3 Grußwort des Vertreters des Hohen ... - Pro Asyl
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und Umfang der öffentlichen Fürsorge<br />
für Minderheiten in einer Weise in die<br />
Diskussion gebracht wurden, die bedrückende<br />
Parallelen zur Debatte ums<br />
<strong>Asyl</strong>bewerberleistungsgesetz aufweist. So<br />
war 1935 in Berlin die Forderung erhoben<br />
worden, alle jüdischen Wohlfahrtseinrichtungen<br />
unter öffentliche Kontrolle<br />
zu stellen, so »daß ein Mißbrauch öffentlicher<br />
Fürsorgegelder durch ihre<br />
Tätigkeit nicht mehr möglich ist«. Die<br />
Stadt Königsberg schlug auf Drängen<br />
örtlicher Gauleiter im gleichen Jahr vor,<br />
für die Beurteilung der Hilfsbedürftigkeit<br />
jüdischer Unterstützungsberechtigter<br />
einen schärferen Maßstab anzulegen.<br />
Derartige Wünsche stießen naturgemäß<br />
beim deutschen Gemeindetag auf offene<br />
Ohren. Auf einer Sitzung eines Wohlfahrtsausschusses<br />
am 10. Mai 1937 in<br />
Heidelberg wurde der Vorschlag eingebracht,<br />
»Juden in der Fürsorge unter Ausländerrecht<br />
zu stellen. Diese Anregung<br />
gab der deutsche Gemeindetag sofort<br />
an den Reichsinnenminister weiter (…)«<br />
Der Reichsinnenminister legte dann im<br />
Sommer 1938 den Entwurf einer »Verordnung<br />
über die öffentliche Fürsorge für<br />
Juden« vor, durch die hilfsbedürftige Juden<br />
generell auf die Inanspruchnahme<br />
der jüdischen freien Wohlfahrtspflege<br />
verwiesen wurden. Die öffentliche Fürsorge<br />
sollte nur bei deren »Überforderung«<br />
eingreifen dürfen. In einer Sitzung<br />
zur Beratung dieses Gegenstan<strong>des</strong> am 28.<br />
Juli 1938 stellte sich heraus, daß das Naziregime<br />
eine aus der heutigen Perspektive<br />
geradezu überraschende Grenze für<br />
die Ausgrenzung mit den Mitteln der Sozialhilfegesetzgebung<br />
sah: Der Vorschlag,<br />
die Hilfe der öffentlichen Fürsorge »auf<br />
das zum Lebensunterhalt Unerläßliche«<br />
zu beschränken, fand wegen der erwarteten<br />
außenpolitischen Reaktion keine<br />
Zustimmung.<br />
Leistungen an <strong>Asyl</strong>bewerber sind inzwischen<br />
auf das zum Lebensunterhalt<br />
Unerläßliche (im Gesetzestext nebulös:<br />
»das Unabweisbare«) beschränkt. Das<br />
entsprechende Gesetz wurde von einem<br />
frei gewählten Parlament in demokratischer<br />
Abstimmung beschlossen. Keiner<br />
der Abgeordneten ist verdächtig, neonazistisches<br />
Gedankengut zu unterstützen.<br />
Von einer außenpolitischen Reaktion<br />
wurde nichts bekannt.<br />
Die erneute Verschärfung <strong>des</strong><br />
<strong>Asyl</strong>bewerberleistungsgesetzes 1998<br />
Georg Classen<br />
Im September 1997 legte das Land<br />
Berlin im Bun<strong>des</strong>rat den Entwurf für<br />
eine weitere Verschärfung <strong>des</strong> <strong>Asyl</strong>bewerberleistungsgesetzes<br />
vor. Bayern,<br />
Baden-Württemberg und Niedersachsen<br />
steuerten weitere Verschärfungsvorschläge<br />
bei. Nachdem im März 1998 der Bun<strong>des</strong>tag<br />
in erster Lesung einen Gesetzesentwurf<br />
verabschiedet, der für min<strong>des</strong>tens<br />
250.000 geduldete Flüchtlinge,<br />
darunter mehr oder minder alle geduldeten<br />
bosnischen Kriegsflüchtlinge, die<br />
Streichung sämtlicher Hilfen nach dem<br />
Gesetz bedeuten würde, bricht eine Welle<br />
<strong>des</strong> <strong>Pro</strong>testes bei Flüchtlingsorganisationen,<br />
Wohlfahrtsverbänden und<br />
Kirchen los. Immerhin wird die allerschlimmste<br />
Variante verhindert. Trotzdem<br />
sieht das schließlich verabschiedete<br />
Gesetz in einem neuen Paragraphen<br />
1 a eine »Mißbrauchsregelung« vor. Die<br />
Leistungen nach dem Gesetz sollen auf<br />
»das im Einzelfall Unabweisbare« eingeschränkt<br />
werden. Für Menschen, die angeblich<br />
nur <strong>des</strong>halb nach Deutschland<br />
eingereist sind, um hier Leistungen zu beziehen<br />
und für Menschen, die durch ihr<br />
Handeln ihre rechtlich zulässige Abschiebung<br />
verhindern, z.B. durch die Verschleierung<br />
ihrer Identität oder fehlende<br />
Mitwirkung bei der Beschaffung eines<br />
Passes.<br />
Die zum 1. September 1998 in Kraft getretene<br />
Neuregelung wird von den Bun<strong>des</strong>ländern<br />
mit unterschiedlicher Härte<br />
umgesetzt. Das Land Berlin als Initiator<br />
34<br />
der Verschärfung hat auch die weitaus<br />
brutalste Praxis.<br />
Die Hauptstadt <strong>des</strong> Zynismus:<br />
aushungern, obdachlos<br />
aussetzen, kriminalisieren<br />
Für neu ankommende Kriegsflüchtlinge<br />
aus dem Kosovo war im<br />
Herbst und Winter 1998/99 bei den<br />
Berliner Sozialämtern die Verweigerung<br />
sämtlicher Hilfen eher die Regel als die<br />
© Meester<br />
Ausnahme. Allenfalls Unterkunft wurde<br />
– längst nicht in allen Fällen – gewährt,<br />
es gab in der Regel aber keine Kleidung,<br />
keine Hygieneartikel, keinen Pfennig<br />
Bargeld (und keine Fahrscheine für den<br />
Nahverkehr), vielfach nichts zu Essen<br />
und keine Krankenscheine. Entsprechende<br />
Leistungseinschränkungen wurden<br />
auf serbische Deserteure und palästinensische<br />
Flüchtlinge aus dem Libanon angewandt.<br />
Die Flüchtlinge werden ausgehungert,<br />
obdachlos ausgesetzt, auch die ärztliche