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3 Grußwort des Vertreters des Hohen ... - Pro Asyl

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Kein Geld für den Zahnarzt –<br />

Zähne weg<br />

Ein Effekt <strong>des</strong> <strong>Asyl</strong>bLG ist, daß es<br />

die Behörden zur Verweigerung<br />

von Leistungen einlädt. Denn<br />

Recht haben und Recht durchsetzen sind,<br />

wie der Volksmund weiß, zwei verschiedene<br />

Paar Schuhe. Eilverfahren vor den<br />

Verwaltungsgerichten, mit denen man<br />

theoretisch sein Recht durchsetzen kann,<br />

dauern im besten Fall einige Wochen,<br />

meistens viel länger. Widerspruchsverfahren<br />

gegen einen ablehnenden Bescheid<br />

<strong>des</strong> Sozialamtes schleppen sich ebenfalls<br />

lange hin. Vor der Tür <strong>des</strong> Gesetzes und<br />

vor der Tür <strong>des</strong> Sozialamtes regeln sich<br />

dann manche Dinge von selbst. Dies<br />

wäre ein zynischer Kommentar zu dem<br />

folgenden Fall aus Berlin: Frau Y., 40jährige<br />

Albanerin und <strong>Asyl</strong>suchende, hatte<br />

<strong>des</strong> öfteren Zahnschmerzen. Die Zahnärztin<br />

teilt mit: Zwei Zähne <strong>des</strong> Oberkiefers<br />

seien sanierungsbedürftig, aber<br />

neue Plomben würden nicht mehr halten.<br />

Die Wurzeln sind in Ordnung, so daß die<br />

Zähne bei Überkronung erhalten werden<br />

könnten. Frau Y. war zuvor mehrere<br />

Jahre lang zuhause in Behandlung. Hier<br />

kann nicht unterstellt werden, daß sie<br />

erst in Deutschland auf die Idee gekommen<br />

wäre, eine besonders aufwendige<br />

Zahnsanierung vornehmen zu lassen.<br />

Der Antrag beim Sozialamt, den Frau<br />

Y. wegen der zahnärztlichen Behandlung<br />

stellt, wird dennoch abgelehnt. Auf das<br />

Widerspruchsverfahren verzichtet Frau<br />

Y., da sich die Sache hinziehen würde. Sie<br />

hat aber bereits Schmerzen und kann<br />

kaum etwas essen. Sie entscheidet sich<br />

gegen die Schmerzen. Dafür sieht sie nur<br />

einen Weg: Sie läßt sich die Zähne ziehen.<br />

Schikane mit System<br />

Das <strong>Asyl</strong>bLG sieht nicht nur vor,<br />

daß die sogenannten Grundleistungen<br />

möglichst als Sachleistungen<br />

gewährt werden sollten, sondern<br />

auch, daß Barleistungen den <strong>Asyl</strong>suchenden<br />

persönlich ausgehändigt werden.<br />

Begründet wird dies damit, daß die<br />

mißbräuchliche Inanspruchnahme von<br />

Leistungen verhindert werden soll.<br />

Eines Tages, im Sommer 1998, erhält der<br />

vor etwa vier Jahren in die Bun<strong>des</strong>republik<br />

Deutschland eingereiste und inzwischen<br />

vom Bun<strong>des</strong>amt anerkannte<br />

Türke B. einen Brief <strong>des</strong> Samtgemeindebürgermeisters<br />

Clausthal-Zellerfeld.<br />

Der belehrt ihn, daß er ausländerrechtlich<br />

verpflichtet sei, den Wohnsitz in<br />

der Gemeinde zu nehmen und daß ein<br />

Leistungsbezieher nach dem <strong>Asyl</strong>bLG<br />

grundsätzlich nur Anspruch auf Leistungen<br />

hat, wenn er sich im Zuständigkeitsbereich<br />

<strong>des</strong> zuständigen Trägers aufhält.<br />

Weiter heißt es in dem Behördenbescheid:<br />

»Seit dem Monat Dezember 1997<br />

zahle ich Ihnen Ihre Leistungen nach dem<br />

<strong>Asyl</strong>bLG wöchentlich aus. Mit dieser<br />

Maßnahme wollte ich sicherstellen, daß<br />

Sie sich zumin<strong>des</strong>t an den festgelegten<br />

Zahltagen im Bereich der Samtgemeinde<br />

Oberharz aufhalten. Wie ich jedoch<br />

feststellen mußte, haben Sie die Wertgutscheine<br />

meistens nicht an den festgelegten<br />

Wochentagen (grundsätzlich freitags),<br />

sondern ein oder zwei Arbeitstage<br />

später abgeholt. In den übrigen Zeiten<br />

sind Sie so gut wie nie in Clausthal-Zellerfeld<br />

gesehen worden. Ich muß daher<br />

davon ausgehen, daß Sie sich auch weiterhin<br />

die wenigste Zeit im Bereich der<br />

Samtgemeinde Oberharz aufhalten. Bei<br />

Ihren Vorsprachen haben Sie auch mündlich<br />

erklärt, daß Sie sich häufig bei Verwandten<br />

in Seesen oder bei Hannover<br />

aufhalten. Für mich ist es dabei unerheblich,<br />

ob Sie zum Verlassen <strong>des</strong> Landkreises<br />

ausländerrechtlich berechtigt sind<br />

oder nicht. Wie oben festgestellt, bin ich<br />

nur zur Gewährung von Leistungen nach<br />

dem <strong>Asyl</strong>bLG an Sie verpflichtet, wenn<br />

Sie sich tatsächlich im Bereich der Samtgemeinde<br />

Oberharz aufhalten.« Es müsse<br />

im übrigen unterstellt werden, daß<br />

der Flüchtling möglicherweise wegen einer<br />

Erwerbstätigkeit an den festgelegten<br />

Tagen verhindert war, seine Gutscheine<br />

abzuholen. Deswegen würden ihm ab<br />

August 1998 Leistungen nur noch täglich<br />

ausgehändigt. Und weiter heißt es: »Unter<br />

täglich sind die Öffnungstage <strong>des</strong> Sozialamtes,<br />

also die Tage Montag, Dienstag,<br />

Donnerstag und Freitag, zu verstehen.<br />

Den an Sie zu leistenden Barbetrag<br />

von 80,00 DM habe ich wegen Verweigerung<br />

von zumutbarer Arbeit gem. § 5<br />

IV 2<strong>Asyl</strong>bLG um 50% auf 40,00 DM<br />

gekürzt. Von diesem Betrag zahle ich auf<br />

Ihre Bitte 10,00 DM monatlich zur Tilgung<br />

eines Bußgel<strong>des</strong> an den Landkreis<br />

Goslar. (…) Außerdem erhalten Sie von<br />

mir neben den Kosten für Unterkunft,<br />

Heizung und Strom noch Wertgutscheine<br />

über 285,00 DM. Bei einer täglichen<br />

Ausgabe dieser Wertgutscheine ergibt<br />

sich ein Betrag von ca. 10,00 DM. Ab<br />

dem 31. Juli 1997 gebe ich die Gutscheine<br />

wie folgt aus: (es folgt eine Liste der<br />

Auszahlungstermine). Erscheinen Sie über<br />

einen längeren Zeitraum zu den Ausgabeterminen<br />

nicht, behalte ich mir eine<br />

vollständige Einstellung Ihrer Leistungen<br />

vor.«<br />

Der Bescheid macht deutlich: Offensichtlich<br />

wird der Flüchtling bespitzelt, wenn<br />

darauf hingewiesen wird, er sei so gut<br />

wie nie in Clausthal-Zellerfeld gesehen<br />

worden. Der Bescheid ist auch in mehrfacher<br />

Hinsicht rechtswidrig: Nach dem<br />

<strong>Asyl</strong>verfahrensgesetz brauchen Flüchtlinge,<br />

die in einer Instanz anerkannt wurden<br />

(auch wenn die Entscheidung noch<br />

nicht rechtskräftig ist), keine Erlaubnis<br />

der Ausländerbehörde, um ihren Zuweisungsort<br />

zu verlassen. Auch das <strong>Asyl</strong>bLG<br />

sieht nicht vor, daß ein Flüchtling<br />

grundsätzlich nur Anspruch auf Leistungen<br />

hat, wenn er sich permanent im Zuständigkeitsbereich<br />

seines Sozialamtes<br />

aufhält, wie dies die Samtgemeinde behauptet.<br />

Die schikanöse Festlegung eng<br />

begrenzter Auszahlungstage ist nicht<br />

statthaft. Von dem absoluten Existenzminimum<br />

<strong>des</strong> Taschengel<strong>des</strong> nach dem<br />

<strong>Asyl</strong>bLG, das die Gemeinde nochmals<br />

um die Hälfte gekürzt hat, hätte kein<br />

weiterer Betrag zur Tilgung eines Bußgel<strong>des</strong><br />

einbehalten werden dürfen. Für<br />

deutsche Sozialhilfeempfänger wie für<br />

Flüchtlinge gilt: Einbehaltungen von der<br />

laufenden Hilfe, egal, für welchen Verwendungszweck,<br />

sind nicht zulässig.<br />

Der von B. eingeschaltete Rechtsanwalt<br />

weist die Behörde darauf hin, daß es<br />

nach der Rechtsprechung nicht Aufgabe<br />

der Sozialhilfe ist, einen Sozialhilfeempfänger<br />

zu einer bestimmten Haltung zu<br />

erziehen. Die Behörde wolle jedoch offensichtlich<br />

sogar ein rechtmäßiges Verhalten<br />

unterbinden. Denn Herr B. sei als<br />

Angehöriger der yezidischen Religionsgemeinschaft<br />

auch unterwegs, um seine<br />

Religion auszuüben.<br />

Der Fall B. zeigt, daß die vielen Einschränkungen<br />

<strong>des</strong> <strong>Asyl</strong>bLG und die vom<br />

Gesetz gebilligten Eingriffe in die Menschenwürde<br />

Behörden animieren, aus eigener<br />

Initiative noch weiter zu gehen, als<br />

es die Gesetze vorsehen. Das <strong>Asyl</strong>bLG<br />

stiftet an – zum Versuch fast totalitärer<br />

Verhaltenskontrolle. PRO ASYL hat bereits<br />

zum Inkrafttreten der ersten Fassung<br />

dieses Gesetzes darauf hingewiesen,<br />

daß es den Zählappell möglich mache.<br />

Was die Samtgemeinde Oberharz in ihrem<br />

Bescheid verlangt, ist die kreative<br />

Umsetzung dieser Idee: <strong>Asyl</strong>bewerber B.<br />

meldet sich sozialamtsarbeitstäglich zur<br />

Stelle. <strong>Asyl</strong>bewerber B. angetreten zum<br />

Leistungsempfang.<br />

Anläßlich dieses und ähnlicher Vorfälle<br />

hat der Niedersächsische Flüchtlingsrat<br />

darauf hingewiesen, daß es zwischen<br />

Kontrollmechanismen und Ausgrenzungsstrategien<br />

bei der Umsetzung <strong>des</strong><br />

<strong>Asyl</strong>bLG Parallelen, aber auch Unterschiede<br />

zur Entrechtung von Menschen<br />

in der Anfangszeit <strong>des</strong> Naziregimes gibt:<br />

»Demokratie und Menschenrechte gehen<br />

nicht mit einem großem Knall zu Ende.<br />

Sie enden leise mit dem allmählichen Entzug<br />

der Menschenwürde für stigmatisierte<br />

Gruppen der Bevölkerung, mit der<br />

Aufgabe der allgemeinen Menschenrechte<br />

für benachteiligte Minderheiten, mit<br />

der Aufgabe <strong>des</strong> Gleichheitsgrundsatzes<br />

für unerwünschte Menschen.« Auszüge<br />

aus dem Buch »Judenpolitik im Dritten<br />

Reich« von U. D. Adam belegen, daß in<br />

den ersten Jahren der Naziherrschaft Art<br />

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