Tauernfenster 2003
Tauernfenster 2003
Tauernfenster 2003
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IM GESPRÄCH<br />
Einmal, da sollte ich im Hinterland Verpflegung<br />
holen. Als ich dort ankam, habe ich sie von so einem<br />
fanatischen Unterlandler nicht bekommen. Dem<br />
habe ich dann eine Ohrfeige gegeben. Als Strafe<br />
musste ich hinaus aufs freie Feld, warten, bis die<br />
Russen kommen. Die sind zum Glück nicht gekommen.<br />
Auf freiem Feld habe ich mich dann hinter<br />
einem Panzer versteckt und so konnte ich seit<br />
langem wieder einmal eine ganze Nacht durchschlafen.<br />
Ich habe damals viele Kameraden sterben sehen.<br />
Obwohl eigentlich schon alles verloren war, hieß es<br />
immer wieder: „Wir kämpfen bis zum letzten Mann.<br />
Rückzug gibt es nicht!“<br />
Und doch kam irgendwann der Zusammenbruch...<br />
Voltan Steinhauser: Das ging auf einmal alles ganz<br />
schnell. In der Früh hieß es: „Rückzug!“ Doch es<br />
dauerte nicht lange, da liefen wir den Russen in die<br />
Arme. Wir haben die Gewehre weggeworfen. Doch<br />
die Russen haben uns nur zugerufen: „Tawai, tawai<br />
– Lauft, lauft... nach Hause!“ Unbewaffnet fielen wir<br />
dann aber polnischen Milizen in die Hände und die<br />
haben uns gefangen genommen. So kamen wir in<br />
die russische Gefangenschaft.<br />
Wie lange warst du in der Gefangenschaft?<br />
Voltan Steinhauser: Sechs Monate lang. Das war<br />
das Schlimmste: Da war man völlig wehr- und<br />
rechtlos. Sie konnten mit einem machen, was sie<br />
wollten: verhungern lassen oder erschlagen oder...<br />
Dabei hatte der Russe selbst auch nichts mehr zu<br />
essen. Wir hatten alle nichts mehr. Im Herbst 1945<br />
bin ich dann frei gekommen. 14 Tage lang bin ich<br />
Daheim wartete aber auch die Not. Meine Frau hat<br />
keine Lebensmittelkarten bekommen. Die wird<br />
schon irgend jemand anderer abkassiert haben. Wir<br />
hatten nichts. Meine erste Arbeit war dann „Flieger<br />
tragen“. Den Flieger, der im Juni 1945 an der<br />
Birnlücke abgestürzt war, haben wir in Einzelteile<br />
zerlegt und ins Tal getragen. Das Aluminium war<br />
damals etwas wert.<br />
Ihr habt dann noch mehrere Kinder bekommen?<br />
Voltan Steinhauser: Ja. Im August 1948 die Zwillinge<br />
Marie und Adolf, 1955 kam dann die Hilda zur<br />
Mit der Familie am „Weiher“ ein Haus gebaut, im Bild (v.l.n.r., vorne):<br />
Marie, Anna und Hilda, (hinten) Ehefrau Loise, Adolf, Johanna und<br />
Voltan<br />
Beim Innerpichler (v.l.n.r.): Voltan Steinhauser mit Johanna, Adolf,<br />
Ehefrau Loise und Marie.<br />
mit dem Zug nach Hause: zum Essen gab es fast<br />
nichts. Als wir dann endlich auf die Amerikaner<br />
stießen, wurden wir zuerst einmal entlaust. Das<br />
letzte Stück von Sand herein ging’s zu Fuß. Aber<br />
das war mir überhaupt nicht zu weit...<br />
Daheim wartete deine Frau mit eurem zweiten Kind,<br />
das du noch nie gesehen hast?<br />
Voltan Steinhauser: Ja. Johanna, unsere Älteste,<br />
kam im März 1944 zur Welt. Erna dann 1945.<br />
Welt, 57 die Anna und 1961 schließlich die Elisabeth.<br />
Zusammen sieben, heute leben noch vier. Erna<br />
ist bereits mit zweieinhalb Jahren an der Ruhr gestorben.<br />
Ruhr bedeutet Durchfall, Bauchkrämpfe, hohes<br />
Fieber...<br />
Voltan Steinhauser: Es gab keine Hilfe. Noch am<br />
Vormittag ihres Todestages bin ich mit dem Rad<br />
zum Doktor nach Ahrn. Der hat gesagt, wir sollen<br />
die Kleine bringen. Als ich dann heim kam, war das<br />
Mädchen schon tot. Früher sind sehr viele Kinder<br />
gestorben, der Friedhof war ja voller Kindergräber.<br />
Die Weiherin hat gesagt, wir hätten jetzt einen<br />
Engel. Aber das war auch nicht gut. Uns hat das<br />
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