3 Grußwort des Vertreters des Hohen ... - Pro Asyl
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50 Jahre Grundgesetz –<br />
(k)ein Feiertag für Flüchtlinge(?)<br />
Hubert Heinhold<br />
Am 8.5.49 stimmte der Parlamentarische<br />
Rat über das Grundgesetz<br />
ab. Mit dieser Verfassung hat<br />
sich Deutschland von den autoritativen<br />
Staatsordnungen verabschiedet. Seitdem<br />
bekennt sich auch das deutsche Volk zur<br />
Selbstverantwortung, die aus der Freiheit<br />
und Gleichheit der Individuen hervorgeht<br />
und im Bewußtsein der Gemeinschaftsgebundenheit<br />
Gerechtigkeit und Gleichheit<br />
für alle anstrebt. Dem totalitären<br />
Staat, dem sich als totale Herrschaftsmacht<br />
alles unterzuordnen hat, ist durch<br />
das Grundgesetz und die Akzeptanz dieser<br />
Verfassung seit 50 Jahren die Grundlage<br />
entzogen.<br />
Betrachtet man vom Ausgangspunkt<br />
im Jahre 1949 unser aktuelles Staatsverständnis,<br />
unseren Umgang mit der<br />
Macht, bedenkt man, welche sozialen<br />
Errungenschaften erreicht sind und welche<br />
Freiheiten uns längst selbstverständlich<br />
geworden sind und von niemandem<br />
ernsthaft in Frage gestellt werden, darf<br />
uns Stolz und Zufriedenheit erfüllen,<br />
auch wenn manche Ereignisse in letzter<br />
Zeit zur Wachsamkeit herausfordern.<br />
Von vielen dieser Errungenschaften<br />
profitieren auch Flüchtlinge. Das für sie<br />
wesentliche Grundrecht jedoch ist demontiert.<br />
Das <strong>Asyl</strong>recht in Deutschland konnte seinen<br />
50. Geburtstag nicht erleben.<br />
Art. 16 II GG der am 8.5.49 beschlossenen<br />
Verfassung verkündete in seinem<br />
Satz 2 großartig »Politisch Verfolgte<br />
genießen <strong>Asyl</strong>recht« und wollte ein solches<br />
umfassen<strong>des</strong>, unbedingtes, absolutes<br />
Recht auch gewähren: »Entweder wir<br />
gewähren <strong>Asyl</strong>recht, ein Recht, das, glaube<br />
ich, rechtshistorisch betrachtet, uralt<br />
ist, oder aber wir schaffen es ab.«, so der<br />
Abgeordnete Wagner (SPD) in der 44.<br />
Sitzung der 2. Lesung im Grundrechtshauptausschuß<br />
am 19.1.49. Durch den<br />
sogenannten <strong>Asyl</strong>kompromiß wurde am<br />
29.6.93 Art. 16 II GG so geändert, daß er<br />
praktisch ins Leere geht.<br />
Ein Pfeiler unserer Verfassung wurde<br />
damit zum Einsturz gebracht, was<br />
das BVerfG in seiner Entscheidung<br />
vom 14.5.96 ausdrücklich billigte. Das<br />
Grundrecht auf <strong>Asyl</strong> »stehe zur Disposition<br />
<strong>des</strong> verfassungsändernden Gesetzgebers«,<br />
dieser sei »nicht gehindert, das<br />
<strong>Asyl</strong>grundrecht als solches aufzuheben.«<br />
Das Photo zeigt <strong>Pro</strong>f. Ernst Reuter, Oberbürgermeister der Stadt Berlin und Abgeordneter im<br />
Parlamentarischen Rat, bei der Unterzeichnung <strong>des</strong> Grundgesetzes am 23. Mai 1949.<br />
Ernst Reuter hat vor der Verfolgung durch den Nationalsozialismus in der Türkei Zuflucht gefunden.<br />
Photo: Süddeutscher Verlag, Bilderdienst<br />
Unter diesem Freibrief leiden seitdem<br />
alle Flüchtlinge in Deutschland. Denn die<br />
Verfassungsgerichtsentscheidungen markieren<br />
Wendepunkte in der Haltung der<br />
deutschen Gesellschaft zu schutzsuchenden<br />
Flüchtlingen. Bis dahin war die Stimmung<br />
zwar nicht gerade von Offenheit<br />
und Sympathie geprägt, die deutsche<br />
Wohlstandsgesellschaft war sich allerdings<br />
bewußt, Verpflichtungen gegenüber<br />
den Ärmeren zu haben. Flüchtlingsinitiativen,<br />
die sich gründeten, die Wohlfahrtsverbände<br />
und die Kirchen, die im<br />
Beistand für die Schwachen schon immer<br />
ihre Aufgabe sahen, wußten sich von einem<br />
gesellschaftlichen Konsens getragen,<br />
daß zumin<strong>des</strong>t den Schutzbedürftigen<br />
der Schutz nicht versagt werden sollte.<br />
Hieran änderte eine rassistische und populistische,<br />
teilweise parteipolitisch motivierte<br />
<strong>Pro</strong>paganda zunächst wenig. Im<br />
Gegenteil: Teile der Gesellschaft stemmten<br />
sich durch Lichterketten, Anzeigenkampagnen<br />
und verstärkten Eifer dieser<br />
Tendenz entgegen.<br />
Der <strong>Asyl</strong>kompromiß und die Verfassungsgerichtsurteile<br />
vom 14.5.96 veränderten<br />
auch das gesellschaftliche Klima<br />
gründlich. Seitdem ist das <strong>Asyl</strong>recht nicht<br />
nur aus den Zeitungen als uninteressant<br />
verbannt, sondern auch gesellschaftlich<br />
ins Abseits gestellt. Flüchtlinge werden<br />
nicht mehr als Menschen, die unsere<br />
Hilfe brauchen, gesehen, sondern als<br />
»Sozialschmarotzer« oder jedenfalls als<br />
Last für das Gemeinwesen; Helfer als<br />
»Gutmenschen« oder Sozialromantiker<br />
diskreditiert; Behörden, Bun<strong>des</strong>amtsentscheider<br />
und Gerichte werden nicht mehr<br />
an der Richtigkeit und Menschlichkeit<br />
ihrer Entscheidung gemessen, sondern<br />
nach ihrer Rigidität bewertet. Es gilt die<br />
Parole: »Alle raus so rasch wie möglich<br />
und niemand mehr rein!« Dies ist die<br />
Essenz im Umgang mit Flüchtlingen im<br />
fünfzigsten Jahr <strong>des</strong> Grundgesetzes, bewirkt<br />
durch vielfältige Rechtsbeschneidungen,<br />
Diskriminierungen im Alltag,<br />
oberflächliche Gerichtsentscheidungen<br />
und manchmal auch Behördenwillkür;<br />
unwiderlegbar dokumentiert durch die<br />
Verschärfung <strong>des</strong> <strong>Asyl</strong>bewerberleistungsgesetzes<br />
im letzten Jahr.<br />
Für Flüchtlinge gibt es 1999, trotz einer<br />
rot-grünen Bun<strong>des</strong>regierung, nicht<br />
viel zu feiern.<br />
In der Präambel <strong>des</strong> Grundgesetzes heißt<br />
es: »Im Bewußtsein seiner Verantwortung<br />
vor Gott und den Menschen, von<br />
dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes<br />
Glied in einem vereinten Europa dem<br />
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