Anwaltswoche - Anwalt-Suchservice
Anwaltswoche - Anwalt-Suchservice
Anwaltswoche - Anwalt-Suchservice
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
www.anwaltswoche.de<br />
<strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong><br />
Das Wichtige im Überblick<br />
Vertragsrecht<br />
Geschenk-Gutscheine: Kein Verfall nach einem<br />
Jahr (LG München I)<br />
Telefonsex: Werbe- und Vermittlungsverträge sind<br />
nicht sittenwidrig (OLG Karlsruhe)<br />
Mietrecht<br />
„Sonstige Betriebskosten“: Überprüfung der Elektroanlagen<br />
eines Mietobjekts ist umlagefähig (BGH)<br />
Arbeitsrecht<br />
BAT: Zeiten geringfügiger Beschäftigung sind<br />
anrechenbare Beschäftigungszeiten (BAG)<br />
Tarifliche Firmensozialpläne: Gewerkschaften dürfen<br />
zu Streik aufrufen (BAG)<br />
Handels- und Gesellschaftsrecht<br />
GmbH: Abberufenen Geschäftsführern kann trotz<br />
Geltung des KSchG ohne soziale Rechtfertigung<br />
gekündigt werden (OLG Hamm)<br />
Wettbewerbsrecht und gewerblicher<br />
Rechtsschutz<br />
Festgeldanlage: Banken dürfen Zinshöhe vom<br />
Ergebnis eines Fußballturniers abhängig machen<br />
(BGH)<br />
Internet-Auktionshäuser: Unterlassungsverpflichtung<br />
bei Markenverletzungen (BGH)<br />
Aus dem Inhalt:<br />
09/07<br />
Zwangsvollstreckung und Insolvenz<br />
Insolvenzverwaltervergütung: Keine Erhöhung bei<br />
nachträglichem Bekanntwerden einer Erbschaft<br />
(BGH)<br />
Verwaltungs- und Verfassungsrecht<br />
Ethikunterricht: Einführung an Berliner Schulen ist<br />
verfassungsgemäß (BVerfG)<br />
Sachverständige: Altersgrenze von 68 Jahren verstößt<br />
nicht gegen das AGG (VG Mainz)<br />
Steuerrecht<br />
Abgabenverkürzung: Benutzung des „grünen“<br />
Flughafenausgangs mit zu verzollenden Waren ist<br />
leichtfertig (BFH)<br />
Pendlerpauschale: Kürzung doch verfassungskonform?<br />
(FG Köln)<br />
Doppelte Haushaltsführung: In Ausnahmefällen<br />
auch bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften<br />
(BFH)
<strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 09/07 Inhalt<br />
Vertragsrecht<br />
Geschenk-Gutscheine dürfen nicht nach einem Jahr<br />
verfallen<br />
LG München I 5.4.2007, 12 O 22084/06 4<br />
Werbe- und Vermittlungsverträge für Telefonsexgespräche<br />
sind nicht sittenwidrig<br />
OLG Karlsruhe 14.3.2007, 7 U 62/06 4<br />
Mietrecht<br />
Die Kosten für die regelmäßige Überprüfung der<br />
technischen Anlage eines Mietobjekts sind umlagefähig<br />
BGH 14.2.2007, VIII ZR 123/06 4<br />
Wohnungseigentümergemeinschaften sind rechtsfähig<br />
BGH 12.4.2007, VII ZR 236/05 5<br />
Haftungs- und Versicherungsrecht<br />
Streit um Hochschulzulassung: Rechtsschutzversicherungen<br />
müssen Kosten für bis zu zehn Kapazitätsklageverfahren<br />
übernehmen<br />
OLG Celle 19.4.2007, 8 U 179/06 6<br />
Arbeitsrecht<br />
Auf die Beschäftigungszeiten im Sinn des BAT sind<br />
auch Zeiten geringfügiger Beschäftigungen anzurechnen<br />
BAG 25.4.2007, 6 AZR 746/06 6<br />
Gewerkschaften dürfen zu Streiks für einen tariflichen<br />
Firmensozialplan aufrufen<br />
BAG 24.4.2007, 1 AZR 252/06 7<br />
Neues Befristungsrecht für Arbeitsverträge in der<br />
Wissenschaft ist in Kraft getreten 7<br />
Neue Kriterien für die Abgrenzung zwischen einer<br />
bloßen Gleichstellungsabrede und einer generellen<br />
Bezugnahme auf den jeweils aktuellen Tarifvertrag<br />
BAG 18.4.2007, 4 AZR 652/05 8<br />
Handels- und Gesellschaftsrecht<br />
Bundeskabinett hat Novelle des Investmentgesetzes<br />
beschlossen 8<br />
Abberufenen GmbH-Geschäftsführern kann trotz<br />
Geltung des KSchG ohne soziale Rechtfertigung<br />
gekündigt werden<br />
OLG Hamm 20.11.2006, 8 U 217/05 9<br />
Bankrecht<br />
Europäisches Parlament verabschiedet Richtlinie<br />
über Zahlungsdienste 9<br />
Wettbewerbsrecht und Gewerblicher<br />
Rechtsschutz<br />
Bundesregierung will Rechte des geistigen Eigentums<br />
besser sichern 10<br />
Banken dürfen Zinshöhe für Festgeldanlagen vom<br />
Ergebnis eines Fußballturniers abhängig machen<br />
BGH 19.4.2007, I ZR 57/05 10<br />
Internet-Auktionshäuser können zur Unterlassung<br />
von Markenverletzungen verpflichtet sein<br />
BGH 19.4.2007, I ZR 35/04 10<br />
Zwangsvollstreckung und Insolvenz<br />
Zur Erhöhung der Vergütung eines Insolvenzverwalters<br />
bei nachträglichem Bekanntwerden einer Erbschaft<br />
des Schuldners<br />
BGH 1.3.2007, IX ZB 280/05 11<br />
Gebühren und Kosten<br />
Unternehmen hat eigene Rechtsabteilung: Die Terminreisekosten<br />
der eingeschalteten „Hauskanzlei“<br />
können trotzdem erstattungsfähig sein<br />
KG Berlin 16.3.2007, 1 W 276/06 12
<strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 09/07 Inhalt<br />
Berufsrecht<br />
Neuregelung der Telefonüberwachung: BStBK kritisiert<br />
geplante Einschränkung des Zeugnisverweigerungsrechts<br />
von Steuerberatern 12<br />
Verwaltungs- und Verfassungsrecht<br />
Unternehmen baut kein UMTS-Netz auf: Bundesnetzagentur<br />
darf UMTS-Lizenz widerrufen<br />
VG Köln 25.4.2007, 21 K 3675/05 13<br />
Einführung von Ethikunterricht an Berliner Schulen<br />
ist verfassungsgemäß<br />
BVerfG 15.3.2007, 1 BvR 2780/06 13<br />
Altersgrenze für öffentlich bestellte Sachverständige<br />
von 68 Jahren verstößt nicht gegen das AGG<br />
VG Mainz 21.3.2007, 6 L 149/07.MZ 14<br />
Strafrecht und OWi<br />
Bundeskabinett beschließt Neuregelung der Telefonüberwachung<br />
– BRAK und DAV kritisieren den<br />
Gesetzentwurf 14<br />
Steuerrecht<br />
Benutzung des „grünen“ Flughafenausgangs mit zu<br />
verzollenden Waren stellt regelmäßig eine leichtfertige<br />
Abgabeverkürzung dar<br />
BFH 16.3.2007, VII B 21/06 15<br />
Kürzung der Pendlerpauschale doch nicht verfassungswidrig?<br />
FG Köln 29.3.2007, 10 K 274/07 16<br />
In Ausnahmefällen kann auch bei nichtehelichen<br />
Lebensgemeinschaften eine doppelte Haushaltsführung<br />
anzuerkennen sein<br />
BFH 15.3.2007, VI R 31/05 16<br />
Verlag<br />
Impressum<br />
Verlag Dr. Otto Schmidt KG in Kooperation mit dem <strong>Anwalt</strong>-<strong>Suchservice</strong><br />
Gustav-Heinemann-Ufer 58<br />
50968 Köln<br />
Geschäftsführender Gesellschafter: Dr. h.c. Karl-Peter Winters<br />
Amtsgericht Köln, HRA 5237<br />
USt-Ident-Nr. DE 123047975<br />
Zitierweise<br />
<strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> Jahrgang, Ausgabe, Seite<br />
ISSN 1613-8090<br />
Schriftleitung und Verlagsredaktion:<br />
Petra Rülfing, Ass.jur; Imke Sawitzky, Ass.jur; Rüdiger Donnerbauer (verantw.)<br />
Redaktion <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong>, Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln-Marienburg<br />
E-Mail: anwaltswoche@otto-schmidt.de<br />
Tel.: +49 (0) 221-93738-501<br />
Fax: +49 (0) 221-93738-951<br />
Abonnement<br />
Die <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> erscheint wöchentlich.<br />
Bezugspreis: 98,- € pro Jahr.<br />
Anzeigenleitung: Renate Becker<br />
Telefon: 0221/93738421<br />
Fax: 0221/93738942<br />
E-Mail: anzeigen@otto-schmidt.de<br />
Haftungsausschluss<br />
Inhalte<br />
Die Inhalte der <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> werden sorgfältig geprüft und nach bestem<br />
Wissen erstellt. Jedoch kann keinerlei Gewähr für die Korrektheit, Vollständigkeit,<br />
Aktualität oder Qualität der bereitgestellten Informationen übernommen<br />
werden. Haftungsansprüche gegen den Verlag Dr. Otto Schmidt, welche<br />
sich auf Schäden materieller oder ideeller Art beziehen, die durch die<br />
Nutzung oder Nichtnutzung der dargebotenen Informationen bzw. durch die<br />
Nutzung fehlerhafter und unvollständiger Informationen verursacht wurden<br />
sind grundsätzlich ausgeschlossen, sofern auf Seiten des Verlages Dr. Otto-<br />
Schmidt kein nachweislich vorsätzliches oder grob fahrlässiges Verschulden<br />
vorliegt. Namentlich gekennzeichnete Beiträge spiegeln nicht unbedingt die<br />
Meinung des Herausgebers wider.<br />
Urheberrechtliche Hinweise<br />
Der Verlag Dr. Otto Schmidt ist bestrebt, in allen Publikationen die Urheberrechte<br />
der verwendeten Grafiken, Tondokumente, Videosequenzen und Texte<br />
zu beachten, von ihm selbst erstellte Grafiken, Tondokumente, Videosequenzen<br />
und Texte zu nutzen oder auf lizenzfreie Grafiken, Tondokumente, Videosequenzen<br />
und Texte zurückzugreifen.<br />
Alle innerhalb des Internetangebotes genannten und ggf. durch Dritte<br />
geschützten Marken- und Warenzeichen unterliegen uneingeschränkt den<br />
Bestimmungen des jeweils gültigen Kennzeichenrechts und den Besitzrechten<br />
der jeweiligen eingetragenen Eigentümer.<br />
Das Copyright für veröffentlichte, selbst erstellte Objekte bleibt allein beim<br />
Verlag Dr. Otto Schmidt. Eine Vervielfältigung oder Verwendung der Grafiken,<br />
Tondokumente, Videosequenzen und Texte in anderen elektronischen<br />
oder gedruckten Publikationen ist ohne ausdrückliche Zustimmung nicht<br />
gestattet.<br />
Rechtswirksamkeit des Haftungsausschlusses<br />
Sofern Teile oder einzelne Formulierungen dieses Textes der geltenden<br />
Rechtslage nicht, nicht mehr oder nicht vollständig entsprechen sollten, bleiben<br />
die übrigen Teile des Dokumentes in ihrem Inhalt und ihrer Gültigkeit<br />
davon unberührt.
Vertragsrecht<br />
Geschenk-Gutscheine dürfen nicht nach<br />
einem Jahr verfallen<br />
LG München I 5.4.2007, 12 O 22084/06<br />
Unternehmen (hier: „Amazon.de“) dürfen in ihren Allgemeinen<br />
Geschäftsbedingungen nicht regeln, dass die von ihnen herausgegebenen<br />
Geschenk-Gutscheine ausnahmslos nur ein Jahr ab Ausstellungsdatum<br />
gültig sind und auch das Restguthaben ab dem<br />
Verfallsdatum nicht mehr verwendet werden kann. Dies stellt eine<br />
erhebliche Abweichung von den gesetzlichen Bestimmungen dar,<br />
wonach der Anspruch aus einem Gutschein erst nach drei Jahren<br />
verjährt, und benachteiligt damit die Verbraucher unangemessen.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der beklagte Internetversandhändler „Amazon.de“ bietet<br />
Geschenk-Gutscheine an. Diesbezüglich regelt er in seinen Allgemeinen<br />
Geschäftsbedingungen (AGB), dass die Gutscheine ausnahmslos<br />
nur ein Jahr ab Ausstellungsdatum gültig sind und auch<br />
das Restguthaben ab dem Verfallsdatum nicht mehr verwendet<br />
werden kann.<br />
Die Klägerin, eine Verbraucherzentrale, hielt die Klausel in den<br />
AGB des Beklagten für unwirksam, weil sie die Verbraucher<br />
unangemessen benachteilige. Demgegenüber trug der Beklagte<br />
vor, dass durch die lange Verwaltung der Gutscheinkonten und die<br />
notwendige Bilanzierung der Gutscheine ein erheblicher Verwaltungsaufwand<br />
entstünde, der durch die zeitliche Begrenzung eingeschränkt<br />
werden solle. Die Unterlassungsklage hatte Erfolg. Die<br />
Entscheidung ist nicht rechtskräftig.<br />
Die Gründe:<br />
Der Beklagte darf die streitige Klausel in ihren AGB nicht mehr<br />
verwenden und sich auch nicht mehr auf diese berufen. Mit dem<br />
Verfall des Gutscheins beziehungsweise des Restguthabens innerhalb<br />
eines Jahres ab Ausstellungsdatum weicht die Klausel erheblich<br />
von den gesetzlichen Bestimmungen zur Verjährung ab. Hiernach<br />
würde der Anspruch aus dem Gutschein nämlich erst nach<br />
drei Jahren verjähren. Diese Abweichung benachteiligt die Verbraucher<br />
unangemessen.<br />
Der Beklagte kann die Verwendung der nachteiligen Klausel auch<br />
nicht damit rechtfertigen, dass mit der Verwaltung der Gutscheinkonten<br />
ein erheblicher Aufwand verbunden sei. Denn ein Großteil<br />
der Gutscheine wird ohnehin innerhalb der ersten Monat nach dem<br />
Ausstellungsdatum eingelöst. Damit entsteht für den Beklagten<br />
kein unzumutbarer Aufwand. Außerdem ist es unbillig, wenn der<br />
Beklagte einerseits Zinsen aus den noch nicht eingelösten Beträgen<br />
ziehen kann und andererseits dann von den verfallenen Beträgen<br />
profitiert. Daher überwiegen vorliegend die Interessen der Verbraucher<br />
an einer möglichst langen Gültigkeit der Gutscheine.<br />
Werbe- und Vermittlungsverträge für Telefonsexgespräche<br />
sind nicht sittenwidrig<br />
OLG Karlsruhe 14.3.2007, 7 U 62/06<br />
Verträge über die Bewerbung und Vermittlung von Telefonsexgesprächen<br />
sind nicht wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB nich-<br />
tig. Dies ergibt sich im weitesten Sinn aus § 1 Abs.1 ProstG, wonach<br />
Prostituierte einen Anspruch auf Vergütung für erbrachte Leistungen<br />
haben. Diese Regelung kann nicht ohne Auswirkungen auf diejenigen<br />
Verträge bleiben, die wegen der Förderung eines sittenwidrigen<br />
Zwecks bisher selbst als sittenwidrig angesehen wurden.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Beklagte betreibt über eine 0190-Nummer eine „Erotik-<br />
Line“. Die Klägerin hatte für die Beklagte das Marketing und die<br />
Vermittlung der Gespräche über einen Server übernommen. Die<br />
von den Anrufern geschuldeten Gebühren wurden nach einem<br />
bestimmten Maßstab zwischen den Parteien aufgeteilt.<br />
Die Klägerin trug vor, dass sie noch offene Forderungen gegen<br />
die Beklagte habe. Ihre hierauf gerichtete Klage hatte Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Klägerin hat gegen die Beklagte aus den Verträgen über die<br />
Bewerbung und Vermittlung von Telefonsexgesprächen einen<br />
Anspruch auf die Begleichung der noch offenen Forderungen. Ihr<br />
Anspruch ist insbesondere nicht wegen Sittenwidrigkeit der Verträge<br />
nach § 138 BGB ausgeschlossen.<br />
Vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Verbesserung der rechtlichen<br />
und sozialen Situation der Prostituierten vom 20.12.2001<br />
(ProstG) hat die Rechtsprechung die Verträge zwischen Anbietern<br />
von Telefonsex und Unternehmen, die diesen Geschäftszweig<br />
durch etwaige Vermittlungsleistungen unterstützen, häufig als<br />
rechtswidrig eingestuft. So hat beispielsweise der BGH Ende der<br />
1990er Jahre den Vertrag zwischen dem Anbieter von Telefonsex<br />
und einem Unternehmen über den Vertrieb von Telefonsex-Karten<br />
für sittenwidrig erachtet. Demgegenüber hat er Verträge zwischen<br />
dem Anbieter und dem Netzbetreiber als wertneutral eingestuft.<br />
Im Streitfall muss nicht entschieden werden, ob der zwischen der<br />
Klägerin und der Beklagten geschlossene Vertrag gegebenenfalls<br />
wertneutral ist. Denn seit dem Inkrafttreten des ProstG stellt sich<br />
die Frage nach der rechtlichen Beurteilung von Vermittlungsverträgen<br />
völlig neu.<br />
Nach § 1 Abs.1 ProstG haben Prostituierte einen Anspruch auf Vergütung<br />
für erbrachte Leistungen. Die Wertung des Gesetzgebers,<br />
dass Prostituierte eine Leistung erbringen, die eine rechtswirksame<br />
Forderung begründet, kann bei der Beurteilung von Vermittlungsverträgen<br />
nicht außer Acht gelassen werden. Denn auch wenn das<br />
ProstG an erster Stelle die Rechte der Prostituierten stärken soll,<br />
so kann § 1 Abs.1 ProstG nicht ohne Auswirkungen auf diejenigen<br />
Verträge bleiben, die wegen der Förderung eines sittenwidrigen<br />
Zwecks bisher selbst als sittenwidrig angesehen wurden. Der im<br />
Streitfall geschlossene Werbe- und Vermittlungsvertrag ist daher<br />
im Lichte von § 1 Abs.1 ProstG nicht als sittenwidrig einzustufen.<br />
Mietrecht<br />
Die Kosten für die regelmäßige Überprüfung<br />
der technischen Anlage eines Mietobjekts<br />
sind umlagefähig<br />
BGH 14.2.2007, VIII ZR 123/06<br />
Vermieter, die regelmäßig die Betriebssicherheit der technischen<br />
Anlage (hier: Elektroanlage) des Mietobjekts überprüfen lassen,<br />
09/2007 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 4
können die hierfür anfallenden Kosten anteilig auf die Mieter<br />
umlegen. Diese Kosten stellen Betriebskosten dar, die bei entsprechender<br />
ausdrücklicher Vereinbarung der Mietvertragsparteien<br />
als „sonstige Betriebskosten“ im Sinne von § 2 Nr.17<br />
Betriebskostenverordnung umlagefähig sind.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Beklagte ist seit 1999 Mieterin einer Wohnung der Klägerin.<br />
Im August 2003 übersandte die Klägerin der Beklagten die<br />
Betriebskostenabrechnung für den Abrechnungszeitraum des<br />
Jahres 2002. Die Abrechnung wies eine Nachforderung auf, in<br />
der auch die Kosten für die alle vier Jahre anfallende Überprüfung<br />
der Betriebssicherheit der Elektroanlage des Hauses anteilig<br />
enthalten war.<br />
Die Beklagte beglich die Rechnung mit Ausnahme der anteiligen<br />
Kosten für die Überprüfung der Elektroanlage in Höhe von 22,65<br />
Euro. Diesen Betrag verlangte die Klägerin von der Beklagten<br />
nebst Zinsen ausbezahlt. Hierzu berief sie sich auf den zwischen<br />
den Parteien geschlossenen Mietvertrag, der die Umlage dieser<br />
Kosten im Rahmen der „sonstigen Betriebskosten“ ausdrücklich<br />
vorsah.<br />
AG und LG wiesen die Klage ab. Zu Begründung führte das LG<br />
aus, dass es sich bei den Kosten der Überprüfung der Elektroanlage<br />
nicht um Betriebskosten, sondern um nicht umlagefähige<br />
Instandsetzungs- und Instandhaltungskosten handele. Auf die<br />
Revision der Klägerin hob der BGH das Urteil des LG auf und<br />
gab der Klage statt.<br />
Die Gründe:<br />
Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung<br />
der 22,65 Euro für die Überprüfung der Elektroanlage. Entgegen<br />
der Auffassung des LG handelt es sich bei diesen Kosten<br />
um umlagefähige Betriebskosten und nicht um Instandsetzungs-<br />
und Instandhaltungskosten.<br />
Betriebskosten sind Kosten, die dem Eigentümer durch das<br />
Eigentum an dem Grundstück oder durch den bestimmungsgemäßen<br />
Gebrauch des Gebäudes oder der Wirtschaftseinheit, der<br />
Nebengebäude, Anlagen, Einrichtungen und des Grundstücks<br />
laufend entstehen (Anlage 3 zu § 27 Abs.1 der II. Berechnungsverordnung;<br />
ebenso in § 1 der ab 1.1.2004 geltenden Betriebskostenverordnung<br />
vom 25.11.2003; sowie § 556 Abs.1 S.2 BGB<br />
in der ab 1.1.2007 geltenden Fassung).<br />
Demgegenüber werden Instandsetzungs- und Instandhaltungskosten<br />
durch Reparatur und Wiederbeschaffung verursacht oder<br />
müssen zur Erhaltung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs aufgewendet<br />
werden, um die durch Abnutzung, Alterung, Witterungseinwirkung<br />
entstehenden baulichen oder sonstigen Mängel<br />
ordnungsgemäß zu beseitigen (§ 28 Abs.1 der II. Berechnungsverordnung<br />
beziehungsweise § 1 Abs. 2 Nr. 2 Betriebskostenverordnung).<br />
Die regelmäßige Überprüfung der Funktionsfähigkeit der elektrischen<br />
Anlage eines Hauses dient regelmäßig nicht der Beseitigung<br />
von Mängeln. Die Überprüfung stellt auch nicht – wie<br />
das LG angenommen hat – eine vorbeugende Instandhaltung des<br />
Mietobjekts dar. Einer solchen einschränkenden Auslegung des<br />
Betriebskostenbegriffs kann nicht gefolgt werden. Denn Vorsorgemaßnahmen<br />
gehören nur dann zum Bereich der Instandhaltung,<br />
wenn ein Ausfall der Anlage zu befürchten ist.<br />
Anders verhält es sich jedoch bei regelmäßig anfallenden, durch<br />
keine konkrete Störung veranlassten Maßnahmen, die der Überprüfung<br />
der Funktionsfähigkeit und Betriebssicherheit einer<br />
technischen Einrichtung dienen. Hierzu gehören etwa die in den<br />
Verordnungen ausdrücklich als Betriebskosten genannten Kosten<br />
der Prüfung der Betriebsbereitschaft und Betriebssicherheit<br />
von Fahrstühlen und die Gebühren des Schornsteinfegers. Da<br />
die regelmäßige Überprüfung der Elektroanlage von der Klägerin<br />
zur Vorsorge durchgeführt wird, sind die hierfür anfallenden<br />
Kosten, wie im Mietvertrag der Parteien vereinbart, als Betriebskosten<br />
umlagefähig.<br />
Linkhinweis:<br />
- Für die auf den Webseiten des BGH veröffentlichte Entscheidung<br />
klicken Sie bitte hier.<br />
Wohnungseigentümergemeinschaften sind<br />
rechtsfähig<br />
BGH 12.4.2007, VII ZR 236/05<br />
Eine Wohnungseigentümergemeinschaft ist ein rechtsfähiger<br />
Verband sui generis. Ihre Rechtsfähigkeit ist dabei auf die Teilbereiche<br />
des Rechtslebens beschränkt, bei denen die Wohnungseigentümer<br />
im Rahmen der Verwaltung des gemeinschaftlichen<br />
Eigentums am Rechtsleben teilnehmen.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin ist eine Wohnungseigentümergemeinschaft. Sie<br />
beauftragte einen Rechtsanwalt mit der Durchsetzung ihrer<br />
Rechtsansprüche wegen Baumängeln an der Wohnungseigentumsanlage.<br />
Die Baumängel betrafen sowohl das Gemeinschaftseigentum<br />
als auch das Sondereigentum. Der <strong>Anwalt</strong> machte für<br />
die Klägerin einen Kostenvorschuss für die Mängelbeseitigung<br />
geltend.<br />
Das mit der Sache befasste Berufungsgericht nahm an, dass<br />
die einzelnen Wohnungseigentümer Klagepartei seien, weil die<br />
Wohnungseigentümergemeinschaft nicht rechtsfähig sei. Der<br />
BGH hat diese Auffassung nicht bestätigt.<br />
Die Gründe:<br />
Die Klägerin hat einen Anspruch auf einen Kostenvorschuss für<br />
die Beseitigung der Mängel am Gemeinschaftseigentum. Diesen<br />
Anspruch kann sie in gesetzlicher Prozessstandschaft, hinsichtlich<br />
der Mängel am Sondereigentum in gewillkürter Prozessstandschaft<br />
geltend machen.<br />
Eine Wohnungseigentümergemeinschaft ist ein rechtsfähiger<br />
Verband sui generis. Ihre Rechtsfähigkeit ist auf die Teilbereiche<br />
des Rechtslebens beschränkt, bei denen die Wohnungseigentümer<br />
im Rahmen der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums<br />
als Gemeinschaft am Rechtsleben teilnehmen.<br />
Gemäß § 21 Abs.5 Nr.2 WEG gehört zu einer ordnungsgemäßen<br />
Verwaltung auch die ordnungsgemäße Instandhaltung und<br />
Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums. Zur Instandhaltung<br />
und Instandsetzung in diesem Sinne gehört auch die<br />
erstmalige Herstellung des Gemeinschaftseigentums. Die Wohnungseigentümergemeinschaft<br />
kann daher durch Mehrheitsbeschluss<br />
die Durchsetzung der auf die ordnungsgemäße Herstellung<br />
des Gemeinschaftseigentums gerichteten Rechte der<br />
Erwerber von Wohnungseigentum an sich ziehen. Macht sie<br />
von dieser Möglichkeit Gebrauch, begründet dies ihre alleinige<br />
Zuständigkeit und schließt ein selbständiges Vorgehen der<br />
Erwerber aus.<br />
Soweit Rechte der einzelnen Wohnungseigentümer wegen Mängeln<br />
des Sondereigentums betroffen sind, kann die Wohnungsei-<br />
09/2007 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 5
gentümergemeinschaft in gewillkürter Prozessstandschaft Ansprüche<br />
verfolgen, die in einem engen rechtlichen und wirtschaftlichen<br />
Zusammenhang mit der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums<br />
stehen. Sie kann deshalb von den einzelnen Wohnungseigentümern<br />
ermächtigt werden, neben den Ansprüchen wegen Mängeln<br />
des Gemeinschaftseigentums Ansprüche wegen Mängeln des<br />
Sondereigentums geltend zu machen.<br />
Haftungs- und<br />
Versicherungsrecht<br />
Streit um Hochschulzulassung: Rechtsschutzversicherungen<br />
müssen Kosten für<br />
bis zu zehn Kapazitätsklageverfahren übernehmen<br />
OLG Celle 19.4.2007, 8 U 179/06<br />
Studienplatzbewerber haben gegen ihre Rechtsschutzversicherungen<br />
grundsätzlich einen Anspruch auf Übernahme der Kosten<br />
für bis zu zehn Klagen gegen Hochschulen auf Hochschulzulassung<br />
außerhalb des allgemeinen Zulassungsverfahrens. Das gilt<br />
jedenfalls dann, wenn sie geltend machen, die Hochschulen hätten<br />
ihre tatsächlich vorhandenen Kapazitäten nicht hinreichend<br />
ausgeschöpft (so genannte Kapazitätsklageverfahren).<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger ist bei der beklagten Versicherung rechtsschutzversichert.<br />
Sein Sohn S. wollte zum Wintersemester 2005/2006 ein<br />
Medizinstudium aufnehmen. Die Zentralstelle für die Vergabe<br />
von Studienplätzen (ZVS) lehnte seine Bewerbung allerdings ab,<br />
weil er nicht den erforderlichen Notendurchschnitt und die Wartezeit<br />
erfüllte. S. ersuchte daraufhin die Beklagte um Deckungsschutz<br />
für Eilverfahren (Kapazitätsklageverfahren) gegen 14<br />
verschiedene Hochschulen.<br />
Im Rahmen von Kapazitätsklageverfahren können Studienbewerber<br />
geltend machen, dass die Hochschulen ihre Kapazitäten<br />
mit den an die ZVS gemeldeten Studienplätze nicht ausgeschöpft<br />
haben. Erst im Rahmen dieses Gerichtsverfahrens müssen die<br />
Hochschulen ihre Berechnungskriterien offen legen. Kommt das<br />
Gericht zu dem Ergebnis, dass weitere Kapazitäten bestehen,<br />
verlost es die zusätzlichen Studienplätze unter allen Bewerbern,<br />
die ein Eilverfahren betreiben.<br />
Die Beklagte lehnte eine Deckungszusage für die 14 Kapazitätsklageverfahren<br />
ab, weil S. keinen Rechtsanspruch auf einen Studienplatz<br />
geltend mache, sondern lediglich ein wirtschaftliches Interesse<br />
auf Teilnahme an dem Losverfahren verfolgen wolle. Außerdem<br />
seien die Erfolgsaussichten nicht dargelegt und sei es mutwillig, 14<br />
Hochschulen gleichzeitig zu verklagen. Das LG wies die Klage auf<br />
Erteilung einer Deckungszusage ab; das OLG gab ihr überwiegend<br />
statt, ließ allerdings die Revision zum BGH zu.<br />
Die Gründe:<br />
Der Kläger hat gegen die Beklagte für zehn der 14 Verfahren<br />
einen Anspruch auf Erteilung einer Deckungszusage für die<br />
beabsichtigten Kapazitätsklageverfahren. S. verfolgt mit den<br />
Verfahren nicht lediglich ein wirtschaftliches Interesse, sondern<br />
macht seinen Anspruch auf freie Berufswahl aus Art. 12 Abs.1<br />
GG geltend. Dieses Grundrecht darf nur dann durch ein Zulassungsverfahren<br />
beschränkt werden, wenn alle vorhandenen Ausbildungsplatzkapazitäten<br />
ausgenutzt werden.<br />
Grundsätzlich setzt ein Anspruch auf Kostenübernahme durch<br />
die Rechtsschutzversicherung zwar voraus, dass das Verfahren<br />
hinreichende Erfolgsaussichten hat. In Kapazitätsklageverfahren<br />
besteht aber die Besonderheit, dass die Berechnungsgrundlagen<br />
der Hochschulen erst in dem Gerichtsverfahren bekannt werden.<br />
Daher reicht es für die Darlegung der Erfolgsaussichten aus, wenn<br />
der Kläger nachweist, dass die Kapazitäten in den Vorjahren nicht<br />
ausgeschöpft waren. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt.<br />
Der Kläger hat zudem einen Anspruch auf Kostenübernahme für<br />
Kapazitätsklageverfahren gegen mehrere Hochschulen. Denn<br />
bei einer einzigen Klage ist das Risiko, dass die Hochschule<br />
eine Ausschöpfung ihrer Kapazitäten nachweisen kann oder der<br />
Studienplatzbewerber bei der anschließenden Verlosung keinen<br />
Erfolg hat, sehr groß. Unter Kostengesichtspunkten ist allerdings<br />
bei zehn Verfahren pro Semester die Grenze zu ziehen. Der Kläger<br />
kann daher nur für zehn und nicht für die begehrten 14 Verfahren<br />
eine Deckungszusage beanspruchen.<br />
Arbeitsrecht<br />
Auf die Beschäftigungszeiten im Sinn<br />
des BAT sind auch Zeiten geringfügiger<br />
Beschäftigungen anzurechnen<br />
BAG 25.4.2007, 6 AZR 746/06<br />
Bei der Berechnung der Beschäftigungszeiten, die nach dem BAT<br />
Voraussetzung für eine ordentliche Unkündbarkeit sind, sind<br />
auch die Zeiten einer geringfügigen Beschäftigung zu berücksichtigen.<br />
Eine anderslautende Vorschrift des BAT, wonach eine<br />
Anrechnung von Zeiten geringfügiger Beschäftigung erst ab<br />
dem 1.1.2002 erfolgen soll, ist daher unwirksam. Sie verstößt<br />
gegen § 4 Abs.1 TzBfG in Verbindung mit Art. 3 Abs.1 GG, weil<br />
sie zu einer sachlich nicht gerechtfertigten Benachteiligung von<br />
Teilzeitbeschäftigten führt.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin ist seit dem 1.1.1989 in dem von der Beklagten<br />
betriebenen Kindergarten zunächst als sozialpädagogische Assistentin<br />
und später als Erzieherin beschäftigt. Bis zum 30.9.1995<br />
war sie mit einer Arbeitszeit von 12 Stunden wöchentlich geringfügig<br />
beschäftigt im Sinn von § 8 SGB IV (so genannter „400-<br />
Euro-Job“). Danach arbeitete sie als Vollzeitkraft. Mit Schreiben<br />
vom 1.3.2005 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der<br />
Klägerin wegen rückläufiger Kinderzahlen zum 30.9.2005.<br />
Mit ihrer gegen die Kündigung gerichteten Klage machte die Klägerin<br />
geltend, dass sie bereits länger als 15 Jahre bei der Beklagten<br />
beschäftigt und daher gemäß § 53 Abs.3 BAT ordentlich unkündbar<br />
sei. Soweit vor dem 1.1.2002 zurückgelegte Zeiten geringfügiger<br />
Beschäftigung gemäß § 19 BAT in Verbindung mit § 4 Abs.1<br />
des 77. Änderungstarifvertrags für die Beschäftigungszeit nicht zu<br />
berücksichtigen seien, verstoße dies gegen § 4 Abs. 1 TzBfG. Das<br />
unterschiedliche Arbeitspensum allein rechtfertige keine unterschiedliche<br />
Behandlung von Teilzeit- und Vollzeitkräften.<br />
09/2007 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 6
ArbG und LAG wiesen die Klage ab. Auf die Revision der Klägerin<br />
hob das BAG die Vorentscheidungen auf und gab der Klage<br />
statt.<br />
Die Gründe:<br />
Die Kündigung ist unwirksam. Die Klägerin war im Zeitpunkt der<br />
Kündigung schon mehr als 15 Jahre bei der Beklagten beschäftigt<br />
und damit gemäß § 53 Abs.3 BAT ordentlich unkündbar.<br />
Für die Beschäftigungszeit im Sinn von § 53 Abs.3 BAT sind entgegen<br />
der Auffassung der Beklagten auch die Zeiten geringfügiger<br />
Beschäftigung zu berücksichtigen. Die anderslautende Regelung<br />
in § 19 BAT in Verbindung mit § 4 Abs.1 des 77. Änderungstarifvertrags<br />
ist unwirksam. Sie verstößt gegen § 4 Abs.1 TzBfG in<br />
Verbindung mit dem Gleichheitssatz des Art.3 Abs.1 GG. Denn<br />
die Nichtberücksichtigung von vor dem 1.1.2002 zurückgelegte<br />
Zeiten geringfügiger Beschäftigung führt zu einer Benachteiligung<br />
Teilzeitbeschäftigter. Es ist auch kein sachlicher Grund ersichtlich,<br />
der diese Benachteiligung rechtfertigen könnte.<br />
Die Klägerin war daher zum Zeitpunkt der Kündigung unkündbar<br />
im Sinn von § 53 Abs.3 BAT und hätte nur außerordentlich<br />
gekündigt werden können.<br />
Linkhinweis:<br />
- Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten<br />
des BAG veröffentlicht.<br />
- Für die Original-Pressemitteilung des BAG klicken Sie bitte<br />
hier.<br />
Gewerkschaften dürfen zu Streiks für einen<br />
tariflichen Firmensozialplan aufrufen<br />
BAG 24.4.2007, 1 AZR 252/06<br />
Gewerkschaften dürfen zu Streiks für einen Tarifvertrag aufrufen,<br />
mit dem die Nachteile aus einer von einem Unternehmen<br />
geplanten Betriebsänderung ausgeglichen oder gemildert werden<br />
sollen („tariflicher Firmensozialplan“). Für die Aufstellung<br />
von Sozialplänen sind nach §§ 111, 112 BetrVG zwar grundsätzlich<br />
Arbeitgeber und Betriebsrat zuständig. Hierdurch wird<br />
die Regelungsbefugnis der Tarifvertragsparteien aber nicht eingeschränkt,<br />
da die typischen Sozialplaninhalte zugleich tariflich<br />
regelbare Angelegenheiten darstellen.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Ein Mitgliedsunternehmen des klagenden Arbeitgeberverbandes<br />
hatte seinen Betriebsrat am 16.12.2002 informiert, dass er eine<br />
Betriebsänderung durchführen und dabei mehr als 500 Arbeitsplätze<br />
abbauen wolle. Am 18.12.2002 forderte die beklagte<br />
Gewerkschaft (IG Metall) den Kläger auf, mit ihr in Verhandlungen<br />
über einen unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrag zu<br />
treten. Ihre Forderungen betrafen verlängerte Kündigungsfristen,<br />
Qualifizierungsmaßnahmen und Abfindungen für die von<br />
der Betriebsänderung betroffenen Arbeitnehmer.<br />
Nachdem das Mitgliedsunternehmen des Klägers die Tarifforderungen<br />
abgelehnt hatte, organisierte die Beklagte in der Zeit<br />
vom 3.3. bis 23.4.2003 bei dem Mitgliedsunternehmen Streikmaßnahmen.<br />
Parallel dazu fanden vor der Einigungsstelle Sozialplanverhandlungen<br />
statt, die im Juni 2003 mit dem Abschluss<br />
eines Sozialplans endeten.<br />
Mit seiner Klage verlangte der Kläger vom Beklagten, künftig<br />
nicht mehr zu Streiks zur Durchsetzung eines tariflichen Firmen-<br />
sozialplans aufzurufen. Derartige Arbeitskampfmaßnahmen seien<br />
im Hinblick auf die §§ 111 ff. BetrVG unzulässig. Die Unterlassungsklage<br />
hatte in allen Instanzen keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Kläger kann von der Beklagten nicht verlangen, Streikaufrufe<br />
zur Durchsetzung eines tariflichen Firmensozialplans zu unterlassen.<br />
Derartige Streikaufrufe sind rechtmäßig. Für die Aufstellung<br />
von Sozialplänen sind zwar nach §§ 111, 112 BetrVG<br />
grundsätzlich Arbeitgeber und Betriebsrat zuständig. Hieraus<br />
folgt jedoch nicht, dass die Tarifvertragsparteien keine entsprechenden<br />
Regelungen treffen dürfen. Denn das BetrVG schränkt<br />
die Regelungsbefugnis von Tarifvertragsparteien nicht ein.<br />
Die Regelungskompetenz der Tarifvertragsparteien folgt insbesondere<br />
daraus, dass typische Sozialplaninhalte, wie etwa<br />
Ansprüche auf Abfindungen oder Qualifizierungsmaßnahmen,<br />
zugleich tariflich regelbare Angelegenheiten darstellen. Ist daher<br />
- wie hier - das Mitgliedsunternehmen des Arbeitgeberverbands<br />
(oder der Arbeitgeberverband selbst) nicht zum Abschluss eines<br />
solchen Tarifvertrags bereit, darf hierfür gestreikt werden.<br />
Linkhinweise:<br />
- Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten<br />
des BAG veröffentlicht.<br />
- Für die Original-Pressemitteilung des BAG klicken Sie bitte<br />
hier.<br />
Neues Befristungsrecht für Arbeitsverträge<br />
in der Wissenschaft ist in Kraft getreten<br />
Am 18.4.2007 ist das Gesetz über befristete Arbeitsverhältnisse<br />
in der Wissenschaft (Wissenschaftszeitvertragsgesetz) in Kraft<br />
getreten. Die Neuregelung erweitert die Möglichkeiten für die<br />
Befristung von Arbeitsverhältnissen in der Wissenschaft nach<br />
Abschluss der Qualifizierungsphase. Daneben bleiben die bisherigen<br />
Sonderregelungen für die Qualifizierungsphase von<br />
Wissenschaftlern erhalten, werden allerdings vom Hochschulrahmengesetz<br />
in das neue Gesetz überführt und um eine familienfreundliche<br />
Komponente ergänzt.<br />
Nach dem neuen Gesetz ist auch im Anschluss an die Qualifizierungsphase<br />
eine befristete Weiterbeschäftigung im Rahmen von<br />
Drittmitteln möglich. Damit Projektteams sinnvoll arbeiten können,<br />
gilt der neue Befristungsgrund auch für nichtwissenschaftliches<br />
Personal. Die Neuregelung sieht außerdem vor, dass sich<br />
die bisherige Qualifizierungsphase (die so genannte 12-Jahresregelung<br />
beziehungsweise 15-Jahresregelung in der Medizin) für<br />
Eltern, die Kinder betreuen, pro Kind um zwei Jahre verlängert.<br />
Hierdurch soll die Vereinbarkeit von Familien und Beruf verbessert<br />
werden.<br />
Mit der Neuregelung sollen jungen Wissenschaftlern mehr Möglichkeiten<br />
eröffnet werden, sich über zeitlich befristete Projekte<br />
in unterschiedlichen Forschungsgruppen zu profilieren. Der<br />
Gesetzgeber reagiert hiermit auch auf den Umstand, dass Hochschulen<br />
und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen ihre<br />
Forschungsarbeiten zunehmend zeitlich befristet über Drittmittel<br />
finanzieren und daher in steigendem Maße darauf angewiesen<br />
sind, Mitarbeiter befristet für die Projektzeiträume zu beschäftigen.<br />
Hierfür fehlte bislang ein ausdrücklicher gesetzlicher<br />
Befristungsgrund.<br />
09/2007 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 7
Linkhinweise:<br />
Auf den Webseiten des Bundesministeriums für Bildung<br />
und Forschung (BMBF) finden Sie folgende weiterführende<br />
Informationen zum Thema:<br />
- das neue Gesetz im Volltext (PDF-Datei),<br />
- Hinweise zum Verständnis und zur Anwendung der<br />
Neuregelung (PDF-Datei),<br />
- häufig gestellte Fragen (FAQ).<br />
Neue Kriterien für die Abgrenzung zwischen<br />
einer bloßen Gleichstellungsabrede<br />
und einer generellen Bezugnahme auf den<br />
jeweils aktuellen Tarifvertrag<br />
BAG 18.4.2007, 4 AZR 652/05<br />
Die vertragliche Bezugnahme auf einen Tarifvertrag in der<br />
jeweils geltenden Fassung kann lediglich eine Gleichstellung<br />
der organisierten und nicht organisierten Arbeitnehmer darstellen<br />
oder einen generellen Verweis, der beispielsweise auch noch<br />
nach dem Verbandsaustritt des Arbeitgebers gilt. Entgegen der<br />
früheren Rechtsprechung ist grundsätzlich von einer generellen<br />
Anwendbarkeit des jeweiligen Tarifvertrags auszugehen, es sei<br />
denn, aus Vertragswortlaut und oder den Begleitumständen beim<br />
Vertragsschluss ergeben sich hinreichende Anhaltspunkte für<br />
eine bloße Gleichstellungsabrede.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Nachdem die Klägerin bereits längere Zeit bei der Beklagten<br />
beschäftigt war, schlossen die Parteien im Mai 2002 einen schriftlichen<br />
Arbeitsvertrag, der auf den einschlägigen Tarifvertrag in<br />
der jeweils geltenden Fassung verwies. Später trat die Beklagte<br />
aus dem Arbeitgeberverband aus und weigerte sich fortan, die<br />
nach ihrem Verbandsaustritt abgeschlossenen Änderungstarifverträge<br />
auf das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin anzuwenden.<br />
Die hiergegen gerichtete Klage hatte vor dem BAG Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Beklagte muss auch die nach ihrem Austritt aus dem Arbeitgeberverband<br />
abgeschlossenen Änderungstarifverträge gegenüber<br />
der Klägerin anwenden. Das ergibt sich aus der arbeitsvertraglichen<br />
Bezugnahme auf den für die Branche einschlägigen<br />
Tarifvertrag in der jeweils geltenden Fassung.<br />
Nach der früheren Rechtsprechung des Vierten Senats wurde<br />
eine solche Bezugnahme zwar bereits dann als - durch die Tarifgebundenheit<br />
des Arbeitgebers auflösend bedingte - Gleichstellungsabrede<br />
ausgelegt, wenn der von einem tarifgebundenen<br />
Arbeitgeber gestellte Arbeitsvertrag nach seinem Wortlaut ausschließlich<br />
auf die für ihn einschlägigen, von ihm also im Verhältnis<br />
zu organisierten Arbeitnehmern ohne weiteres anzuwendenden<br />
Tarifverträge verweist. Diese Rechtsprechung wird aber<br />
aufgegeben.<br />
Für die Abgrenzung zwischen einer bloßen Gleichstellungsabrede<br />
und einem generellen Verweis auf das jeweilige Tarifrecht<br />
ist nunmehr entscheidend auf den Vertragswortlaut und/oder die<br />
Begleitumstände bei Vertragsschluss abzustellen. Nur wenn sich<br />
hieraus hinreichende Anhaltspunkte dafür ergeben, dass es lediglich<br />
um eine Gleichstellung nicht organisierter mit organisierten<br />
Arbeitnehmern gehen soll, kann eine bloße Gleichstellungsabrede<br />
angenommen werden. In allen anderen Fällen ist von einem<br />
generellen Verweis auf das jeweilige Tarifrecht auszugehen.<br />
Nach diesen Grundsätzen ist im Streitfall davon auszugehen,<br />
dass die Parteien keine bloße Gleichstellungsabrede vereinbart<br />
haben, sondern die Beklagte die jeweiligen tarifvertraglichen<br />
Vorschriften auch noch nach einem etwaigen Verbandsauftritt<br />
gegenüber der Klägerin anwenden sollte. Denn der Vertragswortlaut<br />
und die Umstände bei Vertragsschluss enthalten keine<br />
hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Parteien lediglich<br />
eine Gleichstellung der Klägerin mit den gewerkschaftlich organisierten<br />
Kollegen erreichen wollten.<br />
Der Hintergrund:<br />
Der Vierte Senat des BAG hatte bereits mit Urteil vom<br />
14.12.2005 (Az.: 4 AZR 536/04) angekündigt, dass er aus Vertrauensschutzgründen<br />
für Verträge, die vor dem 1.1.2002 abgeschlossen<br />
wurden, an der früheren Auslegungsregelung für die<br />
Abgrenzung zwischen einer bloßen Gleichstellungsabrede und<br />
einer generelle Bezugnahme auf den jeweiligen Tarifvertrag<br />
festhält. Für Neuverträge solle dagegen gelten, dass eine bloße<br />
Gleichstellungsabrede nur angenommen werden könne, wenn<br />
es hierfür aus Vertragswortlaut und/oder den Begleitumständen<br />
bei Vertragsschluss hinreichende Anhaltspunkte gebe.<br />
Mit der vorliegenden Entscheidung hat der Senat die Anwendbarkeit<br />
der neuen Auslegungsregel auf nach dem 31.12.2001<br />
abgeschlossene Verträge bestätigt.<br />
Linkhinweis:<br />
Der Volltext der Entscheidung wird demnächst auf den Webseiten<br />
des BAG veröffentlicht. Für den Volltext des BAG-Urteils<br />
vom 14.12.2005 klicken Sie bitte hier.<br />
Handels- und<br />
Gesellschaftsrecht<br />
Bundeskabinett hat Novelle des Investmentgesetzes<br />
beschlossen<br />
Das Bundeskabinett hat am 25.4.2007 den Entwurf für ein<br />
Investmentänderungsgesetz beschlossen. Mit dem Gesetz soll<br />
die Wettbewerbsfähigkeit der Fondsbranche gesteigert und<br />
gleichzeitig der Schutz der Anleger verbessert werden.<br />
Der Gesetzentwurf beinhaltet die folgenden Kernpunkte:<br />
Entbürokratisierung: Die Meldepflichten nach § 10 InvestmentG<br />
sollen entfallen und gesetzliche Fristen für die Genehmigung<br />
von Fondsprodukten eingeführt werden. Die Kreditinstituteigenschaft<br />
von Kapitalanlagegesellschaften soll entfallen.<br />
Ferner entfällt die zusätzliche Aufsicht durch die Bundesbank,<br />
so dass Kapitalanlagegesellschaften künftig nur noch durch die<br />
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) beaufsichtigt<br />
werden. Zudem soll eine vereinfachte Genehmigungspraxis<br />
die Einführung neuer Investmentprodukte beschleunigen.<br />
Förderung von Produktinnovationen: Mit neuen Infrastrukturfonds<br />
(ÖPP-Fonds) soll vermehrt privates Kapital für öffentlich-private<br />
Partnerschaften mobilisiert werden und der ÖPP-<br />
Markt Privatanlegern zugänglich gemacht werden. Eine neue<br />
Assetklasse „Sonstige Sondervermögen“ soll zur Auflage von<br />
innovativen Produkten beitragen. Die Investmentaktiengesellschaft<br />
mit variablem Kapital soll so ausgestaltet werden, dass<br />
09/2007 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 8
ihre Aktien auch grenzüberschreitend unter Inanspruchnahme<br />
der Erleichterungen aus der EU-Investmentrichtlinie (OGAW-<br />
Richtlinie) vertrieben werden können. Damit können Anleger<br />
künftig auch in Deutschland in das in Luxemburg verbreitete<br />
Anlageinstrument „Société d‘investissement à capital variable“<br />
(SICAV) investieren.<br />
Offene Immobilienfonds: Im Hinblick auf offene Immobilienfonds<br />
sollen zwei neue Fondskategorien geschaffen, die Bewertungsvorschriften<br />
reformiert und neue Risikomess-Systeme eingeführt<br />
werden. Außerdem sollen die Rücknahmenregeln geändert<br />
werden. Insoweit soll es künftig möglich sein, von der bisherigen<br />
Verpflichtung zur täglichen Rücknahme der Fondsanteile abzuweichen.<br />
Stattdessen soll mit Anlegern vereinbart werden können, dass<br />
Anteile nur noch einmal im Monat zurückgenommen werden.<br />
Verbesserung des Corporate Governance: Künftig soll ein<br />
unabhängiger Anlegervertreter in den Aufsichtsrat von Aktiengesellschaften<br />
bestellt werden. Außerdem sollen einige Vorgaben<br />
zur Auswahl von konzernfremden Depotbanken geschaffen<br />
werden. Des Weiteren wird zum Schutz nationaler Anleger die<br />
Beschränkung der Kostenvorausbelastung auf richtlinienkonforme<br />
ausländische Investmentfonds erstreckt.<br />
Mit der Novelle des Investmentgesetzes sollen rund 19 Gesetze<br />
geändert werden, darunter das Handelsgesetzbuch, das Börsengesetz,<br />
das Kreditwesengesetz, das Wertpapierhandelsgesetz<br />
und das Versicherungsaufsichtsgesetz.<br />
Linkhinweis:<br />
- Den auf den Webseiten des BMF veröffentlichten Gesetzentwurf<br />
finden Sie hier.<br />
Abberufenen GmbH-Geschäftsführern kann<br />
trotz Geltung des KSchG ohne soziale<br />
Rechtfertigung gekündigt werden<br />
OLG Hamm 20.11.2006, 8 U 217/05<br />
Einem durch Gesellschafterbeschluss abberufenen GmbH-<br />
Geschäftsführer kann selbst dann fristgemäß ordentlich gekündigt<br />
werden, wenn im Anstellungsvertrag die Geltung des Kündigungsschutzgesetzes<br />
(KSchG) vereinbart wurde. Der Verlust<br />
des Geschäftsführeramts stellt in diesem Fall einen personenbedingten<br />
Kündigungsgrund im Sinn des § 1 Abs.2 KSchG dar,<br />
ohne dass die Kündigung einer weitergehenden sozialen Rechtfertigung<br />
bedarf.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger war als Geschäftsführer der beklagten X. GmbH mit<br />
Gesellschafterbeschluss vom 31.3.2005 abberufen worden. Daraufhin<br />
hatte die Beklagte am 1.4.2005 den mit ihm geschlossenen<br />
Geschäftsführeranstellungsvertrag gekündigt.<br />
Der Kläger wandte sich gegen die Kündigung und trug vor,<br />
dass er trotz seiner Abberufung als Geschäftsführer nicht ohne<br />
weiteres hätte gekündigt werden können, weil in § 11 Nr.8 des<br />
Geschäftsführeranstellungsvertrags die Geltung des Kündigungsschutzgesetzes<br />
vereinbart worden sei. Damit habe ihm die<br />
Beklagte nicht ohne eine vorherige Sozialauswahl kündigen dürfen.<br />
Demgegenüber trug die Beklagte vor, dass in dem Anstellungsvertrag<br />
auch geregelt sei, dass die Abberufung zugleich als<br />
ordentliche Kündigung gelte. Eine vorherige Sozialauswahl sei<br />
daher nicht notwendig gewesen.<br />
Die gegen die Kündigung und auf Feststellung des Fortbestehens<br />
des Anstellungsverhältnisses gerichtete Klage hatte keinen<br />
Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Durch die gemäß § 38 Abs.1 GmbHG wirksame Abberufung des<br />
Klägers als Geschäftsführer mit dem Gesellschafterbeschluss<br />
vom 31.3.2005 und durch die nachfolgende schriftliche Kündigung<br />
vom 1.4.2005 wurde das Anstellungsverhältnis des Klägers<br />
beendet.<br />
Entgegen der Auffassung des Klägers durfte die Beklagte sein<br />
Anstellungsverhältnis ohne vorherige Sozialauswahl kündigen.<br />
Angesichts der rechtlichen Trennung zwischen Organ- und<br />
Anstellungsverhältnis kann – wie hier geschehen - im Anstellungsvertrag<br />
festgelegt werden, dass die Abberufung zugleich<br />
als ordentliche Kündigung gilt (so genannte Koppelungsklausel).<br />
Da für die ordentliche Kündigung die Fristen des § 622 BGB<br />
gelten, sind derartige Koppelungsklauseln nur mit der Maßgabe<br />
wirksam, dass die Kündigung nicht sofort wirkt, sondern nur mit<br />
einer § 622 BGB entsprechenden Frist. Diese Voraussetzung ist<br />
vorliegend erfüllt, weil die Beklagte die Kündigung unter Einhaltung<br />
dieser gesetzlichen Kündigungsfrist ausgesprochen hat.<br />
Die Beklagte musste auch keine Sozialauswahl durchführen.<br />
Zwar war in dem Anstellungsvertrag die Geltung des Kündigungsschutzgesetzes<br />
vereinbart worden. Der Verlust der Organstellung<br />
des Klägers stellt aber einen personenbedingten Kündigungsgrund<br />
im Sinn des § 1 Abs.2 KSchG dar, so dass die<br />
Kündigung keiner weitergehenden sozialen Rechtfertigung<br />
bedurfte.<br />
Linkhinweis:<br />
- Für die in der Rechtssprechungsdatenbank NRW veröffentlichte<br />
Entscheidung klicken Sie bitte hier.<br />
Bankrecht<br />
Europäisches Parlament verabschiedet<br />
Richtlinie über Zahlungsdienste<br />
Das Europäische Parlament hat am 24.4.2007 den Vorschlag für<br />
eine Richtlinie über Zahlungsdienste (Payment Services Direktive,<br />
PSD) verabschiedet. Ziel der Richtlinie ist es, dass grenzüberschreitende<br />
Zahlungen künftig so einfach, billig, und sicher werden<br />
wie Zahlungen innerhalb eines Mitgliedstaats. Das gilt insbesondere<br />
für Überweisungen, Lastschriften und Kartenzahlungen. Die<br />
Richtlinie wird nun dem EU-Rat zur endgültigen Verabschiedung<br />
vorgelegt und muss dann spätestens bis zum 1.11.2009 von den<br />
Mitgliedstaaten in nationales Recht umgesetzt werden.<br />
Weitere Ziele der Richtlinie:<br />
Mit der Richtlinie soll gleichzeitig auch eine Rechtsgrundlage<br />
für den einheitlichen Europäischen Zahlungsverkehrsraum (Single<br />
Euro Payments Area, SEPA) geschaffen werden. Außerdem<br />
sollen die Neuregelungen die Rechte und den Schutz aller Nutzer<br />
von Zahlungsdienstleistungen (Verbraucher, Unternehmen<br />
und öffentliche Stellen) verbessern. Weiteres Ziel ist es, dass die<br />
Zahlungsmärkte durch die Verbesserung des Wettbewerbs effizienter<br />
und kostengünstiger werden.<br />
09/2007 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 9
Stellungnahme von EZB und Kommission:<br />
Die Europäische Zentralbank (EZB) und die Europäische Kommission<br />
haben die Verabschiedung der Richtlinie begrüßt. Hierin<br />
liege ein entscheidender Schritt zur Verwirklichung des einheitlichen<br />
Europäischen Zahlungsverkehrsraums (SEPA). Die<br />
Richtlinie erleichtere durch die Harmonisierung des geltenden<br />
Rechtsrahmens die Umsetzung der SEPA-Instrumente durch den<br />
Bankensektor sowie ihre Annahme durch die Endnutzer erheblich<br />
und bilde somit die Grundlage für einen einheitlichen Markt<br />
für Euro-Zahlungen.<br />
Linkhinweise:<br />
Auf den Webseiten der EU-Kommission finden Sie weiterführende<br />
Informationen zum Thema:<br />
- Materialien zur Richtlinie über Zahlungsdienste<br />
- Memo zur Richtlinie über Zahlungsdienste (englisch)<br />
- Gemeinsame Pressemitteilung zum Thema von der EZB<br />
und der EU-Kommission vom 4.5.2006<br />
Wettbewerbsrecht<br />
und Gewerblicher<br />
Rechtsschutz<br />
Bundesregierung will Rechte des geistigen<br />
Eigentums besser sichern<br />
Die Bundesregierung hat am 25.4.2007 einen Gesetzentwurf<br />
(BT.-DRs.: 16/5048) vorgelegt, der den Schutz des geistigen<br />
Eigentums verbessern und die Rechteinhaber beim Kampf gegen<br />
die Produktpiraterie unterstützen soll. Der Gesetzentwurf sieht<br />
unter anderem eine Regelung über Abmahnungen nach urheberrechtlichen<br />
Rechtsverletzungen vor. Daneben soll das innerstaatliche<br />
Recht an die Grenzbeschlagnahmeverordnung sowie<br />
an die Verordnung zum Schutz von geografischen Angaben und<br />
Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel<br />
den europäischen Vorgaben angepasst werden.<br />
Der Bundesrat hat den Gesetzentwurf in einer ersten Stellungnahme<br />
begrüßt, aber auch Bedenken geäußert, ob das Ziel der<br />
EU-Richtlinien hiermit erreicht werden könne. Ferner sei fraglich,<br />
ob die Rechteinhaber ihre Rechte hinreichend effektiv<br />
durchsetzen können. Dies sei insbesondere im Hinblick auf den<br />
im Gesetzentwurf vorgesehen Richtervorbehalt beim Auskunftsanspruch<br />
gegenüber Dritten problematisch.<br />
Linkhinweis:<br />
- Für den auf den Webseiten des Bundestags veröffentlichten<br />
Gesetzentwurf klicken Sie bitte hier.<br />
Banken dürfen Zinshöhe für Festgeldanlagen<br />
vom Ergebnis eines Fußballturniers<br />
abhängig machen<br />
BGH 19.4.2007, I ZR 57/05<br />
Banken dürfen die Höhe der Zinsen für eine Festgeldanlage vom<br />
Ergebnis eines Fußballturniers (hier: Fußball-Europameisterschaft<br />
2004) abhängig machen. Dies stellt kein wettbewerbswidriges<br />
Gewinnspiel dar, weil § 4 Nr.6 UWG lediglich Fälle erfasst, in<br />
denen die Teilnahme an einem Gewinnspiel von einem Umsatzgeschäft<br />
abhängig gemacht wird. Die Vorschrift setzt damit ein von<br />
dem Umsatzgeschäft getrenntes Gewinnspiel voraus.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die beklagte Postbank hatte im Juni 2004 vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft<br />
in Portugal unter der Überschrift „Postbank<br />
Bonus Volltreffer. Jetzt auf die Nationalelf setzen!“ für eine<br />
Festgeldanlage geworben, bei der die Anleger neben einer garantierten<br />
Basisverzinsung von 2,3 bis 1,5 Prozent einen zusätzlichen<br />
Zinsbonus „von bis zu 150 Prozent“ erzielen konnten.<br />
Der Zinsbonus war gestaffelt nach dem jeweiligen Abschneiden<br />
der Fußball-Nationalmannschaft. Der garantierte Basiszinssatz<br />
sollte sich bei Erreichen des Viertelfinales um 25 Prozent, des<br />
Halbfinales um 50 Prozent, des Finales um 75 Prozent und im<br />
Falle des Titelgewinns um 150 Prozent erhöhen. Wäre die deutsche<br />
Mannschaft Europameister geworden, hätte der Zinssatz<br />
3,75 Prozent betragen.<br />
Der Kläger ist ein Wettbewerbsverband. Er hielt das Angebot der<br />
Beklagten für ein wettbewerbswidriges Gewinnspiel. Nach §§ 3, 4<br />
Nr.6 UWG dürfe die Teilnahme von Verbrauchern an einem Preisausschreiben<br />
oder Gewinnspiel nicht vom Erwerb einer Ware oder<br />
von der Inanspruchnahme einer Dienstleistung abhängig gemacht<br />
werden. Die Unterlassungsklage hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Das Angebot der Beklagten stellt kein wettbewerbswidriges<br />
Gewinnspiel dar. § 4 Nr.6 UWG erfasst lediglich Fälle, in denen<br />
die Teilnahme an einem Gewinnspiel von einem Umsatzgeschäft<br />
abhängig gemacht wird. Die Vorschrift setzt damit ein von dem<br />
Umsatzgeschäft getrenntes Gewinnspiel voraus.<br />
Diese Voraussetzung ist vorliegend nicht erfüllt, weil die Beklagte<br />
ihren Kunden nicht die Teilnahme an der Verlosung von Geld-<br />
oder Sachpreisen versprochen hat. Sie hat die Höhe der Zinsen<br />
auf die Festgeldanlage vielmehr von dem unsicheren Ausgang<br />
eines Sportereignisses abhängig gemacht. Damit sollte das<br />
Umsatzgeschäft unmittelbar von dem Spielelement beeinflusst<br />
werden. Ein vom Umsatzgeschäft getrenntes Gewinnspiel liegt<br />
folglich nicht vor.<br />
Die Werbung stellt auch keine nach § 4 Nr.1 UWG verbotene<br />
unsachliche Beeinflussung der Verbraucher dar.<br />
Internet-Auktionshäuser können zur Unterlassung<br />
von Markenverletzungen verpflichtet<br />
sein<br />
BGH 19.4.2007, I ZR 35/04<br />
Werden gefälschte Waren (hier: „ROLEX“-Uhren ) in Internet-<br />
Auktionshäusern (hier: eBay) angeboten, kann das Internet-Auktionshaus<br />
dazu verpflichtet sein, nicht nur das konkrete Angebot<br />
09/2007 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 10
unverzüglich zu sperren, sondern grundsätzlich auch Vorsorge dafür<br />
zu treffen, dass es nicht zu weiteren Markenverletzungen kommt.<br />
Dies setzt voraus, dass das Internet-Auktionshaus vom Markeninhaber<br />
auf die Fälschungen hingewiesen worden ist, bei denen es<br />
sich um eindeutig erkennbare Markenverletzungen handelt.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin ist Inhaberin der Gemeinschaftsmarke und der<br />
nationalen Marke „ROLEX“. Die Beklagte betreibt das Internet-Auktionshaus<br />
eBay. Hier werden Angebote von Nutzern ins<br />
Internet gestellt, ohne dass die Beklagte zuvor Kenntnis von diesen<br />
Angeboten hat. Im Zeitraum von 2000 bis 2001 waren auf<br />
der Internetplattform der Beklagten zahlreiche Uhren mit einem<br />
„ROLEX“-Emblem verkauft worden, bei denen es sich zum<br />
größten Teil um Fälschungen gehandelt hat. Die Klägerin verlangte<br />
von der Beklagten das Angebot solcher Uhren im Internet<br />
zu unterlassen.<br />
LG und OLG wiesen die hierauf gerichtete Klage ab, weil die<br />
Beklagte für das Angebot der Uhren nicht verantwortlich sei.<br />
Auf die Revision der Klägerin hob der BGH das Urteil auf und<br />
wies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an<br />
das OLG zurück.<br />
Die Gründe:<br />
Die Klägerin kann gegen die Beklagte einen Unterlassungsanspruch<br />
haben. Die Beklagte kann sich insbesondere nicht auf<br />
das im Telemediengesetz geregelte Haftungsprivileg für Host-<br />
Provider berufen. Dieses Privileg betrifft nur die strafrechtliche<br />
Verantwortlichkeit und die Haftung des Providers auf Schadensersatz.<br />
Unterlassungsansprüche sind hiervon jedoch nicht<br />
erfasst. Daher kommt eine Haftung der Beklagten als Störerin<br />
in Betracht, weil sie es den Anbietern ermöglicht hat, gefälschte<br />
Uhren auf ihrer Internetplattform anzubieten.<br />
Ein Unterlassungsanspruch der Klägerin würde voraussetzen,<br />
dass die Anbieter der gefälschten Uhren im geschäftlichen Verkehr<br />
gehandelt haben, weil nur dann eine Markenverletzung vorliegt.<br />
Wird die Beklagte von einem Markeninhaber auf eine klar<br />
erkennbare Rechtsverletzung hingewiesen muss sie nicht nur das<br />
konkrete Angebot unverzüglich sperren, sondern grundsätzlich<br />
auch Vorsorge dafür treffen, dass es nicht zu weiteren entsprechenden<br />
Markenverletzungen kommt.<br />
Insofern dürfen der Beklagten keine unzumutbaren Prüfungspflichten<br />
auferlegt werden, die das gesamte Geschäftsmodell<br />
in Frage stellen würden. Die Beklagte ist jedoch verpflichtet,<br />
technisch mögliche und ihr zumutbare Maßnahmen zu ergreifen,<br />
damit gefälschte „ROLEX“-Uhren gar nicht erst im Internet<br />
angeboten werden können.<br />
Das OLG muss nun klären, ob es sich in den Fällen, in denen die<br />
Beklagte auf Fälschungen hingewiesen worden ist, um eindeutig<br />
erkennbare Markenverletzungen gehandelt hat.<br />
Zwangsvollstreckung und<br />
Insolvenz<br />
Zur Erhöhung der Vergütung eines Insolvenzverwalters<br />
bei nachträglichem Bekanntwerden<br />
einer Erbschaft des Schuldners<br />
BGH 1.3.2007, IX ZB 280/05<br />
Insolvenzverwalter haben nicht unbedingt einen Anspruch auf<br />
eine höhere Vergütung, wenn nach Einreichen des Insolvenz-<br />
Schlussberichts bekannt wird, dass der zunächst vermögenslose<br />
Schuldner während des laufenden Insolvenzverfahrens eine Erbschaft<br />
gemacht hat, welche die Summe der Insolvenzforderungen<br />
um ein Vielfaches übersteigt. Hieraus folgt nicht ohne weiteres,<br />
dass der Arbeitsaufwand des Insolvenzverwalters in Folge<br />
der Erbschaft höher gewesen wäre als bei einem üblichen Verfahren<br />
mit einem von vorneherein vorhandenen Massewert.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Beschwerdeführer war zum Insolvenzverwalter über das Vermögen<br />
des Schuldners S. bestellt worden. Im Januar 2004 reichte<br />
er beim Insolvenzgericht den Schlussbericht ein und teilte mit,<br />
dass das Verfahren abschlussreif sei. Im Schlussbericht wies er<br />
darauf hin, dass die Summe der anerkannten angemeldeten Forderungen<br />
rund 84.000 Euro betrage und die Masse bei null Euro<br />
liege. Der Beschwerdeführer beantragte daher, die Mindestvergütung<br />
von 500 Euro zuzüglich Auslagen und Umsatzsteuer, zusammen<br />
667 Euro festzusetzen.<br />
In der Folgezeit erfuhr der Beschwerdeführer, dass der Vater von<br />
S. im Dezember 2003 verstorben war und ihm 758.000 Euro vererbt<br />
hatte. Aus diesem Grund verlangte der Beschwerdeführer die<br />
Festsetzung einer Vergütung in Höhe von insgesamt 53.500 Euro.<br />
Das Insolvenzgericht setzte die Vergütung des Beschwerdeführers<br />
neu fest, indem es eine Insolvenzmasse von 758.000 Euro<br />
berücksichtigte. Hieraus ergab sich ein Regelvergütung in Höhe<br />
von 43.000 Euro, die es allerdings gemäß § 3 Abs.1 InsVV auf<br />
rund 17.000 Euro kürzte, weil der Beschwerdeführer keinen<br />
erhöhten Arbeitsaufwand mit der Sache gehabt habe. Die hiergegen<br />
gerichtete Rechtsmittel hatten keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Beschwerdeführer kann keine Vergütung in Höhe von 53.500<br />
Euro verlangen. Die Festsetzung der Vergütung auf 17.000 Euro<br />
ist nicht zu beanstanden.<br />
Gemäß § 35 InsO gehört das vom Insolvenzschuldner während<br />
des Insolvenzverfahrens erworbene Vermögen zur Insolvenzmasse.<br />
Die 758.000 Euro, die S. während des noch laufenden<br />
Insolvenzverfahrens im Dezember 2003 als Erbschaft erhalten<br />
hatte, zählen daher zur Insolvenzmasse. Das Erbe ist somit in die<br />
Bemessungsgrundlage für die Vergütung des Beschwerdeführers<br />
einzubeziehen.<br />
Die auf dieser Grundlage errechnete Vergütung in Höhe von<br />
43.000 Euro haben die Vorinstanzen allerdings zu Recht gemäß<br />
§ 3 Abs.1 InsVV auf rund 17.000 Euro gekürzt. Der Beschwerdeführer<br />
hat nicht hinreichend dargelegt, dass sein Arbeitsaufwand<br />
in Folge der Erbschaft höher gewesen wäre als bei einem<br />
üblichen Verfahren mit einem von vorneherein vorhandenen<br />
Massewert von 758.000 Euro.<br />
09/2007 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 11
Linkhinweis:<br />
- Für die auf den Webseiten des BGH veröffentlichte Entscheidung<br />
klicken Sie bitte hier.<br />
Gebühren und Kosten<br />
Unternehmen hat eigene Rechtsabteilung:<br />
Die Terminreisekosten der eingeschalteten<br />
„Hauskanzlei“ können trotzdem erstattungsfähig<br />
sein<br />
KG Berlin 16.3.2007, 1 W 276/06<br />
Unternehmen, die sich in allen Patentstreitigkeiten regelmäßig<br />
von ihrer an einem anderen Ort ansässigen „Hauskanzlei“ vertreten<br />
lassen, können die Erstattung von den Terminreisekosten der<br />
Anwälte zu einem auswärtigen Gerichtstermin verlangen. Dies<br />
gilt selbst dann, wenn das Unternehmen über eine eigene Rechtsabteilung<br />
verfügt.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Antragstellerin lässt sich in allen Fragen des gewerblichen<br />
Rechtsschutzes von den einer in M. ansässigen Rechtsanwaltskanzlei<br />
vertreten. Als es zwischen ihr und einem konkurrierenden Unternehmen<br />
zu einem Patentstreit kam, beauftragte die Antragstellerin,<br />
die auch über eine eigene Rechtsabteilung verfügt, wieder die<br />
Rechtsanwaltskanzlei in M. mit der Vertretung ihrer Interessen.<br />
Weil der Prozess in B. stattfand, machte die Antragstellerin Terminreisekosten<br />
für die aus M. angereisten Anwälte geltend. Die<br />
Rechtspflegerin kam diesem Begehren nicht nach, weil sie diese<br />
Kosten für nicht notwendig hielt. Es sei der Antragstellerin<br />
zumutbar gewesen, ihre eigene Rechtsabteilung mit der Sache zu<br />
beauftragen. Deren Mitarbeiter seien auch mit der Sache befasst<br />
gewesen und hätten einen in B. ansässigen <strong>Anwalt</strong> mit der Sache<br />
fernmündlich beauftragen können. Das hiergegen gerichtete<br />
Rechtsmittel der Antragstellerin hatte Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Antragstellerin kann die Festsetzung der Terminreisekosten<br />
für die von ihr beauftragten Anwälte der Kanzlei in M. verlangen.<br />
Entgegen der Auffassung der Rechtspflegerin musste die<br />
Klägerin nicht ihre eigene Rechtsabteilung mit der Sache beauftragen,<br />
damit diese einen in B. ansässigen Rechtsanwalt mit der<br />
Sache betrauen.<br />
Die Notwendigkeit der Beauftragung der Kanzlei in M. ergab sich<br />
aus einer betriebsorganisatorischen Entscheidung der Antragstellerin,<br />
die Kanzlei regelmäßig und bundesweit mit der Vertretung in<br />
Angelegenheiten des gewerblichen Rechtsschutzes zu beauftragen.<br />
Liegt eine solche betriebsorganisatorische Entscheidung vor, ist<br />
das sonst erforderliche persönliche Mandantengespräch zur Herstellung<br />
eines Vertrauensverhältnisses nicht mehr erforderlich.<br />
Dies hat auch der BGH mit Urteil vom 28.6.2006 (Az.: IV ZB<br />
44/05) im Fall eines bundesweit tätigen Versicherungsunternehmens<br />
entschieden, das sich regelmäßig von seinem „Hausanwalt“<br />
vertreten ließ. Der BGH hat hierzu ausgeführt, dass die<br />
gewählte Organisationsform von dem berechtigten Interesse des<br />
Unternehmens getragen werde, sich durch den Rechtsanwalt seines<br />
Vertrauens vertreten zu lassen. Dieses Interesse sei ebenso<br />
wichtig wie ein etwaiges Interesse am persönlichen Kontakt zu<br />
dem Mandanten. Die vom BGH aufgestellten Grundsätze gelten<br />
auch, wenn – wie hier – ein ständiger patentrechtlicher Berater<br />
beauftragt worden ist.<br />
Auf die etwaigen Rechtskenntnisse der hauseigenen Rechtsabteilung<br />
der Antragstellerin kommt es dabei nicht an. Denn die<br />
Beauftragung der Kanzlei in M. beruhte auf der sachlich begründeten<br />
Entscheidung der Antragstellerin, die Wahrnehmung ihrer<br />
Interessen in Patentstreitigkeiten einheitlich in die Hände der<br />
Rechts- und Patentanwälte der Kanzlei in M. zu legen.<br />
Linkhinweis:<br />
- Für die auf den Webseiten des BGH veröffentlichte Entscheidung<br />
des BGH vom 28.6.2006 klicken Sie bitte hier.<br />
Berufsrecht<br />
Neuregelung der Telefonüberwachung:<br />
BStBK kritisiert geplante Einschränkung<br />
des Zeugnisverweigerungsrechts von Steuerberatern<br />
Die Bundessteuerberaterkammer (BStBK) hat sich am 19.4.2007<br />
gegen die vom Bundeskabinett im Rahmen des Gesetzentwurfs<br />
zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung beschlossene<br />
Einschränkung des Zeugnisverweigerungsrechts gewandt.<br />
Diese greift nach Auffassung der BStBK massiv in das Vertrauensverhältnis<br />
zwischen Steuerberatern und ihren Klienten ein und<br />
begegnet erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken.<br />
Neuregelung sieht unterschiedlichen Schutz von Berufsgeheimnisträgern<br />
vor<br />
Die geplante Neuregelung differenziert zwischen dem Vertrauensverhältnis<br />
zu Seelsorgern, Strafverteidigern und Abgeordneten,<br />
das durch umfassende Erhebungs- und Verwertungsverbote<br />
besonders geschützt werden soll, und dem Vertrauensverhältnis<br />
zu den übrigen Berufsgeheimnisträgern (insbesondere Rechtsanwälte,<br />
Steuerberater, Ärzte und Journalisten). Letztere sollen nach<br />
einer sorgfältigen Verhältnismäßigkeitsabwägung im Einzelfall in<br />
verdeckte Ermittlungsmaßnahmen einbezogen werden dürfen.<br />
BStBK befürchtet Aushöhlung des Zeugnisverweigerungsrecht<br />
Die BStBK befürchtet, dass Steuerberater künftig über die ihnen<br />
anvertrauten oder bei der Berufsausübung bekannt gewordenen<br />
Tatsachen grundsätzlich Auskunft geben müssen. Hierdurch<br />
werde das Vertrauensverhältnis zwischen Steuerberatern<br />
und ihren Klienten massiv ausgehöhlt. Außerdem begegne die<br />
geplante Neuregelung verfassungsrechtlichen Bedenken, da<br />
die Schweigepflicht nach der Rechtsprechung des BVerfG zum<br />
anwaltlichen Berufs- und Standesrecht zu den für die Aufrechterhaltung<br />
einer funktionsfähigen Rechtspflege unerlässlichen<br />
Berufspflichten gehöre.<br />
Unzulässiges Zwei-Klassensystem beim Schutz von Berufsgeheimnisträgern?<br />
Die BStBK bemängelt außerdem, dass der Gesetzgeber Seelsorger,<br />
Strafverteidiger und Parlamentarier von den neuen Einschränkungen<br />
des Zeugnisverweigerungsrechts ausnehmen wolle. Hiermit<br />
würden unzulässigerweise zeugnisverweigerungsberechtigte<br />
Personen „erster“ und „zweiter Klasse“ geschaffen.<br />
09/2007 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 12
BStBK lobt Pläne für eine bessere Strafverfolgung bei<br />
Umsatzsteuerbetrug<br />
Die ebenfalls beschlossene Abschaffung des umstrittenen § 370a<br />
AO ist dagegen bei der BStBK auf Lob und Zustimmung gestoßen.<br />
Der Gesetzgeber habe damit einer wiederholt vorgetragenen<br />
Forderung der BStBK entsprochen. Künftig soll die bandenmäßige<br />
Umsatzsteuerhinterziehung als besondere Begehungsform<br />
der schweren Steuerhinterziehung in § 370 AO geregelt werden.<br />
Nach Auffassung der BStBK trage die Neuregelung verfassungsrechtlichen<br />
Bedenken gegen die Bestimmtheit des § 370a AO<br />
Rechnung. Gleichzeitig würden die Strafverfolgungsmöglichkeiten<br />
bei Umsatzsteuerbetrug wesentlich verbessert.<br />
Linkhinweis:<br />
Für den auf den Webseiten des Bundesjustizministeriums<br />
(BMJ) veröffentlichten Regierungsentwurf zur Neuregelung<br />
der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter<br />
Ermittlungsmaßnahmen klicken Sie bitte hier (PDF-Datei).<br />
Verwaltungs- und<br />
Verfassungsrecht<br />
Unternehmen baut kein UMTS-Netz auf:<br />
Bundesnetzagentur darf UMTS-Lizenz<br />
widerrufen<br />
VG Köln 25.4.2007, 21 K 3675/05<br />
Die Bundesnetzagentur darf Telekommunikationsunternehmen,<br />
die UMTS-Lizenzen ersteigert haben, diese Lizenz wieder entziehen,<br />
wenn die Unternehmen nicht die an den Erwerb der<br />
Lizenz geknüpfte Bedingung erfüllen, dass sie ein UMTS-Netz<br />
aufbauen. In einem solchen Fall können die Unternehmen regelmäßig<br />
auch nicht den Zuschlagspreis zurückfordern.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Klägerin hatte im Jahr 2000 für rund 8,5 Milliarden Euro eine<br />
UMTS-Lizenz ersteigert. Der Erwerb der Lizenz war mit der Bedingung<br />
verknüpft, dass deren Inhaber ein UMTS-Netz aufbaut, mit<br />
dem bis zum 31.12.2003 mindestens 25 Prozent der Bevölkerung<br />
versorgt werden kann. Nachdem die beklagte Bundesnetzagentur<br />
(früher: Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post)<br />
festgestellt hatte, dass die Klägerin diese Voraussetzung nicht erfüllt<br />
hatte, widerrief sie die UMTS-Lizenz.<br />
Die hiergegen gerichtete Klage der Klägerin, mit der sie auch erreichen<br />
wollte, dass ihr der Zuschlagspreis von 8,5 Milliarden Euro<br />
zurückgezahlt wird, hatte keinen Erfolg. Das VG ließ allerdings die<br />
Berufung zu.<br />
Die Gründe:<br />
Die Beklagte durfte die Lizenz der Klägerin widerrufen, weil<br />
diese die an den Erwerb geknüpfte Bedingung zum Aufbau eines<br />
UMTS-Netzes nicht erfüllt hat. Die Klägerin kann auch keine<br />
Erstattung des Zuschlagspreises verlangen. Insofern hat sie es<br />
selbst zu vertreten, dass sie in Kenntnis der Bedingung kein Netz<br />
aufgebaut hat. Des Weiteren sind die Zuschlags- und Zahlungsbescheide<br />
der Beklagte rechtskräftig, weil die Klägerin sie nicht<br />
fristgerecht angefochten hat.<br />
Einführung von Ethikunterricht an Berliner<br />
Schulen ist verfassungsgemäß<br />
BVerfG 15.3.2007, 1 BvR 2780/06<br />
Die im Land Berlin mit Wirkung für das Schuljahr 2006/2007<br />
erfolgte Einführung eines verbindlichen Ethikunterrichts ohne<br />
Abmeldemöglichkeit an den öffentlichen Schulen ist verfassungsgemäß.<br />
Hierin liegt weder eine Verletzung der Religionsfreiheit<br />
der Schüler noch des Erziehungsrechts ihrer Eltern, da<br />
die Schüler weiterhin - freiwillig und zusätzlich zum Ethikunterricht<br />
- am Religionsunterricht teilnehmen können.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Bei den Beschwerdeführern handelt es sich um ein 13-jähriges<br />
Mädchen, das in Berlin eine öffentliche Schule besucht, und<br />
ihre Eltern. Sie hielten die in Berlin mit Wirkung zum Schuljahr<br />
2006/2007 erfolgte Einführung des Ethikunterrichts als Pflichtfach<br />
und die daneben nur freiwillig bestehende Möglichkeit zur<br />
Teilnahme am Religionsunterricht für verfassungswidrig.<br />
Die Beschwerdeführer wandten sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde<br />
zunächst unmittelbar gegen die entsprechenden<br />
Vorschriften des Berliner Schulgesetzes. Nachdem diese Verfassungsbeschwerde<br />
als unzulässig abgewiesen worden war,<br />
beantragten sie bei der Berliner Schulverwaltung die Befreiung<br />
des Mädchens vom Ethikunterricht und begründeten dies<br />
mit religiösen Erwägungen und Gewissensbedenken. Gleichzeitig<br />
stellten sie beim VG einen Eilantrag auf Freistellung vom<br />
Besuch des Ethikunterrichts.<br />
Sowohl die Schulverwaltung als auch das VG wiesen das Begehren<br />
der Beschwerdeführer zurück. Ihre daraufhin erneut erhobene<br />
Verfassungsbeschwerde nahm das BVerfG nicht zur Entscheidung<br />
an.<br />
Die Gründe:<br />
Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die<br />
Einführung eines Ethikunterrichts ohne Abmeldemöglichkeit an<br />
Berliner Schulen. Hierdurch wird weder die Religionsfreiheit<br />
der Schüler noch das Erziehungsrecht ihrer Eltern verletzt.<br />
Der für alle Schüler verpflichtende Ethikunterrichtet verfolgt die<br />
legitimen Ziele, Minderheiten zu integrieren und die Fähigkeiten<br />
der Schüler zur Toleranz sowie zum Dialog mit Anhängern der<br />
verschiedenen Religionen und Weltanschauungen zu fördern.<br />
Außerdem soll den Schülern hierdurch eine gemeinsame Wertebasis<br />
vermittelt werden. Das Land Berlin durfte davon ausgehen,<br />
dass diesen Anliegen bei einem nach den jeweiligen Glaubensrichtungen<br />
getrennt erteilten Religionsunterricht nicht in<br />
gleicher Weise Rechnung getragen werden kann wie durch einen<br />
gemeinsamen Pflicht-Ethikunterricht.<br />
Die verpflichtende Einführung von Ethikunterricht führt auch nicht<br />
dazu, dass Schülern die beabsichtigte Teilnahme am Religionsunterricht<br />
in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise erschwert wird.<br />
Denn die zusätzliche Teilnahme am Religionsunterricht führt nur<br />
zu einer geringfügigen zeitlichen Mehrbelastung.<br />
Linkhinweis:<br />
- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />
BVerfG veröffentlicht.<br />
- Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />
09/2007 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 13
Altersgrenze für öffentlich bestellte Sachverständige<br />
von 68 Jahren verstößt nicht<br />
gegen das AGG<br />
VG Mainz 21.3.2007, 6 L 149/07.MZ<br />
Eine Altersgrenze für öffentlich bestellte Sachverständige von<br />
68 Jahren verstößt nicht gegen das Verbot der Diskriminierung<br />
wegen des Alters gemäß § 1 AGG. Es ist schon fraglich, ob das<br />
AGG in diesem Fall überhaupt anwendbar ist. Jedenfalls ist die<br />
Altersgrenze aber gerechtfertigt. Sie dient dem legitimen Ziel,<br />
die mit der öffentlichen Bestellung verbundene besondere Qualifikation<br />
denjenigen vorzubehalten, die die diesbezüglichen<br />
Anforderungen in körperlicher und geistiger Hinsicht voraussichtlich<br />
erfüllen können.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Antragsteller war von der IHK Rheinhessen als Sachverständiger<br />
öffentlich bestellt worden. Nach der Sachverständigenverordnung<br />
der IHK erlischt die öffentliche Bestellung grundsätzlich<br />
mit Vollendung des 68. Lebensjahrs, kann allerdings<br />
einmalig um zwei Jahre verlängert werden. Von dieser Ausnahmeregelung<br />
profitierte auch der Antragsteller, dessen öffentliche<br />
Bestellung bis zur Vollendung des 70. Lebensjahrs verlängert<br />
wurde. Seinen Antrag auf eine weitere Verlängerung lehnte die<br />
IHK jedoch ab.<br />
Mit seinem hiergegen gerichteten Antrag machte der Antragsteller<br />
geltend, dass die Ablehnung gegen das AGG verstoße.<br />
Hiernach dürfe die IHK eine Verlängerung der öffentlichen<br />
Bestellung nicht allein wegen seines Alters ablehnen, zumal er<br />
körperlich und geistig fit sei. Der Antrag hatte vor dem VG keinen<br />
Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verlängerung seiner öffentlichen<br />
Bestellung als Sachverständiger.<br />
Es ist schon fraglich, ob das AGG im Streitfall überhaupt Anwendung<br />
findet, da es nach § 2 Abs.1 Nr.1 AGG lediglich Benachteiligungen<br />
in Bezug auf eine unselbständige oder selbstständige<br />
Erwerbstätigkeit verbietet. Öffentlich bestellte Sachverständige<br />
üben keine unselbständige Tätigkeit aus. Es ist auch zweifelhaft,<br />
ob hierin eine eigenständige selbständige Tätigkeit zu sehen ist.<br />
Denn die öffentliche Bestellung schafft keine neue, zusätzliche<br />
Betätigungsmöglichkeit gegenüber der des freien Sachverständigen,<br />
sondern beinhaltet lediglich eine Zusatzqualifikation, die<br />
den Sachverständigen-Aussagen einen erhöhten Wert verleihen.<br />
Eine etwaige Ungleichbehandlung wegen des Alters ist jedenfalls<br />
gerechtfertigt. Sie dient dem legitimen Ziel, die mit der öffentlichen<br />
Bestellung verbundene besondere Qualifikation denjenigen<br />
vorzubehalten, die die diesbezüglichen Anforderungen in körperlicher<br />
und geistiger Hinsicht voraussichtlich erfüllen können.<br />
Es ist insoweit nicht zu beanstanden, dass die Sachverständigenordnung<br />
der IHK typisierend davon ausgeht, dass die Leistungsfähigkeit<br />
von Berufstätigen ab Vollendung des 70. Lebensjahrs<br />
durchschnittlich abnimmt. Daher kommt es im Streitfall nicht<br />
auf die individuelle Leistungsfähigkeit des Antragstellers an.<br />
Strafrecht und OWi<br />
Bundeskabinett beschließt Neuregelung der<br />
Telefonüberwachung – BRAK und DAV kritisieren<br />
den Gesetzentwurf<br />
Das Bundeskabinett hat am 18.4.2007 einen Gesetzentwurf zur<br />
Neuregelung der Telefonüberwachung und anderer verdeckter<br />
Ermittlungsmaßnahmen beschlossen. Danach soll unter anderem<br />
die Vorratsspeicherung entsprechend den Vorgaben einer EU-<br />
Richtlinie neu geregelt werden. Vorgesehen ist eine verdachtsunabhängige<br />
sechsmonatige Speicherung aller Telefon- und<br />
Internet- und E-Mail-Verbindungsdaten. Bundesrechtsanwaltskammer<br />
(BRAK) und Deutscher <strong>Anwalt</strong>sverein (DAV) lehnen<br />
den Entwurf als zu weitgehend ab.<br />
Die wesentlichen Inhalte des Gesetzentwurfs im Überblick:<br />
Neuregelung der Vorratsspeicherung: Sämtliche Telefon-,<br />
Internet- und E-Mail-Verbindungsdaten sollen ein halbes Jahr<br />
lang gespeichert werden können. Bei Telefonaten wird grundsätzlich<br />
nur gespeichert, wer wann mit wem gesprochen hat und<br />
bei Handy-Telefonaten zusätzlich die Standorte. Die Inhalte der<br />
Telefonate dürfen dagegen nicht verdachtstunabhängig erfasst<br />
werden, sondern nur unter den weiteren Voraussetzungen von §<br />
100a StPO.<br />
Aus dem Bereich des Internets sind nur die Daten über den Internetzugang<br />
sowie über die E-Mail-Kommunikation und Internetelefonie<br />
erfasst. Der Inhalt der Kommunikation und Daten,<br />
die Aufschluss über die besuchten Internetseiten geben, dürfen<br />
dagegen nicht verdachtsunabhängig gespeichert werden. Nach<br />
Angaben der Bundesregierung ist zudem eine verdeckte Onlinedurchsuchung,<br />
wie sie derzeit diskutiert wird, ebenfalls nicht<br />
Inhalt der geplanten Neuregelung.<br />
Neuer Straftatenkatalog für die Telefonüberwachung:<br />
Der Katalog der Straftaten in § 100a StPO, die Anlass für eine<br />
Telekommunikationsüberwachung sein können, soll auf schwere<br />
Straftaten begrenzt und modernisiert werden. So fallen beispielsweise<br />
die Verbreitung von Propagandamitteln, die Zuwiderhandlung<br />
gegen ein Vereinsverbot und fahrlässige Straftaten<br />
nach dem Waffengesetz aus dem Katalog raus. Neu aufgenommen<br />
werden beispielsweise Korruptions- und Menschenhandelsdelikte,<br />
sexueller Missbrauch und Raub.<br />
Schutz von Berufsgeheimnisträgern: Berufsgeheimnisträger<br />
sollen ihr derzeitiges Zeugnisverweigerungsrecht zwar behalten.<br />
Die Neuregelung differenziert aber zwischen dem Vertrauensverhältnis<br />
zu Seelsorgern, Strafverteidigern und Abgeordneten,<br />
das durch umfassende Erhebungs- und Verwertungsverbote<br />
besonders geschützt werden soll, und dem Vertrauensverhältnis<br />
zu den übrigen Berufsgeheimnisträgern (insbesondere Rechtsanwälte,<br />
Ärzte und Journalisten). Letztere sollen nach einer sorgfältigen<br />
Verhältnismäßigkeitsabwägung im Einzelfall in Ermittlungsmaßnahmen<br />
einbezogen werden dürfen.<br />
Besserer Grundrechtsschutz: Der Grundrechtsschutz bei<br />
heimlichen Telefonüberwachungen und Ermittlungsmaßnahmen<br />
soll gestärkt werden. Dies soll zum einen durch Verfahrenssicherungen<br />
geschehen. So ist etwa vorgesehen, dass Betroffene<br />
grundsätzlich bei allen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen im<br />
Nachhinein über die Überwachungen unterrichtet werden müs-<br />
09/2007 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 14
sen. Darüber hinaus sollen sie die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen<br />
generell nachträglich von einem Gericht überprüfen lassen<br />
können.<br />
Zum anderen soll der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung<br />
entsprechend den Vorgaben des BVerfG besonders geschützt<br />
werden. Die geplante Neuregelung sieht insoweit ein grundsätzliches<br />
Abhörverbot für Privatgespräche mit Familienangehörigen<br />
und engen Freunden vor. Konkret heißt es: „Die Telefonüberwachung<br />
ist immer unzulässig, wenn zu erwarten ist, dass<br />
durch die Überwachung allein Erkenntnisse aus diesem privaten<br />
Lebensbereich erlangt werden“. Trotzdem erlangte Kenntnisse<br />
über Privattelefonate dürfen nicht verwertet und müssen unverzüglich<br />
gelöscht werden.<br />
Stellungnahme von BRAK und DAV:<br />
BRAK und DAV haben den Gesetzentwurf in einer ersten Stellungnahme<br />
kritisiert. Der DAV wendet sich vor allem gegen die<br />
geplante Neuregelung der Vorratspeicherung. Es sei unerträglich,<br />
alle Bürger dem Generalverdacht auszusetzen, sie seien<br />
Straftäter, sagte der DAV-Präsident Hartmut Kilger. Die BRAK<br />
bemängelt insbesondere den unterschiedlichen Schutz von<br />
Berufsgeheimnisträgern. Wenn man beispielsweise Seelsorgern<br />
und Strafverteidigern mehr Schutz zubillige als Rechtsanwälten,<br />
so greife dies tief in das Vertrauensverhältnis zum Mandanten<br />
ein, erläuterte BRAK-Präsident Dr. Bernhard Dombek.<br />
Linkhinweise:<br />
Auf den Webseiten des Bundesjustizministeriums (BMJ) finden<br />
Sie folgende weiterführende Informationen zum Thema:<br />
- Zusammenfassung der wesentlichen Inhalte des Regierungsentwurfs<br />
- Regierungsentwurf im Volltext (PDF-Datei)<br />
- Statistik zur Anzahl der Telekommunikationsüberwachungen<br />
in den vergangenen Jahren (PDF-Datei)<br />
Steuerrecht<br />
Benutzung des „grünen“ Flughafenausgangs<br />
mit zu verzollenden Waren stellt<br />
regelmäßig eine leichtfertige Abgabeverkürzung<br />
dar<br />
BFH 16.3.2007, VII B 21/06<br />
Wer nach Deutschland einreist und am Flughafen mit zu verzollenden<br />
Waren den grünen Ausgang benutzt, begeht im Allgemeinen<br />
eine zumindest leichtfertige Abgabeverkürzung, so dass<br />
ein Zollzuschlag erhoben werden kann. Denn wer die Bedeutung<br />
des grünen und des roten Ausgangs nicht kennt, muss sich<br />
grundsätzlich hierüber informieren, bevor er sich für einen Ausgang<br />
entscheidet. Nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen<br />
scheidet ein leichtfertiges Verhalten aus.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Die Kläger sind im März 2004 aus Ägypten kommend über den<br />
Flughafen X. nach Deutschland eingereist. Sie hatten elf Stangen<br />
Zigaretten zu jeweils 200 Stück sowie eine Packung mit 34<br />
Zigarillos im Reisegepäck. Obwohl ihnen bekannt war, dass sie<br />
für einen Teil der Zigaretten Einfuhrabgaben entrichten mussten,<br />
benutzten sie den grünen Ausgang, der für Reisende ohne zu verzollende<br />
Waren bestimmt ist. Unmittelbar hinter dem Ausgang<br />
kontrollierte ein Zollbeamter ihr Gepäck und fand die Zigaretten.<br />
Das beklagte Hauptzollamt erhob neben den Einfuhrabgaben für<br />
die Zigaretten auch einen Zollzuschlag, weil die Kläger wegen<br />
der Benutzung des grünen Ausgangs zumindest eine leichtfertige<br />
Abgabeverkürzung begangen hätten. Mit ihrer gegen die Erhebung<br />
des Zollzuschlags gerichteten Klage machten die Kläger<br />
geltend, dass sie davon ausgegangen seien, dass sie ihre Zollanmeldung<br />
auch gegenüber dem direkt hinter dem grünen Ausgang<br />
stehenden Zollbeamten hätten abgeben können. Dieser habe sie<br />
aber an einer entsprechenden Erklärung gehindert und sofort ihr<br />
Gepäck durchsucht.<br />
Das FG gab der Klage statt. Der Wille der Kläger zur Abgabe<br />
der Zollanmeldung sei nicht zu widerlegen. Im Gegenteil sprächen<br />
die Zeugenaussagen von Mitreisenden dafür, dass die<br />
Kläger tatsächlich eine Zollanmeldung hätten abgeben wollen.<br />
Denn sie hätten zuvor darüber gesprochen, dass sie die Zigaretten<br />
verzollen wollten, und sich vor der Reise nach den Abgabesätzen<br />
erkundet. Das FG ließ die Revision gegen sein Urteil<br />
nicht zu. Die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde<br />
des Beklagten hatte keinen Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet, da die Rechtssache<br />
entgegen der Auffassung des Beklagten keine grundsätzliche<br />
Bedeutung hat.<br />
Es ist eindeutig und bedarf daher nicht der Klärung in einem<br />
Revisionsverfahren, dass Reisende, die die Bedeutung der verschiedenen<br />
Ausgänge an Flughäfen nicht kennen, sich hierüber<br />
Kenntnis verschaffen müssen. Sie begehen daher im Allgemeinen<br />
zumindest eine leichtfertige Abgabeverkürzung, wenn sie<br />
mit zu verzollenden Waren den grünen Ausgang benutzen. Die<br />
meisten Reisenden wissen, dass sie mit zu verzollenden Waren<br />
den roten Ausgang benutzen müssen, und wer dies nicht weiß,<br />
kann sich die Bedeutung der Ausgänge anhand der Hinweisschilder<br />
ohne weiteres erschließen.<br />
Es ist dennoch in besonderes gelagerten Einzelfällen nicht ausgeschlossen,<br />
dass ein Reisender die Bedeutung der verschiedenen<br />
Ausgänge nicht kennt und trotz gehöriger Anstrengung die<br />
Hinweise dahingehend missversteht, dass er die zollpflichtigen<br />
Waren auch noch nach Durchschreiten des grünen Ausgangs<br />
anmelden kann. Die Annahme eines solchen Ausnahmefalls setzt<br />
allerdings voraus, dass der Tatrichter in der Person des Reisenden<br />
liegende besondere Umstände festgestellt hat, die auf ein<br />
persönliches Unvermögen schließen lassen, das Unrecht seines<br />
Verhaltens erkennen zu können.<br />
Ob die Kläger das Unrecht ihres Verhaltens tatsächlich nicht<br />
erkannt haben, ist eine Frage des Einzelfalls und daher einer grundsätzlichen<br />
Klärung nicht zugänglich. Das Urteil des FG hat schon<br />
deshalb Bestand, weil der Beklagte nicht schlüssig dargelegt hat,<br />
dass die Würdigung des FG den Denkgesetzen oder allgemeinen<br />
Erfahrungssätzen widerspricht oder jedenfalls nicht auf einer nachvollziehbaren<br />
Würdigung der festgestellten Tatsachen beruht.<br />
Linkhinweis:<br />
- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />
BFH veröffentlicht.<br />
- Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />
09/2007 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 15
Kürzung der Pendlerpauschale doch nicht<br />
verfassungswidrig?<br />
FG Köln 29.3.2007, 10 K 274/07<br />
Das FG Köln hält die Kürzung der Pendlerpauschale zum<br />
1.1.2007 ebenso wie das FG Baden-Württemberg nicht für verfassungswidrig<br />
und stellt sich damit gegen anderslautende Entscheidungen<br />
des Niedersächsischen FG und des FG des Saarlands.<br />
Nach Auffassung des FG Köln war der Gesetzgeber im<br />
Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit ohne weiteres befugt, Aufwendungen<br />
für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte<br />
künftig grundsätzlich nicht mehr als Werbungskosten zu behandeln.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der Kläger erzielt Einnahmen aus einer nichtselbständigen<br />
Tätigkeit als Physiker. Er beantragte beim Finanzamt, auf seiner<br />
Lohnsteuerkarte für 2007 einen Freibetrag für Fahrten zwischen<br />
Wohnung und Arbeitsstätte in Höhe von 5.520 Euro (230 Tage<br />
x 80 Kilometer x 0,30 Euro) einzutragen. Das Finanzamt lehnte<br />
dies wegen der zum 1.1.2007 eingeführten Kürzung der Entfernungspauschale<br />
ab und berechnete den Freibetrag nur hinsichtlich<br />
der Kosten für die Entfernung ab dem 21. Kilometer.<br />
Mit seiner hiergegen gerichteten Klage machte der Kläger geltend,<br />
dass die Neuregelung in § 9 Abs.2 EStG, wonach die Aufwendungen<br />
für Fahrten zur Arbeit grundsätzlich keine Werbungskosten<br />
mehr und lediglich ab dem 21. Kilometer „wie“<br />
Werbungskosten zu behandeln seien, verfassungswidrig sei.<br />
Hierin liege ein Verstoß gegen das Nettoprinzip, den Grundsatz<br />
der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit und gegen den<br />
gemäß Art. 6 Abs.1 GG gebotenen Schutz von Ehe und Familie.<br />
Der Kläger beantragte, das Verfahren gemäß Art. 100 Abs.1 GG<br />
auszusetzen und dem BVerfG vorzulegen, und hilfsweise, das<br />
Verfahren bis zu einer Entscheidung des BVerfG über den Vorlagebeschluss<br />
des FG Niedersachsen vom 27.2.2007 (Az.: 8 K<br />
549/06) auszusetzen. Die Klage hatte lediglich hinsichtlich des<br />
Hilfsantrags Erfolg.<br />
Die Gründe:<br />
Das Verfahren ist nicht gemäß Art. 100 Abs.1 GG dem BVerfG<br />
vorzulegen, da keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der<br />
Neuregelung der Pendlerpauschale in § 9 Abs.2 S.1 EStG n.F.<br />
bestehen. Die im Rahmen der Neuregelung der Pendlerpauschale<br />
vorgenommene Zuordnung der Aufwendungen für Fahrten<br />
zwischen Wohnung und Arbeitsstätte zur Privatsphäre ist entgegen<br />
der Ansicht des Klägers mit dem Grundgesetz vereinbar.<br />
Die Neuregelung der Pendlerpauschale verstößt insbesondere<br />
nicht gegen das objektive Nettoprinzip, wonach grundsätzlich<br />
nur dasjenige der Besteuerung unterworden werden darf, was<br />
nach Abzug der Erwerbsaufwendungen von den Einnahmen zur<br />
freien Verfügung übrig bleibt. Dieses Prinzip ist im Streitfall<br />
nicht tangiert, weil es sich bei den Aufwendungen des Klägers<br />
für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte<br />
nicht um originäre Werbungskosten handelt.<br />
In der Vergangenheit ist das deutsche Einkommensteuerrecht<br />
zwar traditionell davon ausgegangen, dass die Arbeitssphäre<br />
nicht erst „am Werkstor“ beginnt. Diese Tradition hat der Gesetzgeber<br />
nunmehr aber aufgegeben. Er hat sich damit im Rahmen<br />
seiner Gestaltungsbefugnis gehalten. Denn der Gesetzgeber darf<br />
bei der Schaffung einfachgesetzlichen Rechts auch einfachgesetzliche<br />
„Traditionen“ ändern. Da die Wahl des Wohnsitzes<br />
eine private Entscheidung ist, ist es auch nicht sachwidrig, die<br />
Arbeitssphäre erst am „Werkstor“ beginnen zulassen.<br />
Angesichts der Härteregelung für Fernpendler ist die Neuregelung<br />
der Pendlerpauschale auch mit dem verfassungsrechtlich<br />
gebotenen Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs.1 GG) vereinbar.<br />
Die Sonderregelung für Fernpendler verletzt zudem nicht<br />
das Gebot der Folgerichtigkeit, da mit dieser Steuervergünstigung<br />
eine Härteregelung subventioniert wird. Diese Subvention<br />
ist lediglich „wie“ Werbungskosten zu behandeln und stellt<br />
damit keine Durchbrechung des Grundsatzes dar, dass die Aufwendungen<br />
für Wege zur Arbeit keine Werbungskosten mehr<br />
darstellen.<br />
Gleichwohl war das Verfahren im Streitfall vor dem Hintergrund<br />
des Vorlagebeschlusses des FG Niedersachsen vom 27.2.2007<br />
(Az.: 8 K 549/06) gemäß § 74 FGO bis zu einer abschließenden<br />
Entscheidung des BVerfG über die streitige Regelung auszusetzen.<br />
Linkhinweis:<br />
Für den auf den Webseiten des FG Köln veröffentlichten Volltext<br />
der Entscheidung klicken Sie bitte hier.<br />
In Ausnahmefällen kann auch bei nichtehelichen<br />
Lebensgemeinschaften eine doppelte<br />
Haushaltsführung anzuerkennen sein<br />
BFH 15.3.2007, VI R 31/05<br />
Die Rechtsprechung zur doppelten Haushaltsführung bei<br />
Personen, die anlässlich ihrer Heirat einen Familienhausstand<br />
begründen, kann zwar nicht generell auf nichteheliche<br />
Lebensgemeinschaften übertragen werden. Bei nichtehelichen<br />
Lebensgemeinschaften kann aber zumindest dann eine doppelte<br />
Haushaltsführung anzuerkennen sein, wenn die Partner an<br />
verschiedenen Orten arbeiten, dort wohnen und im zeitlichen<br />
Zusammenhang mit der Geburt eines gemeinsamen Kindes eine<br />
ihrer Wohnungen zur Familienwohnung machen.<br />
Der Sachverhalt:<br />
Der nicht verheiratete Kläger erzielte im Streitjahr 1998 Einkünfte<br />
aus nichtselbständiger Tätigkeit und wohnte und arbeitete<br />
in A. Seine Lebensgefährten L. wohnte und arbeitete ursprünglich<br />
in B. Im Oktober 1996 wurde die gemeinsame Tochter des<br />
Klägers und der L. geboren. L. blieb nach der Geburt zunächst<br />
mit dem Kind in B. wohnen und nahm Erziehungsurlaub in<br />
Anspruch. Im Juli 1997 bezog sie zusammen mit ihrer Tochter<br />
eine Wohnung in C.<br />
Der Kläger unterstützte L. und seine Tochter finanziell und fuhr<br />
zunächst nur an den Wochenenden regelmäßig nach C. Im Oktober<br />
des Streitjahres 1998 verlegte er seinen Hauptwohnsitz von<br />
A. nach C. und behielt seine Wohnung in A. als Zweitwohnsitz.<br />
In seiner Einkommensteuererklärung machte er für die Zeit vom<br />
1.10.1998 bis zum 31.12.1998 Mehraufwendungen für doppelte<br />
Haushaltsführung als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus<br />
nichtselbständiger Arbeit geltend.<br />
Das Finanzamt lehnte die Anerkennung einer doppelten Haushaltsführung<br />
ab. Die hiergegen gerichtete Klage hatte vor dem<br />
FG teilweise Erfolg. Auf die Revision des Finanzamts hob der<br />
BFH die Vorentscheidung auf und wies die Klage ab.<br />
09/2007 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 16
Die Gründe:<br />
Das Finanzamt hat die Anerkennung einer doppelten Haushaltsführung<br />
im Streitfall zu Recht abgelehnt. Eine doppelte Haushaltsführung,<br />
bei der die hiermit verbundenen Mehraufwendungen<br />
nach § 9 Abs.1 S.3 Nr.5 EStG als Werbungskosten abziehbar<br />
sind, liegt nur vor, wenn die Begründung eines zweiten Wohnsitzes<br />
außerhalb des Beschäftigungsorts aus beruflichen Gründen<br />
veranlasst ist.<br />
Nach enger Auslegung von § 9 Abs.1 S.3 Nr.5 EStG müsste<br />
eine doppelte Haushaltsführung eigentlich schon dann ausscheiden,<br />
wenn ein Arbeitnehmer heiratet und aus diesem (privaten)<br />
Anlass neben seinem Hausstand am Beschäftigungsort mit seinem<br />
Ehegatten einen weiteren Hausstand an einem anderen Ort<br />
gründet. Im Hinblick auf Art. 6 Abs.1 GG wird eine doppelte<br />
Haushaltsführung jedoch auch dann anerkannt, wenn Personen,<br />
die an verschiedenen Orten arbeiten und wohnen, nach der Eheschließung<br />
eine der beiden Wohnungen zur Familienwohnung<br />
machen.<br />
Diese Rechtsprechung kann zwar nicht generell auf nichteheliche<br />
Lebensgemeinschaften übertragen werden. Sie gilt aber<br />
zumindest dann entsprechend, wenn die Partner ein gemeinsames<br />
Kind haben, da neben der Ehe auch die „Familie“ unter dem<br />
besonderen Schutz von Art. 6 Abs.1 GG steht. Daher kann die<br />
Gründung eines doppelten Haushalts auch bei nichtehelichen<br />
Lebensgemeinschaften beruflich veranlasst sein, wenn die Partner<br />
vor der Geburt des Kindes an verschiedenen Orten berufstätig<br />
sind, dort wohnen und im zeitlichen Zusammenhang mit der<br />
Geburt des Kindes eine der beiden Wohnungen zur Familienwohnung<br />
machen.<br />
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt, da der Kläger erst<br />
zwei Jahre nach der Geburt seiner Tochter und damit nicht mehr<br />
im zeitlichen Zusammenhang mit der Geburt die Wohnung in C.<br />
zu seinem Hauptwohnsitz gemacht hat.<br />
Linkhinweis:<br />
- Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des<br />
BFH veröffentlicht.<br />
- Um direkt zu dem Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.<br />
09/2007 <strong><strong>Anwalt</strong>swoche</strong> 17