Bildung macht reich - inpact-rlp.de
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Podiumsdiskussion<br />
A. Becker: Frau Chillemi-Jungmann, Sie arbeiten an <strong>de</strong>r Uni<br />
Koblenz-Landau, kommen auch aus <strong>de</strong>m schulischen Be<strong>reich</strong> und<br />
haben in <strong>de</strong>r Aus- und Weiterbildung viel mit Lehrern zu tun. Wir<br />
haben heute im Vortrag von Professor Hamburger gehört, dass es<br />
bei Lehrern offenbar eine ganz verschobene Wahrnehmung <strong>de</strong>r<br />
Leistungspotenziale von Migrantenkin<strong>de</strong>rn gibt – zu <strong>de</strong>ren Nachteil<br />
–, wobei dies nicht nur einzelne Lehrer betrifft, son<strong>de</strong>rn wo offensichtlich<br />
eine systematische Verschiebung in <strong>de</strong>r Wahrnehmung<br />
stattfin<strong>de</strong>t. Läuft hier in <strong>de</strong>r Ausbildung etwas schief, brauchen wir<br />
an<strong>de</strong>re Lehrer o<strong>de</strong>r brauchen wir eine an<strong>de</strong>re Aus- und Fortbildung?<br />
Wie sehen Sie das?<br />
F. Chillemi-Jungmann: Ich möchte zuerst auf die Frage <strong>de</strong>r falschen<br />
Wahrnehmung antworten. Es gibt tatsächlich eine grundsätzlich<br />
falsche Wahrnehmung. Die Gesellschaft hat sich verän<strong>de</strong>rt,<br />
die Schülerschaft ist heute an<strong>de</strong>rs zusammengesetzt. Lehrer beschäftigen<br />
sich häufig weniger mit <strong>de</strong>n Verän<strong>de</strong>rungen dieser Schülerschaft,<br />
son<strong>de</strong>rn sehen darin nur zusätzliche Arbeit, ein Problem<br />
mehr für sie. Die falsche Wahrnehmung von Lehrern besteht darin,<br />
dass sie nicht erkennen, dass die verän<strong>de</strong>rte Zusammensetzung<br />
<strong>de</strong>r heutigen Schülerschaft auch morgen noch so sein wird – da<br />
gibt es kein Zurück. Manche haben doch die Hoffnung, dass wenn<br />
wir die heutigen Probleme gelöst haben, morgen alles wie<strong>de</strong>r wie<br />
vorher sein wird. Das ist aber nicht möglich. Ich habe wirklich <strong>de</strong>n<br />
Eindruck, dass manche Lehrer sich nicht mit <strong>de</strong>n Verän<strong>de</strong>rungen<br />
auseinan<strong>de</strong>r gesetzt haben, sich vielleicht auch nicht damit abgefun<strong>de</strong>n<br />
haben. Die Struktur <strong>de</strong>r För<strong>de</strong>rung, so wie sie momentan<br />
aufgebaut ist, verstärkt diesen Eindruck bei <strong>de</strong>n Lehrern im Grun<strong>de</strong><br />
noch. Nur <strong>de</strong>r Lehrer, <strong>de</strong>r För<strong>de</strong>rstun<strong>de</strong>n anbietet – zusätzliche Stun<strong>de</strong>n<br />
–, ist für die Problematik zuständig, die an<strong>de</strong>ren wer<strong>de</strong>n dadurch<br />
entlastet und brauchen sich nicht so sehr damit zu beschäftigen.<br />
Ich weiß, dass es Schulen gibt, wo es besser funktioniert. Als Ministerin<br />
bekommen Sie wahrscheinlich alle besseren Beispiele zu sehen.<br />
Zu mir kommen eher die Leute, die sich beschweren, weil sie<br />
ganz an<strong>de</strong>re Situationen vorfin<strong>de</strong>n.<br />
Wenn eine Gruppe von Schülern insgesamt als Störung, als Belastung<br />
angesehen wird, kann die Wahrnehmung gegenüber <strong>de</strong>m individuellen<br />
Schüler irgendwann nicht mehr richtig sein. Ich <strong>de</strong>nke,<br />
daran müsste man wirklich in <strong>de</strong>r Ausbildung arbeiten und Lehrer<br />
mit diesen Zusammenhängen konfrontieren, damit sie darauf vorbereitet<br />
sind, wenn sie in die Schule kommen. In Landau gab es im<br />
ganzen Studium nur eine Wahlpflichtveranstaltung über 2 Stun<strong>de</strong>n,<br />
in <strong>de</strong>r man praktisch nicht mehr machen kann, als diese Zusammenhänge<br />
zu benennen.<br />
Vieles erklärt sich aber auch daraus, dass die zukünftigen Lehrer<br />
aus Gymnasien kommen, in <strong>de</strong>nen sie diese Problematik nicht kennen<br />
lernen, weil an Gymnasien weniger Migrantenkin<strong>de</strong>r sind und<br />
auch sie selbst als Schüler nicht die Erfahrung dieser an<strong>de</strong>ren Welt<br />
kennen gelernt haben. Ich bin mir nicht sicher, ob es nicht auch ein<br />
grundsätzliches Problem dieses Systems ist, ob die Benachteiligung<br />
von bestimmten sozialen Gruppen nicht auch dadurch entsteht, dass<br />
die als Lehrer ausgebil<strong>de</strong>ten Personen nur aus einer bestimmten<br />
sozialen Gruppe stammen.<br />
Natürlich gibt es an unseren Hochschulen auch Lehrer, die Migranten<br />
sind. Diese Lehrer müsste man eigentlich hegen und pflegen und<br />
sie so ausbil<strong>de</strong>n, dass sie nicht nur in <strong>de</strong>n<br />
‚normalen’ Fächern unterrichten, son<strong>de</strong>rn<br />
auch muttersprachlichen Unterricht geben<br />
können. Das ist jetzt nur ein kleiner Teil <strong>de</strong>ssen,<br />
was hierzu zu sagen wäre.<br />
A. Becker: Ich möchte an dieser Stelle eine<br />
Frage an Frau Ahnen anschließen. Eine Möglichkeit,<br />
mehr Vielfalt in die Schule zu bekommen<br />
und auch <strong>de</strong>n Migrantenkin<strong>de</strong>rn<br />
an<strong>de</strong>re Vorbil<strong>de</strong>r zu geben, wäre ja auch, <strong>de</strong>n<br />
Anteil <strong>de</strong>r Lehrer mit Migrationshintergrund<br />
zu steigern. Gibt es von Ihrer Seite aus Bemühungen<br />
o<strong>de</strong>r Pläne, sich sozusagen an die<br />
Studieren<strong>de</strong>n zu wen<strong>de</strong>n, die hierfür in Frage<br />
kommen wür<strong>de</strong>n?<br />
D. Ahnen: Ich wür<strong>de</strong> gerne zwei Anmerkungen<br />
machen: erstens bekomme auch ich nicht<br />
nur gute Beispiele zu sehen. Sehen Sie, es<br />
ist ein Vorurteil, dass sich die Politikerinnen<br />
und Politiker nur die schönen Dinge anschauen.<br />
Ich praktiziere dies nicht so und lasse<br />
<strong>de</strong>swegen so etwas nicht gerne auf mir sitzen.<br />
Ich gehe in Schulen, ohne dass Sie wissen,<br />
dass ich dort war, weil ich da ohne Presse<br />
hingehe, die Tür hinter mir zu mache und<br />
mir einen Tag lang ansehe, was dort läuft.<br />
Ich mache dies bevorzugt in Schulen, in <strong>de</strong>nen<br />
es Probleme gibt. Aber ich halte es auch<br />
ein bisschen mit <strong>de</strong>m, wovon Herr Badawia<br />
eben gesprochen hat: was überhaupt nicht<br />
weiterhilft, ist, wenn in dieser Gesellschaft<br />
permanent nur gesagt wird, was in <strong>de</strong>r Schule<br />
nicht läuft, wenn wir nicht allmählich wie<strong>de</strong>r<br />
ein Klima bekommen, dass wir auch über das<br />
Gute re<strong>de</strong>n, das in <strong>de</strong>r Schule passiert.<br />
An<strong>de</strong>rnfalls entmutigen wir eine ganze<br />
Berufsgruppe in Rheinland-Pfalz – und nichts<br />
ist damit gewonnen, nichts. Wenn wir die<br />
Lehrerinnen und Lehrer erst einmal völlig<br />
herunter gere<strong>de</strong>t haben, dann brauchen wir<br />
10 bis 20 Jahre, bis wir wie<strong>de</strong>r etwas aufbauen<br />
können. Deswegen sage ich sehr <strong>de</strong>utlich<br />
– das ist jetzt kein Vorwurf an Sie – auch<br />
für die Schule gilt <strong>de</strong>r pädagogische Ansatz:<br />
Wir stellen das Gute heraus und machen über<br />
best practices <strong>de</strong>utlich, was man besser machen<br />
kann. Und selbstverständlich re<strong>de</strong>n wir<br />
auch über die Probleme, die es gibt. Aber im<br />
Moment haben wir ein Klima, in <strong>de</strong>m nur noch<br />
über die Probleme gere<strong>de</strong>t wird, nur noch<br />
darüber gere<strong>de</strong>t wird, was die Pädagoginnen<br />
und Pädagogen nicht bewältigen. Ich möchte<br />
dazu auch einmal sagen, dass die Pädagoginnen<br />
und Pädagogen eine ganze Menge<br />
über das ‚Normale’ hinaus bewältigen mussten,<br />
ohne dass man ihnen vielleicht immer<br />
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