03.06.2014 Aufrufe

Contra emag Nr. 13/14

Magazin Nummer 13 mit 35 Seiten Umfang. Titelthema: Der Weltherrschaftsanspruch der USA. Weiters hatten wir wieder insbesondere die Ereignisse rund um die Ukraine und Russland im Blick, sowie die Nachwehen der Wahlen zum Europäischen Parlament. Doch auch die Derivateblase an den Finanzmärkten war uns einen Blick wert.

Magazin Nummer 13 mit 35 Seiten Umfang. Titelthema: Der Weltherrschaftsanspruch der USA. Weiters hatten wir wieder insbesondere die Ereignisse rund um die Ukraine und Russland im Blick, sowie die Nachwehen der Wahlen zum Europäischen Parlament. Doch auch die Derivateblase an den Finanzmärkten war uns einen Blick wert.

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Editorial<br />

An Arroganz und Größenwahn ist die US-Administration kaum zu<br />

überbieten. Präsident Obama bekräftigte den „globalen Führungsanspruch“<br />

der USA, Kriegsminister Hagel brüskierte die Chinesen<br />

und mit Russland haben sie es sich ohnehin schon verscherzt. Der Militärisch-Industrielle-Komplex<br />

der Vereinigten Staaten duldet nun mal keine<br />

Konkurrenz.<br />

Während die Amerikaner sich rund um den Globus wieder einmal neue Feinde schaffen,<br />

kracht es in der Ukraine weiterhin. Das Blutvergießen nimmt einfach kein Ende, da<br />

die Kiewer Junta von Anfang an – dank der US-Anleitung und der EU-Schützenhilfe –<br />

auf Konfrontationskurs fährt.<br />

In eigener Sache: Wir haben seit dem 01. Juni unsere Mediadaten veröffentlicht, die<br />

Sie auf unserer Seite im Menü ganz oben finden und im praktischen PDF-Format herunterladen<br />

können.<br />

Weiters können wir stolz vermelden, dass unser eMagazin im Schnitt der letzten Ausgaben<br />

einen Leserschnitt von etwa 1.600 erreicht hat. Für Wünsche und Anregungen zur<br />

ständigen Verbesserung stehen wir Ihnen natürlich gerne zur Verfügung.<br />

Ihr, Marco Maier<br />

Coverbild: Flickr / transplantet mountaineer CC-BY 2.0<br />

Unsere aktuelle Umfrage zeigt,<br />

dass unsere Leser vorwiegend für<br />

eine neutralere Außenpolitik<br />

sind, oder sich stärker an Russland<br />

und China anstelle der Vereinigten<br />

Staaten von Amerika<br />

und der NATO binden.<br />

Die aggressive US-Außenpolitik,<br />

die Fehlleistungen der NATO<br />

im Nahen Osten, sowie das Wissen<br />

um die desolate US-Wirtschafts-<br />

und Finanzlage dürften<br />

weitestgehend dazu beigetragen<br />

haben.<br />

3


Inhaltsverzeichnis<br />

2 – Impressum<br />

3 – Editorial<br />

3 – Umfrage<br />

Titelthema<br />

19 – Zynismus pur: Karlspreisverleihung<br />

und Jazenjuk<br />

20 – South Stream: Oettinger stoppt das<br />

Pipeline-Projekt<br />

Politik<br />

5 – US-Präsident Obama: “Amerika muss<br />

immer führen!”<br />

6 – US-Feindseligkeiten: Erst Russland<br />

und nun China<br />

7 – Afghanistan: Vom NATO-Abzug ist<br />

keine Rede<br />

Schwerpunkt: Russland &<br />

Ukraine<br />

8 – Russland kann sich vor Asylbewerbern<br />

aus der Ukraine kaum retten<br />

9 – Nach der Ukraine-Wahl: Russland ist<br />

gesprächsbereit<br />

10 – Massenmedien: Propaganda, Putin<br />

und die bezahlten Poster<br />

12 – Klage beim EuGH: Was kostet die<br />

Krim?<br />

<strong>13</strong> – NATO plant Truppenaufstockung in<br />

Polen<br />

<strong>14</strong> – Gasstreit: Ukraine bezahlt einen Teil<br />

der Rechnungen und stellt Forderungen<br />

16 – Weltbank: Ukraine-Krise für Anstieg<br />

der Lebensmittelpreise verantwortlich<br />

17 – Ostukraine: Kiew lehnt humanitäre<br />

Hilfe aus Russland ab – Truppen rücken<br />

weiter vor<br />

18 – Erweiterungskommissar Füle:<br />

Ukraine, Moldau und Georgien sollen der<br />

EU beitreten<br />

21 – Brüsseler Politfarce: Juncker erhält<br />

keine Mehrheit<br />

23 – EU: Implosion kann nur durch Reformen<br />

verhindert werden<br />

25 – EU-Wahl: Portugal straft Regierung<br />

ab<br />

28 – Gezi-Jahrestag: Erdogans Kampf<br />

gegen sein eigenes Volk<br />

29 – Wohlfühl-Kriegsministerin von der<br />

Leyen<br />

30 – Griechenland-Hilfe: Die Inflation<br />

der Versprechungen<br />

31 – Wien: Rekordschulden und Milliardenhaftung<br />

für Bank Austria<br />

Wirtschaft & Finanzen<br />

32 – Trotz Geldschwemme – Goldpreis<br />

im Keller<br />

33 – EU-Austritt würde britische Finanzindustrie<br />

hart treffen<br />

35 – Finanzderivate: Blase größer als vor<br />

der Finanzkrise 2008<br />

4


Die globale<br />

Machtergreifung<br />

durch<br />

die Vereinigten Staaten<br />

von Amerika soll offenbar<br />

mit allen Mitteln<br />

weiterhin durchgeführt<br />

werden. So könnte<br />

man die Conclusio<br />

aus Barack Obamas<br />

Rede an der US-Militärakademie<br />

West<br />

Point ziehen.<br />

Von Marco Maier<br />

Wenn es einen Staat gibt,<br />

der offen zugibt Welteroberungspläne<br />

zu haben, dann<br />

ist dies jener Staat, der früher<br />

anderen Ländern aus genau<br />

diesem Grund den Krieg<br />

erklärte: die Vereinigten<br />

Staaten von Amerika. Schon<br />

jetzt verfügen die Amerikaner<br />

über ein breit gestreutes<br />

globales Netz an Militärbasen,<br />

die entweder aus Besatzungs-<br />

und Kontrollgründen<br />

(z.B. in Deutschland, Italien,<br />

Japan, Afghanistan…), oder<br />

im Zuge von bilateralen Abkommen<br />

(z.B. Saudi-Arabien)<br />

kurzfristig angesetzte Militäraktionen<br />

ermöglichen.<br />

Finanziert durch eine unglaubliche<br />

Dollarschwemme<br />

und unermesslich großen<br />

Schuldenbergen.<br />

An der bekannten Militärakademie<br />

West Point (New<br />

York), bekräftigte Präsident<br />

US-Präsident Obama:<br />

“Amerika muss immer<br />

führen!”<br />

Obama den globalen Führungsanspruch<br />

der USA und<br />

dessen Militärisch-Industriellen-Komplex.<br />

Dabei kommt<br />

die arrogante Art des US-Establishments<br />

zu tragen, wie<br />

Obamas Aussage sie nicht<br />

besser hätte zusammenfassen<br />

können: "Amerika muss<br />

auf der Weltbühne immer<br />

führen. Wenn wir es nicht<br />

tun, tut es kein anderer".<br />

Dabei geht Obama davon<br />

aus, dass die Welt einen Führer<br />

brauchen würde – und<br />

die Vereinigten Staaten diese<br />

Position als einzige Nation<br />

der Welt ausfüllen könnte<br />

(eine interessante Analyse<br />

dazu finden Sie hier). Dass<br />

sich viele Völker und Nationen<br />

jedoch nicht vom korrupten<br />

US-Establishment,<br />

welches ganz im Sinne der<br />

Finanzoligarchie handelt,<br />

vorschreiben lassen möchten,<br />

wie sie ihre Zukunft zu<br />

gestalten haben, interessiert<br />

in Washington absolut niemand.<br />

Obama betonte in seiner<br />

Rede weiters, dass das Militär<br />

das Rückgrat dieser USdominierten<br />

"globalen Führungsrolle"<br />

sein solle. Allerdings<br />

seien, so Obama, Militäraktionen<br />

nicht "die einzige,<br />

oder gar die primäre,<br />

Komponente unserer Führerschaft".<br />

Allerdings möchte er<br />

die NATO-Partner stärker für<br />

solche Aktionen heranziehen.<br />

Zudem müssten, wie der US-<br />

5<br />

Präsident betonte, verschiedene<br />

Mittel angewendet werden,<br />

etwa Diplomatie und<br />

Entwicklungshilfe, Sanktionen<br />

oder Appelle. Multilaterale<br />

Militärschläge müssten<br />

nach seiner Definition "berechtigt,<br />

notwendig und effektiv"<br />

sein. Wer darüber<br />

entscheidet, ob solche Angriffe<br />

berechtigt oder gar notwendig<br />

sein würden, dürfte<br />

klar sein.<br />

Weiters will Obama einen<br />

5-Milliarden-Dollar-Fonds<br />

einrichten, mit dem die (inszenierte?)<br />

"Terrorismusbekämpfung"<br />

in aller Herren<br />

Länder unterstützt werden<br />

soll. Schön: erst finanziert<br />

man die al-Kaida und Boko<br />

Haram, und danach die dadurch<br />

notwendig gewordenen<br />

"Terrorbekämpfer". Und<br />

wer freut sich? Die Waffenindustrie.<br />

In seiner Ansprache zur<br />

Außen- und Sicherheitspolitik<br />

der Vereinigten Staaten<br />

sagte Obama zudem, Washington<br />

wolle seine Unterstützung<br />

für die syrische Opposition<br />

ausbauen. Dabei bezog<br />

er sich auf jene Regierungsgegner<br />

in Syrien, "die<br />

eine Alternative zu Terroristen<br />

und einem brutalen Diktator<br />

anbieten". Wobei diese<br />

Gruppe nicht sehr groß sein<br />

dürfte.


Wenn es um<br />

die US-dominierte<br />

neue Weltordnung geht,<br />

kennt Washington kein<br />

Pardon. Nach den Sanktionen<br />

gegen Russland<br />

erfolgte nun ein verbaler<br />

Angriff auf China. Wenn<br />

die US-Administrationen<br />

der letzten Jahrzehnte<br />

etwas perfekt beherrschen,<br />

dann ist dies die<br />

Fähigkeit sich überall<br />

neue Feinde zu schaffen.<br />

Von Marco Maier<br />

US-Feindseligkeiten: Erst<br />

Russland und nun China<br />

Eigentlich muss man sich<br />

wundern, dass es überhaupt<br />

noch Regierungen gibt, die<br />

eine Zusammenarbeit mit<br />

dem Washingtoner Apparat<br />

präferieren. Immerhin ist die<br />

US-Führungsriege dafür bekannt,<br />

sich ihrer "Partner"<br />

nach Lust und Laune mit<br />

Kriegserklärungen und Drohnenangriffen<br />

zu entledigen,<br />

wenn diese nicht mehr ins<br />

Konzept passen. Die al-Kaida,<br />

Saddam Hussein und<br />

Muammar al-Gaddafi sind<br />

dafür Paradebeispiele.<br />

Wenn nun die US-Administration<br />

an Bündnisplänen<br />

im asiatisch-pazifischen<br />

Raum arbeitet um damit die<br />

Volksrepublik China in ihrem<br />

Handlungsspielraum einzuschränken<br />

– besser: ihr auf<br />

die Pelle zu rücken – müssen<br />

die jeweiligen Länder dies erkennen.<br />

Insbesondere die Vietnamesen<br />

sollten wissen, auf<br />

was sie sich mit den Amerikanern<br />

einlassen. Bündnistreue<br />

kennen diese nur so lange,<br />

wie es für die Pentagon-Strategen<br />

nützlich erscheint. Ansonsten<br />

gilt das "System heiße<br />

Kartoffel".<br />

Dennoch scheinen die Vereinigten<br />

Staaten im südostasiatischen<br />

Raum einige<br />

Sympathisanten gefunden zu<br />

haben: Vietnam, welches wegen<br />

einer Ölbohrinsel eine<br />

kleine maritime Auseinandersetzung<br />

mit der chinesischen<br />

Marine hatte, Japan,<br />

Taiwan und Südkorea sind so<br />

oder so eng mit den Amerikanern<br />

verbunden, und die<br />

Philippinen unterzeichneten<br />

erst kürzlich einige Abkommen<br />

mit Washington.<br />

6<br />

Beim jüngsten "Shangri-La<br />

Dialog" in Singapur ließ dann<br />

US-Kriegsminister Chuck<br />

Hagel jeglichen diplomatischen<br />

Anstand beiseite und<br />

attackierte Chinas Vize-Generalstabschef<br />

Wang Guangzhong<br />

mit scharfen Worten.<br />

Bei seiner sonntäglichen<br />

Rede in Chinas staatlichen<br />

TV-Sender CCTV sprach<br />

Wang von einer inakzeptablen<br />

Provokation, die nicht<br />

den diplomatischen Gepflogenheiten<br />

entspräche. Hagel<br />

hatte in seiner samstäglichen<br />

Rede in Singapur China unverhohlen<br />

„Nötigung, Einschüchterung“<br />

und eine „Destabilisierung<br />

der Region“<br />

vorgeworfen. Zudem drohte<br />

der Kriegsminister mit Gegenmaßnahmen.<br />

Die Vereinigten<br />

Staaten würden nicht<br />

wegsehen, wenn jemand die<br />

fundamentalen Prinzipien<br />

der internationalen (wohl<br />

eher "amerikanischen") Ordnung<br />

herausfordert.<br />

Dabei stehen beispielsweise<br />

die umstrittenen Diaoyu-<br />

Inseln (jap. Senkaku) eigentlich<br />

China zu, da sie nach<br />

dem japanisch-chinesischen<br />

Krieg 1805 von Japan zwar<br />

annektiert wurden, China jedoch<br />

nie seine Ansprüche<br />

darauf aufgab. Ähnlich verhält<br />

es sich mit den von Vietnam<br />

und China beanspruchten<br />

Paracel-Inseln. Peking<br />

wegen der Durchsetzung berechtigter<br />

Interessen derart<br />

zu brüskieren, steht vor allem<br />

den Amerikanern nicht zu.<br />

Auf jeden Fall müssen sich<br />

die Amerikaner nicht wundern,<br />

wenn sich China trotz<br />

der engen wirtschaftlichen<br />

Beziehungen enger mit dem<br />

ebenfalls von Washington<br />

scharf attackierten Russland<br />

abstimmt und diese sich zunehmend<br />

weitere wirtschaftliche<br />

Optionen sichern. Nur<br />

der Großteil der europäischen<br />

Regierungen sowie einiger<br />

anderer Staaten, lassen<br />

sich von den Washingtoner<br />

Strategen weiterhin wie<br />

Tanzbären durch die Manege<br />

führen, anstatt die Gestaltung<br />

der eigenen Zukunft selbst in<br />

die Hände zu nehmen.


Afghanistan: Vom NATO-Abzug<br />

ist keine Rede<br />

Auf seinem Kurztrip<br />

nach Afghanistan<br />

wollte US-<br />

Präsident Obama hauptsächlich<br />

eines zu erkennen<br />

geben: Wir behalten<br />

den Fuß in der Tür. Mit<br />

dem Präsidenten Karsai<br />

zu sprechen war ihm nicht<br />

wichtig, denn der legt bald<br />

sein Amt nieder. Karsai<br />

selbst hatte den USA die<br />

Zustimmung dafür verweigert,<br />

dass US-Truppen<br />

auch nach 20<strong>14</strong> im Lande<br />

bleiben können. Obama<br />

ließ ihn jetzt wissen, dass<br />

er mit seinem Nachfolger,<br />

der im Lauf des Juni<br />

durch eine Stichwahl ermittelt<br />

werden wird, ein<br />

Sicherheitsabkommen abschließen<br />

werde.<br />

Von Florian Stumfall<br />

Das klingt keineswegs nach<br />

Rückzug, und dies umso weniger,<br />

als das beabsichtigte Abkommen<br />

den Status der US-<br />

Soldaten regeln soll, die nach<br />

dem Ablauf des internationalen<br />

ISAF-Einsatzes im Lande<br />

bleiben werden – den Status,<br />

nicht den Abzug. An sich sollen<br />

mit dem Ende des laufenden<br />

Jahres alle NATO-Truppen<br />

Afghanistan verlassen.<br />

Dabei handelt es sich um<br />

51.000 Mann. Doch es ist<br />

nicht die Eigenart des Kriegsbündnisses,<br />

ohne Not Territorien<br />

und Stützpunkte preiszugeben,<br />

wenn auch am 1. 1.<br />

2015 offiziell alle militärische<br />

und polizeiliche Verantwortung<br />

auf die Afghanen übergeht.<br />

Noch vor dem Obama-Besuch<br />

hatte Eileen O’Connor,<br />

Beraterin des US-Vizeaußenministers,<br />

erklärt, die USA<br />

wollten auch nach 20<strong>14</strong> noch<br />

bis zu 10.000 Soldaten in Afghanistan<br />

belassen. Das Kontingent<br />

der übrigen NATO-<br />

Kräfte würde auf 2.000 Mann<br />

verringert. Zu diesen werden<br />

auch 800 Mann der Bundeswehr<br />

gehören, die über das<br />

ISAF-Mandat hinaus am Hindukusch<br />

bleiben. Deutschlands<br />

Außenminister Steinmeier<br />

hielt es noch für nötig,<br />

darüber mit Karsai, der schon<br />

auf gepackten Koffern sitzt, zu<br />

verhandeln, während Obama<br />

längst darauf wartet, dem<br />

Nachfolger einen Vertragstext<br />

samt Füller in die Hand zu<br />

drücken.<br />

Der Chef des russischen Militärnachrichtendienstes<br />

GRU,<br />

Igor Sergun, erörterte das<br />

7<br />

Thema aus russischer Sicht:<br />

„Wir können zuverlässig sagen,<br />

dass die militärische Präsenz<br />

der USA in Afghanistan<br />

mindestens bis 2024 erhalten<br />

bleibt.“ Das sei jedoch ohne<br />

„bedeutende Auswirkungen<br />

auf das Kampfpotential der<br />

bewaffneten Opposition. Die<br />

radikalislamischen Gruppen,<br />

die in Afghanistan operieren,<br />

werden nach unserer Einschätzung<br />

weiterhin die größte<br />

terroristische Bedrohung in<br />

Zentralasien<br />

sein.“<br />

Der russische<br />

Vizeverteidigungsminister<br />

Anatoli<br />

Antonow<br />

macht<br />

sich Gedanken<br />

über<br />

die Stärke<br />

der verbleibenden<br />

US-<br />

Truppen.<br />

„Laut unbestätigten<br />

Angaben<br />

wird es neun US-Basen in Afghanistan<br />

geben. Was soll<br />

das? Wozu werden sie dienen?<br />

Welche Aufgaben werden sie<br />

erfüllen?“ Für Antonow ist das<br />

ein Hinweis darauf, dass die<br />

USA dauerhaft in Afghanistan<br />

zu bleiben gedenken, obwohl<br />

das UN-Mandat nun erfüllt ist.<br />

„Wir wollen nun wissen, welche<br />

Ergebnisse das gebracht<br />

hat, wie die nächste Mission<br />

sein und aus wem sie bestehen<br />

wird.“<br />

Höhe 431 in Chahar Dara, Afghanistan, wird im Rahmen<br />

der Winteroperation als operativ wichtiger Punkt<br />

von der Infanterie gesichert. Flickr / Bundeswehr CC-<br />

BY-ND 2.0


Der Bürgerkrieg<br />

im Osten und<br />

Süden der<br />

Ukraine führt dazu, dass<br />

immer mehr Menschen<br />

aus Angst vor der Armee<br />

und den brandmordenden<br />

Milizen des Rechten<br />

Sektors, der unter dem<br />

Deckmantel „Nationalgarde“<br />

marschiert, nach<br />

Russland flüchten.<br />

Von Daniela Disterheft<br />

Inzwischen ist genau das<br />

Russland kann sich<br />

vor Asylbewerbern<br />

aus der Ukraine kaum<br />

retten<br />

eingetreten, was Wladimir<br />

Putin immer verhindern<br />

wollte. 5.000 bis 6.000<br />

ukrainische Bürger stellen<br />

derzeit täglich einen Antrag<br />

auf ständigen Aufenthalt in<br />

Russland. So der stellvertretende<br />

Chef des Föderalen Migrationsdienstes,<br />

Anatoli<br />

Kusnezow. Dies hat vor allem<br />

Auswirkungen auf die direkten<br />

Grenzgebiete und Großstädte<br />

Russlands. Auch dies<br />

ist eine Entwicklung, die<br />

dazu geeignet sein kann,<br />

Russland Probleme zu bereiten.<br />

Inzwischen haben ukrainische<br />

Truppen mit Hilfe von<br />

Luftangriffen den Donezker<br />

Flughafen erobert. Dies ist<br />

oft der Moment, an dem<br />

Menschen wirklich in Panik<br />

geraten. Keine Vorstellung ist<br />

beängstigender, als einem<br />

Bürgerkriegsgebiet nicht<br />

mehr entkommen zu können.<br />

Dazu kommt die Tatsache,<br />

dass Russland in vier Tagen<br />

seine Öl- und Gaslieferungen<br />

einstellt. Es bleibt abzuwarten,<br />

wie sich die Lage gestalten<br />

wird.<br />

TV-Screenshot - Flüchtende Ukrainer an der Grenze zu Russland.<br />

8


Nach der Ukraine-Wahl: Russland ist<br />

gesprächsbereit<br />

Es klingt ein wenig<br />

vorlaut und<br />

wichtigtuerisch,<br />

wenn die deutsche Bundesregierung<br />

Russland<br />

mahnt, „einen konstruktiven<br />

Umgang mit der<br />

neuen Führung in der<br />

Ukraine finden“. Zudem<br />

ist es überflüssig. Daran<br />

hat Außenminister Lawrow<br />

in Moskau am Tag<br />

nach der Wahl keinen<br />

Zweifel gelassen. Sein<br />

Land respektiere die Entscheidung<br />

des ukrainischen<br />

Volkes und sei bereit,<br />

direkte Gespräche<br />

mit Poroschenko zu führen.<br />

Von Florian Stumfall<br />

„Wir hören das, was Pjotr<br />

Poroschenko in Bezug auf seine<br />

Absichten hinsichtlich der<br />

Beziehungen mit der Russischen<br />

Föderation sagt, die er<br />

als überaus wichtig bezeichnet“,<br />

sagte Lawrow. „Wie der<br />

russische Präsident Putin<br />

mehrmals erklärt hat, sind wir<br />

zu einem Dialog mit Vertretern<br />

Kiews und zu einem Dialog<br />

mit Pjotr Poroschenko bereit.“<br />

Russlands Außenminister Sergej Lawrow. Bild: Russisches Außenministerium<br />

Gleichwohl wurde vorerst<br />

ein Besuch des neuen ukrainischen<br />

Präsidenten in Russland<br />

noch nicht ins Auge gefasst.<br />

„Über diplomatische<br />

oder andere Kanäle wird ein<br />

Besuch von Poroschenko nicht<br />

behandelt“, meinte dazu der<br />

russische Außenminister Lawrow.<br />

Vor allem betonte er,<br />

dass es für ein Gespräch zwischen<br />

beiden Seiten keiner<br />

Vermittlung bedürfe. Es sei<br />

auch noch zu früh, über ein<br />

Treffen Putins mit Porschenko<br />

zu sprechen, so Dmitri Peskow,<br />

der Sprecher des russischen<br />

Präsidenten.<br />

„Wir sind zwar bereit, mit<br />

der EU und den USA zusammen<br />

zu arbeiten, was die Unterstützung<br />

der ukrainischen<br />

Seiten bei der Umsetzung der<br />

Roadmap betrifft“, so der russische<br />

Außenminister weiter.<br />

„Ich zweifle allerdings daran,<br />

dass wir für Beziehungen mit<br />

der Ukraine Vermittler brauchen<br />

würden.“ Und er ging<br />

dabei auf einen besonders abwegigen<br />

Zwischenruf ein. „Mir<br />

ist in diesem Zusammenhang<br />

aufgefallen, dass Herr Klitschko<br />

gesagt hat: Bei der Bildung<br />

des Teams von Pjotr Poroschenko<br />

sei unter anderem<br />

vorgesehen, die Aufnahme<br />

von Michail Saakaschwili in<br />

9<br />

dieses Team zu erwägen. Ich<br />

denke, dass dieser schon gar<br />

nicht zum Vermittler in den<br />

Beziehungen zwischen unseren<br />

Ländern gemacht werden<br />

sollte.“ Kein Wunder – Saakaschwili<br />

war als georgischer<br />

Präsident ein Geschöpf der<br />

USA und hat 2008 mit der<br />

Kanonade von Zchinwali den<br />

Krieg gegen Russland vom<br />

Zaun gebrochen.<br />

Nachdem aber zu einem<br />

Gespräch immer zwei gehören,<br />

fragt es sich, wie Poroschenkos<br />

Bereitschaft dazu<br />

aussieht. Eine entsprechende<br />

Geste hat er gemacht. Allerdings<br />

hat er auch erklärt, als<br />

sein verjagter Vorgänger Janukowitsch<br />

in seinem russischen<br />

Exil die Wahl anerkannte,<br />

das sei ihm völlig gleichgültig,<br />

ihn interessiere nur,<br />

wann Janukowitsch in die<br />

Ukraine zurückkehre und auf<br />

die Anklagebank gebracht<br />

werde.


Massenmedien: Propaganda, Putin<br />

und die bezahlten Poster<br />

Die deutschen<br />

Massenmedien,<br />

die eigentlich<br />

dazu neigen diversen<br />

Gruppen und Menschen<br />

vorzuhalten, sie würden<br />

Verschwörungstheorien<br />

anhängen, haben in der<br />

letzten Zeit selbst eine<br />

solche Entwickelt. Demnach<br />

soll Russlands Präsident<br />

Putin über eine<br />

"bezahlte Online-Armee"<br />

verfügen, die den ganzen<br />

Tag nichts weiter machen,<br />

als die Social Media<br />

und die Onlineforen<br />

der Zeitungen mit Propaganda<br />

zu überfluten.<br />

Von Marco Maier<br />

In der jüngsten Zeit müssen<br />

sich die etablierten Massenmedien<br />

mit der Tatsache<br />

abfinden, dass viele ihrer Leser,<br />

Zuhörer und Zuseher mit<br />

der überwiegend zurecht als<br />

einseitig empfundenen Berichterstattung<br />

zu den Vorgängen<br />

in der Ukraine und<br />

dem Verhalten gegenüber<br />

Russland nicht zufrieden<br />

sind. Die Menschen möchten<br />

nicht einseitig "informiert"<br />

werden, sondern ebenso Gegenstimmen<br />

vernehmen. Bemerkbar<br />

macht sich dies<br />

durch unzählige Kommentare<br />

– vor allem auf Facebook,<br />

wo im Gegensatz zu den Foren<br />

der Zeitungen selbst eine<br />

Zensur erst nachträglich<br />

möglich ist.<br />

Bild: Flickr / Ministerio TIC Colombia CC-BY 2.0<br />

Dieser Umstand und die<br />

Tatsache, dass es viele Nutzer<br />

gibt, die auf vielen Seiten<br />

ihrem Unmut freien Lauf lassen,<br />

veranlassten die deutschen<br />

Massenmedien nun<br />

dazu, den Protest der Menschen<br />

mit bösartigen Behauptungen<br />

zu desavouieren.<br />

Es soll sich demnach um bezahlte<br />

Schreiberlinge handeln,<br />

die den ganzen Tag mit<br />

nichts weiter beschäftigt wären,<br />

als per "Copy & Paste"<br />

die Kommentarfunktion von<br />

Facebook und den Zeitungsforen<br />

"vollzumüllen".<br />

Etwas ausgewogener und<br />

kritischer zeigt sich hierbei<br />

lediglich die deutsche Wochenzeitung<br />

"Die Zeit", die in<br />

einem Artikel zumindest<br />

mehrere Faktoren in Betracht<br />

zieht, wenngleich tendenzöse<br />

Untergriffe nicht<br />

fehlen dürfen:<br />

„Für die extreme Häufung<br />

prorussischer<br />

Kommentare auf westlichen<br />

Medienseiten gibt<br />

es denn auch mehr als<br />

eine mögliche Ursache.<br />

Die wichtigsten: vom<br />

Kreml organisierte<br />

Kommentaragenturen,<br />

vollautomatisierte Computerprogramme<br />

(Bots),<br />

unabhängige patriotische<br />

Exilrussen und<br />

ganz und gar westeuropäische<br />

Bürger, die ihre<br />

gewohnten Nachrichtenportale<br />

für zu tendenziöse<br />

Berichterstattung<br />

kritisieren. Etwas abseits<br />

stehen die Verschwörungstheoretiker<br />

und Montagsdemonstranten<br />

– sie sind grundsätzlich<br />

antiwestlich gestimmt<br />

und nutzten den<br />

Ukraine-Konflikt lediglich<br />

als Aufhänger.“<br />

10


Wenn nun Präsident Putin<br />

und dessen Administration<br />

unterstellt wird, sie würden<br />

mit Hilfe von Kommentaragenturen,<br />

in denen Mitarbeiter<br />

für rund 800 Euro monatlich<br />

im Akkord versuchen,<br />

via Kommentare auf die öffentliche<br />

Meinung einzuwirken,<br />

so vergessen die Journalisten<br />

dass die EU selbst solche<br />

"bezahlten Forentrolle"<br />

zur Beeinflussung bezahlt.<br />

Dies berichtete der britische<br />

"The Telegraph" im vergangenen<br />

Februar. Nicht zu vergessen:<br />

die US-Geheimdienste,<br />

die schon länger mit Hilfe<br />

von bezahlten Kommentatoren<br />

versuchen, via Social-Media-Diskussionen<br />

in den arabischen<br />

und anderen eher<br />

US-kritischen Ländern entsprechend<br />

Stimmung zu machen.<br />

Da wirkt diese gekünstelte<br />

Aufbauschung doch<br />

sehr politisch motiviert.<br />

Zeit Online zufolge soll der<br />

Kreml dieses Programm seit<br />

Herbst 20<strong>13</strong> betreiben. Dabei<br />

beruft sich die Seite auf die<br />

russische Zeitung "Wedimosti",<br />

welche zu den einflussreicheren<br />

kremlkritischen Publikationen<br />

(deshalb wird sie<br />

in der "Zeit" auch als "renommiert"<br />

bezeichnet) in<br />

Russland gehört. Kremlkritisch,<br />

Zeitung und Russland<br />

– ja, das gibt es durchaus.<br />

Mediale Vielfalt existiert<br />

auch in Russland, wenngleich<br />

es manche Menschen<br />

im Westen nicht wahrhaben<br />

wollen.<br />

Allerdings sollte man immer<br />

bedenken, dass es<br />

schlussendlich einen deutlich<br />

größeren Unterschied macht,<br />

ob man die Medienlandschaft<br />

selbst beherrscht, oder<br />

ein paar Leute Kommentare<br />

schreiben lässt. Wenn sich<br />

nämlich wie in Deutschland<br />

ein ganzes Pressenetzwerk<br />

gebildet hat, welches eng mit<br />

transatlantischen Organisationen<br />

zusammenarbeitet<br />

und unter dem Deckmantel<br />

einer angeblichen "journalistischen<br />

Unabhängigkeit" die<br />

Menschen gezielt in eine<br />

Richtung zu lenken, sind die<br />

Auswirkungen deutlich gravierender<br />

als im Falle Russlands,<br />

wo die Menschen wissen,<br />

dass der Kreml durchaus<br />

Einfluss auf die Berichterstattung<br />

hat.<br />

Dennoch: zu behaupten,<br />

der gesamte "Shitstorm" gegen<br />

die deutschen Massenmedien<br />

wäre allein oder<br />

hauptsächlich auf vom Kreml<br />

bezahlte Kommentatoren zurückzuführen,<br />

ist mehr als<br />

nur Humbug. Es handelt sich<br />

hierbei um eine Verzerrung<br />

der Tatsachen, zumal es inzwischen<br />

(nicht nur) auf Facebook<br />

schon unzählige Seiten<br />

und Gruppen gibt, in denen<br />

sich zehntausende Menschen<br />

untereinander austauschen<br />

und mit jenen Informationen<br />

versorgen, die ihnen<br />

die etablierten Medien<br />

vorenthalten.<br />

Sicher, jeder größere politische<br />

Konflikt ist auch ein<br />

Schlachtfeld der Propaganda,<br />

bei dem sich normalerweise<br />

keine Seite etwas schenkt –<br />

allerdings muss man die Verhältnismäßigkeit<br />

betrachten:<br />

während nämlich in<br />

11<br />

Deutschland der Großteil der<br />

Medien dazu neigt auf Putin<br />

und Russland einzudreschen,<br />

die ukrainische Putschregierung<br />

zu verteidigen und die<br />

Brandmörder des Rechten<br />

Sektors mehr oder weniger<br />

zu verharmlosen, kann Moskau<br />

lediglich mit den eigenen<br />

Medien (z.B. Stimme Russlands<br />

und RIA Nowosti) kontern,<br />

die jedoch nur eine geringe<br />

Verbreitung besitzen.<br />

Wenn da tatsächlich ein paar<br />

Dutzend bezahlte Schreiber<br />

mitmischen, dürfte der Effekt<br />

in Sachen öffentlicher Meinung<br />

schlussendlich recht<br />

gering sein, da der Einfluss<br />

der großen Medien deutlich<br />

größer ist.<br />

Vielleicht wäre es angebrachter,<br />

aus Mücken keine<br />

Elefanten und aus Elefanten<br />

keine Mücken zu machen,<br />

sondern die ideologisch eingefärbte<br />

Brille abzulegen.<br />

Man kann Moskau durchaus<br />

für die Bemühungen der Einflussnahme<br />

kritisieren – allerdings<br />

sollte man dann<br />

nicht darauf vergessen zu erwähnen,<br />

welche propagandistischen<br />

Mittel die USA,<br />

die EU und die transatlantischen<br />

Organisationen anwenden.<br />

Werbung:<br />

Es gibt keinen Planeten B –<br />

es gibt jedoch einen Plan B:


Klage beim EuGH: Was kostet<br />

die Krim?<br />

Der Oligarch Poroschenko,<br />

neugewählter<br />

Präsident<br />

der Ukraine, hat<br />

schon als Kandidat erklärt,<br />

er wolle die Krim in<br />

die Ukraine zurückholen<br />

„Die Lösung der Krim-<br />

Frage, ein Zurückholen<br />

der Krim und der Schutz<br />

der Ukrainer auf der Krim<br />

werden Prioritäten für<br />

den Präsidenten und die<br />

Regierung sein“, hatte er<br />

erklärt. Jetzt aber macht<br />

ihm die eigene Regierung<br />

einen Strich durch die<br />

Rechnung: Sie will Russland<br />

auf Schadensersatz<br />

verklagen. Doch beides<br />

zusammen geht nicht:<br />

Entweder die Krim bleibt<br />

russisch, dann kann man<br />

klagen, oder aber sie geht<br />

zurück, dann ist es nichts<br />

mit dem Geld.<br />

Von Florian Stumfall<br />

Es war der Energieminister<br />

Prodan, der bei einem Besuch<br />

in Berlin verkündete, die Regierung,<br />

vertreten durch Justizminister<br />

Petrenko, wolle<br />

eine Klage beim Europäischen<br />

Gerichtshof für Menschenrechte<br />

anstrengen. Danach<br />

werden drei Punkte vorbereitet.<br />

Beim ersten handelt es<br />

sich um eine Klage vor dem<br />

Europäischen Gerichtshof für<br />

Menschenrechte. Beim zweiten<br />

geht es um die Erhöhung<br />

der Gaspreise und schließlich<br />

im dritten dreht es sich um<br />

das eigentliche Anliegen, die<br />

Poroschenko in bester Gesellschaft. Bild: Flickr / US-Botschaft Kiew<br />

CC-BY-SA 2.0<br />

Entschädigung. Eine erste Reaktion<br />

von russischer Seite:<br />

„Die Klagen widersprechen<br />

der offiziellen Haltung Kiews,<br />

das die Krim bis dato für einen<br />

Teil der Ukraine hält. Das<br />

heißt, die Ukraine möchte eine<br />

Entschädigung erhalten für<br />

einen Vorgang, der ihrer Auffassung<br />

nach bislang nicht<br />

stattgefunden hat.“<br />

Kurios auch ein weiterer<br />

Vorgang: Die ukrainischen<br />

Tochter-Unternehmen russischer<br />

Banken sammeln Geld<br />

für die ukrainische Armee, indem<br />

sie ukrainische Staatsanleihen<br />

verkaufen, soweit diese<br />

jemand haben will. „Bei diesem<br />

Vorschlag handelt es sich<br />

um einen Aufruf an die Gemeinschaft,<br />

die Kräfte und Absichten<br />

bei der Lösung der nationalen<br />

Aufgaben zu bündeln<br />

sowie die Streitkräfte finanziell<br />

zu unterstützen, um sie<br />

kampffähiger zu machen”, so<br />

das Finanzministerium.<br />

Bei den betreffenden Instituten,<br />

erklärte der Ombudsmann<br />

für Finanzen, Pawel<br />

Medwedew, handele es sich<br />

nicht um russische Banken,<br />

sondern um ukrainische mit<br />

russischem Kapital. „Falls die<br />

Banken ihre Zusammenarbeit<br />

mit der Ukraine weiterführen<br />

möchten, müssen sie sich in<br />

die ukrainische Gesellschaft<br />

integrieren“.<br />

Und von Regierungsseite<br />

heißt es weiter: „Die Niederlassungen<br />

der russischen Banken<br />

sammeln das Geld für die<br />

ukrainischen Soldaten – das<br />

ist ganz normal, weil sie der<br />

ukrainischen Gesetzgebung<br />

unterstehen. Jeder Verzicht<br />

auf den Verkauf von Staatsanleihen<br />

könnte als feindliche<br />

Handlung betrachtet werden.<br />

Dadurch könnte man Gefahr<br />

laufen, als Teil der ukrainischen<br />

Wirtschaft ausgeschlossen<br />

zu werden”.<br />

12


NATO plant Truppenaufstockung<br />

in Polen<br />

Angesichts<br />

der weiter<br />

schwierigen<br />

Situation rund um<br />

die Ukraine plant die<br />

NATO eine Aufstockung<br />

der in Polen<br />

stationierten Truppen.<br />

Der derzeit rund<br />

200 Mann starke Befehlsstand<br />

soll damit<br />

reguläre Truppenteile<br />

zur Verstärkung<br />

erhalten.<br />

Von Marco Maier<br />

Die NATO möchte gegenüber<br />

Russland Stärke<br />

und Entschlossenheit zeigen.<br />

Obwohl Präsident Putin<br />

rund zwei Drittel seiner<br />

Truppenverbände von der<br />

russisch-ukrainischen<br />

Grenze abzog und damit<br />

dem Wunsch des westlichen<br />

Militärbündnisses<br />

nachkam – obwohl es den<br />

Westen nichts angeht, was<br />

Moskau auf dem eigenen<br />

Territorium macht – erhöht<br />

das NATO-Kommando<br />

damit weiterhin den<br />

militärischen Druck.<br />

Damit folgt die NATO<br />

wohl dem Wunsch Polens.<br />

US-Panzer bei einer NATO-Übung. Bild: Flickr / 7thArmyJMTC<br />

Warschau forderte schon<br />

seit längerer Zeit die Stationierung<br />

von Kampfverbänden<br />

im Land. Anfang<br />

nächster Woche wollen<br />

sich die NATO-Kriegsminister<br />

im Brüsseler NATO-<br />

Hauptquartier treffen, wobei<br />

die Stationierung von<br />

militärischen Einheiten in<br />

den osteuropäischen Mitgliedsländern<br />

das Hauptthema<br />

sein wird.<br />

Es zeigt sich, dass das<br />

westliche Militärbündnis<br />

nicht an einer Politik der<br />

Entspannung interessiert<br />

ist, sondern weiterhin auf<br />

militärische Erpressung<br />

setzt. Russische Truppen<br />

sollen sich weiter zurückziehen,<br />

während die NATO<br />

immer weiter vorrückt. Offenbar<br />

soll Moskau die eigene<br />

Grenze völlig unbewacht<br />

lassen. So jedenfalls<br />

klingt es, wenn NATO-Generalsekretär<br />

Rasmussen<br />

warnt: "Es gibt aber noch<br />

eine erhebliche Anzahl russischer<br />

Truppen, die aktiv<br />

werden könnten, wenn es<br />

dazu eine politische Entscheidung<br />

geben sollte."<br />

<strong>13</strong>


Gasstreit: Ukraine bezahlt einen<br />

Teil der Rechnungen und stellt<br />

Forderungen<br />

Nach Angaben<br />

von EU-Energiekommissar<br />

Oettinger soll der ukrainische<br />

Versorger Naftogas<br />

786 Millionen Dollar<br />

(ca. 577,5 Millionen<br />

Euro) zur teilweisen Begleichung<br />

der Gasschulden<br />

an Russland überwiesen<br />

haben. Damit will<br />

man verhindern, dass<br />

Russland morgen den<br />

Gashahn zudreht. Allerdings<br />

ist die Ukraine mit<br />

den künftigen Lieferkonditionen<br />

nicht zufrieden.<br />

Von Marco Maier<br />

Nach einem Treffen mit<br />

den Energieministern Russlands<br />

und der Ukraine verkündete<br />

EU-Energiekommissar<br />

Günther Oettinger die<br />

Bezahlung eines Teils der<br />

Gasschulden der Ukraine.<br />

Doch die weiteren Verhandlungen<br />

über die Zukunft der<br />

Energieversorgung der<br />

Ukraine bleiben ein Politikum,<br />

wenngleich die Fronten<br />

noch nicht völlig verhärtet<br />

sind.<br />

Bild: Flickr / Thawt Hawthje CC-BY 2.0<br />

Russland beziffert die Gesamtschulden<br />

der Ukraine<br />

für das Gas mit rund 5,2 Milliarden<br />

Dollar, wovon nun ca.<br />

15 Prozent bezahlt wurden<br />

und am Montag auf dem<br />

Gazprom-Konto eingehen<br />

sollen. Nach Zahlungseingang<br />

sollen die Gespräche<br />

fortgeführt werden. Alexander<br />

Nowak, der russische<br />

Energieminister, zeigt sich<br />

jedoch hinsichtlich der ukrainischen<br />

Zahlungsmoral skeptisch:<br />

"Dokumente über die<br />

Überweisung des Geldes haben<br />

wir heute von der ukrainischen<br />

Regierung nicht vorgelegt<br />

bekommen."<br />

Bei den Verhandlungen<br />

unter EU-Vermittlung geht<br />

es vor allem um den Preis für<br />

das russische Erdgas. Gemäß<br />

den Verträgen, die unter dem<br />

von der Maidan-Clique gestürzten<br />

Präsidenten Janukowitsch<br />

abgeschlossen wurden,<br />

erhielt die Ukraine das<br />

Gas zum Preis von 268 Dollar<br />

je 1.000 Kubikmeter Gas<br />

zugesichert. Daran rüttelt<br />

Russland ja nicht.<br />

Allerdings strich Moskau<br />

sämtliche Rabatte für die<br />

Lieferungen danach, da sich<br />

die neue nationalistische<br />

Führung in Kiew absolut<br />

feindselig verhält und das<br />

Militär, Söldner und die Nationalgarde<br />

im Süden und<br />

Osten aufmarschieren lässt<br />

um dort gegen russischstämmige<br />

Ukrainer und Regierungsgegner<br />

Krieg zu führen.<br />

Deshalb soll wieder jener<br />

Preis gelten, der 2009 festgelegt<br />

wurde: 485 Dollar je<br />

1.000 Kubikmeter.<br />

Die ukrainische Führung<br />

möchte diesen regulären<br />

Preis allerdings nicht bezahlen,<br />

zumal die Europäische<br />

Union das russische Gas für<br />

einen Preis von 350 bis 390<br />

Dollar je 1.000 Kubikmeter<br />

erhält. Interimspremier Jazenjuk<br />

polterte bei einer Kabinettssitzung<br />

am Freitag,<br />

dass er den regulären Preis<br />

von 485 Dollar niemals akzeptieren<br />

würde.<br />

(Weiter auf Seite 15)<br />

<strong>14</strong>


(Fortsetzung von Seite <strong>14</strong>) Das heißt:<br />

Obwohl seine Putschregierung ständig<br />

gegen Russland und Präsident Putin<br />

hetzt, sowie rechtsextreme Milizen und<br />

Söldner auf die russischstämmige Bevölkerung<br />

loslässt, verlangt er auch noch<br />

Sonderkonditionen. Da muss man sich<br />

fragen, ob Jazenjuk überhaupt noch<br />

geistig zurechnungsfähig ist. Immerhin<br />

braucht die Ukraine das Gas. Russland<br />

ist nicht darauf angewiesen, das Gas für<br />

womöglich gar uneintreibbare Schulden<br />

auch noch an ein Land zu verkaufen,<br />

dessen Regierung eine derart aggressive<br />

Line gegen Moskau fährt. Würden Sie<br />

jemandem Waren verkaufen der nur mit<br />

Schuldscheinen bezahlt und Sie dann<br />

auch noch tagtäglich aufs Übelste beschimpft?<br />

EU-Kommissar Oettinger täte sich –<br />

wie die ganze EU-Spitze - sich gut daran,<br />

die ukrainischen Freunde in Kiew<br />

endlich zur Raison zu bringen. Mit der<br />

US-initiierten feindseligen Linie schaden<br />

sie nicht nur der Ukraine, sondern<br />

auch den Ländern der Europäischen<br />

Union. Russland hingegen hat genügend<br />

Möglichkeiten sich wirtschaftlich enger<br />

an China, Indien, den Iran und andere<br />

Staaten zu binden und die Prioritäten<br />

im internationalen Handel neu zu setzen.<br />

Man könnte beinahe schon glauben,<br />

die Blockade der EU-Kommission zur<br />

South Stream Pipeline resultiert aus den<br />

Überlegungen, dass Russland der Ukraine<br />

nicht einfach so den Gashahn abdrehen<br />

kann, ohne dass es in der EU zu Lieferengpässen<br />

kommt. North Stream allein<br />

hat nämlich nicht die Kapazität dafür.<br />

Ob das politische Kalkül Brüssels<br />

aufgeht, wird sich allerdings noch zeigen.<br />

Rettet die Menschen im Donbass!<br />

Bild: Slava Janko via Facebook<br />

15


Weltbank: Ukraine-Krise für<br />

Anstieg der Lebensmittelpreise<br />

verantwortlich<br />

Der Anstieg<br />

der Lebensmittelpreise<br />

geht nach Ansicht<br />

von Weltbank-Ökonomen<br />

unter anderem<br />

auf die Krise in<br />

der Ukraine zurück.<br />

Weitere Faktoren<br />

sind die Sorgen vor<br />

Wetterkapriolen und<br />

die gestiegene globale<br />

Nachfrage.<br />

Von Marco Maier<br />

Im ersten Quartal dieses<br />

Jahres stiegen die<br />

Getreidepreise gegenüber<br />

dem vierten Quartal<br />

20<strong>13</strong> ordentlich an: Weizen<br />

wurde um 18 Prozent<br />

teurer, Mais um 12 Prozent.<br />

Insgesamt liegen<br />

die Lebensmittelpreise<br />

nach Weltbankangaben<br />

um 4 Prozent über jenen<br />

des vorangegangenen<br />

Quartals. Mit dafür verantwortlich<br />

ist die politisch<br />

instabile Lage in<br />

der Ukraine, einem wichtigen<br />

Getreideproduzenten.<br />

Bild: Pixabay<br />

Als drittgrößter Maisund<br />

sechstgrößter Weizenexporteur<br />

der Welt<br />

fällt der politische und<br />

ökonomische Zerfall des<br />

Landes global gesehen<br />

durchaus ins Gewicht.<br />

Zwar sei der Getreideexport<br />

aus der Ukraine bislang<br />

noch nicht beeinträchtigt,<br />

doch die späte<br />

Aussaat, steigende Produktionskosten<br />

und der<br />

Zerfall der ukrainischen<br />

Währung werden nicht<br />

ohne Folgen bleiben.<br />

Dies ist auch auf den<br />

Terminmärkten zu spüren.<br />

Indessen jedoch leiden<br />

insbesondere die Menschen<br />

in der Ukraine und<br />

anderen ärmeren Ländern<br />

unter der Verteuerung<br />

der Lebensmittel,<br />

zumal diese den größten<br />

Anteil ihres mageren<br />

Einkommens für die Ernährung<br />

aufwenden<br />

müssen.<br />

16


Ostukraine: Kiew lehnt<br />

humanitäre Hilfe aus Russland ab<br />

– Truppen rücken weiter vor<br />

Moskau bot<br />

Kiew die<br />

Lieferung<br />

von Medikamenten<br />

und humanitärer Hilfe<br />

für den vom Krieg der<br />

Übergangsregierung<br />

gegen die Regierungsgegner<br />

gezeichneten<br />

Ostteil der Ukraine an.<br />

Doch das ukrainische<br />

Außenministerium<br />

lehnt jede Hilfe aus<br />

Russland ab. Indessen<br />

rücken immer mehr<br />

Truppenverbände nach<br />

Osten.<br />

Von Marco Maier<br />

Während immer mehr<br />

Menschen aus der Ukraine<br />

nach Russland flüchten und<br />

vor allem Kinder und Jugendliche<br />

aus den heftig umkämpften<br />

Gebieten auf die<br />

Krim in Sicherheit gebracht<br />

werden, geht der als "militärische<br />

Sonderoperation" beschönigte<br />

Staatsterrorismus<br />

ungehindert weiter. Durch<br />

den Einsatz von schweren<br />

Waffen und dem Beschuss<br />

von Wohngebieten durch die<br />

ukrainische Armee und die<br />

vom Rechten Sektor dominierte<br />

"Nationalgarde" gerät<br />

zunehmend auch die unbewaffnete<br />

Zivilbevölkerung ins<br />

Visier der Truppen.<br />

Aus diesem Grund bot<br />

Moskau umfangreiche humanitäre<br />

Hilfe an, damit das<br />

Leid der Zivilbevölkerung gemildert<br />

werden kann. In einer<br />

Mitteilung des russischen<br />

Außenministerium heißt es:<br />

„Am Donnerstag, dem 29.<br />

Mai, wurde vom Außenministerium<br />

der Ukraine eine<br />

Note gesendet, deren Text<br />

zumindest Befremden auslöst.<br />

Das Außenministerium<br />

der Ukraine hat das Thema<br />

humanitäre Hilfe und die<br />

Leiden der Menschen in den<br />

östlichen Regionen der<br />

Ukraine, wo wegen der von<br />

Kiew eingeleiteten Militäroperation<br />

täglich Menschen<br />

sterben und die Zahl der Verletzten<br />

und Betroffenen weiter<br />

zunimmt, voll ignoriert<br />

und ist zynisch auf die Situation<br />

auf der Krim eingegangen,<br />

die laut Meinung der<br />

ukrainischen Seite, die auf<br />

gewissen ‚zahlreichen Signalen<br />

der Weltgemeinschaft‘<br />

basiert, angeblich ‚am Rande<br />

einer humanitären Katastrophe<br />

steht‘.“<br />

17<br />

Weiters führt die Behörde<br />

in der Mitteilung aus: „Im<br />

Hinblick darauf, dass Kiew<br />

die Kampfhandlungen gegen<br />

die Bevölkerung der östlichen<br />

Regionen der Ukraine<br />

weiter führt, ist das Bedürfnis<br />

der Zivilisten nach sofortiger<br />

humanitärer Hilfe weiterhin<br />

höchst aktuell. Ausgehend<br />

von den allgemein geltenden<br />

Normen der menschlichen<br />

Moral, rufen wir die<br />

ukrainischen Behörden auf,<br />

dennoch Fragen der Hilfeleistung<br />

für diejenigen zu erörtern,<br />

die sie dringendst nötig<br />

haben.“<br />

Wie "Voice of Donezk" unter<br />

Berufung auf Augenzeugen<br />

in der Region berichtet,<br />

bereiten die Regierungstruppen<br />

indessen weitere größere<br />

Manöver vor. Mehrere Verbände<br />

der ukrainischen Armee<br />

sollen sich demnach auf<br />

die Regionen Donezk und<br />

Lugansk zubewegen, die sich<br />

kürzlich nach einer Abstimmung<br />

für unabhängig erklärten<br />

und den Staat Novorossija<br />

(Neurussland) ausriefen,<br />

weil die Putschregierung keinerlei<br />

Dialogbereitschaft<br />

zeigte.<br />

Inzwischen werden schon<br />

Befürchtungen geäußert, die<br />

nationalistische Führung in<br />

Kiew könnte diesen staatsterroristischen<br />

Akt dafür einsetzen,<br />

den Osten "ethnisch zu<br />

säubern", indem die russischstämmige<br />

Bevölkerung<br />

mit massivem Gewalteinsatz<br />

vertrieben werden soll.<br />

Schon bitten täglich über<br />

5.000 Menschen aus der<br />

Ukraine in Russland um<br />

Asyl.


Erweiterungskommissar Füle:<br />

Ukraine, Moldau und Georgien<br />

sollen der EU beitreten<br />

Geht es nach<br />

dem EU-Erweiterungskommissar<br />

Štefan Füle<br />

(Tschechien), sollen<br />

die drei osteuropäischen<br />

Länder Ukraine,<br />

Moldau und Georgien<br />

Teil der Europäischen<br />

Union werden. Ein Assoziierungsabkommen<br />

haben diese Staaten<br />

schon mit Brüssel geschlossen.<br />

Von Marco Maier<br />

Gegenüber dem Springer-Blatt<br />

"Die Welt" sagte<br />

Füle: "Wenn wir Ernst damit<br />

machen wollen, die<br />

Stefan Füle. Bild: EU Info Centar CC-BY-SA 2.0<br />

Länder in Osteuropa zu<br />

transformieren, dann müssen<br />

wir auch ernsthaft das<br />

mächtigste Instrument,<br />

das wir haben, zur Umgestaltung<br />

nutzen: die Erweiterung."<br />

Damit soll wohl<br />

18<br />

verhindert werden, dass<br />

die Eurasische Wirtschaftsunion<br />

- derzeit bestehend<br />

aus Russland,<br />

Weißrussland und Kasachstan<br />

– einen größeren<br />

Einfluss auf diese Länder<br />

erhält.<br />

Die Regierungschefs der<br />

drei Länder gaben bei der<br />

gestrigen Verleihung des<br />

Karlspreises an van Rompuy<br />

ein Bekenntnis zu Europäischen<br />

Union ab. Offenbar<br />

erwarten sie sich<br />

von Brüssel umfangreichere<br />

Finanzhilfen und bessere<br />

wirtschaftliche Perspektiven<br />

infolge einer EU-Mitgliedschaft.<br />

Doch dafür, so<br />

Füle, brauche die EU einen<br />

neuen politischen und institutionellen<br />

Rahmen.<br />

Wie dieser aussehen sollte,<br />

ließ er jedoch offen.


Zynismus pur: Karlspreisverleihung<br />

und Jazenjuk<br />

Heute wurde<br />

dem Präsidenten<br />

des Europäischen<br />

Rates Herman<br />

von Rompuy der Karlspreis<br />

verliehen. Der<br />

Preis, der von der Stadt<br />

Aachen für die Verdienste<br />

um Europa und die europäische<br />

Einigung verliehen<br />

wird, ist mit der<br />

Laudation Jazenjuks und<br />

dem gemeinsamen Eindreschen<br />

auf Russland<br />

zu einem klaren politischen<br />

Statement der aktuellen<br />

politischen Situation<br />

in der Ukraine geworden.<br />

Von Marco Maier<br />

Dass der frühere belgische<br />

Premier und heutige Präsident<br />

des Europäischen Rates,<br />

sowie Vorsitzender des Euro-<br />

Gipfels, Herman von Rompuy<br />

den Preis erhielt, war<br />

mehr oder weniger nachvollziehbar.<br />

Die Laudatio durch<br />

einen jener führenden Politiker,<br />

der mit Hilfe rechtsextremer<br />

Brandmörder zur<br />

Spaltung Europas beiträgt -<br />

nämlich durch Arsenij Jazenjuk<br />

– ist hingegen eine absolute<br />

Farce die an menschenverachtenden<br />

Zynismus<br />

kaum zu überbieten ist. Die<br />

einzige europäische Einigung<br />

die er und seine Junta vollbrachten,<br />

ist jene der EU gegen<br />

Russland und die ethnischen<br />

Minderheiten in der<br />

Ukraine.<br />

An Russland gerichtet sagte<br />

er, dass niemand das<br />

Recht habe, "die UN-Charta<br />

zu verletzen und in Europa<br />

neue Grenzen zu ziehen und<br />

neue Mauern zu errichten”.<br />

Sein Land, so der rechtsgerichtete<br />

Interims-Premier zynisch,<br />

müsse für Frieden und<br />

Freiheit kämpfen – "mit allen<br />

Mitteln und Werkzeugen". In<br />

die gleiche antirussische Kerbe<br />

schlug van Rompuy: "Destabilisierung<br />

durch unseren<br />

gemeinsamen Nachbarn<br />

Russland ist nicht akzeptabel",<br />

sagte er in seiner Dankesrede.<br />

Das Vorgehen Russlands<br />

sei demnach umso bedauerlicher,<br />

als das Land<br />

"vollständig zur europäischen<br />

Zivilisation, zur europäischen<br />

Kultur" gehöre. In<br />

Europa, so van Rompuy,<br />

gebe es keine Grenzansprüche<br />

zu Lasten der Nachbarn.<br />

"Wir müssen mit anderen<br />

Staaten zusammenarbeiten,<br />

um Probleme zu lösen.”<br />

Jazenjuk dankte Van<br />

Rompuy danach für dessen<br />

Unterstützung: Der EU-Ratspräsident<br />

habe "alles unternommen,<br />

um Blutvergießen<br />

in meinem Land zu verhindern".<br />

Das ukrainische Volk<br />

vertraue ihm, Jazenjuk, ganz<br />

persönlich. Wie sehr es ihm<br />

vertraut, sieht man im Osten<br />

und Süden der Ukraine, wo<br />

die ukrainische Armee gemeinsam<br />

mit den rechtsextremen<br />

Sturmabteilungen<br />

der "Nationalgarde" Städte<br />

19<br />

und Dörfer in Schutt und<br />

Asche legen, weil viele Menschen<br />

in diesen Regionen mit<br />

der aktuellen Putschregierung<br />

in Kiew nicht einverstanden<br />

sind.<br />

Wie kann dieser Politiker<br />

zu dieser Preisverleihung<br />

eingeladen werden, in dessen<br />

Mitverantwortung das<br />

Massaker von Odessa und<br />

der Krieg gegen die eigene<br />

Bevölkerung liegen? Wie<br />

blind muss man gegenüber<br />

der Lage in der Ukraine sein?<br />

Allerdings scheint es heutzutage<br />

zur Mode geworden zu<br />

sein, Preise und Auszeichnungen<br />

aus purem politischen<br />

Kalkül zu vergeben.<br />

Wie sonst hätten schon die<br />

EU und US-Präsident Obama<br />

den Friedensnobelpreis bekommen<br />

können? Vielleicht<br />

sollte man den Chef des<br />

Rechten Sektors für den<br />

"Dachau-Preis für Zivilcourage"<br />

vorschlagen, welcher<br />

nächstes Jahr wieder an eine<br />

Person verliehen wird, "die<br />

sich mit Mut, Phantasie und<br />

Engagement für die Rechte<br />

von Verfolgten und diskriminierten<br />

Minderheiten eingesetzt<br />

haben". Auch hier kann<br />

man den Sinn des Preises<br />

entstellen, indem man Rechte<br />

auszeichnen, die mit Phantasie<br />

und Engagement Minderheiten<br />

verfolgen und diskriminieren.


South Stream: Oettinger<br />

stoppt das Pipeline-Projekt<br />

Brüssel Duckmäusertum<br />

vor<br />

Washington<br />

führt dazu, dass EU-<br />

Energiekommissar Oettinger<br />

die Pläne der Erdgaspipeline<br />

South<br />

Stream auf Eis legt. Die<br />

EU schadet damit jedoch<br />

nicht nur Russland, sondern<br />

auch jenen Ländern,<br />

die durch die neue<br />

Pipeline unabhängiger<br />

von der politischen Lage<br />

in der Ukraine werden.<br />

Von Marco Maier<br />

EU-Energiekommissar<br />

Günther Oettinger begründete<br />

den Stopp des umfangreichen<br />

Projekts damit, dass<br />

eine Suspendierung notwendig<br />

sei, bis "volle Übereinstimmung<br />

mit der EU-Gesetzgebung<br />

garantiert ist".<br />

Dabei geht, so Oettinger, es<br />

etwa darum, wer alles Zugang<br />

zu den Leitungen haben<br />

soll, die durch das Schwarze<br />

Meer und den Balkan nach<br />

Österreich gehen soll. Das<br />

Projekt soll außerdem "im<br />

Lichte der EU-Energiesicherheitsprioritäten<br />

neu evaluiert<br />

werden".<br />

Bereits im Dezember des<br />

Vorjahres hatte die EU-Kommission<br />

erklärt, die bilateralen<br />

Abkommen, die Österreich,<br />

Bulgarien, Ungarn,<br />

Griechenland, Slowenien,<br />

Kroatien und Serbien mit<br />

Russland zur Errichtung des<br />

Präsident Putin möchte die Versorgungssicherheit für Europa garantieren<br />

können. Bild: kremlin.ru<br />

Gaspipeline-Projekts South<br />

Stream geschlossen haben,<br />

würden gegen EU-Recht verstoßen.<br />

Nach Ansicht der<br />

EU-Kommission hat der russische<br />

Gaskonzern Gazprom<br />

in den geschlossenen Abkommen<br />

eine zu dominante<br />

Stellung in Hinblick auf das<br />

Management, den Zugang<br />

Dritter zur Pipeline und bei<br />

der Tarifgestaltung.<br />

So hatte die EU erst am<br />

vergangenen Mittwoch angekündigt,<br />

eine Reihe von Maßnahmen<br />

in Angriff zu nehmen,<br />

um die Union von den<br />

russischen Gaslieferungen<br />

unabhängiger zu machen.<br />

Dabei schlug Brüssel vor,<br />

dass die EU-Staaten ihre<br />

Flüssiggasspeicher und Pipelines<br />

ausbauen, sowie nationale<br />

Notfallpläne erarbeiten<br />

sollen. Besonders interessant:<br />

die Kommission<br />

schlug vor, dass die Länder<br />

20<br />

"heimische Energiequellen"<br />

besser nutzen sollen. Ergo<br />

soll Europa sich zu Tode fracken,<br />

nur weil sich die EU<br />

von den Amerikanern am<br />

Gängelband führen lassen<br />

und keine eigenständige Politik<br />

gegenüber Russland finden<br />

will.<br />

Mit der Panikmache vor<br />

einem Lieferstopp wird jedoch<br />

verschleiert, dass selbst<br />

in den heißesten Phasen des<br />

Kalten Krieges stets russisches<br />

Gas nach Westen floss<br />

und das Prinzip der Vertragserfüllung<br />

nach Punkt und<br />

Komma auch heute noch größen<br />

Wert für Russland hat.<br />

Bisher kam es nur dann zu<br />

Engpässen, wenn in der<br />

Ukraine zu viel Gas abgezapft<br />

wurde, wie Messungen an<br />

den Pipelines an der russisch-ukrainischen<br />

und der<br />

ukrainisch-ungarischen<br />

Grenze zeigten.


Die Steigerungsformel<br />

"Feind<br />

– Erzfeind –<br />

Parteifreund" scheint<br />

sich im Falle Jean-Claude<br />

Junckers wieder einmal<br />

zu bestätigen. Während<br />

des ganzen Wahlkampfs<br />

zur Europawahl<br />

hörte man nicht einen<br />

Einspruch über den luxemburgischen<br />

Politiker,<br />

der seinem sozialdemokratischen<br />

Herausforderer<br />

Martin Schulz die<br />

Stirn bieten sollte. Doch<br />

jetzt kommt gerade von<br />

seinen Fraktionskollegen<br />

ein Nein.<br />

Von Marco Maier<br />

Eigentlich galt es als ausgemachte<br />

Sache: Jene Fraktion<br />

die gewinnt, soll auch den<br />

Präsidenten der mächtigen<br />

EU-Kommission stellen. Gerade<br />

die konservative EVP<br />

müsste sich eigentlich darüber<br />

freuen, dass sie trotz der<br />

massiven Stimmenverluste<br />

immer noch die stärkste<br />

Fraktion im Europäischen<br />

Parlament stellt. Dass jetzt<br />

gerade die deutsche Bundeskanzlerin<br />

Angela Merkel gegen<br />

Juncker mauert, während<br />

sie im Vorfeld der<br />

Wahlen kein Wort gegen den<br />

früheren Eurogruppenchef<br />

sagte, wirkt befremdlich.<br />

Das ganze Gezetere jetzt<br />

nach den Wahlen lässt den<br />

Brüsseler Politfarce:<br />

Juncker erhält keine<br />

Mehrheit<br />

Brüsseler Politzirkus lächerlich<br />

dastehen. Insbesondere<br />

die Konservativen verlieren<br />

angesichts dieser Hü-Hott-Taktik<br />

massiv an Glaubwürdigkeit.<br />

Wie kann es sein,<br />

dass man in den Wochen und<br />

Monaten vor der Wahl Juncker<br />

als Spitzenkandidaten<br />

der EVP präsentierte, um ihn<br />

danach trotz des ersten Platzes<br />

für die konservative Fraktion<br />

abzusägen? Neben Merkel<br />

gelten auch der britische<br />

Premier Cameron, der<br />

schwedische Minsterpräsident<br />

Reinfeldt und der ungarische<br />

Premier Orban als<br />

Juncker-Kritiker.<br />

21<br />

Flickr / EPP CC-BY 2.0<br />

Dabei erhält der Luxemburger<br />

sogar von Sozialdemokraten<br />

wie dem österreichischen<br />

Bundeskanzler<br />

Werner Faymann Zuspruch.<br />

Offenbar scheint Faymann<br />

das vor den Wahlen angekündigte<br />

Procedere zu akzeptieren.<br />

Merkel hingegen betonte,<br />

dass sie die zugesicherte<br />

Unterstützung Junckers<br />

zwar nicht vergessen<br />

habe, es jedoch keinen Automatismus<br />

bei der Nominierung<br />

geben könne, da dies<br />

nicht in den EU-Verträgen<br />

stehe.<br />

Angesichts dieses Affentheaters<br />

muss man sich doch<br />

ernsthaft die Frage stellen,<br />

was denn dieser ganze auf<br />

Juncker und Schulz zugeschnittene<br />

Wahlkampf von<br />

Konservativen und Sozialdemokraten<br />

überhaupt sollte.<br />

Beinahe könnte man meinen,<br />

dass dies lediglich ein wahltaktischer<br />

Schachzug gewesen<br />

wäre, damit beide großen<br />

Fraktionen noch ihre Wähler<br />

motivieren können.<br />

(Weiter auf Seite 22)


(Fortsetzung von Seite 21) Jetzt<br />

aber, da die Wahl geschlagen ist, werden<br />

die Wahlkampfwochen auf der politischen<br />

Sondermülldeponie verscharrt.<br />

Wen interessiert schon das Politikergeschwätz<br />

von gestern?<br />

Während sich die Konservativen um<br />

den Kommissionspräsidenten prügeln,<br />

wie eine hungrige Hundemeute um ein<br />

Steak, zeigen sich die Sozialdemokraten<br />

vorwiegend als gute Verlierer. SPE-<br />

Fraktionschef Hannes Swoboda meinte:<br />

"Wir sind Demokraten. Wer Nummer<br />

zwei ist, ist Nummer zwei. Daher<br />

wird es sicher so sein, dass wir als Sozialdemokraten<br />

für Martin Schulz eine<br />

starke Position in der Kommission verlangen,<br />

aber die Nummer eins wird<br />

Herr Juncker sein, wenn er mit einem<br />

guten Programm kommt".<br />

Das größte Problem für die Konservativen<br />

ist: Im Europäischen Parlament<br />

kommen sie nicht daran vorbei,<br />

sich mit den Sozialdemokraten zu einigen,<br />

da die EVP zusammen mit den Liberalen<br />

(ALDE) keine Mehrheit der<br />

Mandate innehält. Andererseits halten<br />

die Konservativen und Liberalen eine<br />

Mehrheit der nationalen Regierungsspitzen.<br />

Dabei wollen Erstere die Austeritätspolitik<br />

zumindest abmildern<br />

und mehr öffentliche Investitionen zulassen,<br />

während Letztere auf eine Fortführung<br />

des strikten Sparkurses pochen.<br />

Alles in allem jedoch ist dieses politische<br />

Ränkespiel eine absolute Verhöhnung<br />

der Wähler. Anstatt von<br />

vornherein fraktionsintern reinen<br />

Tisch zu machen und sich auf einen<br />

Kandidaten zu einigen, der von allen<br />

Ländern akzeptiert werden kann,<br />

spielt man vorher "schöne heile Welt"<br />

in der sich alle lieb haben, nur um sich<br />

nachher zu zoffen. Seriöse Politik sieht<br />

anders aus.<br />

Die Konservativen (EVP) sind zwar nach<br />

wie vor die stärkste Fraktion im Europäischen<br />

Parlament, dennoch erlitten sie<br />

enorme Verluste. Zulegen konnten vor allem<br />

EU-Skeptiker und Eurokritiker, insbesondere<br />

vom rechten und linken Rand des<br />

politischen Spektrums.<br />

Ohne Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten<br />

(S&D) und den Liberalen<br />

(ALDE) werden die Konservativen keine<br />

parlamentarische Mehrheit erzielen können.<br />

Grafik: Wikipedia<br />

22


EU: Implosion kann nur durch<br />

Reformen verhindert werden<br />

Die Europäische<br />

Union<br />

steckt in einer<br />

veritablen Krise. Wirtschaftlich,<br />

politisch und<br />

gesellschaftlich bröckelt<br />

es an allen Enden, doch<br />

die abgehobene Brüsseler<br />

Eurokratie ignoriert<br />

diese Entwicklungen, da<br />

sie zu sehr mit sich<br />

selbst beschäftigt ist.<br />

Von Marco Maier<br />

Den Menschen in Europa<br />

wird seit Jahrzehnten vorgegaukelt,<br />

das Bilderberg-Projekt<br />

der Europäischen Union<br />

wäre ein Garant für wirtschaftliche<br />

Erfolge und politische<br />

Stabilität, ein Projekt<br />

des Friedens und einer goldenen<br />

Zukunft. Doch immer<br />

mehr entpuppt sich dieser<br />

Staatenbund als ein Konstrukt<br />

realitätsfremder und<br />

abgehobener Eliten, welche<br />

die Machtkonzentration für<br />

ihre eigenen Zwecke missbrauchen.<br />

Die jüngste EU-<br />

Wahl war ein Warnschuss,<br />

den die Brüsseler Eurokraten<br />

ernst nehmen sollten.<br />

FN-Chefin Marine le Pen. Bild: Flickr / theglobalpanorama CC-BY-<br />

SA 2.0<br />

Wenn eine kleine Riege<br />

aus Politeliten in Brüssel etwas<br />

bestimmt, haben sämtliche<br />

untergeordneten staatlichen<br />

Ebenen zu folgen.<br />

Ohne irgendeine wirkliche<br />

demokratische Kontrolle bestimmen<br />

die von den nationalen<br />

Regierungen ausgemauschelten<br />

Kommissare<br />

und deren Beamtenapparat<br />

darüber, ob in den privaten<br />

Haushalten Glühbirnen<br />

leuchten dürfen, ob die Wasserversorgung<br />

weiterhin in<br />

den Händen der kommunalen<br />

Versorger bleiben darf,<br />

ob die Bauern anbauen dürfen<br />

was sie wollen, oder wie<br />

das sogenannte "transatlantische<br />

Freihandelsabkommen"<br />

TTIP schlussendlich<br />

aussehen wird.<br />

Da der mächtigen EU-Regierung<br />

keine wirklichen<br />

Grenzen auferlegt wurden,<br />

müssen sie sich nicht um die<br />

geltenden Rechtsgrundlagen<br />

der einzelnen Mitgliedsstaaten<br />

sorgen. Verständlich,<br />

dass sich zunehmend Widerstand<br />

gegen die zunehmende<br />

Ohnmacht der Bürger<br />

formiert und die kritischen<br />

politischen Kräfte rechts<br />

23<br />

und links erstarken. Eine<br />

wirkliche Lösung der Probleme<br />

bieten diese zwar<br />

nicht an, doch wer laut genug<br />

schimpft findet eben bei<br />

den Menschen Gehör.<br />

Sicher, ein EU-Austritt<br />

würde so manche Probleme<br />

mit einem Schlag lösen –<br />

doch neue Probleme kämen<br />

dann auf diese Staaten zu.<br />

Das Problem an sich ist<br />

nämlich nicht die Europäische<br />

Union selbst, und auch<br />

der Euro an sich müsste<br />

nicht als Mitverursacher der<br />

Krise gesehen werden – vielmehr<br />

liegt es am Zusammenspiel<br />

aller vorhandenen<br />

Faktoren.<br />

Wäre die Europäische<br />

Union in ihrem politischen<br />

Aufbau nach dem Vorbild<br />

der Schweiz aufgebaut worden,<br />

wären wohl viele der<br />

heutigen Probleme gar nicht


entstanden: Klare Regeln<br />

was in die Zuständigkeiten<br />

Brüssels fallen, größtmögliche<br />

Autonomie für die Mitgliedsstaaten<br />

und deren Untereinheiten,<br />

direktdemokratische<br />

Entscheidungen<br />

auf allen Ebenen, und eine<br />

Kooperation aller größeren<br />

politischen Kräfte im Europäischen<br />

Parlament. Zudem<br />

wäre die Europäische Kommission<br />

vom Parlament gewählt<br />

und nicht von den nationalen<br />

Regierungen nach<br />

internem Gemauschel ernannt.<br />

Sicher, auch die<br />

Schweiz ist nicht perfekt –<br />

und dennoch entstünde<br />

nicht dieses Gefühl der<br />

Machtlosigkeit.<br />

Die Europäische Union<br />

braucht einfach eine umfassende<br />

Reform. Doch, wohin<br />

soll der Weg führen? Lasst<br />

die Menschen in der EU darüber<br />

abstimmen! Punkt für<br />

Punkt. Befürworter und<br />

Gegner, Vertreter aller Positionen<br />

sollen dabei zu jedem<br />

einzelnen dieser Punkte ihre<br />

Argumente vorbringen dürfen,<br />

damit die Bürger selber<br />

abwägen können. Wer dann<br />

behauptet, dass die "Durchschnittsbürger"<br />

doch gar<br />

nicht die Fähigkeit hätten,<br />

die Materie zu verstehen,<br />

der muss gefragt werden:<br />

Welche Befähigung hat von<br />

der Leyen als Verteidigungsministerin?<br />

Welche Befähigung<br />

hat Nahles als Arbeitsministerin?<br />

Weshalb ist<br />

Merkel als Physikerin befähigt<br />

Kanzlerin zu sein? Weshalb<br />

kann ein Faymann<br />

Bundeskanzler von Österreich<br />

sein? Zu behaupten,<br />

dass ein Pastor als Präsident<br />

oder eine Ärztin als Verteidigungsministerin<br />

mehr Ahnung<br />

von der Materie hat als<br />

ein "normaler Mensch", dem<br />

man auch Informationen zukommen<br />

lässt, ist doch ein<br />

Irrsinn.<br />

Die Europäische Union<br />

braucht dringend umfassende<br />

Reformen, wenn sie als<br />

Folge der Abgehobenheit<br />

der Politeliten und Spitzenbeamten<br />

nicht in sich zusammenstürzen<br />

soll. Die 25<br />

Prozent für den Front National<br />

oder die 27,5 Prozent für<br />

die UKIP kommen nicht von<br />

ungefähr. Enttäuschte Wähler<br />

der großen Volksparteien<br />

blieben der Wahl fern, was<br />

sich in der niedrigen Wahlbeteiligung<br />

zeigt, während<br />

die EU-Kritiker ihrerseits<br />

Wähler mobilisieren konnten.<br />

Diesen Warnschuss darf<br />

man in Brüssel nicht überhören.<br />

Wenn nun die Konservativen<br />

als "immer noch<br />

stärkste Fraktion" bezüglich<br />

deren Spitzenkandidaten<br />

Jean Claude Juncker und<br />

den Posten des Chefs der<br />

Europäischen Kommission<br />

streiten, während die Juncker-Gegner<br />

in den ganzen<br />

Wahlkampfwochen die<br />

Klappe hielten, so ist das<br />

doch nur ein billiges politisches<br />

Affentheater. Weder<br />

Cameron noch Orban oder<br />

sonst ein Gegner Junckers<br />

innerhalb der konservativen<br />

24<br />

Fraktion muss jetzt – nach<br />

der Wahl – die Klappe aufreißen.<br />

So unsympathisch<br />

der Luxemburger mit seinen<br />

berühmten Zitaten auch sein<br />

mag: vorher hat sich von<br />

den heute mokierenden Parteichefs<br />

niemand gegen ihn<br />

gewehrt. Und dann wundern<br />

die Typen sicht, wenn die<br />

Politik(er)verdrossenheit<br />

wächst?<br />

Mit jedem künftigen<br />

Wahlgang – auch auf nationaler<br />

Ebene – riskieren die<br />

etablierten Parteien den<br />

Stimmenzuwachs für jene<br />

Parteien, die sich gegen die<br />

aktuelle Politik stellen. Um<br />

das zu verhindern, müssen<br />

sich die etablierten Parteien<br />

und deren Spitzen bewusst<br />

werden, dass die bedingungslose<br />

Unterwerfung gegenüber<br />

den Lobbyisten von<br />

Großkonzernen und Finanzindustrie<br />

eine Sackgasse ist.<br />

Irgendwann haben die Menschen<br />

genug davon – und<br />

wählen jene Parteien, die<br />

Abhilfe versprechen, auch<br />

wenn deren Programme und<br />

Zielsetzungen keine wirkliche<br />

Lösung darstellen. Dass<br />

sich über kurz oder lang etwas<br />

ändern muss und wird,<br />

steht außer Frage. Nur, ob es<br />

die politisch Verantwortlichen<br />

selbst in die Hand nehmen<br />

oder einen politischen<br />

Umsturz riskieren, steht auf<br />

einem anderen Blatt Papier.


EU-Wahl: Portugal straft<br />

Regierung ab<br />

Die EU-Wahl<br />

sorgte für eine<br />

historische<br />

Niederlage der Regierungsparteien,<br />

die gerade<br />

einmal von 9 Prozent<br />

der Wahlberechtigten<br />

ihre Stimme bekamen.<br />

Der Seniorpartner<br />

PPD/PSD allein hatte nie<br />

unter 31 Prozent. Jetzt<br />

haben beide Regierungsparteien<br />

zusammen nur<br />

27,71% bekommen. Der<br />

erwartete Linksruck hat<br />

vor allem die Allianz aus<br />

Kommunisten und Grünen<br />

gestärkt und den Sozialdemokraten<br />

nicht<br />

den Erdrutschsieg gegeben,<br />

den sie sich erhofft<br />

haben. Die niedrige<br />

Wahlbeteiligung, aber<br />

noch mehr die hohe Anzahl<br />

ungültiger Stimmen<br />

und leerer Stimmzettel<br />

sollten den Politikern<br />

eine Lehre sein. Genauso<br />

ist es mit den 7,<strong>14</strong> Prozent<br />

die der MPT des<br />

ehemaligen Vorsitzenden<br />

der Anwaltschaft,<br />

Marinho e Pinto, aufstellte.<br />

Der unbequeme<br />

Verteidiger von Werten,<br />

die der Politik verloren<br />

gegangen waren, hat den<br />

alteingesessenen Politeliten<br />

das Fürchten gelehrt.<br />

Von Rui Filipe<br />

Gutschmidt<br />

Der eigentliche Sieger der Europawahl in Portugal: die Movimento<br />

do Partido da Terra. Bild: mpt.pt<br />

25<br />

Portugal hat aus diesen<br />

Wahlen, wie vorausgesehen,<br />

eine Art Misstrauensantrag<br />

gegen die Regierung vollzogen.<br />

Daher müssen die Resultate<br />

in einem ganz spezifischem<br />

Licht betrachtet werden.<br />

Die Portugiesen mögen<br />

keine radikale Lösungen, die<br />

fast immer zu Gewalt führen.<br />

Im Gegensatz zu anderen<br />

Ländern, bzw. Völkern, haben<br />

die Portugiesen noch<br />

nicht vergessen, was es bedeutet<br />

in einer Diktatur zu<br />

leben. Der Faschismus, Nationalsozialismus<br />

oder jede<br />

andere Form des Rechtsextremismus<br />

stellt das Wohl<br />

des Staates über das Wohl<br />

des einzelnen. In der Praxis<br />

bedeutet das, dass eine kleine<br />

Elite, die Staatsführung, das<br />

Leben der Menschen kontrolliert.<br />

Das ist genau das, was<br />

gerade geschieht und die<br />

Menschen nicht mehr ertragen.<br />

So gesehen, sollte man<br />

sich ein Beispiel am Verhalten<br />

der portugiesischen Wähler<br />

nehmen.<br />

Paulo Rangel, der Kandidat<br />

der Regierungsbündnisses<br />

Aliança Portugal (AP) ist<br />

der große Verlierer der Wahl.<br />

Aber eigentlich hat er sich<br />

nur eins zu Schulden kommen<br />

lassen: Er konnte durch<br />

seine Strategie der Ablenkung<br />

vom eigenen Versagen<br />

und des puren Populismus<br />

das Desaster nicht abwenden.<br />

Im Gegenteil. Es war die<br />

größte Niederlage der Mitte-<br />

Rechts-Parteien PSD und<br />

CDS in den 40 Jahren Demokratie.<br />

Die PPD/PSD von<br />

Premier Pedro Passos Coelho<br />

hatte bisher nie unter 31%<br />

der Stimmen erhalten. Jetzt<br />

bekamen sie gemeinsam mit<br />

der CDS/PP nur 27,7%. Doch<br />

anstatt die Niederlage und<br />

damit den klaren Wunsch<br />

des Volkes zu respektieren<br />

und zurückzutreten, geben<br />

sie der geringen Wahlbeteili-


gung die Schuld. Sie behaupten<br />

das ihre Wähler ihnen<br />

einen Denkzettel gegeben haben,<br />

und sie hätten Verstanden,<br />

dass die Sparmaßnahmen<br />

gerechter verteilt werden<br />

müssen. Ferner hätten<br />

ihre Anhänger sich lieber<br />

enthalten, statt ihre Stimme<br />

einer anderen Partei zu geben.<br />

Auf keinen Fall werden<br />

sie zurücktreten oder auch<br />

nur von ihrem striktem Sparkurs<br />

abweichen. Paulo Portas<br />

meinte sogar, die PS hätte<br />

ebenso verloren.<br />

Doch die PS sieht sich<br />

selbst als den großen Sieger<br />

der Wahl. Francisco Assis,<br />

die Nummer eins in der Liste<br />

der sozialdemokratischen PS,<br />

bezeichnete seine Partei als<br />

klaren Wahlsieger. Wenn es<br />

einerseits klar ist, dass sie die<br />

meisten Stimmen bekommen<br />

haben, so lag ihr Prozentsatz<br />

weit unter dem erhofftem<br />

Resultat. Die Differenz zwischen<br />

PS und AP beträgt weniger<br />

als 4 Prozent, was deutlich<br />

unter den Vorhersagen<br />

lag. Auch der Generalsekretär<br />

der Partei, António J. Seguro,<br />

hat seine Partei als historischen<br />

Sieger bezeichnet<br />

und in einer eindeutig an die<br />

eigenen Reihen gerichteten<br />

Rede, gab er zu verstehen,<br />

dass die Parteibasis zu wenig<br />

getan hat, um die Wähler zu<br />

mobilisieren. Doch viele, vor<br />

allem einflussreiche Sozialisten,<br />

geben der zu schwachen<br />

Oppositionsarbeit die Schuld<br />

am nicht ganz so großen<br />

Wahlsieg.<br />

Denn wenn es wahr ist,<br />

dass die PS die meistgewählte<br />

Partei ist, wurde auch klar,<br />

dass viel zu wenig Portugiesen<br />

diese PS als glaubwürdige<br />

Alternative sehen. António<br />

Costa, der Oberbürgermeister<br />

von Lissabon, hat im Gegensatz<br />

zu seinem Parteivorsitzenden<br />

António José Seguro<br />

die Unterstützung der Bevölkerung.<br />

Er hat in Lissabon<br />

unter Beweis gestellt, ein<br />

Mann des Volkes zu sein und<br />

Sympathien über die Parteigrenzen<br />

hinweg erworben.<br />

Auch wenn ihm innerhalb<br />

der Parteiführung sein Versuch,<br />

diese zu übernehmen<br />

übel genommen wurde. Derzeit<br />

hat António Costa den<br />

Sieg als viel zu knapp bezeichnet<br />

und erneut seine<br />

Kandidatur für den Parteivorsitz<br />

bekanntgegeben. Wir<br />

bleiben dran.<br />

Der Linksalternative „Bloco<br />

Esquerda“ hat ebenfalls<br />

eine Niederlage hinnehmen<br />

müssen, mit der sie so nicht<br />

gerechnet hatten. Es war<br />

zwar vorhersehbar das der<br />

„Linke Block“ Stimmen einbüßen<br />

würde, aber sie haben<br />

nicht damit gerechnet, nur<br />

eine Abgeordnete – Marisa<br />

Matias – nach Straßburg zu<br />

entsenden. Die Doppelspitze,<br />

nach dem Vorbild der deutschen<br />

Grünen, steht zur Diskussion.<br />

Die Ausrede, dass<br />

viele junge, gebildete, intellektuelle<br />

und daher viele BE-<br />

Wähler, ins Ausland gegangen<br />

sind um Arbeit zu finden,<br />

ist ebenso eine Ausrede.<br />

26<br />

Die CDU, Kommunisten<br />

und Grüne, sind eindeutig<br />

Sieger dieser Wahl. 12,47<br />

Prozent und dadurch 3 Abgeordnete,<br />

machen die CDU<br />

zur eindeutig drittstärksten<br />

Kraft im Land. Jeronimo de<br />

Sousa ist zwar der Vorsitzende<br />

einer typischen Protestpartei,<br />

die mit Phrasen wie<br />

„der Aggressionspakt der<br />

Banken“ oder „das Großkapital<br />

der Banken“ oder auch<br />

„die neoimperialistische Besatzungsmacht<br />

Deutschland“<br />

wirbt und irgendwie in der<br />

Zeit stehengeblieben ist. Sie<br />

profitiert aber davon, dass<br />

die Regierung Passos Coelho,<br />

wie auch der Rest der Welt,<br />

einen Rückschritt in Zeiten<br />

der rechtlosen Arbeiter unternommen<br />

haben. Die PCP<br />

hat für den 30. Mai 20<strong>14</strong><br />

einen Misstrauensantrag angekündigt,<br />

welcher natürlich<br />

nur Symbolwert haben wird.<br />

Die größte Überraschung<br />

aber ist die MPT. Marinho e<br />

Pinto ist als ehemaliger Vorsitzender<br />

der Anwaltschaft,<br />

ein Medienprofi, der seit<br />

Jahren schon die Korruption,<br />

Vetternwirtschaft, Einflussnahme<br />

und Lobbyismus anprangert<br />

und den mächtigen<br />

Eliten auf die Füße tritt. Man<br />

hatte erwartet, dass er einen<br />

Platz in Straßburg bekommt<br />

– nicht aber, dass er noch<br />

einen zweiten Abgeordneten<br />

mit in die Gruppe der Ökologisten<br />

nimmt.<br />

Die niedrige Wahlbeteiligung<br />

ist durch das Fehlen europäischer<br />

Themen im Wahlkampf<br />

und dem geringen<br />

Einfluss der gewählten<br />

Volksvertreter auf die EU-<br />

Gesetzgebung zu erklären.<br />

Aber es ist hauptsächlich das<br />

Gefühl der Ohnmacht, wel-


ches die Bürger dazu bringt<br />

zu Hause zu bleiben. Man<br />

hörte Sätze wie: „Die machen<br />

ja doch was sie wollen“, oder<br />

„Ich gebe denen<br />

doch<br />

nicht meine<br />

Stimme, damit<br />

die sich in<br />

Brüssel einen<br />

schönen Lenz<br />

machen“. Besonders<br />

interessant<br />

sind<br />

die hohen<br />

Prozentsätze<br />

der ungültigen<br />

und weißen<br />

(leere<br />

Stimmzettel)<br />

Stimmen, die<br />

einen klaren<br />

Protest zum<br />

Ausdruck<br />

bringen. Vor<br />

allem Anhänger<br />

von PSD,<br />

CDS und<br />

auch der PS,<br />

die mit der<br />

aktuellen Politik<br />

dieser<br />

Parteien<br />

nichts zu tun haben wollen,<br />

allerdings auch keiner anderen<br />

Partei ihre Stimme geben<br />

möchten, stellten damit klar,<br />

nicht aus Faulheit oder irgendwelchen<br />

anderen Gründen<br />

nicht gewählt zu haben.<br />

Was kann man aus dem<br />

Resultat lernen? Nun, die<br />

meisten Politiker sind viel zu<br />

sehr in ihrer eigenen Welt<br />

verhaftet, in ihrer partikularen<br />

Realität eingebunden,<br />

um die Stimmung im Volk<br />

objektiv zu analysieren. Sie<br />

haben auch kein Interesse<br />

daran, zumindest öffentlich,<br />

eine Niederlage einzugestehen<br />

oder einen Sieg ganz<br />

Grafik: Wikipedia<br />

nüchtern als zu knapp anzuerkennen.<br />

Aber auch das Ego<br />

lässt sie nicht sehen, was offensichtlich<br />

ist: Die große<br />

Mehrheit der Menschen hat<br />

die Nase gestrichen voll von<br />

Politikern, die nur ihre eigenen,<br />

persönlichen, und parteiischen<br />

Interessen verfolgen<br />

und für eine kleine Minderheit<br />

ihre Klientelpolitik<br />

betreiben.<br />

Korruption und Vetternwirtschaft,<br />

Lobbys und temporäre<br />

Interessenverbände<br />

gab es schon immer und können<br />

auch nie ganz ausgemerzt<br />

werden. Doch haben<br />

die Regierungen früher bei<br />

allem Taschen füllen<br />

nicht vergessen, dem<br />

Land und den Bürgern<br />

zu dienen. Seit<br />

einiger Zeit sehen wir<br />

das immer seltener,<br />

meist nur kurz vor<br />

den Wahlen. Seit der<br />

Krise 2008, haben<br />

wir sogar eine Situation,<br />

in der immer<br />

mehr gegen das Volk<br />

regiert wird. Die Finanzwelt<br />

hat all ihre<br />

Macht dazu verwendet,<br />

um ihre Verluste<br />

in Gewinne umzuwandeln.<br />

Die Regierung Passos<br />

Coelho in Portugal<br />

hat sich erst in der<br />

eigenen Partei und<br />

nach dem Sturz der<br />

Minderheitsregierung<br />

Socrates, auf Grundlage<br />

von Lügen und<br />

Betrügereien, mit der<br />

Hilfe des Großkapitals<br />

und einer gut geölten<br />

Propagandamaschinerie,<br />

an die Macht geschlichen.<br />

Sie sind aber nur eine<br />

von vielen Regierungen weltweit,<br />

die der Finanzwelt zu<br />

Diensten sind. Aber Lügen<br />

haben kurze Beine und eine<br />

große Mehrheit der Portugiesen<br />

hat die Situation erkannt<br />

– und wehren sich. Derzeit<br />

noch friedlich. Die Parlamentswahlen<br />

werden jedoch<br />

in etwas über einem Jahr<br />

stattfinden, spätestens.<br />

27


Gezi-Jahrestag: Erdogans Kampf<br />

gegen sein eigenes Volk<br />

Die türkische<br />

Polizei ging<br />

am Jahrestag<br />

des Beginns der Gezi-Park-Proteste<br />

am<br />

Taksim-Platz auf Befehl<br />

von Premierminister<br />

Erdogan mit massiver<br />

Gewalt gegen die<br />

friedlich demonstrierenden<br />

Demonstranten<br />

vor. Als die Gewaltexzesse<br />

der Sicherheitskräfte<br />

zunahmen,<br />

kam es zu teils heftigen<br />

Auseinandersetzungen.<br />

Von Marco Maier<br />

Weil Regierungsgegner<br />

zu Demonstrationen aufriefen,<br />

ließ Erdogan rund<br />

25.000 Polizisten und 50<br />

Wasserwerfer aufstellen<br />

um den Protestmarsch an<br />

diesem denkwürdigen Jahrestag<br />

zu verhindern.<br />

Schon im Vorfeld drohte<br />

der Vorsitzende der islamisch-konservativen<br />

AKP<br />

und Premierminister der<br />

Türkei damit, dass die Sicherheitskräfte<br />

mit aller<br />

Härte gegen die Demonstranten<br />

vorgehen würden.<br />

Der Staat, so Erdogan,<br />

werde "alles tun, was für<br />

seine Sicherheit nötig ist."<br />

Proteste in Istanbul. Bild: Youtube<br />

Während schon von Anfang<br />

an immer wieder Demonstranten<br />

festgenommen<br />

wurden, ließen sich<br />

die anderen nicht beirren<br />

und protestierten weiter.<br />

Auf der zum Taksim-Platz<br />

führenden Einkaufsmeile<br />

Istiklal Caddesi kam es<br />

dann zum massiven Einsatz<br />

von Wasserwerfern<br />

und Tränengas, während<br />

die Menschen mit lauten<br />

Rufen den Rücktritt der<br />

Regierung forderten. Dabei<br />

wurde auch der Türkei-<br />

Korrespondent von CNN,<br />

Ivan Watson, vorübergehend<br />

von der Polizei festgesetzt.<br />

Mit diesem Aufgebot<br />

macht Erdogan wieder<br />

deutlich, dass er jegliche<br />

Form des größeren öffentlichen<br />

Protestes gegen die<br />

Regierung und seine Person<br />

nicht toleriert. Nach<br />

28<br />

der herben gerichtlichen<br />

Niederlage, wonach die<br />

Sperre von Twitter und<br />

Youtube nicht rechtmäßig<br />

ist, muss Erdogan offenbar<br />

wieder Stärke zeigen. Dabei<br />

hat er eigentlich ohnehin<br />

schon Glück: in der gesamten<br />

Türkei gibt es keine<br />

wirkliche Alternative.<br />

Kein anderer Politiker offenbart<br />

den Menschen in<br />

der Türkei ein zukunftsfähiges<br />

Modell. Würde die<br />

Opposition so einen Kandidaten<br />

ins Rennen schicken,<br />

wären diesem wohl<br />

viele Proteststimmen aus<br />

dem AKP-Lager sicher.<br />

Und so kann er es sich leisten,<br />

den Bürgern mit aller<br />

erdenklichen Arroganz von<br />

seinem Thron aus auf die<br />

Köpfe zu spucken.


Wohlfühl-Kriegsministerin<br />

von der Leyen<br />

Dass Deutschlands<br />

Verteidigungsministerin<br />

von der Leyen selbst<br />

dasitzt und Rüscherl-Vorhänge<br />

für die ihr<br />

anvertrauten Kasernen<br />

häkelt, ist nicht mehr als<br />

ein böses Gerücht. Allerdings<br />

kann es nicht verwundern,<br />

dass solcher<br />

und ähnlicher Spott laut<br />

wird, wenn man ihre<br />

neuesten Vorschläge zur<br />

Erhöhung der Schlagkraft<br />

der Bundeswehr<br />

anschaut.<br />

Von Florian Stumfall<br />

Da ist die Rede von mehr<br />

Teilzeit- und Heimarbeit, der<br />

Möglichkeit der Soldaten,<br />

gratis mit ihren Familien zu<br />

telefonieren und von mehr<br />

Kindergärten. Die Soldaten<br />

sollen außerdem Minikühlschränke<br />

und Fernsehapparate<br />

mit Flachbildschirmen<br />

bekommen überdies mehr<br />

Garderobe-Spiegel. An sich<br />

würden die gehäkelten Vorhänge<br />

– vielleicht rot-weiß<br />

kariert – ganz gut in dieses<br />

Programm passen.<br />

Bild: Flickr / Bundeswehr CC-BY-ND 2.0<br />

Die Absicht der Ministerin<br />

ist es, die Bundeswehr zu einem<br />

attraktiven Arbeitgeber<br />

zu machen, schließlich handelt<br />

es sich dabei um eine<br />

Freiwilligen-Armee. Soweit<br />

kann man ihr folgen. Wenn<br />

sie allerdings im selben<br />

Atemzug mit den Kindergärten<br />

und den Garderobe-Spiegeln<br />

sich dafür ausspricht,<br />

dass die Bundeswehr zu<br />

mehr Auslandseinsätzen ausrückt,<br />

dann stellt sich die<br />

Frage nach der Schlüssigkeit<br />

ihres Konzepts. Denn wie soll<br />

ein Bundeswehrsoldat Heimarbeit<br />

leisten, wenn er am<br />

Hindukusch die Freiheit Europas<br />

verteidigt? Oder was<br />

will er mit einem Garderobe-<br />

Spiegel im afrikanischen<br />

Busch, wo es keine Garderobe<br />

gibt? Auch die Idee vom<br />

Teilzeit-Krieger, soviel steht<br />

fest, wird, auch wenn es Frau<br />

von der Leyen vielleicht gerne<br />

hätte, kein Exportartikel<br />

militärpsychologischer Ermannung<br />

werden.<br />

Wenn sich Deutschland<br />

schon auf Grund undurchsichtiger<br />

NATO-Planungen<br />

immer wieder in kriegerische<br />

Verwicklungen irgendwo in<br />

der Welt hineinziehen lassen<br />

muss, dann sollte es das erste<br />

Anliegen des verantwortlichen<br />

Ressortchefs sein, dass<br />

29<br />

die Leute möglichst vollständig<br />

und gesund wieder heimkommen.<br />

Deshalb sähen es<br />

die Soldaten gerne, wenn<br />

man ihnen statt der Flachbildschirme<br />

modernstes und<br />

bestes militärisches Gerät<br />

gäbe, zumal das vorhandene<br />

sozusagen zusehends veraltet.<br />

Wahrscheinlich ist es<br />

auch den Soldaten-Ehefrauen<br />

eher eine Beruhigung,<br />

wenn sie wissen, dass für ihre<br />

Männer nach besten Möglichkeiten<br />

militärisch vorgesorgt<br />

ist, als dass diese in ihren<br />

Kasernen eigentlich Zugriff<br />

auf Mini-Kühlschränke<br />

hätten, während sie im Sand<br />

der Sahara die Demokratie<br />

verbreiten.<br />

Kein geringerer als der<br />

frühere Generalinspekteur<br />

der Bundeswehr Harald Kujat<br />

fürchtet, Frau von der<br />

Leyen habe „ganz offensichtlich<br />

keine Ahnung vom Militär“.<br />

Wie soll sie auch, sie<br />

hatte damit nie zu tun.


Griechenland-Hilfe: Die Inflation<br />

der Versprechungen<br />

In der ersten Juni-Woche<br />

steht<br />

zu erwarten,<br />

dass die EZB die derzeit<br />

geltenden Miniatur-Zinsen<br />

noch einmal<br />

senkt, um mit diesem<br />

Mittel zu erreichen,<br />

was sie bisher<br />

mit demselben Mittel<br />

nicht erreicht hat;<br />

nämlich dass Geld in<br />

die Realwirtschaft<br />

kommt, anstatt die<br />

Banken zu mästen. Im<br />

Blick ist dabei natürlich<br />

in erster Linie der<br />

Süden der EU, allen<br />

voran Griechenland.<br />

Daher lohnt sich ein<br />

kleiner Rückblick aus<br />

der Sicht des deutschen<br />

Finanzministers<br />

Schäuble.<br />

Von Florian Stumfall<br />

Die beiden Rettungspakete,<br />

die Griechenland von der<br />

EU bislang bekommen hat,<br />

belaufen sich auf 237 Milliarden<br />

Euro, dazu kommt ein<br />

Schuldennachlass von Banken,<br />

Fonds und Versicherungen.<br />

2010 war Griechenland<br />

am Rande der Pleite und erhielt<br />

das erste Paket von EU<br />

und IWF, 80 Milliarden<br />

Euro. Da war natürlich auf<br />

Seiten der Geberländer bald<br />

die Frage zu hören, ob man<br />

denn je wieder zu seinem<br />

Geld kommen würde. Im<br />

Jahr 2011 sagte dazu<br />

Deutschlands Finanzminister<br />

Schäuble, der die Finanzhilfe<br />

als eine Ausnahme und einmalige<br />

Angelegenheit bezeichnet<br />

hatte: „Selbstverständlich<br />

gebe ich Ihnen diese<br />

Garantie. Wir geben diese<br />

Kredite als Investment, weil<br />

wir wissen, dass wir es in<br />

Griechenland mit einer Konjunktur-Delle<br />

zu tun haben.<br />

[...] Wir werden unser Geld<br />

mit Profit zurückbekommen.“<br />

Damals betrugen die<br />

Verbindlichkeiten Griechenlands<br />

355,8 Milliarden Euro.<br />

Im Jahr darauf erneuerte<br />

Schäuble diese Garantie und<br />

machte für die Notwendigkeit<br />

einer neuerlichen Hilfe<br />

in Höhe von <strong>14</strong>5 Milliarden<br />

Euro eine globale Rezession<br />

verantwortlich. „Aber jetzt“<br />

so Schäuble, „befinden wir<br />

uns auf einem guten Weg,<br />

wie auch die neuesten Prognosen<br />

des IWF zeigen. Sie<br />

können also ganz beruhigt<br />

schlafen in Deutschland.“<br />

30<br />

Bundesfinanzminister Schäuble.<br />

Bild: Flickr / blu-news.org CC-BY-SA 2.0<br />

Der Schuldenstand belief<br />

sich damals auf 307 Milliarden<br />

Euro. Zusätzlich zur Finanzhilfe<br />

hatte also Griechenland<br />

fast 30 Milliarden<br />

neue Schulden gemacht.<br />

Im Jahr 20<strong>13</strong> beeidet<br />

Schäuble: „Ich garantiere,<br />

dass ich alles tun werde, dass<br />

das Programm erfolgreich<br />

sein wird.“ Der Schuldenstand<br />

ist wieder auf fast 330<br />

Milliarden gestiegen, aber<br />

mit Buchungstricks kommt<br />

beim Haushalt ein Primärüberschuss<br />

heraus. Ifo-Präsident<br />

Sinn spricht vom<br />

„Schönfärben“.<br />

Schäuble 20<strong>14</strong>: „Die Verschuldung<br />

Griechenlands<br />

wird erst 2022 ein tragfähiges<br />

Niveau erreichen.“ Ein<br />

drittes Paket ist fällig. Ein<br />

Milliardenbetrag in einstelliger<br />

Höhe soll es wahrscheinlich<br />

werden, meint Schäuble.<br />

Er ist gut dran: Im Jahr 2022<br />

wird niemand mehr seine<br />

Versprechungen einfordern.


Wien: Rekordschulden und<br />

Milliardenhaftung für Bank Austria<br />

Die österreichische<br />

Bundeshauptstadt<br />

will in Sachen Finanzen<br />

scheinbar mit<br />

Berlin gleichziehen.<br />

Das Schuldendesaster<br />

Wiens sorgt dafür,<br />

dass der Schuldenstand<br />

Ende 20<strong>13</strong> ganze<br />

4,365 Milliarden Euro<br />

betragen hat. Finanzstadträtin<br />

Brauner ist<br />

dennoch zufrieden.<br />

Von Marco Maier<br />

Der kürzlich veröffentlichte<br />

Rechnungsabschluss<br />

der Stadt Wien für das<br />

Jahr 20<strong>13</strong> hat es in sich.<br />

Im Laufe des vergangenen<br />

Jahres stiegen die Schulden<br />

durch die Aufnahme<br />

von neuen Fremdmitteln<br />

um 285 Millionen auf ein<br />

Rekordniveau von 4,365<br />

Milliarden Euro. Das ist<br />

ein Plus von satten 7 Prozent.<br />

Bei einem Ausgabenvolumen<br />

von 12,471 Milliarden<br />

Euro im Gesamtjahr<br />

kam hingegen nach den<br />

Kriterien von Maastricht<br />

ein Minussaldo von <strong>13</strong>5,04<br />

Millionen Euro heraus.<br />

Finanzstadträtin Renate<br />

Brauner (SPÖ) zeigte sich<br />

jedoch zufrieden, da die<br />

Neuverschuldung der<br />

Finanzstadträtin Renate Brauner (SPÖ)<br />

Bild: Flickr / VIPevent CC-BY-SA 2.0<br />

chronisch über ihre Verhältnis<br />

lebende Stadt weiter<br />

reduziert werden konnte.<br />

Gemäß der auf europäischer<br />

Ebene ausverhandelten<br />

"Schuldenbremse" dürfe<br />

Wien ab 2016 ohnehin<br />

keine neuen Schulden<br />

mehr machen. Dies war jedoch<br />

von Brauner selbst<br />

heftig kritisiert worden, da<br />

sie sich offenbar nicht mit<br />

einem ausgeglichenen<br />

Budget abfinden kann.<br />

Dennoch will sie diese Vorgabe<br />

einhalten.<br />

Da die rot-grüne Stadtregierung<br />

in Sachen Verwaltungsreform<br />

nur höchst<br />

zögerlich agiert, befürchtet<br />

die Opposition massive Erhöhungen<br />

bei den Gebühren.<br />

Immerhin ist der Griff<br />

in die privaten Kassen inzwischen<br />

ein probates Mittel<br />

der österreichischen<br />

Politik geworden um die<br />

31<br />

Ausgabenexzesse zu finanzieren.<br />

Ein Blick auf die<br />

Entwicklung der Staatsquote<br />

verdeutlicht dies.<br />

Neben den offiziellen<br />

Schulden hat auch Wien –<br />

wie Kärnten bei der desolaten<br />

Hypo – umfangreiche<br />

Haftungen für den<br />

Bankensektor übernommen.<br />

Insbesondere die<br />

einst rote "Bank Austria",<br />

die heute der italienischen<br />

UniCredit gehört spielt<br />

dort eine tragende Rolle:<br />

für immer noch 6,76 Milliarden<br />

Euro (2012: 8,17<br />

Milliarden) an Krediten<br />

haftet die Stadt Wien. Zum<br />

Vergleich: im Jahr 2001<br />

lag die Haftungssumme<br />

noch bei 122 Milliarden<br />

Euro.


Trotz Geldschwemme –<br />

Goldpreis im Keller<br />

Das seit Jahrtausenden<br />

begehrte<br />

Edelmetall<br />

verzeichnete heute ein<br />

neues 15-Wochen-Tief.<br />

Angesichts der stets vorhandenen<br />

Nachfrage und<br />

der begrenzten Fördermengen<br />

muss man sich<br />

fragen, ob der Preis an<br />

den Goldbörsen überhaupt<br />

noch realitätsnah<br />

ist.<br />

Von Marco Maier<br />

Mit 1.266 Dollar je Feinunze<br />

markierte der Goldpreis<br />

heute einen neuen Tiefpunkt.<br />

Angesichts der Gelddruckorgien<br />

der US-Notenbank, sowie<br />

der schier unersättlich<br />

scheinenden Nachfrage in einigen<br />

asiatischen Ländern<br />

wirkt dieser Umstand doch<br />

sehr skurril. Die Frage nach<br />

Manipulationen oder einem<br />

schlichten Marktversagen<br />

drängt sich dabei auf. Wie<br />

passt dies alles zusammen?<br />

Zwar spielt bei Gold – wie<br />

bei allen Handelsgütern an<br />

den Börsen – in gewissem<br />

Maße die Psychologie eine<br />

Rolle, dennoch beeinflussen<br />

die großen Eigner von physischem<br />

Gold (v.a. die Zentralbanken<br />

– wir berichteten)<br />

den Markt. Beispielsweise<br />

durch den Verleih von größeren<br />

Mengen des gelben Edelmetalls<br />

um damit Leerverkäufe<br />

zu provozieren. Nun<br />

möchte auch China mehr<br />

Einfluss auf die Goldpreisbildung<br />

nehmen, zumal Peking<br />

wohl an der Einführung einer<br />

eigenen goldgedeckten Reservewährung<br />

(wir berichteten)<br />

arbeitet.<br />

Eine weitere – nicht unerhebliche<br />

– Rolle spielt das sogenannte<br />

"Papiergold". Mit<br />

Hilfe diverser Finanzderivate<br />

(z.B. Optionen, Swaps, Futures,<br />

usw.) greifen Spekulanten<br />

in die Preisbildung ein,<br />

was den marktpsychologischen<br />

Effekt verstärkt. So<br />

führen die besseren Konjunkturerwartungen<br />

in den USA<br />

dazu, dass sich die Spekulanten<br />

vermehrt den US-Aktienmärkten<br />

zuwenden, was die<br />

Papiergold-Nachfrage deutlich<br />

reduziert und den Preis<br />

purzeln lässt.<br />

Schon im vergangenen<br />

Jahr mussten die Papiergold-<br />

Händler eine Schrumpfung<br />

hinnehmen. Im Jahresverlauf<br />

20<strong>13</strong> schrumpften die Bestände<br />

der <strong>14</strong> größten mit<br />

32<br />

Gold unterlegten "Exchange<br />

Traded Products" (ETPs) um<br />

31 Prozent auf 1.8<strong>13</strong>,3 Tonnen.<br />

Der Handel mit Gold<br />

ohne dieses physisch besitzen<br />

zu müssen, litt unter der<br />

niedrigen Inflation an den<br />

Gütermärkten und der allgemeinen<br />

durch die Geldschwemme<br />

ausgelösten Euphorie<br />

an den Aktienmärkten.<br />

Doch damit konnten die<br />

(Zentral-) Banken mit noch<br />

weniger Geldeinsatz den<br />

Goldpreis dirigieren.<br />

Geschaffen wurden Gold-<br />

ETPs einst von Graham<br />

Tuckwell, einem australischen<br />

Unternehmer der mit<br />

der "Tuckwell ETF Securities<br />

Ltd." den zweitgrößten Gold-<br />

ETP der Welt verwaltet. Diese<br />

ETPs werden ähnlich wie<br />

Aktien gehandelt. Die Notwendigkeit<br />

für Lagerung, Sicherung<br />

und andere Dinge im<br />

Zusammenhang mit dem<br />

klassischen Goldhandel entfallen<br />

dabei.


EU-Austritt würde britische<br />

Finanzindustrie hart treffen<br />

Egal ob man<br />

Nigel Farrage<br />

und seine<br />

UKIP mag oder nicht,<br />

doch vor deren<br />

Wunsch nach einem<br />

EU-Austritt Großbritanniens<br />

("Brexit") zittert<br />

vor allem ein Wirtschaftszweig:<br />

die britische<br />

Finanzindustrie<br />

der City of London. Ein<br />

Grund mehr, die Briten<br />

ziehen zu lassen?<br />

Von Marco Maier<br />

Seit dem fulminanten<br />

Wahlerfolg der als populistisch<br />

geltenden United Kingdom<br />

Independent Party<br />

(UKIP) bei den Wahlen zum<br />

Europäischen Parlament,<br />

schlottern in manchen Kreisen<br />

des britischen Establishments<br />

die butterweichen<br />

Knie. Denn das erklärte Ziel<br />

der Partei, die mit 27,5 Prozent<br />

der Stimmen zur stärksten<br />

britischen Partei im Europaparlament<br />

wurde lautet:<br />

Raus aus der EU! Die diesbezüglichen<br />

früheren Drohungen<br />

des Finanzministers (siehe<br />

hier) wurden ja nicht<br />

ernst genommen.<br />

Gemäß der Studie "Brexit<br />

or Fixit?" des "Centre for<br />

Economic Performance" an<br />

der London School of Economics<br />

würde ein Abschied des<br />

britischen Königreichs aus<br />

der EU zu einem Rückgang<br />

der nationalen Wirtschaftsleistung<br />

um bis zu 9,5 Prozent<br />

führen, und das Land<br />

damit härter treffen als die<br />

Finanzkrise 2008/2009.<br />

Zwar würden sich die Briten<br />

dann 8,6 Milliarden Pfund<br />

(10,6 Milliarden Euro) an<br />

Geld sparen, welches heute<br />

nach Brüssel fließt, was jedoch<br />

durch diverse Handelshemmnisse<br />

wie Zölle und<br />

Steuern wieder aufgefressen<br />

würde.<br />

Dabei vergessen die Panik<br />

verbreiten wollenden Superstrategen<br />

jedoch zu erwähnen,<br />

dass die Briten wie die<br />

Schweiz, Norwegen und andere<br />

Staaten auch bilaterale<br />

Abkommen abschließen können.<br />

Ein Abbau von Zollschranken<br />

ist (siehe Handel<br />

mit den USA, wo die Zölle im<br />

Schnitt gerade einmal rund 3<br />

Prozent ausmachen) ist ja<br />

nicht exklusiv mit der EU-<br />

Mitgliedschaft verbunden.<br />

33<br />

UKIP-Chef Nigel Farrage<br />

Bild: Flickr / Euro Realist Newsletter<br />

Die Finanzoligarchie<br />

jammert<br />

Der interessanteste Aspekt<br />

jedoch liegt jedoch in der Situation<br />

der Finanzindustrie,<br />

die es sich in der ominösen<br />

City of London gemütlich<br />

machte. Diese würde nämlich<br />

ganz besonders unter einem<br />

"Brexit" leiden und zum<br />

Großteil des BIP-Rückgangs<br />

beitragen. Doch was juckt es<br />

den gewöhnlichen Briten,<br />

wenn die Finanzhaie im Herzen<br />

der britischen Hauptstadt<br />

leiden? Immerhin muss<br />

der normale britische Bürger<br />

und jedes reguläre britische<br />

Unternehmen seine Steuern<br />

an den Schatzkanzler des<br />

Vereinigten Königreichs abführen,<br />

während sich die Finanzoligarchie<br />

ein kleines<br />

Steuerparadies schuf.<br />

Schlussendlich würde der<br />

EU-Austritt Großbritanniens<br />

jedoch lediglich bedeuten,<br />

dass zwar die nationale Wirt-


schaftsleistung insgesamt<br />

drastisch einbricht, davon jedoch<br />

lediglich rund eine halbe<br />

Million Finanzleute direkt<br />

betroffen wären. Am Beispiel<br />

der City of London: die rund<br />

350.000 Beschäftigten (ca.<br />

0,5 Prozent der Gesamtbevölkerung)<br />

dort lukrieren 2,4<br />

Prozent des nationalen Einkommens<br />

(siehe auch hier).<br />

Insgesamt "erwirtschaftet"<br />

der Sektor "Unternehmensbezogene<br />

und Finanzdienstleistungen"<br />

(interessant<br />

dazu) rund ein Drittel des<br />

ganzen Bruttoinlandsprodukts<br />

des Vereinigten Königreichs,<br />

davon die engere Finanzindustrie<br />

nochmals ein<br />

Drittel (10 Prozent des nationalen<br />

BIP).<br />

Ein Vorteil für die<br />

EU?<br />

Skyline der City of London.<br />

Bild: jikatu CC-BY-SA 2.0<br />

Für die EU würde ein Abschied<br />

Londons aber auch<br />

bedeuten, dass die Finanztransaktionssteuer,<br />

die z.B.<br />

in China bereits Anwendung<br />

findet und dort keine signifikanten<br />

Einbrüche an den<br />

Börsen verursacht hat, doch<br />

umgesetzt werden könnte.<br />

Deutschland und Frankreich<br />

mussten sich stets dem britischen<br />

Veto geschlagen geben,<br />

da die britische Politik stets<br />

im Interesse der Finanzindustrie<br />

handelte.<br />

34<br />

Ebenso sind es die Briten,<br />

die sich stets für einen rigorosen<br />

Sozialabbau in der Europäischen<br />

Union stark<br />

machten. Ginge es nach London,<br />

wäre ganz Europa schon<br />

zum selben deregulierten<br />

und liberalisierten Finanzcasio<br />

verkommen wie das Vereinigte<br />

Königreich selbst. Dabei<br />

zeigen die ganzen Bankenrettungspakete<br />

die infolge<br />

der jüngsten Finanzkrise<br />

gepackt wurden, dass schon<br />

jetzt nicht mehr viel dazu<br />

fehlt. Ohne den Finanzindustrie-Lobbystaat<br />

könnte vielleicht<br />

eher noch eine Trendwende<br />

geschafft werden.<br />

Aber nur, wenn die Regierungen<br />

der EU-Mitgliedstaaten<br />

es so wollen.


Finanzderivate: Blase größer als<br />

vor der Finanzkrise 2008<br />

Die Bank für Internationalen<br />

Zahlungsausgleich<br />

(BIZ) veröffentlichte<br />

jüngst Zahlen, wonach<br />

die Geldschwemme<br />

der Zentralbanken zu einer<br />

neuen Rekordsumme<br />

bei den Finanzderivaten<br />

führte. Ganze 710 Billionen<br />

Dollar sind die<br />

teils hochspekulativen<br />

Papier wert. Zumindest<br />

in den Computern der Finanzindustrie.<br />

Von Marco Maier<br />

Die "Zentralbank der Zentralbanken",<br />

wie die BIZ<br />

auch gerne genannt wird,<br />

verdeutlichte in ihrem jüngsten<br />

Bericht, welche gefährlichen<br />

Auswirkungen die gewaltige<br />

Geldschwemme der<br />

Zentralbanken hat. Insbesondere,<br />

da die Summe des<br />

"Wertes" dieser Papiere inzwischen<br />

um etwa 20 Prozent<br />

über dem Wert liegt,<br />

den diese noch kurz vor Ausbruch<br />

der globalen Finanzkrise<br />

2008 hatten. Besonders<br />

das Jahr 20<strong>13</strong> zeigt – im Vergleich<br />

zu 2012 – einen dramatischen<br />

Anstieg (siehe<br />

Grafik).<br />

35<br />

Diese Summen sind insofern<br />

mit besonderem Argwohn<br />

zu sehen, da diese Derivate<br />

auch ihre Renditen<br />

verlangen, welche vorwiegend<br />

von der Realwirtschaft<br />

– und damit von den wirklich<br />

wertschöpfenden Unternehmen<br />

und den Menschen –<br />

bezahlt werden müssen.<br />

Selbst wenn die Durchschnittsrendite<br />

nur bei 2 Prozent<br />

pro Jahr liegt, so sind<br />

das in etwa <strong>14</strong> Billionen Dollar.<br />

Zum Vergleich: die Weltwirtschaftsleistung<br />

beläuft<br />

sich auf etwa 74 Billionen<br />

Dollar.<br />

Sämtliche Versprechungen<br />

der Politiker den Derivatehandel<br />

einzuschränken waren<br />

offenbar wieder einmal<br />

nur leere Worthülsen. Offenbar<br />

scheinen die Lobbyisten<br />

der Finanzindustrie – siehe<br />

auch im Buch "Der größte<br />

Raubzug der Geschichte" –<br />

mit ihrer Tätigkeit sehr erfolgreich<br />

gewesen zu sein.<br />

Das Finanzmarktcasino feiert<br />

wieder fröhliche Urständ,<br />

während sich Realwirtschaft,<br />

Menschen und viele Staaten<br />

mehr schlecht als recht<br />

durchschlagen.

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