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3 Grußwort des Vertreters des Hohen ... - Pro Asyl

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Tödliche Fehleinschätzungen:<br />

Deutschland und der Kosova-Krieg<br />

Michael Stenger<br />

Der Krieg um Kosova hat eine lange<br />

Vorgeschichte, die nicht erst<br />

mit dem Zerfall <strong>des</strong> ehemaligen<br />

Jugoslawiens beginnt. Dieser Text allerdings<br />

beschäftigt sich lediglich mit der<br />

Politik Deutschlands, das in der Phase<br />

der Auflösung <strong>des</strong> Staates eine wichtige<br />

Rolle spielte. Die deutsche Jugoslawienpolitik<br />

der Kohl-Genscher-Ära reagierte<br />

auf die existierenden Zentrifugalkräfte<br />

<strong>des</strong> Gesamtstaates und die daraus entstehenden<br />

Unabhängigkeitsproklamationen<br />

neuer Nationalstaaten mit einer übereilten<br />

Anerkennungspolitik gegenüber<br />

Slowenien und Kroatien. Gleichzeitig<br />

wurden die nach der jugoslawischen Verfassung<br />

von 1974 min<strong>des</strong>tens ebenso berechtigten<br />

Unabhängigkeitsbestrebungen<br />

der kosova-albanischen Seite von der<br />

Bun<strong>des</strong>republik Deutschland vollkommen<br />

ignoriert.<br />

Die wahrscheinlich größte Chance, den<br />

längst virulenten Konflikt in Kosova zu<br />

deeskalieren, wurde in Dayton verpaßt.<br />

Aus heutiger Sicht erscheint es als naiv<br />

und unverantwortlich, daß das Thema<br />

Kosova aus der Tagesordnung der Konferenz<br />

ausgeklammert blieb, obwohl kosova-albanische<br />

Politikerinnen und Politiker<br />

seine Einbeziehung forderten. Die<br />

Dynamik der kriegerischen Auseinandersetzungen<br />

auf dem Boden <strong>des</strong> ehemaligen<br />

Jugoslawiens hätte die Schlußfolgerung<br />

nahelegen müssen, daß sich Milosevic,<br />

<strong>des</strong>sen Aufstieg zur Macht Ende der 80er<br />

22<br />

<strong>Asyl</strong>bewerber aus der<br />

BR Jugoslawien 1994 – 1998<br />

5,6% 5,2% 3,1% 1,9% 1,2%<br />

1994 1995 1996 1997<br />

30.404 26.227 18.085 14.789<br />

<strong>Asyl</strong>bewerber<br />

Anerkennungsquoten (nur nach Art.16a)<br />

1998<br />

34.979<br />

Quelle: BMI, Grafik: PRO ASYL<br />

Jahre in Kosova begann, erneut diesem<br />

Schauplatz zuwenden würde, flankiert<br />

von paramilitärischen Verbrechertruppen<br />

wie denen Arkans und extrem nationalistischen<br />

Kräften. In Dayton aber<br />

wurde die jahrelange Repression in Kosova<br />

ausgeblendet. Die Nichtbehandlung<br />

<strong>des</strong> Themas konnte das Regime als Freibrief<br />

zur Fortsetzung seines anti-albanischen<br />

Kurses interpretieren. Weder die<br />

vorangegangene verfassungswidrige Aufhebung<br />

der Autonomie Kosovas noch die<br />

bereits zum Zeitpunkt <strong>des</strong> Vertragsabschlusses<br />

von Dayton zu beobachtende<br />

Praxis permanenter Menschenrechtsverletzungen<br />

gegen die albanische Bevölkerungsmehrheit<br />

wurden Gegenstand<br />

ernsthafter Überlegungen der westeuropäischen<br />

Staaten – es hätte deren Bosnienpolitik<br />

gestört. Grundlage dieser Politik<br />

war die Überzeugung, man müsse<br />

alles unterlassen, was den brüchigen Frieden<br />

in Bosnien gefährden könnte. Genau<br />

dieselben Überlegungen führten schließlich<br />

zur Anerkennung der Bun<strong>des</strong>republik<br />

Jugoslawien (bestehend aus Serbien<br />

und Montenegro), die ohne die Einbeziehung<br />

der Kosova-<strong>Pro</strong>blematik politisch<br />

unverantwortlich war. Zwischen Dayton<br />

und dem Ausbruch <strong>des</strong> Krieges liegen<br />

nochmals Jahre, in denen Europa den<br />

jahrelangen, weitgehend gewaltfreien<br />

Widerstand der albanischen Bevölkerung<br />

wohlwollend und passiv bleibend zur<br />

Kenntnis nahm, ohne sehen zu wollen,<br />

daß die Bereitschaft der Bevölkerung von<br />

Kosova, sich auf eine Opferrolle reduzieren<br />

zu lassen, zu Ende ging. In Abgrenzung<br />

von der gescheiterten Politik der<br />

LDK (Demokratischer Bund Kosovas)<br />

griff nun die Überzeugung Raum, daß<br />

man sich selbst zur Wehr setzen müsse.<br />

Große Teile der breiten, bis dahin weitgehend<br />

gewaltfreien kosova-albanischen<br />

Bewegung standen nun hinter der Konstituierung<br />

der militanten Befreiungsarmee<br />

UCK. Kaum trat diese Bewegung<br />

auf den Plan, war man hierzulande<br />

schnell bei der Hand, sie in der Ecke <strong>des</strong><br />

blanken Terrorismus einzuordnen, so<br />

auch das Auswärtige Amt in einem Lagebericht<br />

vom März 1998. Das Schicksal<br />

von Binnenvertriebenen und Flüchtlingen<br />

interessierte auch die deutschen Innenminister<br />

kaum. Die Ablehnung kosova-albanischer<br />

Antragstellerinnen und<br />

Antragsteller im <strong>Asyl</strong>verfahren und ihre<br />

Abschiebung blieb auf der Tagesordnung.<br />

Dies ging auch so weiter, als die ersten<br />

großen Massaker in Likoshan und<br />

Prekaz (zwei nahe beieinander gelegene<br />

Dörfer in der Region Drenica) Ende<br />

Februar/Anfang März 1998 bereits geschehen<br />

waren. Die Abschiebungspolitik<br />

Deutschlands spielte den Tätern in die<br />

Hände.<br />

Ein Beispiel: Mit Hilfe <strong>des</strong> Rechtshilfefonds<br />

von PRO ASYL unterstützte der<br />

Bayerische Flüchtlingsrat eine in Neustadt<br />

an der Donau (Bayern) lebende und<br />

von der Abschiebung bedrohte Familie,<br />

deren Vater beziehungsweise Großvater<br />

nach der Abschiebung aus Deutschland<br />

ermordet worden war – nach offizieller<br />

serbischer Verlautbarung als »Terrorist«.<br />

So übernahm es auch kurz darauf das<br />

Bayerische Innenministerium und präsentierte<br />

es der deutschen Öffentlichkeit:<br />

Eine höchst interessante Allianz der Öffentlichkeitsarbeit<br />

zwischen Milosevic<br />

und Beckstein. Es stellte sich jedoch heraus:<br />

Der ermordete »Terrorist« war ein<br />

herzkranker, 74 Jahre alter Mann, den<br />

man aus dem Kreise der Familie herausgerissen,<br />

in Abschiebungshaft genommen<br />

und im Dezember 1997 schließlich abgeschoben<br />

hatte. Da wäre er gerade noch<br />

in der Lage gewesen, ein Gewehr als<br />

Krückstock zu benutzen. Die Abschiebung,<br />

so das Bayerische Innenministerium<br />

vor und nach der Abschiebung, sei<br />

nach Pristina erfolgt. Die Recherche <strong>des</strong><br />

Bayerischen Flüchtlingsrates ergab anderes:<br />

Der alte Mann landete nicht in<br />

Pristina, sondern auf dem berüchtigten<br />

Militärflughafen von Nis in Serbien.<br />

Dort wurde er bereits bei seiner Ankunft<br />

mißhandelt, weil er nicht die gewünschten<br />

Antworten geben konnte auf die Frage<br />

nach der Auslandstätigkeit seines in<br />

Bayern lebenden Sohnes. Zehn Wochen<br />

Lebenszeit blieben ihm nach der Abschiebung.<br />

Dann wurde er in seinem eigenen<br />

Haus als »Terrorist« ermordet.<br />

Der <strong>Asyl</strong>folgeantrag der noch in Bayern<br />

lebenden Familienangehörigen wurde<br />

zunächst anerkannt, der Bun<strong>des</strong>beauftragte<br />

für <strong>Asyl</strong>angelegenheiten legte jedoch<br />

Widerspruch ein. Die Familie wartet<br />

seit Monaten auf das Ende <strong>des</strong> Alptraums<br />

und die Gewährung von <strong>Asyl</strong>.<br />

Während sich diese schrecklichen Ereignisse<br />

zutrugen, klagten im März 1998<br />

der Bayerische Innenminister Beckstein<br />

(CSU) und sein niedersächsischer SPD-<br />

Kollege Glogowski, die Rückkehrbereit-

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