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3 Grußwort des Vertreters des Hohen ... - Pro Asyl

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Nichtstaatliche Verfolgung<br />

und die Genfer Flüchtlingskonvention<br />

Anja Klug<br />

Nach der Genfer Flüchtlingskonvention<br />

(GFK) ist ein Flüchtling<br />

eine Person, die sich aus einer begründeten<br />

Furcht vor Verfolgung außerhalb<br />

ihres Herkunftslan<strong>des</strong> befindet und<br />

den Schutz dieses Lan<strong>des</strong> nicht in Anspruch<br />

nehmen kann oder wegen dieser<br />

Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen<br />

will. Über den Urheber der Verfolgung<br />

trifft die GFK keine Aussage.<br />

Schon der Wortlaut der Konvention zeigt<br />

daher, daß für die Flüchtlingseigenschaft<br />

nicht entscheidend ist, vom wem die Verfolgungsmaßnahmen<br />

ausgehen, sondern<br />

wichtig ist, ob sich der Schutzsuchende<br />

erfolgreich auf den Schutz seiner Regierung<br />

berufen kann. Wortlaut, Sinn und<br />

Zweck der GFK zielen darauf, Opfer<br />

von Menschenrechtsverletzungen, die in<br />

ihrem Herkunftsstaat keinen Schutz bekommen<br />

können, unter internationalen<br />

Schutz zu stellen.<br />

Können sich Schutzsuchende aus Ländern,<br />

in denen es keinen Zentralstaat<br />

gibt oder der Staat nicht in der Lage<br />

ist, Verfolgungsmaßnahmen von Dritten<br />

wirksam zu unterbinden, nicht auf den<br />

Flüchtlingsschutz berufen, wird die Möglichkeit,<br />

als Flüchtling anerkannt zu<br />

werden, kleiner je größer das politische<br />

Chaos in einem Land ist und je schwerwiegender<br />

die Menschenrechtsverletzungen<br />

sind. Zudem hinge die Flüchtlingsanerkennung<br />

dann von der schwierig zu<br />

beurteilenden Frage ab, ob der Verfolger<br />

als staats- bzw. staatsähnliche Gewalt angesehen<br />

werden kann, ohne daß hierbei<br />

die Schutzbedürftigkeit <strong>des</strong> Betroffenen<br />

berücksichtigt wird. Eine solche Auslegung<br />

kann nicht das Ziel der Verfasser<br />

der GFK gewesen sein und berücksichtigt<br />

nicht den Zusammenhang zwischen<br />

Flüchtlings- und Menschenrechtsschutz.<br />

In den meisten Staaten ist daher eine<br />

Flüchtlingsanerkennung auch möglich,<br />

wenn die Verfolgungsmaßnahmen nicht<br />

von staatlicher Seite ausgehen, sofern der<br />

<strong>Asyl</strong>suchende den Schutz seines Herkunftsstaates<br />

nicht in Anspruch nehmen<br />

kann. Während diese Auslegung insbesondere<br />

in den Staaten <strong>des</strong> angelsächsischen<br />

Rechtskreises (Großbritannien,<br />

USA, Kanada) schon immer gängige<br />

Praxis war, erfolgte selbst bei den Staaten,<br />

die noch vor einigen Jahren für die<br />

Flüchtlingsanerkennung das Vorliegen<br />

staatlicher Verfolgung forderten, mittlerweile<br />

eine Liberalisierung der Anerkennungspraxis.<br />

In Schweden und Norwegen<br />

wurde dies gesetzlich bzw. durch<br />

Richtlinien klargestellt, in den Niederlanden,<br />

Frankreich und Italien ist die<br />

Rechtsprechung bzw. Anerkennungspraxis<br />

in dieser Hinsicht großzügiger geworden.<br />

Lediglich in der deutschen Anerkennungspraxis<br />

ist gegenwärtig in dieser Frage<br />

keine Bewegung ersichtlich. In mehreren<br />

Grundsatzurteilen, die darauf zielten,<br />

Personen aus Bürgerkriegsgebieten<br />

weitgehend von der Möglichkeit <strong>des</strong><br />

Flüchtlingsschutzes auszuschließen, hat<br />

der 9. Senat <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verwaltungsgerichtes<br />

in den 90er Jahren seine Auffassung<br />

zementiert, daß sich der Schutz<br />

Verfolgter auf den Schutz vor staatlicher<br />

Verfolgung beschränkt. Dabei hat das<br />

BVerwG in ständiger Rechtsprechung bis<br />

in die 80er Jahre entschieden: »Es entspricht<br />

der ständigen Rechtsprechung <strong>des</strong><br />

Bun<strong>des</strong>verwaltungsgerichts, daß auch<br />

von nichtstaatlichen Stellen politische<br />

Verfolgung ausgehen kann, wenn der<br />

Staat nicht willens oder nicht in der Lage<br />

ist, den Betreffenden gegen Übergriffe<br />

Dritter zu schützen.«<br />

Die restriktive Auslegung <strong>des</strong> Flüchtlingsbegriffs<br />

wird auch damit begründet,<br />

daß eine liberalere Interpretation <strong>des</strong><br />

Flüchtlingsbegriffs zu einer Massenflucht<br />

nach Deutschland führen würde und<br />

daß dies die Belastungsgrenze <strong>des</strong> Staates<br />

überschreiten könne. Dem ist zunächst<br />

zu entgegnen, daß sich die Schutzbedürftigkeit<br />

von Opfern von Menschenrechtsverletzungen<br />

nicht nach der Anzahl<br />

der Personen richtet, die gezwungen sind,<br />

ihr Herkunftsland zu verlassen.<br />

Anzumerken ist weiterhin, daß nach wie<br />

vor die meisten <strong>Asyl</strong>suchenden vor staatlicher<br />

Verfolgung fliehen. Unter den 10<br />

Hauptherkunftsländern im Monat Februar<br />

ist nur eines, in dem das <strong>Pro</strong>blem<br />

der nichtstaatlichen Verfolgung in größerem<br />

Umfang relevant wird, Afghanistan.<br />

Hier ist zudem darauf hinzuweisen, daß<br />

die Taleban in allen anderen westeuropäischen<br />

Staaten als (de-facto-)staatliche<br />

Verfolger betrachtet werden und sich<br />

daher die Frage nach der Einbeziehung<br />

nichtstaatlicher Verfolgung in den Flüchtlingsbegriff<br />

im Falle Afghanistans gar<br />

nicht erst stellt.<br />

Auch nach Aufgabe der Beschränkung<br />

<strong>des</strong> Flüchtlingsbegriffs auf die staatliche<br />

Verfolgung muß der Flüchtling eine individuell<br />

gegen ihn gerichtete asylrechtserhebliche<br />

Rechtsverletzung aus einem<br />

der in der GFK genannten Gründe Rasse,<br />

Religion, Zugehörigkeit zu einer bestimmten<br />

sozialen Gruppe oder politische<br />

Überzeugung geltend machen. Dies<br />

wird in der Regel nicht zu einer massenhaften<br />

Anerkennung führen, was auch<br />

durch die Anerkennungsstatistiken der<br />

anderen westeuropäischen Staaten deutlich<br />

wird.<br />

Menschen, die vor Verfolgung fliehen, sei<br />

es staatliche oder nichtstaatliche, haben<br />

ein Recht auf Schutz vor diesen Menschenrechtsverletzungen.<br />

Dies haben die<br />

Staaten nicht nur in der Genfer Flüchtlingskonvention,<br />

sondern in vielen Verträgen<br />

zum Schutz der Menschenrechte<br />

anerkannt. Zur Durchsetzung eines<br />

effektiven Schutzes für Opfer nichtstaatlicher<br />

Verfolgung hält UNHCR eine Öffnung<br />

der deutschen Anerkennungspraxis<br />

für dringend erforderlich, sei es durch<br />

eine Änderung der obersten Rechtsprechung<br />

oder durch eine entsprechende gesetzliche<br />

Klarstellung. Es sollte unzweifelhaft<br />

sein, daß Flüchtlings- und Menschenrechtsschutz<br />

zu den wesentlichen<br />

Errungenschaften der Zivilgesellschaft<br />

gehören.<br />

Anja Klug ist Beigeordnete Rechtsberaterin,<br />

UNHCR Bonn.<br />

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