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PSC 4-11 - FSP

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Foto: © foto.fritz – Fotolia.com<br />

denfreude und äussern gar Hohn und Spott. Handelt<br />

es sich aber um Mängel, welche die Person als Person<br />

betreffen (bewusste Irreführung Anderer, Gewalt gegen<br />

Abhängige, sexueller Missbrauch von Kindern, finanzielle<br />

Ausbeutung), dann empfinden die Schamzeugen<br />

Empörung und Wut.<br />

9<br />

Schamfreiheit und Schamlosigkeit<br />

Jeder möchte Situationen der Beschämung wenn irgend<br />

möglich vermeiden – aber wie?<br />

Hier lässt sich ein deutlicher Wandel in den letzten<br />

zwei Jahrzehnten feststellen. Früher konnte man auch<br />

den «Herrn Schüch», dem man seine Schamanfälligkeit<br />

und sein Schamvermeidungsverhalten anmerkte,<br />

noch charmant finden, während er heute nur noch<br />

«uncool» wirkt. Ebenso passé ist jene junge Frau, die<br />

ihre körperlichen Reize schamhaft verhüllt. Heute gilt<br />

die Bewunderung jenen Frauen und Männern, die über<br />

die Kunst der eigenen Selbstinszenierung schamfrei<br />

oder besser schamlos verfügen.<br />

Diese Entwicklung weg vom Ideal der Schamfreiheit<br />

hin zur Schamlosigkeit wird immer deutlicher. Zum<br />

modernen Ideal des autonomen Subjekts gehört zweifellos<br />

die Schamfreiheit. Man erwirbt sie durch die<br />

– immer nur mehr oder weniger erreichbare – Unabhängigkeit<br />

vom Blick und vom Urteil der Anderen. Je<br />

weniger man sich vom Blick des Anderen bestimmen<br />

lässt, umso weniger schamanfällig ist man. Doch diese<br />

Schamfreiheit hat nichts mit Schamlosigkeit zu tun:<br />

Autonom ist ja das Subjekt dann, wenn es sich selbst<br />

bestimmt, das heisst, gesellschaftlichen Standards<br />

und moralischen Normen, die es selber für vernünftig<br />

hält, auch aus eigenem Antrieb gehorcht. Schamfreiheit<br />

verdankt sich also der Selbstbestimmung. Darum<br />

können sich autonome Menschen mehr oder weniger<br />

schamfrei in der Öffentlichkeit bewegen, mag ihre<br />

Erscheinung auch nicht den heutigen (übertriebenen)<br />

Schönheits- oder Schlankheitsstandards genügen,<br />

mögen sie zu einem Anlass auch sei es overdressed<br />

oder underdressed erscheinen, mag auch bei einem<br />

Gespräch ihre eigene Unwissenheit an den Tag kommen,<br />

zu der sie – und das ist ganz wichtig – auch<br />

schamfrei stehen, statt sie verstecken zu wollen.<br />

An die Stelle dieses modernen Ideals der Selbstbestimmung<br />

tritt heute mehr und mehr das postmoderne<br />

Ideal der gekonnten Selbstinszenierung. Diese richtet<br />

sich an den Blick des Anderen, ja sucht ihn. Der Andere<br />

hat also die Macht wieder zurückgewonnen. Allerdings<br />

wird jetzt alles daran gesetzt, diesen Blick durch<br />

möglichst gekonnte Selbstdarstellung in Schach zu halten,<br />

ihn also zu manipulieren. Die Frage, wer ich bin,<br />

tritt hinter der Frage zurück, als wer ich dem Anderen<br />

erscheinen will. In einer gekonnten Selbstinszenierung<br />

hat die Scham keinen Platz – es sei denn wieder

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