Bildung macht reich - inpact-rlp.de
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„Bin Immigrant, biete Vielfalt“<br />
Tarek Badawia<br />
1. Irritationen<br />
Die zumin<strong>de</strong>st anfänglichen Irritationen in interkulturellen Begegnungen<br />
sind für je<strong>de</strong>n Menschen, abgesehen von ethnischer o<strong>de</strong>r<br />
sozialer Herkunft, nachvollziehbar. In interkulturellen Begegnungen<br />
und in <strong>de</strong>r Konfrontation mit <strong>de</strong>m Frem<strong>de</strong>n bzw. An<strong>de</strong>ren wer<strong>de</strong>n<br />
die eigenen Wahrnehmungsmuster und damit auch das eigene<br />
Selbstverständnis irritiert und verunsichert. Bisher ein<strong>de</strong>utige Überzeugungen<br />
und Selbstbeschreibungen geraten zwangsläufig in Bewegung.<br />
Die Menschen unterschei<strong>de</strong>n sich je nach ihrer <strong>Bildung</strong>sbiographie<br />
und Lebensphase selbstverständlich in <strong>de</strong>r Art und Weise,<br />
wie sie mit einer solchen Art <strong>de</strong>r inneren Transformation eigener<br />
Vorstellungen und Überzeugungen umgehen.<br />
Eine <strong>de</strong>r resistenten Vorstellungen, mit <strong>de</strong>r Immigrantenkin<strong>de</strong>r und<br />
-jugendliche konfrontiert wer<strong>de</strong>n, ist die, dass die Lebenslage dieser<br />
Jugendgeneration nicht nur mit Problemen behaftet ist, son<strong>de</strong>rn<br />
ewig prekär und von vornherein zum Scheitern verurteilt sei.<br />
Die Vorstellung an<strong>de</strong>rerseits, dass ein seelisches Grenzgängertum<br />
zwar eine Belastung sein kann, aber gleichzeitig viele Chancen für<br />
eine glückliche Entfaltung und eine gesun<strong>de</strong> Entwicklung beinhaltet,<br />
klingt zwar überzeugend und „menschlich“, sie hat aber offensichtlich<br />
noch nicht <strong>de</strong>n erfor<strong>de</strong>rlichen Gewissheitsgrad bei <strong>de</strong>n Professionellen<br />
er<strong>reich</strong>t, um die Handlungspraxis prägen zu können.<br />
Dies <strong>macht</strong> sich u.a. an zwei sehr wichtigen (Fehl-)Einschätzungen<br />
bemerkbar.<br />
Zum einen überhört die Praxis einer an <strong>de</strong>r „political correctness“<br />
orientierten Interkulturellen Pädagogik <strong>de</strong>n Ruf <strong>de</strong>r Jugendlichen<br />
„Wir wollen unsere Erfahrungen mit Interkulturalität selber machen;<br />
Keiner kann uns zeigen, wie es besser gehen kann, unsere Eltern<br />
nicht, aber auch die Deutschen nicht“ (vgl. Badawia 2002). Die<br />
Überbetonung <strong>de</strong>s Interkulturellen vor allem im Zeichen <strong>de</strong>r Politik<br />
wird folglich zu einer Belastung <strong>de</strong>r Jugendlichen (vgl. Hamburger<br />
1999). Zum an<strong>de</strong>ren wer<strong>de</strong>n Phasen <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntitätstransformation<br />
von Jugendlichen oft als finaler Zustand gesehen, während Jugendliche<br />
diese als offene Entwicklungsprozesse betrachten. Die Folge<br />
einer solchen Fehleinschätzung ist u.a. die Kulturalisierung von sozialen<br />
Verhältnissen und individuellen Handlungen, d.h. die Erklärung<br />
<strong>de</strong>rartiger Verhältnisse und Handlungen lediglich mithilfe ethnischer<br />
Kategorien. Folgen<strong>de</strong> Interviewpassagen von Immigrantenjugendlichen<br />
sollen diesen Gedankengang illustrieren:<br />
„Allein wenn ein Lehrer <strong>de</strong>nkt, ich kann das nicht in einem Satz<br />
sagen, dass die Lehrer gedacht o<strong>de</strong>r gezeigt haben, dass du an<strong>de</strong>rs<br />
bis, das ist die Art also, wie man dich schaut o<strong>de</strong>r so Sachen,<br />
manchmal ist das nur ein Blick o<strong>de</strong>r ein Wort /.../ ich dachte immer,<br />
warum wollen sie uns ewig nur als Gastarbeiterkin<strong>de</strong>r sehen, die<br />
nichts an<strong>de</strong>res sein können /../ klar das war viel einfacher für sie,<br />
sie waren mit allem überfor<strong>de</strong>rt, nicht nur mit uns /../<br />
(Deutsch-Italiener, 22 J.)<br />
„In <strong>de</strong>r Schule war es immer so, dass ich<br />
immer zwei o<strong>de</strong>r drei Monate gebraucht hab,<br />
bis ich <strong>de</strong>n Lehrer davon überzeugt hab, dass<br />
ich nicht schlecht bin, also das war ein echter<br />
Konflikt zwischen uns, ich musste ihn erst<br />
überzeugen, also da wur<strong>de</strong> von einem erwartet,<br />
dass man zum Beispiel nicht gut Deutsch<br />
kennt und solche Sachen halt“<br />
(Deutsch-Marokkaner, 21 J.)<br />
Infolge<strong>de</strong>ssen lässt sich in Anlehnung an<br />
mehrere Studien über diese so genannte<br />
„verlorene Generation“ (vgl. Badawia/Hamburger/Hummrich<br />
2003) folgen<strong>de</strong>s Resümee<br />
festhalten: Der Mehrheit innerhalb dieser<br />
Generation gelingt die Balance zwischen Herkunfts-<br />
und <strong>de</strong>utscher Kultur, gleichzeitig<br />
scheitert eine große Min<strong>de</strong>rheit infolge von<br />
Ethnisierungsmechanismen am Ziel <strong>de</strong>r Integration!<br />
Deshalb ist ein situativ angemessenes<br />
pädagogisches, erzieherisches o<strong>de</strong>r<br />
sozialarbeiterisches Han<strong>de</strong>ln mit einer Klientel,<br />
über die man einerseits wi<strong>de</strong>rsprüchliche<br />
Erkenntnisse fin<strong>de</strong>n kann, und<br />
an<strong>de</strong>rerseits über kaum zutreffen<strong>de</strong> Erkenntnisse<br />
verfügt, nach <strong>de</strong>r Maxime <strong>de</strong>r Reflexivität<br />
stärker <strong>de</strong>nn je gefragt.<br />
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