3 Grußwort des Vertreters des Hohen ... - Pro Asyl
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Frieden der Welt zu dienen, hat sich das<br />
deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden<br />
Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.«<br />
Fragen wir auch nach den Feierstunden<br />
unsere Politiker, aber auch unsere Beamten<br />
und Richter, wie sie ihrer »Verantwortung<br />
vor Gott« gerecht werden<br />
können und wollen, wenn Frauen aus<br />
Afghanistan ein <strong>Asyl</strong>recht verwehrt wird,<br />
weil die Taliban dort angeblich nicht<br />
einmal eine staatsähnliche Gewalt besitzen.<br />
Diskutieren wir mit ihnen, ob nicht<br />
diese Formulierung der Verfassung, die<br />
zum Ausdruck bringen will, daß sie die<br />
grundlegenden Gerechtigkeitspostulate<br />
anerkennt, daß sie in Verantwortung vor<br />
Gott an die unverbrüchlichen Menschenrechte<br />
als ethisches Fundament von absoluter<br />
Tragfähigkeit gebunden ist, jeglicher<br />
menschlichen Disposition entzogen,<br />
das Kirchenasyl rechtfertigt, weil und solange<br />
die <strong>Asyl</strong>rechtspraxis fehlerhaft ist.<br />
Weisen wir Politiker darauf hin, daß die<br />
Forderung der Präambel, in einem vereinten<br />
Europa dem Frieden der Welt zu<br />
dienen, nicht nur den Schutz der Opfer<br />
<strong>des</strong> Unfriedens verlangt, sondern auch<br />
das Gebot beinhaltet, dies europaweit<br />
durchzusetzen und nicht umgekehrt, Europa<br />
abzuschotten.<br />
Zuletzt: Gedenktage machen auch<br />
die Geschwindigkeit der Entwicklungen<br />
deutlich. Vor 50 Jahren hätte sich niemand<br />
ein vereintes, weitgehend grenzenloses<br />
und im Inneren Freizügigkeit<br />
gewähren<strong>des</strong> Europa mit einheitlichem<br />
Geld vorstellen können. Heute ist dies<br />
weitgehend Realität.<br />
Die gesellschaftliche Ausgrenzung und<br />
menschliche Ablehnung als Fremden<br />
trifft nicht mehr die EU-Bürger, sondern<br />
die Außenstehenden, die Angehörigen<br />
der Dritten Welt. Diese Ausgrenzungsmentalität<br />
ist rückwärts gewandt und<br />
historisch überholt. Nicht nur einzelne<br />
Länder und große Konzerne agieren global,<br />
sondern auch die Individuen sind in<br />
ihrer Kommunikation und in ihrem kulturellen<br />
Verhalten weltläufig geworden.<br />
Auch die <strong>Pro</strong>bleme sind längst internationalisiert:<br />
Konflikte sind nicht mehr<br />
lokal begrenzbar; Krankheiten breiten<br />
sich weltweit aus, das ökologische Desaster<br />
betrifft den ganzen Globus. Die<br />
durch die Globalisierung der Wirtschaft,<br />
<strong>des</strong> Warenverkehrs, der Information und<br />
der Kommunikation erzeugte Mobilität<br />
der Menschen ist derzeit noch auf jene<br />
der Ersten Welt konzentriert. Aus den<br />
Schwellenländern und der Dritten Welt<br />
werden noch überwiegend <strong>Pro</strong>dukte<br />
(nicht mehr nur Rohstoffe) importiert. Es<br />
zeigt sich jedoch bereits ein – von den<br />
Konzernen verlangter und auch durchgesetzter<br />
– Import auch von Fachleuten der<br />
neuen Technologien (und nicht nur von<br />
Spezialitätenköchen). Dies wird sich weiter<br />
und immer schneller fortsetzen.<br />
Die deutsche (und europäische) Abschottungspolitik<br />
wird hieran nichts<br />
ändern. Sie feiert teuer erkaufte Scheinerfolge<br />
durch die Abwehr der Schwächsten<br />
– derer, die vor politischer Verfolgung,<br />
vor Menschenrechtsverletzungen<br />
oder auch nur großer Not geflohen sind.<br />
Der Preis ist die Militarisierung an den<br />
Außengrenzen und die Mißachtung der<br />
in der Präambel <strong>des</strong> Grundgesetzes verankerten<br />
grundlegenden Gerechtigkeitspostulate.<br />
Varian Fry, der »Schutzengel der Europäischen Avantgarde«. Von links: Max Ernst, Jacqueline<br />
Lamba, André Masson, André Breton und Varian Fry.<br />
Bild: Fondation Chambon<br />
Heute würde man ihn einen Schlepper nennen.<br />
Zwischen August 1940 und September 1941<br />
half Varian Fry Tausenden von Flüchtlingen in<br />
Südfrankreich, der drohenden Festnahme und<br />
Deportation zu entkommen. Entgegen seiner<br />
ursprünglichen Aufgabenstellung, verhalf er im<br />
Rahmen <strong>des</strong> ›American Rescue Committee‹<br />
nicht nur berühmten Künstlern, darunter Lion<br />
Feuchtwanger, Franz Werfel, Heinrich Mann,<br />
Golo Mann und Max Ernst zur Flucht, sondern<br />
auch vielen Unbekannten. Er zögerte nicht,<br />
sich bei der Hilfe für Verfolgte auch illegaler<br />
Methoden zu bedienen und mit der kriminellen<br />
Unterwelt Marseilles zusammenzuarbeiten.<br />
Der Retter so vieler Menschen geriet später in<br />
den USA wie in Frankreich in Vergessenheit<br />
und starb 1967 in Connecticut. 1998 wurde<br />
er in Israel unter die »Hundert Gerechten« aufgenommen.<br />
Berlin hat inzwischen eine Straße<br />
in der Nähe <strong>des</strong> Potsdamer Platzes nach<br />
Varian Fry benannt.<br />
Frys Erinnerungen sind unter dem Titel »Auslieferung<br />
auf Verlangen. Die Rettung deutscher<br />
Emigranten in Marseille« im Hanser Verlag<br />
und als Fischer-Taschenbuch erschienen.<br />
Die Feierstunden zum fünfzigsten Jahrestag<br />
<strong>des</strong> Grundgesetzes sollten daher<br />
Anlaß sein, sich der Zuwanderungsproblematik<br />
aus der Dritten Welt mit Gelassenheit,<br />
Augenmaß und Offenheit anzunehmen<br />
und sie nicht durch eine<br />
Abschottungspolitik zu verdrängen. Dies<br />
ist nicht nur ein Gebot der Menschlichkeit,<br />
sondern auch der politischen Klugheit.<br />
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