3 Grußwort des Vertreters des Hohen ... - Pro Asyl
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<strong>Grußwort</strong> zum<br />
Tag <strong>des</strong> Flüchtlings 1999<br />
Menschen werden aus ihren Häusern<br />
getrieben. Man nimmt ihnen<br />
Besitz und Eigentum. Ihre<br />
Papiere landen im Feuer. Eingepfercht in<br />
Eisenbahnwaggons und Bussen müssen<br />
sie ihre Heimat unter dem Hohngelächter<br />
ihrer Unterdrücker verlassen. Die<br />
schrecklichen Bilder stammen nicht aus<br />
einem Film. Es ist die Realität <strong>des</strong> Jahres<br />
1999. Im Kosovo, mitten in Europa,<br />
werden Hunderttausende von Menschen<br />
Opfer von ethnischer Vertreibung.<br />
Die Ereignisse im Kosovo haben mit<br />
fast betäubender Wirkung der Weltöffentlichkeit<br />
ins Gedächtnis gerufen, daß<br />
am Ende dieses Jahrhunderts immer<br />
noch möglich ist, was längst überwunden<br />
schien: Die menschliche Würde ist ausweisbar.<br />
Auf bedrückende Weise wurde<br />
so auch noch einmal bestätigt, daß viele<br />
Argumente für eine restriktive <strong>Asyl</strong>- und<br />
Flüchtlingspolitik nun endlich neu überdacht<br />
werden müssen.<br />
Dazu gehört vor allem die weitverbreitete<br />
These, die Genfer Flüchtlingskonvention<br />
sei veraltet, ein <strong>Pro</strong>dukt <strong>des</strong> Kalten<br />
Krieges und als Bezugspunkt für die Bewältigung<br />
der aktuellen Flüchtlingsproblematik<br />
ungeeignet. Kurz: Die heutigen<br />
Fluchtursachen seien grundverschieden<br />
zu jenen vor knapp 50 Jahren, als die<br />
Genfer Flüchtlingskonvention verabschiedet<br />
wurde.<br />
Diese Auffassung ist historisch unhaltbar.<br />
Die Auflösung von Vielvölkerstaaten<br />
und innerstaatliche Auseinandersetzungen<br />
sind kein neues Phänomen. Im Gegenteil:<br />
Die wichtigen epochalen Einschnitte<br />
<strong>des</strong> 20. Jahrhunderts sind durch<br />
den Zusammenbruch von Imperien und<br />
die daraus resultierenden gewalttätigen<br />
politischen und ethnischen Konflikte<br />
gekennzeichnet. Das internationale<br />
Flüchtlingsrecht hat sich im Schatten <strong>des</strong><br />
Ersten Weltkrieges entwickelt, der den<br />
Zusammenbruch <strong>des</strong> Russischen wie <strong>des</strong><br />
Osmanischen Reiches verursachte bzw.<br />
beschleunigte. In den 20er Jahren wurden<br />
daraufhin zwischenstaatliche Vereinbarungen<br />
getroffen, um Aufnahme<br />
und Schutz bestimmter Flüchtlingsgruppen<br />
sicherzustellen. Sie galten z.B. für<br />
russische und armenische Flüchtlinge,<br />
später für spanische, österreichische und<br />
deutsche Flüchtlinge – Menschen also,<br />
die ihr Heimatland vor dem Hintergrund<br />
sich auflösender Vielvölkerstaaten, Bürgerkrieg,<br />
religiös, ethnisch oder politisch<br />
motivierter Verfolgung verlassen mußten.<br />
Die Erfahrung <strong>des</strong> Zweiten Weltkrieges<br />
verstärkte das Bewußtsein, daß diese<br />
Regelungen nicht ausreichten. Vor diesem<br />
Hintergrund ist die Genfer Flüchtlingskonvention<br />
zu sehen. Mit ihrem<br />
allgemeingültigen, individuellen Flüchtlingsbegriff<br />
steht sie in engem Zusammenhang<br />
mit den internationalen Menschenrechtsdokumenten,<br />
die nach 1945<br />
den Schutz der Rechte <strong>des</strong> Individuums<br />
zu einer internationalen Aufgabe erklärten.<br />
Die Kosovo-Tragödie zeigt: Die Behauptung,<br />
die Flüchtlingskonvention biete<br />
nicht den geeigneten Rahmen für Flüchtlinge<br />
aus Kriegs- und Krisensituationen,<br />
ist schlichtweg irreführend. Die Realität<br />
spricht eine andere Sprache: Kriegführung<br />
und die dadurch erzeugte Gewalt<br />
können Mittel einer religiös, ethnisch<br />
oder politisch motivierten Gewalt<br />
sein. Sinn und Zweck der Konvention<br />
war und ist es, Menschen, die in ihrem<br />
Heimatland keinen Schutz vor Verfolgung<br />
finden, ersatzweise internationalen<br />
Schutz zu gewähren, solange dieser erforderlich<br />
ist.<br />
Gewiss: Nicht jeder Bürgerkriegsflüchtling<br />
kann die Konvention für sich in<br />
Anspruch nehmen. Aber wenn, wie im<br />
Kosovo, die gezielte Vertreibung von<br />
Menschen, nur weil sie einer bestimmten<br />
Volksgruppe angehören, praktisch oder<br />
erklärtermaßen zum Kriegsziel erhoben<br />
wird, dann können sich Zufluchtsuchende<br />
auf den Schutz der Genfer Flüchtlingskonvention<br />
berufen. Daß potentiell<br />
viele Personen hiervon betroffen sind,<br />
macht die Verfolgung nicht weniger »individuell«.<br />
Ein Umdenken ist also erforderlich, um<br />
dem Flüchtlingsschutz und damit der Institution<br />
<strong>des</strong> <strong>Asyl</strong>s seinen moralisch unabdingbaren<br />
Stellenwert in einer angemessenen<br />
rechtlichen Interpretation zum<br />
Ausdruck zu bringen. Das Schicksal der<br />
Kosovo-Flüchtlinge solte hierfür Mahnung<br />
genug sein.<br />
Jean-Noël Wetterwald<br />
Der Hohe Flüchtlingskommissar<br />
der Vereinten Nationen (UNHCR)<br />
Vertreter in der Bun<strong>des</strong>republik Deutschland<br />
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