Bildung macht reich - inpact-rlp.de
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„Bin Immigrant, biete Vielfalt“<br />
Tarek Badawia<br />
Konstruktion eines individuellen Weltbil<strong>de</strong>s.<br />
Erst eine solche Verän<strong>de</strong>rung im Deutungsmuster<br />
und Erfahrungspotential befähigt ein<br />
Individuum, die An<strong>de</strong>rsheit und Verschie<strong>de</strong>nheit<br />
An<strong>de</strong>rer überhaupt anerkennen zu können.<br />
In diesem Zusammenhang möchte ich<br />
auf das – wie ich es in meiner Studie genannt<br />
habe – Phänomen <strong>de</strong>r „inneren<br />
Bikulturalität“ (Badawia 2002, S. 127) hinweisen.<br />
Es geht dabei um die Unmöglichkeit<br />
<strong>de</strong>r „technokratischen“ Trennung <strong>de</strong>r kulturellen<br />
Erfahrungen insbeson<strong>de</strong>re bei Jugendlichen,<br />
welche ihren Selbstentwurf entlang<br />
zwei kulturell unterschiedlich geprägten<br />
Lebenswelten gestalten. Es sind mehrere Gesichtspunkte,<br />
welche diese Form <strong>de</strong>r inneren<br />
Präsenz von kultureller Differenz im<br />
Selbstentwurf ausmachen. Stichwortartig 2<br />
han<strong>de</strong>lt es sich um folgen<strong>de</strong> Aspekte, mit<br />
<strong>de</strong>nen alle im Be<strong>reich</strong> <strong>de</strong>r Interkulturellen<br />
Pädagogik und Jugendarbeit sicherlich die<br />
eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Erfahrung ge<strong>macht</strong> haben:<br />
· Zweisprachigkeit<br />
(Es zählt je nach Alter das vorhan<strong>de</strong>ne<br />
Bewusstsein von Zweisprachigkeit und<br />
nicht unbedingt die perfekte Beherrschung<br />
<strong>de</strong>r Sprachen)<br />
· Mehrfache, loyale Zugehörigkeit zu zwei<br />
Kulturwelten<br />
· Komparative Kompetenz<br />
· Anerkennung und Akzeptanz <strong>de</strong>r Gleichwertigkeit<br />
von Einflüssen zweier Kulturwelten<br />
auf das Selbst<br />
· Wahrnehmung <strong>de</strong>r Koexistenz von zwei<br />
objektiv trennbaren Kulturwelten<br />
· Vorhan<strong>de</strong>nsein von Basiskenntnissen über<br />
bei<strong>de</strong> Kulturen<br />
· Untrennbarkeit <strong>de</strong>r Kulturwelten<br />
· Die Welt aus zwei Sichtweisen kennen<br />
· Vergleichsmöglichkeit im Hinblick auf<br />
kulturelle Beson<strong>de</strong>rheiten; Komparative<br />
Orientierungsfolie<br />
· „Switchen“ in Bezug auf Selbstdarstellung,<br />
Sprache und Han<strong>de</strong>ln<br />
· Relativierte, offene Sichtweise über<br />
kulturelle Gegebenheiten<br />
· Bewusster Umgang mit <strong>de</strong>m Neuen<br />
· Evi<strong>de</strong>nz <strong>de</strong>s Menschseins im Umgang mit<br />
Differenzen<br />
· Höhere Ambiguitätstoleranz und<br />
kognitive Komplexität<br />
· Unmöglichkeit zur Rückkehr in monokulturelle Lebensverhältnisse<br />
Die wichtige Konsequenz aus dieser Feststellung ist im Grun<strong>de</strong> genommen<br />
die reflexive Haltung <strong>de</strong>r pädagogisch Professionellen hinsichtlich<br />
ihrer Vorstellung von Integration im Falle dieser Jugendgruppe.<br />
Diese stellt nämlich die Integrationslogik insofern in Frage,<br />
als sie selber die Gesellschaft fragt: Wie sollen wir integriert<br />
wer<strong>de</strong>n, wenn Deutsch ein Teil von uns ist?<br />
4. Die Not <strong>de</strong>r Migration <strong>macht</strong> erfin<strong>de</strong>risch!<br />
Bikulturell sozialisierte Immigrantenjugendliche erleben die kulturelle<br />
Vielfalt trotz aller Schwierigkeiten, Herausfor<strong>de</strong>rungen und <strong>de</strong>s<br />
Stresses als „faszinierend“, „be<strong>reich</strong>ernd“ und vor allem als eine<br />
„Chance“. Sie betonen, dass we<strong>de</strong>r die eingeschränkten Möglichkeiten<br />
zur Selbsti<strong>de</strong>ntifikation mit <strong>de</strong>r kulturellen Vielfalt noch die<br />
ständige Konfrontation mit Diskriminierungserfahrungen und Vorurteilen<br />
automatisch zum „Kollaps“ <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntitätsbildung führen<br />
müssen. Die Gefahr <strong>de</strong>s Scheiterns ist selbstverständlich als Ausgangsvariante<br />
in einem komplexen Prozess <strong>de</strong>r bikulturellen<br />
I<strong>de</strong>ntitätsentwicklung zwar <strong>de</strong>nkbar, dies wird aber zum Nachteil<br />
einer Jugendgeneration stark katastrophisiert. Genau in dieser<br />
Wahrnehmungsdifferenz fin<strong>de</strong>n Immigrantenjugendliche eine Chance,<br />
Alternativen zum Entwe<strong>de</strong>r-O<strong>de</strong>r-Denkmuster im Umgang mit<br />
kultureller Vielfalt und wen<strong>de</strong>n somit ihre Not in kreative Konstellationen<br />
um, in die Erfahrungen <strong>de</strong>r Differenz integriert wer<strong>de</strong>n können.<br />
Was sich bei <strong>de</strong>r folgen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>utsch-marokkanischen<br />
Interviewerpartnerin z.B. auf <strong>de</strong>n ersten Blick als Zerrissenheitskrise<br />
abzeichnen mag, wird als Chance investiert, eine neue Position<br />
zwischen <strong>de</strong>n ihr angebotenen I<strong>de</strong>ntifikationsmöglichkeiten aufzubauen.<br />
Sie investiert ihre Chance im Aufbau eines – bildlich gesprochen<br />
– „Dritten Stuhls“.<br />
„Also ich habe mich früher sehr damit auseinan<strong>de</strong>rgesetzt, wer ich<br />
eigentlich bin und wozu ich eigentlich gehöre und habe mich auch<br />
zeitweise versucht einfach nur <strong>de</strong>r einen Kultur zu widmen und mir<br />
zu sagen, hey ich bin jetzt Marokkanerin o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Kultur,<br />
also dass ich jetzt einfach eine Deutsche bin und habe halt gemerkt,<br />
dass we<strong>de</strong>r das Eine noch das An<strong>de</strong>re geht, weil ich we<strong>de</strong>r<br />
zu <strong>de</strong>r Einen noch zu <strong>de</strong>r An<strong>de</strong>ren gehöre, das heißt, ich stehe<br />
irgendwo zwischendrin also zwischen zwei Stühlen, die mir aber<br />
nicht passen, irgendwie nicht für mich die Stühle, das habe ich mir<br />
damals immer gedacht, mittlerweile <strong>de</strong>nke ich, ich sitze auf einem<br />
richtigen Stuhl, das ist so eine ganz an<strong>de</strong>re Situation.“ (Deutsch-<br />
Marokkanerin, 19)<br />
In <strong>de</strong>r Zurückweisung <strong>de</strong>r monokulturellen I<strong>de</strong>ntifikationsmöglichkeiten<br />
aus ihrer auf kulturelle Homogenität ausgerichteten<br />
Umwelt erhebt sie einen individuellen Anspruch auf einen „kreativen<br />
Wi<strong>de</strong>rstand“. Sie lehnt implizit die gesellschaftliche Praxis im<br />
Umgang mit <strong>de</strong>r Generation, die sie indirekt vertritt, ab, <strong>de</strong>r immer<br />
wie<strong>de</strong>r die „Zwangsjacke“ <strong>de</strong>r Gastarbeiterkultur angelegt wird. Dies<br />
geschieht nicht zuletzt <strong>de</strong>shalb, weil die gesellschaftlichen Institutionen<br />
überwiegend, wenn nicht hauptsächlich, im Umgang mit<br />
Immigranten von <strong>de</strong>r Vorstellung ausgehen, dass die Differenz zwar<br />
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