3 Grußwort des Vertreters des Hohen ... - Pro Asyl
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Woran wir uns nicht<br />
(wieder) gewöhnen dürfen<br />
Die organisierte Unmenschlichkeit der Abschiebungshaft in Deutschland<br />
Heiko Kauffmann<br />
Wieder einmal – der Tod in<br />
Abschiebehaft. Zum Tode <strong>des</strong><br />
jungen Harvinder Singh Cheema<br />
im November 1998 erklärte die Anstaltsleitung<br />
(laut Agenturmeldungen),<br />
bei dem jungen Inder habe es »keine<br />
Anzeichen für eine Selbstmordgefahr«<br />
gegeben. Der Notarzt, der zu dem erhängten<br />
Jungen gerufen wurde – da war<br />
dieser schon mehrere Stunden tot – erklärte,<br />
der junge Inder habe bereits früher<br />
versucht sich umzubringen. Damals<br />
– so der Arzt gegenüber dem Mitteldeutschen<br />
Rundfunk – habe er sich die Pulsadern<br />
aufgeschnitten.<br />
»Damals« – wie lange kann ein 16jähriger<br />
in Deutschland allein in Abschiebungshaft<br />
sitzen?!<br />
Er saß dort fast 8 Wochen – ganz genau<br />
seit dem 20. September 1998! Welche<br />
schreckliche Symbolik ist das: Der<br />
20. September ist der von der UN kreierte<br />
Internationale Tag <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong>, der<br />
die Gesellschaften, besonders aber die<br />
Regierungen, an die Rechte der Kinder<br />
erinnern soll: Also auch an Artikel 37 in<br />
Verbindung mit Artikel 3 der Kinderrechtskonvention<br />
der Vereinten Nationen,<br />
nach denen Haftunterbringung von<br />
Kindern in jedem Fall zu vermeiden, weil<br />
sie mit dem »Wohl <strong>des</strong> Kin<strong>des</strong>« nicht zu<br />
vereinbaren ist.<br />
Der Tod dieses Jungen ist ein eklatantes<br />
Versagen <strong>des</strong> Staates und der deutschen<br />
Behörden und eine beispiellose Verletzung<br />
ihrer Fürsorgepflichten. Auch gegenüber<br />
dem 12jährigen Senegalesen<br />
(der inzwischen abgeschoben wurde) und<br />
dem 15jährigen Sudanesen (der mehr als<br />
5 Monate in Abschiebungshaft saß), die<br />
zunächst mit ihm in einer Zelle untergebracht<br />
waren.<br />
Nirgendwo zeigen sich die inhumanen<br />
Auswirkungen <strong>des</strong> neuen <strong>Asyl</strong>rechts so<br />
deutlich wie in den gegenwärtigen Bedingungen<br />
der Abschiebungshaft und der<br />
Durchführung der Abschiebungen selbst.<br />
Verantwortlich und schuldig gemacht<br />
werden allenfalls die Flüchtlinge selbst:<br />
»Ich bin in Deutschland nicht aus Hunger<br />
und Armut, sondern um Schutz<br />
zu haben und als Mensch beachtet zu<br />
werden. Leider habe ich das andere<br />
Gesicht Deutschlands kennengelernt …<br />
mein Pech, daß das alles mir zu spät erkennbar<br />
wurde, weil ich bin nie in Konflikt<br />
mit Gesetzen geraten, weil ich bin<br />
immer von Natur aus korrekt. Und nun<br />
ich gehe in ein <strong>Asyl</strong> – keiner kann es mir<br />
wegnehmen. Ich bin nicht das erste und<br />
nicht das letzte Opfer.«<br />
Dies schrieb der syrische Kurde Yousef<br />
D. an seine Freundin, ging in einen Wald<br />
und erhängte sich, nachdem er unmittelbar<br />
zuvor die Abschiebungsandrohung<br />
der Ausländerbehörde erhalten hatte.<br />
» … Wir sind auf die Welt gekommen,<br />
um zu leben und alle Rechte zu haben,<br />
die wir verdienen. Aber in Gefängniszellen<br />
zu sitzen, ohne etwas begangen zu<br />
haben, das will Gott nicht, wie soll das<br />
ein Mensch akzeptieren?<br />
Ich habe mich schuldig gemacht, weil<br />
ich die Menschen in Deutschland um<br />
<strong>Asyl</strong> bat. Zur Strafe behandelten sie mich<br />
wie einen Schwerverbrecher und sperrten<br />
mich ein. …«<br />
Dies schrieb ein Abschiebungshäftling<br />
aus der Haftanstalt Coesfeld.<br />
Menschen wurden und werden in<br />
Deutschland inhaftiert, ohne eine strafbare<br />
Handlung begangen zu haben.<br />
Abschiebungshaft in Deutschland wird<br />
auch heute noch zu schnell, zu häufig<br />
und für zu lange Zeit verhängt. Abschiebungshaft<br />
ist nicht mehr Mittel zur Sicherstellung<br />
der Ausreise im Ausnahmefall.<br />
Sie ist immer mehr zum Regelfall<br />
und für Flüchtlinge zur Endstation in<br />
Deutschland geworden.<br />
Abschiebungshaft ist ein Instrument<br />
der Abschreckungsmaxime geworden,<br />
Flüchtlinge zu entmutigen und sie so<br />
schnell wie möglich außer Lan<strong>des</strong> zu<br />
bringen: Abschiebungen – egal wohin,<br />
mit allen Mitteln, um fast jeden Preis.<br />
Wie hoch dieser Preis ist, zeigt sich an<br />
der psychischen Situation vieler Menschen<br />
in Abschiebungshaft, die aufgrund<br />
der Umstände und Bedingungen von<br />
Unsicherheit, Angst, Verzweiflung und<br />
Hoffnungslosigkeit bestimmt ist. Den<br />
meisten ist überhaupt nicht klar, warum<br />
sie im Gefängnis sitzen. Blieb ihnen<br />
schon das vorausgegangene komplizierte<br />
Verfahren undurchsichtig und unklar, so<br />
verstößt die Inhaftierung gegen ihr Gerechtigkeitsgefühl.<br />
Sie können nicht verstehen,<br />
daß sie inhaftiert werden, ohne<br />
daß sie eine Straftat begangen haben.<br />
Die so empfundene Sinnlosigkeit der<br />
Haft, die unbestimmte Dauer und die<br />
Angst davor, daß an ihrem Ende möglicherweise<br />
die Abschiebung in ein gefährliches<br />
Herkunftsland oder ein unbekanntes<br />
Drittland steht, machen die<br />
erzwungene Inhaftierung unerträglich.<br />
Angst, Depressionen, Verzweiflung, Ungeduld,<br />
Langeweile, Aggressionen, Nervenzusammenbrüche,<br />
Selbstmordversuche.<br />
Das ist die Realität <strong>des</strong> Lebens in<br />
Abschiebungshaft, den finstersten Orten<br />
der Demokratie.<br />
Über 30 Menschen haben sich seit Inkrafttreten<br />
der Änderung <strong>des</strong> <strong>Asyl</strong>rechts<br />
1993 in der Abschiebungshaft oder aus<br />
Angst vor der Abschiebung selbst das<br />
Leben genommen; 100 weitere versuchten<br />
es; viele überlebten nur schwerverletzt.<br />
Ordnung für den Abschiebungsgewahrsam<br />
im Land Berlin<br />
(Gewahrsamsordnung)<br />
der Senatsverwaltung für Inneres<br />
vom 1. Dezember 1998 (Auszug)<br />
1.4 Wesen der Verwahrung<br />
(1) Die Verwahrung in den Abschiebungsgewahrsamen<br />
dient der vorübergehenden<br />
sicheren Unterbringung der Abschiebungshäftlinge.<br />
(…)<br />
1.5 Kosten<br />
(3) Abschiebungshäftlinge sind verpflichtet,<br />
dem Betreiber der Gewahrsame Aufwendungen<br />
zu ersetzen, die sie durch vorsätzliche<br />
oder grob fahrlässige Selbstverletzung oder<br />
Verletzung eines anderen Gefangenen oder<br />
Beschädigung von Sachen verursacht haben.<br />
(…)<br />
2.8 Verkehr mit der Außenwelt<br />
2.8.1 Besuche<br />
(3) Informationsbesuche der Abschiebungsgewahrsame<br />
von Abgeordneten und Vertretern<br />
anerkannter, auf dem Gebiet der Flüchtlingshilfe<br />
tätiger Organisationen stehen in jedem<br />
einzelnen Fall unter dem Vorbehalt der<br />
Zustimmung <strong>des</strong> Senators für Inneres. Liegt<br />
eine Zustimmung vor, ist den angekündigten<br />
Abgeordneten der Besuch bzw. die Besichtigung<br />
der Gewahrsame zu ermöglichen. (…)<br />
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