3 Grußwort des Vertreters des Hohen ... - Pro Asyl
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Der Lack blättert<br />
Günter Burkhardt<br />
Wir werden nicht alles anders<br />
machen, aber vieles besser.«<br />
Mit diesem Slogan warb Bun<strong>des</strong>kanzler<br />
Schröder im Wahlkampf. Bei<br />
der Vorstellung <strong>des</strong> Koalitionsvertrages<br />
am 20. Oktober 1998 versprach er, die<br />
Gesellschaft »im Innern menschlicher«<br />
zu machen. Ein halbes Jahr nach der<br />
Bun<strong>des</strong>tagswahl ist es an der Zeit, kritisch<br />
Zwischenbilanz zu ziehen.<br />
Nach 16 Jahren Kohl, Kanther und Co.<br />
hat es ohne Zweifel jede neue Regierung<br />
schwer – sofern überhaupt gewollt – einen<br />
Politikwechsel einzuleiten und die<br />
eingefahrene Ministerialbürokratie auf<br />
eine neue politische Spur zu setzen. Hundert<br />
Tage Schonfrist sind sicherlich zu<br />
kurz, um eine Zwischenbilanz zu ziehen.<br />
Nach einem halben Jahr Regierungstätigkeit<br />
zeichnet sich jedoch ab, wohin<br />
in den kommenden Monaten und Jahren<br />
die Reise wahrscheinlich gehen wird.<br />
PRO ASYL hat mit realistischen Forderungen<br />
versucht, Einfluß auf den Verlauf<br />
der Koalitionsverhandlungen und die ersten<br />
Schritte der Regierung zu nehmen.<br />
Eine Rückkehr zum <strong>Asyl</strong>grundrecht alter<br />
Fassung nach Art.16 Abs. 2 Satz 2 GG<br />
war von vornherein unrealistisch. Die<br />
Rückkehr zu den Standards <strong>des</strong> internationalen<br />
Völkerrechts, die Anerkennung<br />
der Spruchpraxis <strong>des</strong> Europäischen Gerichtshofs<br />
für Menschenrechte in Sachen<br />
Abschiebungsschutz bei drohender Folter<br />
sowie ein menschlicherer Umgang<br />
mit Flüchtlingen – dies waren und sind<br />
auch weiterhin realistische Erwartungen<br />
an die neue Bun<strong>des</strong>regierung. Die erste<br />
Ernüchterung folgte beim Bekanntwerden<br />
der Koalitionsvereinbarung im Oktober<br />
1998. Eine kritische Lektüre machte<br />
klar:<br />
keine Rückkehr zu den Standards der<br />
Genfer Flüchtlingskonvention,<br />
keine Härtefallregelung im Ausländergesetz,<br />
keine Revision <strong>des</strong> Flughafenverfahrens<br />
oder der Abschiebungshaftpraxis.<br />
Noch nicht einmal die Rücknahme<br />
der im Vorwahlkampf hektisch durchgesetzten<br />
erneuten Verschärfung <strong>des</strong><br />
<strong>Asyl</strong>bewerberleistungsgesetzes wurde<br />
verabredet.<br />
Das einzige Bonbon für die in der <strong>Asyl</strong>arbeit<br />
Tätigen: die Benennung neuralgischer<br />
Punkte im Koalitionsvertrag in<br />
Form von Prüfaufträgen.<br />
Greifbar und politisch sofort anzupacken<br />
war nur die versprochene Altfallregelung.<br />
Im Koalitionsvertrag heißt es: »Wir<br />
wollen gemeinsam mit den Ländern eine<br />
einmalige Altfallregelung erreichen.«<br />
Kaum war der Koalitionsvertrag unterschrieben,<br />
meldete sich bereits der damalige<br />
Vorsitzende der Innenministerkonferenz,<br />
der rheinland-pfälzische Minister<br />
Zuber, zu Wort und skizzierte die Rahmenbedingungen<br />
solch einer Altfallregelung.<br />
Nicht die rot-grüne Bun<strong>des</strong>regierung<br />
handelte, sondern die Länder.<br />
Rheinland-Pfalz wollte die Neuauflage<br />
der Altfallregelung aus dem Jahr1996.<br />
Die damalige Altfallregelung lief weitgehend<br />
ins Leere. Bun<strong>des</strong>weit wurden nur<br />
etwa 7.800 Aufenthaltsbefugnisse ausgestellt.<br />
Ganze Personengruppen wie Bosnier,<br />
Vietnamesen und Kosovo-Albaner<br />
sollen nach Meinung mancher Innenminister<br />
von der angestrebten Altfallregelung<br />
ausgenommen werden. Kaum eine<br />
Chance gibt es für all diejenigen, die aus<br />
dem Arbeitsmarkt gedrängt wurden. Eigenständige<br />
Sicherung <strong>des</strong> Lebensunterhalts<br />
lautet das Credo. Aber: kein sicherer<br />
Aufenthalt – kaum eine Chance auf<br />
dem Arbeitsmarkt – das ist die bittere<br />
Realität. Eine so konstruierte Altfallregelung<br />
würde weitgehend ins Leere laufen.<br />
Inzwischen stellt sich die Frage: Wird es<br />
überhaupt eine Altfallregelung geben?<br />
Bayern hat sich wie Baden-Württemberg,<br />
Berlin und Bremen bereits am 11. Dezember<br />
1998 ausdrücklich gegen eine<br />
Altfallregelung ausgesprochen. Am 25.<br />
Februar 1999 haben die Innenminister<br />
eine Entscheidung erneut vertagt – auf<br />
Juni. Und in den meisten Bun<strong>des</strong>ländern<br />
wird zügig abgeschoben. Oft trifft es gerade<br />
diejenigen, die von der Regelung<br />
profitieren würden. PRO ASYL und<br />
Flüchtlingsinitiativen fordern von den<br />
Ländern Erlasse, mit denen Abschiebungen<br />
von potentiell begünstigten Personen<br />
vorerst ausgesetzt werden. Die Reaktion<br />
<strong>des</strong> bayerischen Staatssekretärs Regensburger:<br />
»Wenn der Bayerische Flüchtlings-rat<br />
von einer ›geplanten Altfallregelung‹<br />
für lange in Deutschland lebende<br />
<strong>Asyl</strong>bewerber fabuliert, unterliegt er einer<br />
grotesken Fehleinschätzung« (Pressemitteilung<br />
vom 5. März 1999). Das ist<br />
deutlich. Es ist nicht mehr vernünftig<br />
darauf zu hoffen, daß es in der Innenministerkonferenz<br />
zu einem Einvernehmen<br />
kommt. Was bleibt, wäre der Weg <strong>des</strong><br />
Gesetzgebungsverfahrens – langwierig,<br />
aber immerhin keine Pseudoaktivität.<br />
Das rot-gelbe Rheinland-Pfalz hat sich<br />
bereits grundsätzlich für eine Altfallregelung<br />
ausgesprochen. Es gibt also nicht<br />
nur eine rot-grüne Bun<strong>des</strong>tagsmehrheit,<br />
sondern auch eine rot-grün-gelbe Mehrheit<br />
im Bun<strong>des</strong>rat.<br />
Was hat die neue rot-grüne Bun<strong>des</strong>regierung<br />
in den Bereichen bewegt, in denen<br />
sie zuständig und handlungsfähig ist?<br />
PRO ASYL hat ab November 1998 in einer<br />
Vielzahl von Briefen an den Bun<strong>des</strong>arbeitsminister,<br />
an das Bun<strong>des</strong>ministerium<br />
<strong>des</strong> Innern und an das Auswärtige<br />
Amt konkrete Handlungsvorschläge gemacht.<br />
Hier die kritische Zwischenbilanz:<br />
Verantwortungsbereich <strong>des</strong><br />
Bun<strong>des</strong>arbeitsministers<br />
(Walter Riester)<br />
PRO ASYL hat darauf hingewiesen,<br />
daß die Leistungen für <strong>Asyl</strong>suchende<br />
nach dem <strong>Asyl</strong>bewerberleistungsgesetz<br />
jahrelang nicht angepaßt<br />
worden sind, obwohl der Wortlaut <strong>des</strong><br />
Gesetzes dies in § 3 Abs. 3 vorsieht. In einem<br />
Schreiben <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>ministeriums<br />
für Arbeit und Sozialordnung vom 23.<br />
Februar 1999 heißt es nun, es sei nicht<br />
zutreffend, daß die Erhöhung in den vergangenen<br />
Jahren immer »vergessen«<br />
worden sei. Die Anpassung der Leistungen<br />
sei im Gegenteil mehrfach geprüft,<br />
ein Erhöhungsbedarf aber verneint worden.<br />
Auf welcher Basis diese Prüfung<br />
vorgenommen worden sein soll, ist unerfindlich.<br />
Das Statistische Bun<strong>des</strong>amt<br />
hat für die Jahre 1993 bis 1998 einen Anstieg<br />
der Verbraucherpreise festgestellt,<br />
der sich zwischen 4,5 % im Jahr 1993<br />
und 0,9 % im Jahr 1998 bewegt. Die<br />
Regelsätze der Sozialhilfe sind im Vergleichszeitraum<br />
– wenn auch unzureichend<br />
– ebenfalls erhöht worden. In der<br />
Praxis bedeutet dies, daß die Schere zwischen<br />
der im Prinzip als Existenzminimum<br />
geltenden Sozialhilfe und dem Niveau<br />
<strong>des</strong>sen, was Flüchtlinge erhalten,<br />
immer weiter auseinanderklafft.<br />
Ebenfalls zurückgewiesen – unter Benutzung<br />
der falschen Argumentationen der<br />
Vorgängerregierung – wurde vom Bun<strong>des</strong>arbeitsministerium<br />
die Forderung von<br />
PRO ASYL, das unter Minister Blüm am<br />
15. Mai 1997 verhängte generelle Arbeitsverbot<br />
ohne Einzelfallprüfung für<br />
<strong>Asyl</strong>suchende aufzuheben. PRO ASYL<br />
hatte darauf hingewiesen, daß einige Sozialgerichte<br />
geurteilt haben, daß die ent-<br />
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