3 Grußwort des Vertreters des Hohen ... - Pro Asyl
3 Grußwort des Vertreters des Hohen ... - Pro Asyl
3 Grußwort des Vertreters des Hohen ... - Pro Asyl
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Sorgfältiger sieben<br />
In den 60er Jahren war das andere<br />
Deutschland schon erwacht. Die Presse,<br />
auch die Fachpresse (Deutsches<br />
Verwaltungsblatt – DVBl), befaßte sich<br />
mit der Handhabung <strong>des</strong> <strong>Asyl</strong>rechtes.<br />
Die Bun<strong>des</strong>regierung konnte nicht abstreiten,<br />
daß politisch Verfolgte nachts<br />
von der Polizei abgeholt, ins Gefängnis<br />
gebracht, in ein Flugzeug gesetzt und<br />
nach Polen, Ungarn, Jugoslawien oder in<br />
die ČSSR »verbracht« wurden (s. Kimminich,<br />
<strong>Asyl</strong>recht, 1968, S. 47). Aus diesen<br />
Ländern kamen über 90 % aller <strong>Asyl</strong>suchenden.<br />
Die Bun<strong>des</strong>regierung verteidigte<br />
sich: Als Erstzufluchtland müsse<br />
man eben »sorgfältiger sieben«. Man<br />
siebte gründlich. Im Zeitraum 1953 bis<br />
1965 beantragten durchschnittlich jährlich<br />
2.500 Personen ihre Anerkennung<br />
als Konventionsflüchtlinge. 1953 wurden<br />
noch 38 % anerkannt, 1965 blieben<br />
im Zirndorfer Sieb noch 9,6 % hängen,<br />
ganze 366 Personen. Die Bun<strong>des</strong>republik<br />
Deutschland, dieser Nachfolgestaat <strong>des</strong><br />
Deutschen Reiches, kämpfte schon in<br />
jenen Tagen verbissen gegen die Flut ausländischer<br />
Flüchtlinge. Frankreich hatte<br />
im Zeitraum 1953 bis 1965 180.000<br />
politisch Verfolgte anerkannt, die BRD<br />
9.315. Die Anerkennungsquoten in Belgien<br />
70 %, in Italien 60 %, in Frankreich<br />
97 %.<br />
Die deutsche Devise war: Sorgfältiger sieben,<br />
schneller schieben.<br />
Weite Auslegung<br />
Mitten in dieser bedrückenden<br />
Lage räusperte sich das Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht.<br />
Es rief<br />
der jungen halben Nation die Verfassung<br />
ins Gedächtnis. Wenn einer durch das<br />
Sieb in Zirndorf gerieselt war, dann hieß<br />
das noch lange nicht, daß auch keine Anerkennung<br />
als politisch Verfolgter nach<br />
Art. 16 II 2 GG in Frage kam. Die Entscheidung<br />
<strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verfassungsgerichtes<br />
vom 4.2.1959 (BVerfGE 9, 174 ff.)<br />
brachte das zehnjährige Kind ein zweites<br />
Mal zur Welt: »Deshalb sind Entscheidungen,<br />
die eine Anerkennung als politischer<br />
Flüchtling versagen, für die Frage<br />
der <strong>Asyl</strong>gewährung an politisch Verfolgte<br />
nicht präjudiziell.« Aber nicht nur das.<br />
Das Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht steckte<br />
den Rahmen für die Auslegung und Anwendung<br />
<strong>des</strong> Art. 16 II 2 GG: »Eine weite<br />
Auslegung <strong>des</strong> Art. 16 Abs. 2 Satz 2<br />
GG entspricht nicht nur dem Geist, in<br />
dem er konzipiert worden ist, sondern<br />
auch der Situation, für die er gemünzt<br />
war…In einer Reihe von Staaten wird<br />
zur Durchsetzung und Sicherung politischer<br />
und gesellschaftlicher Umwälzungen<br />
die Staatsgewalt in einer Weise eingesetzt,<br />
die den Grundsätzen freiheitlicher<br />
Demokratie widerspricht. Das<br />
Grundrecht <strong>des</strong> Art. 16 Abs. 2 Satz 2<br />
GG sollte auch dieser Notlage Rechnung<br />
tragen; dem muß seine Auslegung entsprechen.«<br />
Wie man sieht, enthielt sich nicht einmal<br />
das Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht der Übertreibung.<br />
Nach dieser weiten Auslegung<br />
hätten wir ja die halbe Welt aufnehmen<br />
müssen. Freilich, heute lesen wir »weite<br />
Auslegung« mit ganz anderen Augen.<br />
Wir legen unser Grundrecht auf <strong>Asyl</strong> so<br />
weit aus – bis Portugal, Kreta, Finnland<br />
– , daß die Flüchtlinge gar nicht mehr zu<br />
uns kommen müssen. Ihr Schicksal liegt<br />
uns so am Herzen, daß wir schon dort<br />
draußen für ihre Sicherheit sorgen. Wir<br />
vergewissern uns normativ, daß sie schon<br />
dort sicher sind. Sie brauchen nicht mehr<br />
so weit zu laufen. Ganz weit haben wir<br />
das Grundrecht ausgelegt. Am liebsten<br />
machen wir daraus ein globales Netz.<br />
Damals dagegen war das noch ein<br />
»reines <strong>Asyl</strong>theater«: So nannte es 1966<br />
auf einer »staatspolitischen Dienstversammlung«<br />
der bayerischen Landpolizei<br />
Mittelfranken in Neustadt an der<br />
Aisch ein Oberregierungsrat. Kimminich<br />
(a.a.O.) ist zu danken, daß am Kern <strong>des</strong><br />
Beitrages <strong>des</strong> Oberregierungsrates heute<br />
noch gelutscht werden kann: Der Rechtsschutz<br />
für asylsuchende Ausländer sei in<br />
keinem Land der Erde so ausgedehnt<br />
wie in der Bun<strong>des</strong>republik Deutschland.<br />
Ein Ausländer könne jahrelang prozessieren,<br />
auch wenn er von vornherein<br />
weiß, daß ihm das <strong>Asyl</strong>recht nicht zusteht.<br />
Das Bun<strong>des</strong>amt und das Lager<br />
Zirndorf kosteten jährlich 4 Millionen<br />
Mark, die praktisch nutzlos vertan würden,<br />
da in Wirklichkeit nur 5 % der <strong>Asyl</strong>suchenden<br />
echte politische Verfolgte seien.<br />
Allein diese Zahl beweise, wie »überflüssig<br />
das ganze <strong>Asyl</strong>verfahren« sei.<br />
Da haben wir sie, die nächste Übertreibung:<br />
Ganz überflüssig war das <strong>Asyl</strong>verfahren<br />
nicht. Braucht man für die<br />
»5 %« nicht ein bißchen Verfahren? Und<br />
für die sogenannte Ungarnaktion im Jahr<br />
1956/57, als knapp 14.000 Ungarnflüchtlinge<br />
aufgenommen wurden, von<br />
der Bun<strong>des</strong>dienststelle – außerhalb <strong>des</strong><br />
reinen <strong>Asyl</strong>theaters – »vorläufig anerkannt«<br />
bis zum Jahr 1959?<br />
Aktionsplakate<br />
50 Jahre Grundgesetz<br />
50 Jahre Grundgesetz –<br />
die einen feiern, die anderen<br />
werden abgeschoben.<br />
Deutschland feiert<br />
50 Jahre Grundgesetz.<br />
Im Jahre 1999 ist das Grundgesetz<br />
der Bun<strong>des</strong>republik 50 Jahre<br />
alt geworden – für viele offizielle<br />
Stellen ein Anlaß zu feiern.<br />
PRO ASYL erinnert daran, daß<br />
der Artikel 16 »Politisch Verfolgte<br />
genießen <strong>Asyl</strong>recht.« aufgrund<br />
der Erfahrungen der Nazi-Zeit ins<br />
Grundgesetz aufgenommen wurde.<br />
Vor 6 Jahren wurde dieses Grundrecht<br />
bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt.<br />
Die dramatischen Folgen<br />
dieses Eingriffs in unser Grundgesetz<br />
erleben wir seit 6 Jahren Tag<br />
für Tag am Schicksal verfolgter<br />
Menschen.<br />
Deshalb hat PRO ASYL die<br />
nebenstehenden Aktionsplakate<br />
entwickelt. Die Originalplakate<br />
im Format DIN A2 können Sie<br />
mit dem Bestellformular auf<br />
Seite 49 bestellen.<br />
5