 3.3. bis 23.4.2003 bei dem Mitgliedsunternehmen Streikmaßnahmen.<br />

Parallel dazu fanden vor der Einigungsstelle Sozialplanverhandlungen<br />

statt, die im Juni 2003 mit dem Abschluss<br />

eines Sozialplans endeten.<br />

Mit seiner Klage verlangte der Kläger vom Beklagten, künftig<br />

nicht mehr zu Streiks zur Durchsetzung eines tariflichen Firmen-<br />

sozialplans aufzurufen. Derartige Arbeitskampfmaßnahmen seien<br />

im Hinblick auf die §§ 111 ff. BetrVG unzulässig. Die Unterlassungsklage<br />

hatte in allen Instanzen keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Der Kläger kann von der Beklagten nicht verlangen, Streikaufrufe<br />

zur Durchsetzung eines tariflichen Firmensozialplans zu unterlassen.<br />

Derartige Streikaufrufe sind rechtmäßig. Für die Aufstellung<br />

von Sozialplänen sind zwar nach §§ 111, 112 BetrVG<br />

grundsätzlich Arbeitgeber und Betriebsrat zuständig. Hieraus<br />

folgt jedoch nicht, dass die Tarifvertragsparteien keine entsprechenden<br />

Regelungen treffen dürfen. Denn das BetrVG schränkt<br />

die Regelungsbefugnis von Tarifvertragsparteien nicht ein.<br />

Die Regelungskompetenz der Tarifvertragsparteien folgt insbesondere<br />

daraus, dass typische Sozialplaninhalte, wie etwa<br />

Ansprüche auf Abfindungen oder Qualifizierungsmaßnahmen,<br />

zugleich tariflich regelbare Angelegenheiten darstellen. Ist daher<br />

- wie hier - das Mitgliedsunternehmen des Arbeitgeberverbands<br />

(oder der Arbeitgeberverband selbst) nicht zum Abschluss eines<br />

solchen Tarifvertrags bereit, darf hierfür gestreikt werden.<br />

Linkhinweise:<br />

- Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten<br />

des BAG veröffentlicht.<br />

- Für die Original-Pressemitteilung des BAG klicken Sie bitte<br />

hier.<br />

Neues Befristungsrecht für Arbeitsverträge<br />

in der Wissenschaft ist in Kraft getreten<br />

Am 18.4.2007 ist das Gesetz über befristete Arbeitsverhältnisse<br />

in der Wissenschaft (Wissenschaftszeitvertragsgesetz) in Kraft<br />

getreten. Die Neuregelung erweitert die Möglichkeiten für die<br />

Befristung von Arbeitsverhältnissen in der Wissenschaft nach<br />

Abschluss der Qualifizierungsphase. Daneben bleiben die bisherigen<br />

Sonderregelungen für die Qualifizierungsphase von<br />

Wissenschaftlern erhalten, werden allerdings vom Hochschulrahmengesetz<br />

in das neue Gesetz überführt und um eine familienfreundliche<br />

Komponente ergänzt.<br />

Nach dem neuen Gesetz ist auch im Anschluss an die Qualifizierungsphase<br />

eine befristete Weiterbeschäftigung im Rahmen von<br />

Drittmitteln möglich. Damit Projektteams sinnvoll arbeiten können,<br />

gilt der neue Befristungsgrund auch für nichtwissenschaftliches<br />

Personal. Die Neuregelung sieht außerdem vor, dass sich<br />

die bisherige Qualifizierungsphase (die so genannte 12-Jahresregelung<br />

beziehungsweise 15-Jahresregelung in der Medizin) für<br />

Eltern, die Kinder betreuen, pro Kind um zwei Jahre verlängert.<br />

Hierdurch soll die Vereinbarkeit von Familien und Beruf verbessert<br />

werden.<br />

Mit der Neuregelung sollen jungen Wissenschaftlern mehr Möglichkeiten<br />

eröffnet werden, sich über zeitlich befristete Projekte<br />

in unterschiedlichen Forschungsgruppen zu profilieren. Der<br />

Gesetzgeber reagiert hiermit auch auf den Umstand, dass Hochschulen<br />

und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen ihre<br />

Forschungsarbeiten zunehmend zeitlich befristet über Drittmittel<br />

finanzieren und daher in steigendem Maße darauf angewiesen<br />

sind, Mitarbeiter befristet für die Projektzeiträume zu beschäftigen.<br />

Hierfür fehlte bislang ein ausdrücklicher gesetzlicher<br />

Befristungsgrund.<br />

09/2007 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 7


Linkhinweise:<br />

Auf den Webseiten des Bundesministeriums für Bildung<br />

und Forschung (BMBF) finden Sie folgende weiterführende<br />

Informationen zum Thema:<br />

- das neue Gesetz im Volltext (PDF-Datei),<br />

- Hinweise zum Verständnis und zur Anwendung der<br />

Neuregelung (PDF-Datei),<br />

- häufig gestellte Fragen (FAQ).<br />

Neue Kriterien für die Abgrenzung zwischen<br />

einer bloßen Gleichstellungsabrede<br />

und einer generellen Bezugnahme auf den<br />

jeweils aktuellen Tarifvertrag<br />

BAG 18.4.2007, 4 AZR 652/05<br />

Die vertragliche Bezugnahme auf einen Tarifvertrag in der<br />

jeweils geltenden Fassung kann lediglich eine Gleichstellung<br />

der organisierten und nicht organisierten Arbeitnehmer darstellen<br />

oder einen generellen Verweis, der beispielsweise auch noch<br />

nach dem Verbandsaustritt des Arbeitgebers gilt. Entgegen der<br />

früheren Rechtsprechung ist grundsätzlich von einer generellen<br />

Anwendbarkeit des jeweiligen Tarifvertrags auszugehen, es sei<br />

denn, aus Vertragswortlaut und oder den Begleitumständen beim<br />

Vertragsschluss ergeben sich hinreichende Anhaltspunkte für<br />

eine bloße Gleichstellungsabrede.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Nachdem die Klägerin bereits längere Zeit bei der Beklagten<br />

beschäftigt war, schlossen die Parteien im Mai 2002 einen schriftlichen<br />

Arbeitsvertrag, der auf den einschlägigen Tarifvertrag in<br />

der jeweils geltenden Fassung verwies. Später trat die Beklagte<br />

aus dem Arbeitgeberverband aus und weigerte sich fortan, die<br />

nach ihrem Verbandsaustritt abgeschlossenen Änderungstarifverträge<br />

auf das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin anzuwenden.<br />

Die hiergegen gerichtete Klage hatte vor dem BAG Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Beklagte muss auch die nach ihrem Austritt aus dem Arbeitgeberverband<br />

abgeschlossenen Änderungstarifverträge gegenüber<br />

der Klägerin anwenden. Das ergibt sich aus der arbeitsvertraglichen<br />

Bezugnahme auf den für die Branche einschlägigen<br />

Tarifvertrag in der jeweils geltenden Fassung.<br />

Nach der früheren Rechtsprechung des Vierten Senats wurde<br />

eine solche Bezugnahme zwar bereits dann als - durch die Tarifgebundenheit<br />

des Arbeitgebers auflösend bedingte - Gleichstellungsabrede<br />

ausgelegt, wenn der von einem tarifgebundenen<br />

Arbeitgeber gestellte Arbeitsvertrag nach seinem Wortlaut ausschließlich<br />

auf die für ihn einschlägigen, von ihm also im Verhältnis<br />

zu organisierten Arbeitnehmern ohne weiteres anzuwendenden<br />

Tarifverträge verweist. Diese Rechtsprechung wird aber<br />

aufgegeben.<br />

Für die Abgrenzung zwischen einer bloßen Gleichstellungsabrede<br />

und einem generellen Verweis auf das jeweilige Tarifrecht<br />

ist nunmehr entscheidend auf den Vertragswortlaut und/oder die<br />

Begleitumstände bei Vertragsschluss abzustellen. Nur wenn sich<br />

hieraus hinreichende Anhaltspunkte dafür ergeben, dass es lediglich<br />

um eine Gleichstellung nicht organisierter mit organisierten<br />

Arbeitnehmern gehen soll, kann eine bloße Gleichstellungsabrede<br />

angenommen werden. In allen anderen Fällen ist von einem<br />

generellen Verweis auf das jeweilige Tarifrecht auszugehen.<br />

Nach diesen Grundsätzen ist im Streitfall davon auszugehen,<br />

dass die Parteien keine bloße Gleichstellungsabrede vereinbart<br />

haben, sondern die Beklagte die jeweiligen tarifvertraglichen<br />

Vorschriften auch noch nach einem etwaigen Verbandsauftritt<br />

gegenüber der Klägerin anwenden sollte. Denn der Vertragswortlaut<br />

und die Umstände bei Vertragsschluss enthalten keine<br />

hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Parteien lediglich<br />

eine Gleichstellung der Klägerin mit den gewerkschaftlich organisierten<br />

Kollegen erreichen wollten.<br />

Der Hintergrund:<br />

Der Vierte Senat des BAG hatte bereits mit Urteil vom<br />

14.12.2005 (Az.: 4 AZR 536/04) angekündigt, dass er aus Vertrauensschutzgründen<br />

für Verträge, die vor dem 1.1.2002 abgeschlossen<br />

wurden, an der früheren Auslegungsregelung für die<br />

Abgrenzung zwischen einer bloßen Gleichstellungsabrede und<br />

einer generelle Bezugnahme auf den jeweiligen Tarifvertrag<br />

festhält. Für Neuverträge solle dagegen gelten, dass eine bloße<br />

Gleichstellungsabrede nur angenommen werden könne, wenn<br />

es hierfür aus Vertragswortlaut und/oder den Begleitumständen<br />

bei Vertragsschluss hinreichende Anhaltspunkte gebe.<br />

Mit der vorliegenden Entscheidung hat der Senat die Anwendbarkeit<br />

der neuen Auslegungsregel auf nach dem 31.12.2001<br />

abgeschlossene Verträge bestätigt.<br />

Linkhinweis:<br />

Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten<br />

des BAG veröffentlicht. Für den Volltext des BAG-Urteils<br />

vom 14.12.2005 klicken Sie bitte hier.<br />

Handels- und<br />

Gesellschaftsrecht<br />

Bundeskabinett hat Novelle des Investmentgesetzes<br />

beschlossen<br />

Das Bundeskabinett hat am 25.4.2007 den Entwurf für ein<br />

Investmentänderungsgesetz beschlossen. Mit dem Gesetz soll<br />

die Wettbewerbsfähigkeit der Fondsbranche gesteigert und<br />

gleichzeitig der Schutz der Anleger verbessert werden.<br />

Der Gesetzentwurf beinhaltet die folgenden Kernpunkte:<br />

Entbürokratisierung: Die Meldepflichten nach § 10 InvestmentG<br />

sollen entfallen und gesetzliche Fristen für die Genehmigung<br />

von Fondsprodukten eingeführt werden. Die Kreditinstituteigenschaft<br />

von Kapitalanlagegesellschaften soll entfallen.<br />

Ferner entfällt die zusätzliche Aufsicht durch die Bundesbank,<br />

so dass Kapitalanlagegesellschaften künftig nur noch durch die<br />

Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) beaufsichtigt<br />

werden. Zudem soll eine vereinfachte Genehmigungspraxis<br />

die Einführung neuer Investmentprodukte beschleunigen.<br />

Förderung von Produktinnovationen: Mit neuen Infrastrukturfonds<br />

(ÖPP-Fonds) soll vermehrt privates Kapital für öffentlich-private<br />

Partnerschaften mobilisiert werden und der ÖPP-<br />

Markt Privatanlegern zugänglich gemacht werden. Eine neue<br />

Assetklasse „Sonstige Sondervermögen“ soll zur Auflage von<br />

innovativen Produkten beitragen. Die Investmentaktiengesellschaft<br />

mit variablem Kapital soll so ausgestaltet werden, dass<br />

09/2007 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 8


ihre Aktien auch grenzüberschreitend unter Inanspruchnahme<br />

der Erleichterungen aus der EU-Investmentrichtlinie (OGAW-<br />

Richtlinie) vertrieben werden können. Damit können Anleger<br />

künftig auch in Deutschland in das in Luxemburg verbreitete<br />

Anlageinstrument „Société d‘investissement à capital variable“<br />

(SICAV) investieren.<br />

Offene Immobilienfonds: Im Hinblick auf offene Immobilienfonds<br />

sollen zwei neue Fondskategorien geschaffen, die Bewertungsvorschriften<br />

reformiert und neue Risikomess-Systeme eingeführt<br />

werden. Außerdem sollen die Rücknahmenregeln geändert<br />

werden. Insoweit soll es künftig möglich sein, von der bisherigen<br />

Verpflichtung zur täglichen Rücknahme der Fondsanteile abzuweichen.<br />

Stattdessen soll mit Anlegern vereinbart werden können, dass<br />

Anteile nur noch einmal im Monat zurückgenommen werden.<br />

Verbesserung des Corporate Governance: Künftig soll ein<br />

unabhängiger Anlegervertreter in den Aufsichtsrat von Aktiengesellschaften<br />

bestellt werden. Außerdem sollen einige Vorgaben<br />

zur Auswahl von konzernfremden Depotbanken geschaffen<br />

werden. Des Weiteren wird zum Schutz nationaler Anleger die<br />

Beschränkung der Kostenvorausbelastung auf richtlinienkonforme<br />

ausländische Investmentfonds erstreckt.<br />

Mit der Novelle des Investmentgesetzes sollen rund 19 Gesetze<br />

geändert werden, darunter das Handelsgesetzbuch, das Börsengesetz,<br />

das Kreditwesengesetz, das Wertpapierhandelsgesetz<br />

und das Versicherungsaufsichtsgesetz.<br />

Linkhinweis:<br />

- Den auf den Webseiten des BMF veröffentlichten Gesetzentwurf<br />

finden Sie hier.<br />

Abberufenen GmbH-Geschäftsführern kann<br />

trotz Geltung des KSchG ohne soziale<br />

Rechtfertigung gekündigt werden<br />

OLG Hamm 20.11.2006, 8 U 217/05<br />

Einem durch Gesellschafterbeschluss abberufenen GmbH-<br />

Geschäftsführer kann selbst dann fristgemäß ordentlich gekündigt<br />

werden, wenn im Anstellungsvertrag die Geltung des Kündigungsschutzgesetzes<br />

(KSchG) vereinbart wurde. Der Verlust<br />

des Geschäftsführeramts stellt in diesem Fall einen personenbedingten<br />

Kündigungsgrund im Sinn des § 1 Abs.2 KSchG dar,<br />

ohne dass die Kündigung einer weitergehenden sozialen Rechtfertigung<br />

bedarf.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Kläger war als Geschäftsführer der beklagten X. GmbH mit<br />

Gesellschafterbeschluss vom 31.3.2005 abberufen worden. Daraufhin<br />

hatte die Beklagte am 1.4.2005 den mit ihm geschlossenen<br />

Geschäftsführeranstellungsvertrag gekündigt.<br />

Der Kläger wandte sich gegen die Kündigung und trug vor,<br />

dass er trotz seiner Abberufung als Geschäftsführer nicht ohne<br />

weiteres hätte gekündigt werden können, weil in § 11 Nr.8 des<br />

Geschäftsführeranstellungsvertrags die Geltung des Kündigungsschutzgesetzes<br />

vereinbart worden sei. Damit habe ihm die<br />

Beklagte nicht ohne eine vorherige Sozialauswahl kündigen dürfen.<br />

Demgegenüber trug die Beklagte vor, dass in dem Anstellungsvertrag<br />

auch geregelt sei, dass die Abberufung zugleich als<br />

ordentliche Kündigung gelte. Eine vorherige Sozialauswahl sei<br />

daher nicht notwendig gewesen.<br />

Die gegen die Kündigung und auf Feststellung des Fortbestehens<br />

des Anstellungsverhältnisses gerichtete Klage hatte keinen<br />

Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Durch die gemäß § 38 Abs.1 GmbHG wirksame Abberufung des<br />

Klägers als Geschäftsführer mit dem Gesellschafterbeschluss<br />

vom 31.3.2005 und durch die nachfolgende schriftliche Kündigung<br />

vom 1.4.2005 wurde das Anstellungsverhältnis des Klägers<br />

beendet.<br />

Entgegen der Auffassung des Klägers durfte die Beklagte sein<br />

Anstellungsverhältnis ohne vorherige Sozialauswahl kündigen.<br />

Angesichts der rechtlichen Trennung zwischen Organ- und<br />

Anstellungsverhältnis kann – wie hier geschehen - im Anstellungsvertrag<br />

festgelegt werden, dass die Abberufung zugleich<br />

als ordentliche Kündigung gilt (so genannte Koppelungsklausel).<br />

Da für die ordentliche Kündigung die Fristen des § 622 BGB<br />

gelten, sind derartige Koppelungsklauseln nur mit der Maßgabe<br />

wirksam, dass die Kündigung nicht sofort wirkt, sondern nur mit<br />

einer § 622 BGB entsprechenden Frist. Diese Voraussetzung ist<br />

vorliegend erfüllt, weil die Beklagte die Kündigung unter Einhaltung<br />

dieser gesetzlichen Kündigungsfrist ausgesprochen hat.<br />

Die Beklagte musste auch keine Sozialauswahl durchführen.<br />

Zwar war in dem Anstellungsvertrag die Geltung des Kündigungsschutzgesetzes<br />

vereinbart worden. Der Verlust der Organstellung<br />

des Klägers stellt aber einen personenbedingten Kündigungsgrund<br />

im Sinn des § 1 Abs.2 KSchG dar, so dass die<br />

Kündigung keiner weitergehenden sozialen Rechtfertigung<br />

bedurfte.<br />

Linkhinweis:<br />

- Für die in der Rechtssprechungsdatenbank NRW veröffentlichte<br />

Entscheidung klicken Sie bitte hier.<br />

Bankrecht<br />

Europäisches Parlament verabschiedet<br />

Richtlinie über Zahlungsdienste<br />

Das Europäische Parlament hat am 24.4.2007 den Vorschlag für<br />

eine Richtlinie über Zahlungsdienste (Payment Services Direktive,<br />

PSD) verabschiedet. Ziel der Richtlinie ist es, dass grenzüberschreitende<br />

Zahlungen künftig so einfach, billig, und sicher werden<br />

wie Zahlungen innerhalb eines Mitgliedstaats. Das gilt insbesondere<br />

für Überweisungen, Lastschriften und Kartenzahlungen. Die<br />

Richtlinie wird nun dem EU-Rat zur endgültigen Verabschiedung<br />

vorgelegt und muss dann spätestens bis zum 1.11.2009 von den<br />

Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden.<br />

Weitere Ziele der Richtlinie:<br />

Mit der Richtlinie soll gleichzeitig auch eine Rechtsgrundlage<br />

für den einheitlichen Europäischen Zahlungsverkehrsraum (Single<br />

Euro Payments Area, SEPA) geschaffen werden. Außerdem<br />

sollen die Neuregelungen die Rechte und den Schutz aller Nutzer<br />

von Zahlungsdienstleistungen (Verbraucher, Unternehmen<br />

und öffentliche Stellen) verbessern. Weiteres Ziel ist es, dass die<br />

Zahlungsmärkte durch die Verbesserung des Wettbewerbs effizienter<br />

und kostengünstiger werden.<br />

09/2007 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 9


Stellungnahme von EZB und Kommission:<br />

Die Europäische Zentralbank (EZB) und die Europäische Kommission<br />

haben die Verabschiedung der Richtlinie begrüßt. Hierin<br />

liege ein entscheidender Schritt zur Verwirklichung des einheitlichen<br />

Europäischen Zahlungsverkehrsraums (SEPA). Die<br />

Richtlinie erleichtere durch die Harmonisierung des geltenden<br />

Rechtsrahmens die Umsetzung der SEPA-Instrumente durch den<br />

Bankensektor sowie ihre Annahme durch die Endnutzer erheblich<br />

und bilde somit die Grundlage für einen einheitlichen Markt<br />

für Euro-Zahlungen.<br />

Linkhinweise:<br />

Auf den Webseiten der EU-Kommission finden Sie weiterführende<br />

Informationen zum Thema:<br />

- Materialien zur Richtlinie über Zahlungsdienste<br />

- Memo zur Richtlinie über Zahlungsdienste (englisch)<br />

- Gemeinsame Pressemitteilung zum Thema von der EZB<br />

und der EU-Kommission vom 4.5.2006<br />

Wettbewerbsrecht<br />

und Gewerblicher<br />

Rechtsschutz<br />

Bundesregierung will Rechte des geistigen<br />

Eigentums besser sichern<br />

Die Bundesregierung hat am 25.4.2007 einen Gesetzentwurf<br />

(BT.-DRs.: 16/5048) vorgelegt, der den Schutz des geistigen<br />

Eigentums verbessern und die Rechteinhaber beim Kampf gegen<br />

die Produktpiraterie unterstützen soll. Der Gesetzentwurf sieht<br />

unter anderem eine Regelung über Abmahnungen nach urheberrechtlichen<br />

Rechtsverletzungen vor. Daneben soll das innerstaatliche<br />

Recht an die Grenzbeschlagnahmeverordnung sowie<br />

an die Verordnung zum Schutz von geografischen Angaben und<br />

Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel<br />

den europäischen Vorgaben angepasst werden.<br />

Der Bundesrat hat den Gesetzentwurf in einer ersten Stellungnahme<br />

begrüßt, aber auch Bedenken geäußert, ob das Ziel der<br />

EU-Richtlinien hiermit erreicht werden könne. Ferner sei fraglich,<br />

ob die Rechteinhaber ihre Rechte hinreichend effektiv<br />

durchsetzen können. Dies sei insbesondere im Hinblick auf den<br />

im Gesetzentwurf vorgesehen Richtervorbehalt beim Auskunftsanspruch<br />

gegenüber Dritten problematisch.<br />

Linkhinweis:<br />

- Für den auf den Webseiten des Bundestags veröffentlichten<br />

Gesetzentwurf klicken Sie bitte hier.<br />

Banken dürfen Zinshöhe für Festgeldanlagen<br />

vom Ergebnis eines Fußballturniers<br />

abhängig machen<br />

BGH 19.4.2007, I ZR 57/05<br />

Banken dürfen die Höhe der Zinsen für eine Festgeldanlage vom<br />

Ergebnis eines Fußballturniers (hier: Fußball-Europameisterschaft<br />

2004) abhängig machen. Dies stellt kein wettbewerbswidriges<br />

Gewinnspiel dar, weil § 4 Nr.6 UWG lediglich Fälle erfasst, in<br />

denen die Teilnahme an einem Gewinnspiel von einem Umsatzgeschäft<br />

abhängig gemacht wird. Die Vorschrift setzt damit ein von<br />

dem Umsatzgeschäft getrenntes Gewinnspiel voraus.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die beklagte Postbank hatte im Juni 2004 vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft<br />

in Portugal unter der Überschrift „Postbank<br />

Bonus Volltreffer. Jetzt auf die Nationalelf setzen!“ für eine<br />

Festgeldanlage geworben, bei der die Anleger neben einer garantierten<br />

Basisverzinsung von 2,3 bis 1,5 Prozent einen zusätzlichen<br />

Zinsbonus „von bis zu 150 Prozent“ erzielen konnten.<br />

Der Zinsbonus war gestaffelt nach dem jeweiligen Abschneiden<br />

der Fußball-Nationalmannschaft. Der garantierte Basiszinssatz<br />

sollte sich bei Erreichen des Viertelfinales um 25 Prozent, des<br />

Halbfinales um 50 Prozent, des Finales um 75 Prozent und im<br />

Falle des Titelgewinns um 150 Prozent erhöhen. Wäre die deutsche<br />

Mannschaft Europameister geworden, hätte der Zinssatz<br />

3,75 Prozent betragen.<br />

Der Kläger ist ein Wettbewerbsverband. Er hielt das Angebot der<br />

Beklagten für ein wettbewerbswidriges Gewinnspiel. Nach §§ 3, 4<br />

Nr.6 UWG dürfe die Teilnahme von Verbrauchern an einem Preisausschreiben<br />

oder Gewinnspiel nicht vom Erwerb einer Ware oder<br />

von der Inanspruchnahme einer Dienstleistung abhängig gemacht<br />

werden. Die Unterlassungsklage hatte keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Das Angebot der Beklagten stellt kein wettbewerbswidriges<br />

Gewinnspiel dar. § 4 Nr.6 UWG erfasst lediglich Fälle, in denen<br />

die Teilnahme an einem Gewinnspiel von einem Umsatzgeschäft<br />

abhängig gemacht wird. Die Vorschrift setzt damit ein von dem<br />

Umsatzgeschäft getrenntes Gewinnspiel voraus.<br />

Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt, weil die Beklagte<br />

ihren Kunden nicht die Teilnahme an der Verlosung von Geld-<br />

oder Sachpreisen versprochen hat. Sie hat die Höhe der Zinsen<br />

auf die Festgeldanlage vielmehr von dem unsicheren Ausgang<br />

eines Sportereignisses abhängig gemacht. Damit sollte das<br />

Umsatzgeschäft unmittelbar von dem Spielelement beeinflusst<br />

werden. Ein vom Umsatzgeschäft getrenntes Gewinnspiel liegt<br />

folglich nicht vor.<br />

Die Werbung stellt auch keine nach § 4 Nr.1 UWG verbotene<br />

unsachliche Beeinflussung der Verbraucher dar.<br />

Internet-Auktionshäuser können zur Unterlassung<br />

von Markenverletzungen verpflichtet<br />

sein<br />

BGH 19.4.2007, I ZR 35/04<br />

Werden gefälschte Waren (hier: „ROLEX“-Uhren ) in Internet-<br />

Auktionshäusern (hier: eBay) angeboten, kann das Internet-Auktionshaus<br />

dazu verpflichtet sein, nicht nur das konkrete Angebot<br />

09/2007 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 10


unverzüglich zu sperren, sondern grundsätzlich auch Vorsorge dafür<br />

zu treffen, dass es nicht zu weiteren Markenverletzungen kommt.<br />

Dies setzt voraus, dass das Internet-Auktionshaus vom Markeninhaber<br />

auf die Fälschungen hingewiesen worden ist, bei denen es<br />

sich um eindeutig erkennbare Markenverletzungen handelt.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Klägerin ist Inhaberin der Gemeinschaftsmarke und der<br />

nationalen Marke „ROLEX“. Die Beklagte betreibt das Internet-Auktionshaus<br />

eBay. Hier werden Angebote von Nutzern ins<br />

Internet gestellt, ohne dass die Beklagte zuvor Kenntnis von diesen<br />

Angeboten hat. Im Zeitraum von 2000 bis 2001 waren auf<br />

der Internetplattform der Beklagten zahlreiche Uhren mit einem<br />

„ROLEX“-Emblem verkauft worden, bei denen es sich zum<br />

größten Teil um Fälschungen gehandelt hat. Die Klägerin verlangte<br />

von der Beklagten das Angebot solcher Uhren im Internet<br />

zu unterlassen.<br />

LG und OLG wiesen die hierauf gerichtete Klage ab, weil die<br />

Beklagte für das Angebot der Uhren nicht verantwortlich sei.<br />

Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Urteil auf und<br />

wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an<br />

das OLG zurück.<br />

Die Gründe:<br />

Die Klägerin kann gegen die Beklagte einen Unterlassungsanspruch<br />

haben. Die Beklagte kann sich insbesondere nicht auf<br />

das im Telemediengesetz geregelte Haftungsprivileg für Host-<br />

Provider berufen. Dieses Privileg betrifft nur die strafrechtliche<br />

Verantwortlichkeit und die Haftung des Providers auf Schadensersatz.<br />

Unterlassungsansprüche sind hiervon jedoch nicht<br />

erfasst. Daher kommt eine Haftung der Beklagten als Störerin<br />

in Betracht, weil sie es den Anbietern ermöglicht hat, gefälschte<br />

Uhren auf ihrer Internetplattform anzubieten.<br />

Ein Unterlassungsanspruch der Klägerin würde voraussetzen,<br />

dass die Anbieter der gefälschten Uhren im geschäftlichen Verkehr<br />

gehandelt haben, weil nur dann eine Markenverletzung vorliegt.<br />

Wird die Beklagte von einem Markeninhaber auf eine klar<br />

erkennbare Rechtsverletzung hingewiesen muss sie nicht nur das<br />

konkrete Angebot unverzüglich sperren, sondern grundsätzlich<br />

auch Vorsorge dafür treffen, dass es nicht zu weiteren entsprechenden<br />

Markenverletzungen kommt.<br />

Insofern dürfen der Beklagten keine unzumutbaren Prüfungspflichten<br />

auferlegt werden, die das gesamte Geschäftsmodell<br />

in Frage stellen würden. Die Beklagte ist jedoch verpflichtet,<br />

technisch mögliche und ihr zumutbare Maßnahmen zu ergreifen,<br />

damit gefälschte „ROLEX“-Uhren gar nicht erst im Internet<br />

angeboten werden können.<br />

Das OLG muss nun klären, ob es sich in den Fällen, in denen die<br />

Beklagte auf Fälschungen hingewiesen worden ist, um eindeutig<br />

erkennbare Markenverletzungen gehandelt hat.<br />

Zwangsvollstreckung und<br />

Insolvenz<br />

Zur Erhöhung der Vergütung eines Insolvenzverwalters<br />

bei nachträglichem Bekanntwerden<br />

einer Erbschaft des Schuldners<br />

BGH 1.3.2007, IX ZB 280/05<br />

Insolvenzverwalter haben nicht unbedingt einen Anspruch auf<br />

eine höhere Vergütung, wenn nach Einreichen des Insolvenz-<br />

Schlussberichts bekannt wird, dass der zunächst vermögenslose<br />

Schuldner während des laufenden Insolvenzverfahrens eine Erbschaft<br />

gemacht hat, welche die Summe der Insolvenzforderungen<br />

um ein Vielfaches übersteigt. Hieraus folgt nicht ohne weiteres,<br />

dass der Arbeitsaufwand des Insolvenzverwalters in Folge<br />

der Erbschaft höher gewesen wäre als bei einem üblichen Verfahren<br />

mit einem von vorneherein vorhandenen Massewert.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Beschwerdeführer war zum Insolvenzverwalter über das Vermögen<br />

des Schuldners S. bestellt worden. Im Januar 2004 reichte<br />

er beim Insolvenzgericht den Schlussbericht ein und teilte mit,<br />

dass das Verfahren abschlussreif sei. Im Schlussbericht wies er<br />

darauf hin, dass die Summe der anerkannten angemeldeten Forderungen<br />

rund 84.000 Euro betrage und die Masse bei null Euro<br />

liege. Der Beschwerdeführer beantragte daher, die Mindestvergütung<br />

von 500 Euro zuzüglich Auslagen und Umsatzsteuer, zusammen<br />

667 Euro festzusetzen.<br />

In der Folgezeit erfuhr der Beschwerdeführer, dass der Vater von<br />

S. im Dezember 2003 verstorben war und ihm 758.000 Euro vererbt<br />

hatte. Aus diesem Grund verlangte der Beschwerdeführer die<br />

Festsetzung einer Vergütung in Höhe von insgesamt 53.500 Euro.<br />

Das Insolvenzgericht setzte die Vergütung des Beschwerdeführers<br />

neu fest, indem es eine Insolvenzmasse von 758.000 Euro<br />

berücksichtigte. Hieraus ergab sich ein Regelvergütung in Höhe<br />

von 43.000 Euro, die es allerdings gemäß § 3 Abs.1 InsVV auf<br />

rund 17.000 Euro kürzte, weil der Beschwerdeführer keinen<br />

erhöhten Arbeitsaufwand mit der Sache gehabt habe. Die hiergegen<br />

gerichtete Rechtsmittel hatten keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Der Beschwerdeführer kann keine Vergütung in Höhe von 53.500<br />

Euro verlangen. Die Festsetzung der Vergütung auf 17.000 Euro<br />

ist nicht zu beanstanden.<br />

Gemäß § 35 InsO gehört das vom Insolvenzschuldner während<br />

des Insolvenzverfahrens erworbene Vermögen zur Insolvenzmasse.<br />

Die 758.000 Euro, die S. während des noch laufenden<br />

Insolvenzverfahrens im Dezember 2003 als Erbschaft erhalten<br />

hatte, zählen daher zur Insolvenzmasse. Das Erbe ist somit in die<br />

Bemessungsgrundlage für die Vergütung des Beschwerdeführers<br />

einzubeziehen.<br />

Die auf dieser Grundlage errechnete Vergütung in Höhe von<br />

43.000 Euro haben die Vorinstanzen allerdings zu Recht gemäß<br />

§ 3 Abs.1 InsVV auf rund 17.000 Euro gekürzt. Der Beschwerdeführer<br />

hat nicht hinreichend dargelegt, dass sein Arbeitsaufwand<br />

in Folge der Erbschaft höher gewesen wäre als bei einem<br />

üblichen Verfahren mit einem von vorneherein vorhandenen<br />

Massewert von 758.000 Euro.<br />

09/2007 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 11


Linkhinweis:<br />

- Für die auf den Webseiten des BGH veröffentlichte Entscheidung<br />

klicken Sie bitte hier.<br />

Gebühren und Kosten<br />

Unternehmen hat eigene Rechtsabteilung:<br />

Die Terminreisekosten der eingeschalteten<br />

„Hauskanzlei“ können trotzdem erstattungsfähig<br />

sein<br />

KG Berlin 16.3.2007, 1 W 276/06<br />

Unternehmen, die sich in allen Patentstreitigkeiten regelmäßig<br />

von ihrer an einem anderen Ort ansässigen „Hauskanzlei“ vertreten<br />

lassen, können die Erstattung von den Terminreisekosten der<br />

Anwälte zu einem auswärtigen Gerichtstermin verlangen. Dies<br />

gilt selbst dann, wenn das Unternehmen über eine eigene Rechtsabteilung<br />

verfügt.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Antragstellerin lässt sich in allen Fragen des gewerblichen<br />

Rechtsschutzes von den einer in M. ansässigen Rechtsanwaltskanzlei<br />

vertreten. Als es zwischen ihr und einem konkurrierenden Unternehmen<br />

zu einem Patentstreit kam, beauftragte die Antragstellerin,<br />

die auch über eine eigene Rechtsabteilung verfügt, wieder die<br />

Rechtsanwaltskanzlei in M. mit der Vertretung ihrer Interessen.<br />

Weil der Prozess in B. stattfand, machte die Antragstellerin Terminreisekosten<br />

für die aus M. angereisten Anwälte geltend. Die<br />

Rechtspflegerin kam diesem Begehren nicht nach, weil sie diese<br />

Kosten für nicht notwendig hielt. Es sei der Antragstellerin<br />

zumutbar gewesen, ihre eigene Rechtsabteilung mit der Sache zu<br />

beauftragen. Deren Mitarbeiter seien auch mit der Sache befasst<br />

gewesen und hätten einen in B. ansässigen <strong>Anwalt</strong> mit der Sache<br />

fernmündlich beauftragen können. Das hiergegen gerichtete<br />

Rechtsmittel der Antragstellerin hatte Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Antragstellerin kann die Festsetzung der Terminreisekosten<br />

für die von ihr beauftragten Anwälte der Kanzlei in M. verlangen.<br />

Entgegen der Auffassung der Rechtspflegerin musste die<br />

Klägerin nicht ihre eigene Rechtsabteilung mit der Sache beauftragen,<br />

damit diese einen in B. ansässigen Rechtsanwalt mit der<br />

Sache betrauen.<br />

Die Notwendigkeit der Beauftragung der Kanzlei in M. ergab sich<br />

aus einer betriebsorganisatorischen Entscheidung der Antragstellerin,<br />

die Kanzlei regelmäßig und bundesweit mit der Vertretung in<br />

Angelegenheiten des gewerblichen Rechtsschutzes zu beauftragen.<br />

Liegt eine solche betriebsorganisatorische Entscheidung vor, ist<br />

das sonst erforderliche persönliche Mandantengespräch zur Herstellung<br />

eines Vertrauensverhältnisses nicht mehr erforderlich.<br />

Dies hat auch der BGH mit Urteil vom 28.6.2006 (Az.: IV ZB<br />

44/05) im Fall eines bundesweit tätigen Versicherungsunternehmens<br />

entschieden, das sich regelmäßig von seinem „Hausanwalt“<br />

vertreten ließ. Der BGH hat hierzu ausgeführt, dass die<br />

gewählte Organisationsform von dem berechtigten Interesse des<br />

Unternehmens getragen werde, sich durch den Rechtsanwalt seines<br />

Vertrauens vertreten zu lassen. Dieses Interesse sei ebenso<br />

wichtig wie ein etwaiges Interesse am persönlichen Kontakt zu<br />

dem Mandanten. Die vom BGH aufgestellten Grundsätze gelten<br />

auch, wenn – wie hier – ein ständiger patentrechtlicher Berater<br />

beauftragt worden ist.<br />

Auf die etwaigen Rechtskenntnisse der hauseigenen Rechtsabteilung<br />

der Antragstellerin kommt es dabei nicht an. Denn die<br />

Beauftragung der Kanzlei in M. beruhte auf der sachlich begründeten<br />

Entscheidung der Antragstellerin, die Wahrnehmung ihrer<br />

Interessen in Patentstreitigkeiten einheitlich in die Hände der<br />

Rechts- und Patentanwälte der Kanzlei in M. zu legen.<br />

Linkhinweis:<br />

- Für die auf den Webseiten des BGH veröffentlichte Entscheidung<br />

des BGH vom 28.6.2006 klicken Sie bitte hier.<br />

Berufsrecht<br />

Neuregelung der Telefonüberwachung:<br />

BStBK kritisiert geplante Einschränkung<br />

des Zeugnisverweigerungsrechts von Steuerberatern<br />

Die Bundessteuerberaterkammer (BStBK) hat sich am 19.4.2007<br />

gegen die vom Bundeskabinett im Rahmen des Gesetzentwurfs<br />

zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung beschlossene<br />

Einschränkung des Zeugnisverweigerungsrechts gewandt.<br />

Diese greift nach Auffassung der BStBK massiv in das Vertrauensverhältnis<br />

zwischen Steuerberatern und ihren Klienten ein und<br />

begegnet erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken.<br />

Neuregelung sieht unterschiedlichen Schutz von Berufsgeheimnisträgern<br />

vor<br />

Die geplante Neuregelung differenziert zwischen dem Vertrauensverhältnis<br />

zu Seelsorgern, Strafverteidigern und Abgeordneten,<br />

das durch umfassende Erhebungs- und Verwertungsverbote<br />

besonders geschützt werden soll, und dem Vertrauensverhältnis<br />

zu den übrigen Berufsgeheimnisträgern (insbesondere Rechtsanwälte,<br />

Steuerberater, Ärzte und Journalisten). Letztere sollen nach<br />

einer sorgfältigen Verhältnismäßigkeitsabwägung im Einzelfall in<br />

verdeckte Ermittlungsmaßnahmen einbezogen werden dürfen.<br />

BStBK befürchtet Aushöhlung des Zeugnisverweigerungsrecht<br />

Die BStBK befürchtet, dass Steuerberater künftig über die ihnen<br />

anvertrauten oder bei der Berufsausübung bekannt gewordenen<br />

Tatsachen grundsätzlich Auskunft geben müssen. Hierdurch<br />

werde das Vertrauensverhältnis zwischen Steuerberatern<br />

und ihren Klienten massiv ausgehöhlt. Außerdem begegne die<br />

geplante Neuregelung verfassungsrechtlichen Bedenken, da<br />

die Schweigepflicht nach der Rechtsprechung des BVerfG zum<br />

anwaltlichen Berufs- und Standesrecht zu den für die Aufrechterhaltung<br />

einer funktionsfähigen Rechtspflege unerlässlichen<br />

Berufspflichten gehöre.<br />

Unzulässiges Zwei-Klassensystem beim Schutz von Berufsgeheimnisträgern?<br />

Die BStBK bemängelt außerdem, dass der Gesetzgeber Seelsorger,<br />

Strafverteidiger und Parlamentarier von den neuen Einschränkungen<br />

des Zeugnisverweigerungsrechts ausnehmen wolle. Hiermit<br />

würden unzulässigerweise zeugnisverweigerungsberechtigte<br />

Personen „erster“ und „zweiter Klasse“ geschaffen.<br />

09/2007 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 12


BStBK lobt Pläne für eine bessere Strafverfolgung bei<br />

Umsatzsteuerbetrug<br />

Die ebenfalls beschlossene Abschaffung des umstrittenen § 370a<br />

AO ist dagegen bei der BStBK auf Lob und Zustimmung gestoßen.<br />

Der Gesetzgeber habe damit einer wiederholt vorgetragenen<br />

Forderung der BStBK entsprochen. Künftig soll die bandenmäßige<br />

Umsatzsteuerhinterziehung als besondere Begehungsform<br />

der schweren Steuerhinterziehung in § 370 AO geregelt werden.<br />

Nach Auffassung der BStBK trage die Neuregelung verfassungsrechtlichen<br />

Bedenken gegen die Bestimmtheit des § 370a AO<br />

Rechnung. Gleichzeitig würden die Strafverfolgungsmöglichkeiten<br />

bei Umsatzsteuerbetrug wesentlich verbessert.<br />

Linkhinweis:<br />

Für den auf den Webseiten des Bundesjustizministeriums<br />

(BMJ) veröffentlichten Regierungsentwurf zur Neuregelung<br />

der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter<br />

Ermittlungsmaßnahmen klicken Sie bitte hier (PDF-Datei).<br />

Verwaltungs- und<br />

Verfassungsrecht<br />

Unternehmen baut kein UMTS-Netz auf:<br />

Bundesnetzagentur darf UMTS-Lizenz<br />

widerrufen<br />

VG Köln 25.4.2007, 21 K 3675/05<br />

Die Bundesnetzagentur darf Telekommunikationsunternehmen,<br />

die UMTS-Lizenzen ersteigert haben, diese Lizenz wieder entziehen,<br />

wenn die Unternehmen nicht die an den Erwerb der<br />

Lizenz geknüpfte Bedingung erfüllen, dass sie ein UMTS-Netz<br />

aufbauen. In einem solchen Fall können die Unternehmen regelmäßig<br />

auch nicht den Zuschlagspreis zurückfordern.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Klägerin hatte im Jahr 2000 für rund 8,5 Milliarden Euro eine<br />

UMTS-Lizenz ersteigert. Der Erwerb der Lizenz war mit der Bedingung<br />

verknüpft, dass deren Inhaber ein UMTS-Netz aufbaut, mit<br />

dem bis zum 31.12.2003 mindestens 25 Prozent der Bevölkerung<br />

versorgt werden kann. Nachdem die beklagte Bundesnetzagentur<br />

(früher: Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post)<br />

festgestellt hatte, dass die Klägerin diese Voraussetzung nicht erfüllt<br />

hatte, widerrief sie die UMTS-Lizenz.<br />

Die hiergegen gerichtete Klage der Klägerin, mit der sie auch erreichen<br />

wollte, dass ihr der Zuschlagspreis von 8,5 Milliarden Euro<br />

zurückgezahlt wird, hatte keinen Erfolg. Das VG ließ allerdings die<br />

Berufung zu.<br />

Die Gründe:<br />

Die Beklagte durfte die Lizenz der Klägerin widerrufen, weil<br />

diese die an den Erwerb geknüpfte Bedingung zum Aufbau eines<br />

UMTS-Netzes nicht erfüllt hat. Die Klägerin kann auch keine<br />

Erstattung des Zuschlagspreises verlangen. Insofern hat sie es<br />

selbst zu vertreten, dass sie in Kenntnis der Bedingung kein Netz<br />

aufgebaut hat. Des Weiteren sind die Zuschlags- und Zahlungsbescheide<br />

der Beklagte rechtskräftig, weil die Klägerin sie nicht<br />

fristgerecht angefochten hat.<br />

Einführung von Ethikunterricht an Berliner<br />

Schulen ist verfassungsgemäß<br />

BVerfG 15.3.2007, 1 BvR 2780/06<br />

Die im Land Berlin mit Wirkung für das Schuljahr 2006/2007<br />

erfolgte Einführung eines verbindlichen Ethikunterrichts ohne<br />

Abmeldemöglichkeit an den öffentlichen Schulen ist verfassungsgemäß.<br />

Hierin liegt weder eine Verletzung der Religionsfreiheit<br />

der Schüler noch des Erziehungsrechts ihrer Eltern, da<br />

die Schüler weiterhin - freiwillig und zusätzlich zum Ethikunterricht<br />

- am Religionsunterricht teilnehmen können.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Bei den Beschwerdeführern handelt es sich um ein 13-jähriges<br />

Mädchen, das in Berlin eine öffentliche Schule besucht, und<br />

ihre Eltern. Sie hielten die in Berlin mit Wirkung zum Schuljahr<br />

2006/2007 erfolgte Einführung des Ethikunterrichts als Pflichtfach<br />

und die daneben nur freiwillig bestehende Möglichkeit zur<br />

Teilnahme am Religionsunterricht für verfassungswidrig.<br />

Die Beschwerdeführer wandten sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde<br />

zunächst unmittelbar gegen die entsprechenden<br />

Vorschriften des Berliner Schulgesetzes. Nachdem diese Verfassungsbeschwerde<br />

als unzulässig abgewiesen worden war,<br />

beantragten sie bei der Berliner Schulverwaltung die Befreiung<br />

des Mädchens vom Ethikunterricht und begründeten dies<br />

mit religiösen Erwägungen und Gewissensbedenken. Gleichzeitig<br />

stellten sie beim VG einen Eilantrag auf Freistellung vom<br />

Besuch des Ethikunterrichts.<br />

Sowohl die Schulverwaltung als auch das VG wiesen das Begehren<br />

der Beschwerdeführer zurück. Ihre daraufhin erneut erhobene<br />

Verfassungsbeschwerde nahm das BVerfG nicht zur Entscheidung<br />

an.<br />

Die Gründe:<br />

Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die<br />

Einführung eines Ethikunterrichts ohne Abmeldemöglichkeit an<br />

Berliner Schulen. Hierdurch wird weder die Religionsfreiheit<br />

der Schüler noch das Erziehungsrecht ihrer Eltern verletzt.<br />

Der für alle Schüler verpflichtende Ethikunterrichtet verfolgt die<br />

legitimen Ziele, Minderheiten zu integrieren und die Fähigkeiten<br />

der Schüler zur Toleranz sowie zum Dialog mit Anhängern der<br />

verschiedenen Religionen und Weltanschauungen zu fördern.<br />

Außerdem soll den Schülern hierdurch eine gemeinsame Wertebasis<br />

vermittelt werden. Das Land Berlin durfte davon ausgehen,<br />

dass diesen Anliegen bei einem nach den jeweiligen Glaubensrichtungen<br />

getrennt erteilten Religionsunterricht nicht in<br />

gleicher Weise Rechnung getragen werden kann wie durch einen<br />

gemeinsamen Pflicht-Ethikunterricht.<br />

Die verpflichtende Einführung von Ethikunterricht führt auch nicht<br />

dazu, dass Schülern die beabsichtigte Teilnahme am Religionsunterricht<br />

in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise erschwert wird.<br />

Denn die zusätzliche Teilnahme am Religionsunterricht führt nur<br />

zu einer geringfügigen zeitlichen Mehrbelastung.<br />

Linkhinweis:<br />

- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />

BVerfG veröffentlicht.<br />

- Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />

09/2007 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 13


Altersgrenze für öffentlich bestellte Sachverständige<br />

von 68 Jahren verstößt nicht<br />

gegen das AGG<br />

VG Mainz 21.3.2007, 6 L 149/07.MZ<br />

Eine Altersgrenze für öffentlich bestellte Sachverständige von<br />

68 Jahren verstößt nicht gegen das Verbot der Diskriminierung<br />

wegen des Alters gemäß § 1 AGG. Es ist schon fraglich, ob das<br />

AGG in diesem Fall überhaupt anwendbar ist. Jedenfalls ist die<br />

Altersgrenze aber gerechtfertigt. Sie dient dem legitimen Ziel,<br />

die mit der öffentlichen Bestellung verbundene besondere Qualifikation<br />

denjenigen vorzubehalten, die die diesbezüglichen<br />

Anforderungen in körperlicher und geistiger Hinsicht voraussichtlich<br />

erfüllen können.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Antragsteller war von der IHK Rheinhessen als Sachverständiger<br />

öffentlich bestellt worden. Nach der Sachverständigenverordnung<br />

der IHK erlischt die öffentliche Bestellung grundsätzlich<br />

mit Vollendung des 68. Lebensjahrs, kann allerdings<br />

einmalig um zwei Jahre verlängert werden. Von dieser Ausnahmeregelung<br />

profitierte auch der Antragsteller, dessen öffentliche<br />

Bestellung bis zur Vollendung des 70. Lebensjahrs verlängert<br />

wurde. Seinen Antrag auf eine weitere Verlängerung lehnte die<br />

IHK jedoch ab.<br />

Mit seinem hiergegen gerichteten Antrag machte der Antragsteller<br />

geltend, dass die Ablehnung gegen das AGG verstoße.<br />

Hiernach dürfe die IHK eine Verlängerung der öffentlichen<br />

Bestellung nicht allein wegen seines Alters ablehnen, zumal er<br />

körperlich und geistig fit sei. Der Antrag hatte vor dem VG keinen<br />

Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verlängerung seiner öffentlichen<br />

Bestellung als Sachverständiger.<br />

Es ist schon fraglich, ob das AGG im Streitfall überhaupt Anwendung<br />

findet, da es nach § 2 Abs.1 Nr.1 AGG lediglich Benachteiligungen<br />

in Bezug auf eine unselbständige oder selbstständige<br />

Erwerbstätigkeit verbietet. Öffentlich bestellte Sachverständige<br />

üben keine unselbständige Tätigkeit aus. Es ist auch zweifelhaft,<br />

ob hierin eine eigenständige selbständige Tätigkeit zu sehen ist.<br />

Denn die öffentliche Bestellung schafft keine neue, zusätzliche<br />

Betätigungsmöglichkeit gegenüber der des freien Sachverständigen,<br />

sondern beinhaltet lediglich eine Zusatzqualifikation, die<br />

den Sachverständigen-Aussagen einen erhöhten Wert verleihen.<br />

Eine etwaige Ungleichbehandlung wegen des Alters ist jedenfalls<br />

gerechtfertigt. Sie dient dem legitimen Ziel, die mit der öffentlichen<br />

Bestellung verbundene besondere Qualifikation denjenigen<br />

vorzubehalten, die die diesbezüglichen Anforderungen in körperlicher<br />

und geistiger Hinsicht voraussichtlich erfüllen können.<br />

Es ist insoweit nicht zu beanstanden, dass die Sachverständigenordnung<br />

der IHK typisierend davon ausgeht, dass die Leistungsfähigkeit<br />

von Berufstätigen ab Vollendung des 70. Lebensjahrs<br />

durchschnittlich abnimmt. Daher kommt es im Streitfall nicht<br />

auf die individuelle Leistungsfähigkeit des Antragstellers an.<br />

Strafrecht und OWi<br />

Bundeskabinett beschließt Neuregelung der<br />

Telefonüberwachung – BRAK und DAV kritisieren<br />

den Gesetzentwurf<br />

Das Bundeskabinett hat am 18.4.2007 einen Gesetzentwurf zur<br />

Neuregelung der Telefonüberwachung und anderer verdeckter<br />

Ermittlungsmaßnahmen beschlossen. Danach soll unter anderem<br />

die Vorratsspeicherung entsprechend den Vorgaben einer EU-<br />

Richtlinie neu geregelt werden. Vorgesehen ist eine verdachtsunabhängige<br />

sechsmonatige Speicherung aller Telefon- und<br />

Internet- und E-Mail-Verbindungsdaten. Bundesrechtsanwaltskammer<br />

(BRAK) und Deutscher <strong>Anwalt</strong>sverein (DAV) lehnen<br />

den Entwurf als zu weitgehend ab.<br />

Die wesentlichen Inhalte des Gesetzentwurfs im Überblick:<br />

Neuregelung der Vorratsspeicherung: Sämtliche Telefon-,<br />

Internet- und E-Mail-Verbindungsdaten sollen ein halbes Jahr<br />

lang gespeichert werden können. Bei Telefonaten wird grundsätzlich<br />

nur gespeichert, wer wann mit wem gesprochen hat und<br />

bei Handy-Telefonaten zusätzlich die Standorte. Die Inhalte der<br />

Telefonate dürfen dagegen nicht verdachtstunabhängig erfasst<br />

werden, sondern nur unter den weiteren Voraussetzungen von §<br />

100a StPO.<br />

Aus dem Bereich des Internets sind nur die Daten über den Internetzugang<br />

sowie über die E-Mail-Kommunikation und Internetelefonie<br />

erfasst. Der Inhalt der Kommunikation und Daten,<br />

die Aufschluss über die besuchten Internetseiten geben, dürfen<br />

dagegen nicht verdachtsunabhängig gespeichert werden. Nach<br />

Angaben der Bundesregierung ist zudem eine verdeckte Onlinedurchsuchung,<br />

wie sie derzeit diskutiert wird, ebenfalls nicht<br />

Inhalt der geplanten Neuregelung.<br />

Neuer Straftatenkatalog für die Telefonüberwachung:<br />

Der Katalog der Straftaten in § 100a StPO, die Anlass für eine<br />

Telekommunikationsüberwachung sein können, soll auf schwere<br />

Straftaten begrenzt und modernisiert werden. So fallen beispielsweise<br />

die Verbreitung von Propagandamitteln, die Zuwiderhandlung<br />

gegen ein Vereinsverbot und fahrlässige Straftaten<br />

nach dem Waffengesetz aus dem Katalog raus. Neu aufgenommen<br />

werden beispielsweise Korruptions- und Menschenhandelsdelikte,<br />

sexueller Missbrauch und Raub.<br />

Schutz von Berufsgeheimnisträgern: Berufsgeheimnisträger<br />

sollen ihr derzeitiges Zeugnisverweigerungsrecht zwar behalten.<br />

Die Neuregelung differenziert aber zwischen dem Vertrauensverhältnis<br />

zu Seelsorgern, Strafverteidigern und Abgeordneten,<br />

das durch umfassende Erhebungs- und Verwertungsverbote<br />

besonders geschützt werden soll, und dem Vertrauensverhältnis<br />

zu den übrigen Berufsgeheimnisträgern (insbesondere Rechtsanwälte,<br />

Ärzte und Journalisten). Letztere sollen nach einer sorgfältigen<br />

Verhältnismäßigkeitsabwägung im Einzelfall in Ermittlungsmaßnahmen<br />

einbezogen werden dürfen.<br />

Besserer Grundrechtsschutz: Der Grundrechtsschutz bei<br />

heimlichen Telefonüberwachungen und Ermittlungsmaßnahmen<br />

soll gestärkt werden. Dies soll zum einen durch Verfahrenssicherungen<br />

geschehen. So ist etwa vorgesehen, dass Betroffene<br />

grundsätzlich bei allen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen im<br />

Nachhinein über die Überwachungen unterrichtet werden müs-<br />

09/2007 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 14


sen. Darüber hinaus sollen sie die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen<br />

generell nachträglich von einem Gericht überprüfen lassen<br />

können.<br />

Zum anderen soll der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung<br />

entsprechend den Vorgaben des BVerfG besonders geschützt<br />

werden. Die geplante Neuregelung sieht insoweit ein grundsätzliches<br />

Abhörverbot für Privatgespräche mit Familienangehörigen<br />

und engen Freunden vor. Konkret heißt es: „Die Telefonüberwachung<br />

ist immer unzulässig, wenn zu erwarten ist, dass<br />

durch die Überwachung allein Erkenntnisse aus diesem privaten<br />

Lebensbereich erlangt werden“. Trotzdem erlangte Kenntnisse<br />

über Privattelefonate dürfen nicht verwertet und müssen unverzüglich<br />

gelöscht werden.<br />

Stellungnahme von BRAK und DAV:<br />

BRAK und DAV haben den Gesetzentwurf in einer ersten Stellungnahme<br />

kritisiert. Der DAV wendet sich vor allem gegen die<br />

geplante Neuregelung der Vorratspeicherung. Es sei unerträglich,<br />

alle Bürger dem Generalverdacht auszusetzen, sie seien<br />

Straftäter, sagte der DAV-Präsident Hartmut Kilger. Die BRAK<br />

bemängelt insbesondere den unterschiedlichen Schutz von<br />

Berufsgeheimnisträgern. Wenn man beispielsweise Seelsorgern<br />

und Strafverteidigern mehr Schutz zubillige als Rechtsanwälten,<br />

so greife dies tief in das Vertrauensverhältnis zum Mandanten<br />

ein, erläuterte BRAK-Präsident Dr. Bernhard Dombek.<br />

Linkhinweise:<br />

Auf den Webseiten des Bundesjustizministeriums (BMJ) finden<br />

Sie folgende weiterführende Informationen zum Thema:<br />

- Zusammenfassung der wesentlichen Inhalte des Regierungsentwurfs<br />

- Regierungsentwurf im Volltext (PDF-Datei)<br />

- Statistik zur Anzahl der Telekommunikationsüberwachungen<br />

in den vergangenen Jahren (PDF-Datei)<br />

Steuerrecht<br />

Benutzung des „grünen“ Flughafenausgangs<br />

mit zu verzollenden Waren stellt<br />

regelmäßig eine leichtfertige Abgabeverkürzung<br />

dar<br />

BFH 16.3.2007, VII B 21/06<br />

Wer nach Deutschland einreist und am Flughafen mit zu verzollenden<br />

Waren den grünen Ausgang benutzt, begeht im Allgemeinen<br />

eine zumindest leichtfertige Abgabeverkürzung, so dass<br />

ein Zollzuschlag erhoben werden kann. Denn wer die Bedeutung<br />

des grünen und des roten Ausgangs nicht kennt, muss sich<br />

grundsätzlich hierüber informieren, bevor er sich für einen Ausgang<br />

entscheidet. Nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen<br />

scheidet ein leichtfertiges Verhalten aus.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Die Kläger sind im März 2004 aus Ägypten kommend über den<br />

Flughafen X. nach Deutschland eingereist. Sie hatten elf Stangen<br />

Zigaretten zu jeweils 200 Stück sowie eine Packung mit 34<br />

Zigarillos im Reisegepäck. Obwohl ihnen bekannt war, dass sie<br />

für einen Teil der Zigaretten Einfuhrabgaben entrichten mussten,<br />

benutzten sie den grünen Ausgang, der für Reisende ohne zu verzollende<br />

Waren bestimmt ist. Unmittelbar hinter dem Ausgang<br />

kontrollierte ein Zollbeamter ihr Gepäck und fand die Zigaretten.<br />

Das beklagte Hauptzollamt erhob neben den Einfuhrabgaben für<br />

die Zigaretten auch einen Zollzuschlag, weil die Kläger wegen<br />

der Benutzung des grünen Ausgangs zumindest eine leichtfertige<br />

Abgabeverkürzung begangen hätten. Mit ihrer gegen die Erhebung<br />

des Zollzuschlags gerichteten Klage machten die Kläger<br />

geltend, dass sie davon ausgegangen seien, dass sie ihre Zollanmeldung<br />

auch gegenüber dem direkt hinter dem grünen Ausgang<br />

stehenden Zollbeamten hätten abgeben können. Dieser habe sie<br />

aber an einer entsprechenden Erklärung gehindert und sofort ihr<br />

Gepäck durchsucht.<br />

Das FG gab der Klage statt. Der Wille der Kläger zur Abgabe<br />

der Zollanmeldung sei nicht zu widerlegen. Im Gegenteil sprächen<br />

die Zeugenaussagen von Mitreisenden dafür, dass die<br />

Kläger tatsächlich eine Zollanmeldung hätten abgeben wollen.<br />

Denn sie hätten zuvor darüber gesprochen, dass sie die Zigaretten<br />

verzollen wollten, und sich vor der Reise nach den Abgabesätzen<br />

erkundet. Das FG ließ die Revision gegen sein Urteil<br />

nicht zu. Die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde<br />

des Beklagten hatte keinen Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet, da die Rechtssache<br />

entgegen der Auffassung des Beklagten keine grundsätzliche<br />

Bedeutung hat.<br />

Es ist eindeutig und bedarf daher nicht der Klärung in einem<br />

Revisionsverfahren, dass Reisende, die die Bedeutung der verschiedenen<br />

Ausgänge an Flughäfen nicht kennen, sich hierüber<br />

Kenntnis verschaffen müssen. Sie begehen daher im Allgemeinen<br />

zumindest eine leichtfertige Abgabeverkürzung, wenn sie<br />

mit zu verzollenden Waren den grünen Ausgang benutzen. Die<br />

meisten Reisenden wissen, dass sie mit zu verzollenden Waren<br />

den roten Ausgang benutzen müssen, und wer dies nicht weiß,<br />

kann sich die Bedeutung der Ausgänge anhand der Hinweisschilder<br />

ohne weiteres erschließen.<br />

Es ist dennoch in besonderes gelagerten Einzelfällen nicht ausgeschlossen,<br />

dass ein Reisender die Bedeutung der verschiedenen<br />

Ausgänge nicht kennt und trotz gehöriger Anstrengung die<br />

Hinweise dahingehend missversteht, dass er die zollpflichtigen<br />

Waren auch noch nach Durchschreiten des grünen Ausgangs<br />

anmelden kann. Die Annahme eines solchen Ausnahmefalls setzt<br />

allerdings voraus, dass der Tatrichter in der Person des Reisenden<br />

liegende besondere Umstände festgestellt hat, die auf ein<br />

persönliches Unvermögen schließen lassen, das Unrecht seines<br />

Verhaltens erkennen zu können.<br />

Ob die Kläger das Unrecht ihres Verhaltens tatsächlich nicht<br />

erkannt haben, ist eine Frage des Einzelfalls und daher einer grundsätzlichen<br />

Klärung nicht zugänglich. Das Urteil des FG hat schon<br />

deshalb Bestand, weil der Beklagte nicht schlüssig dargelegt hat,<br />

dass die Würdigung des FG den Denkgesetzen oder allgemeinen<br />

Erfahrungssätzen widerspricht oder jedenfalls nicht auf einer nachvollziehbaren<br />

Würdigung der festgestellten Tatsachen beruht.<br />

Linkhinweis:<br />

- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />

BFH veröffentlicht.<br />

- Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />

09/2007 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 15


Kürzung der Pendlerpauschale doch nicht<br />

verfassungswidrig?<br />

FG Köln 29.3.2007, 10 K 274/07<br />

Das FG Köln hält die Kürzung der Pendlerpauschale zum<br />

1.1.2007 ebenso wie das FG Baden-Württemberg nicht für verfassungswidrig<br />

und stellt sich damit gegen anderslautende Entscheidungen<br />

des Niedersächsischen FG und des FG des Saarlands.<br />

Nach Auffassung des FG Köln war der Gesetzgeber im<br />

Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit ohne weiteres befugt, Aufwendungen<br />

für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte<br />

künftig grundsätzlich nicht mehr als Werbungskosten zu behandeln.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der Kläger erzielt Einnahmen aus einer nichtselbständigen<br />

Tätigkeit als Physiker. Er beantragte beim Finanzamt, auf seiner<br />

Lohnsteuerkarte für 2007 einen Freibetrag für Fahrten zwischen<br />

Wohnung und Arbeitsstätte in Höhe von 5.520 Euro (230 Tage<br />

x 80 Kilometer x 0,30 Euro) einzutragen. Das Finanzamt lehnte<br />

dies wegen der zum 1.1.2007 eingeführten Kürzung der Entfernungspauschale<br />

ab und berechnete den Freibetrag nur hinsichtlich<br />

der Kosten für die Entfernung ab dem 21. Kilometer.<br />

Mit seiner hiergegen gerichteten Klage machte der Kläger geltend,<br />

dass die Neuregelung in § 9 Abs.2 EStG, wonach die Aufwendungen<br />

für Fahrten zur Arbeit grundsätzlich keine Werbungskosten<br />

mehr und lediglich ab dem 21. Kilometer „wie“<br />

Werbungskosten zu behandeln seien, verfassungswidrig sei.<br />

Hierin liege ein Verstoß gegen das Nettoprinzip, den Grundsatz<br />

der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und gegen den<br />

gemäß Art. 6 Abs.1 GG gebotenen Schutz von Ehe und Familie.<br />

Der Kläger beantragte, das Verfahren gemäß Art. 100 Abs.1 GG<br />

auszusetzen und dem BVerfG vorzulegen, und hilfsweise, das<br />

Verfahren bis zu einer Entscheidung des BVerfG über den Vorlagebeschluss<br />

des FG Niedersachsen vom 27.2.2007 (Az.: 8 K<br />

549/06) auszusetzen. Die Klage hatte lediglich hinsichtlich des<br />

Hilfsantrags Erfolg.<br />

Die Gründe:<br />

Das Verfahren ist nicht gemäß Art. 100 Abs.1 GG dem BVerfG<br />

vorzulegen, da keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der<br />

Neuregelung der Pendlerpauschale in § 9 Abs.2 S.1 EStG n.F.<br />

bestehen. Die im Rahmen der Neuregelung der Pendlerpauschale<br />

vorgenommene Zuordnung der Aufwendungen für Fahrten<br />

zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zur Privatsphäre ist entgegen<br />

der Ansicht des Klägers mit dem Grundgesetz vereinbar.<br />

Die Neuregelung der Pendlerpauschale verstößt insbesondere<br />

nicht gegen das objektive Nettoprinzip, wonach grundsätzlich<br />

nur dasjenige der Besteuerung unterworden werden darf, was<br />

nach Abzug der Erwerbsaufwendungen von den Einnahmen zur<br />

freien Verfügung übrig bleibt. Dieses Prinzip ist im Streitfall<br />

nicht tangiert, weil es sich bei den Aufwendungen des Klägers<br />

für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte<br />

nicht um originäre Werbungskosten handelt.<br />

In der Vergangenheit ist das deutsche Einkommensteuerrecht<br />

zwar traditionell davon ausgegangen, dass die Arbeitssphäre<br />

nicht erst „am Werkstor“ beginnt. Diese Tradition hat der Gesetzgeber<br />

nunmehr aber aufgegeben. Er hat sich damit im Rahmen<br />

seiner Gestaltungsbefugnis gehalten. Denn der Gesetzgeber darf<br />

bei der Schaffung einfachgesetzlichen Rechts auch einfachgesetzliche<br />

„Traditionen“ ändern. Da die Wahl des Wohnsitzes<br />

eine private Entscheidung ist, ist es auch nicht sachwidrig, die<br />

Arbeitssphäre erst am „Werkstor“ beginnen zulassen.<br />

Angesichts der Härteregelung für Fernpendler ist die Neuregelung<br />

der Pendlerpauschale auch mit dem verfassungsrechtlich<br />

gebotenen Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs.1 GG) vereinbar.<br />

Die Sonderregelung für Fernpendler verletzt zudem nicht<br />

das Gebot der Folgerichtigkeit, da mit dieser Steuervergünstigung<br />

eine Härteregelung subventioniert wird. Diese Subvention<br />

ist lediglich „wie“ Werbungskosten zu behandeln und stellt<br />

damit keine Durchbrechung des Grundsatzes dar, dass die Aufwendungen<br />

für Wege zur Arbeit keine Werbungskosten mehr<br />

darstellen.<br />

Gleichwohl war das Verfahren im Streitfall vor dem Hintergrund<br />

des Vorlagebeschlusses des FG Niedersachsen vom 27.2.2007<br />

(Az.: 8 K 549/06) gemäß § 74 FGO bis zu einer abschließenden<br />

Entscheidung des BVerfG über die streitige Regelung auszusetzen.<br />

Linkhinweis:<br />

Für den auf den Webseiten des FG Köln veröffentlichten Volltext<br />

der Entscheidung klicken Sie bitte hier.<br />

In Ausnahmefällen kann auch bei nichtehelichen<br />

Lebensgemeinschaften eine doppelte<br />

Haushaltsführung anzuerkennen sein<br />

BFH 15.3.2007, VI R 31/05<br />

Die Rechtsprechung zur doppelten Haushaltsführung bei<br />

Personen, die anlässlich ihrer Heirat einen Familienhausstand<br />

begründen, kann zwar nicht generell auf nichteheliche<br />

Lebensgemeinschaften übertragen werden. Bei nichtehelichen<br />

Lebensgemeinschaften kann aber zumindest dann eine doppelte<br />

Haushaltsführung anzuerkennen sein, wenn die Partner an<br />

verschiedenen Orten arbeiten, dort wohnen und im zeitlichen<br />

Zusammenhang mit der Geburt eines gemeinsamen Kindes eine<br />

ihrer Wohnungen zur Familienwohnung machen.<br />

Der Sachverhalt:<br />

Der nicht verheiratete Kläger erzielte im Streitjahr 1998 Einkünfte<br />

aus nichtselbständiger Tätigkeit und wohnte und arbeitete<br />

in A. Seine Lebensgefährten L. wohnte und arbeitete ursprünglich<br />

in B. Im Oktober 1996 wurde die gemeinsame Tochter des<br />

Klägers und der L. geboren. L. blieb nach der Geburt zunächst<br />

mit dem Kind in B. wohnen und nahm Erziehungsurlaub in<br />

Anspruch. Im Juli 1997 bezog sie zusammen mit ihrer Tochter<br />

eine Wohnung in C.<br />

Der Kläger unterstützte L. und seine Tochter finanziell und fuhr<br />

zunächst nur an den Wochenenden regelmäßig nach C. Im Oktober<br />

des Streitjahres 1998 verlegte er seinen Hauptwohnsitz von<br />

A. nach C. und behielt seine Wohnung in A. als Zweitwohnsitz.<br />

In seiner Einkommensteuererklärung machte er für die Zeit vom<br />

1.10.1998 bis zum 31.12.1998 Mehraufwendungen für doppelte<br />

Haushaltsführung als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus<br />

nichtselbständiger Arbeit geltend.<br />

Das Finanzamt lehnte die Anerkennung einer doppelten Haushaltsführung<br />

ab. Die hiergegen gerichtete Klage hatte vor dem<br />

FG teilweise Erfolg. Auf die Revision des Finanzamts hob der<br />

BFH die Vorentscheidung auf und wies die Klage ab.<br />

09/2007 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 16


Die Gründe:<br />

Das Finanzamt hat die Anerkennung einer doppelten Haushaltsführung<br />

im Streitfall zu Recht abgelehnt. Eine doppelte Haushaltsführung,<br />

bei der die hiermit verbundenen Mehraufwendungen<br />

nach § 9 Abs.1 S.3 Nr.5 EStG als Werbungskosten abziehbar<br />

sind, liegt nur vor, wenn die Begründung eines zweiten Wohnsitzes<br />

außerhalb des Beschäftigungsorts aus beruflichen Gründen<br />

veranlasst ist.<br />

Nach enger Auslegung von § 9 Abs.1 S.3 Nr.5 EStG müsste<br />

eine doppelte Haushaltsführung eigentlich schon dann ausscheiden,<br />

wenn ein Arbeitnehmer heiratet und aus diesem (privaten)<br />

Anlass neben seinem Hausstand am Beschäftigungsort mit seinem<br />

Ehegatten einen weiteren Hausstand an einem anderen Ort<br />

gründet. Im Hinblick auf Art. 6 Abs.1 GG wird eine doppelte<br />

Haushaltsführung jedoch auch dann anerkannt, wenn Personen,<br />

die an verschiedenen Orten arbeiten und wohnen, nach der Eheschließung<br />

eine der beiden Wohnungen zur Familienwohnung<br />

machen.<br />

Diese Rechtsprechung kann zwar nicht generell auf nichteheliche<br />

Lebensgemeinschaften übertragen werden. Sie gilt aber<br />

zumindest dann entsprechend, wenn die Partner ein gemeinsames<br />

Kind haben, da neben der Ehe auch die „Familie“ unter dem<br />

besonderen Schutz von Art. 6 Abs.1 GG steht. Daher kann die<br />

Gründung eines doppelten Haushalts auch bei nichtehelichen<br />

Lebensgemeinschaften beruflich veranlasst sein, wenn die Partner<br />

vor der Geburt des Kindes an verschiedenen Orten berufstätig<br />

sind, dort wohnen und im zeitlichen Zusammenhang mit der<br />

Geburt des Kindes eine der beiden Wohnungen zur Familienwohnung<br />

machen.<br />

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, da der Kläger erst<br />

zwei Jahre nach der Geburt seiner Tochter und damit nicht mehr<br />

im zeitlichen Zusammenhang mit der Geburt die Wohnung in C.<br />

zu seinem Hauptwohnsitz gemacht hat.<br />

Linkhinweis:<br />

- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />

BFH veröffentlicht.<br />

- Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />

09/2007 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 17

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