Tauernfenster 2003

Tauernfenster 2003 Tauernfenster 2003

30.05.2014 Aufrufe

IM GESPRÄCH Geheiratet haben wir, wie damals üblich, an einem Werktag. Für das Mahl habe ich am Pichl ein Kalb gekauft gehabt, etwa 80 kg schwer. Gefeiert haben wir dann beim „Jaggila“. Es kam eine Köchin ins Haus, um für uns Hochzeiter, alles in allem sicher nicht mehr als 20 Leute, aufzukochen. Als wir allerdings anfangen wollten, hieß es alsbald einmal: „Das Fleisch ist fertig!“ Die Köchin, eine herzensgute, freigebige Frau, hat einfach allen, die auf der Straße vorbeikamen, durchs Fenster ein Stück Fleisch angeboten. Nun kann man sich vorstellen, was das für ein Auflauf war: Damals, während des Krieges, an einem helllichten Werktag Fleisch für Voltan Steinhauser, 1944 in der Uniform der „Brixner Polizei“ jeden, soviel er mochte! Ich musste dann beim Auer noch ein halbes Schwein kaufen, damit die Hochzeitsgesellschaft nicht leer ausging. Und der Auer hatte ein halbes Schwein einfach nur so herzunehmen? Voltan Steinhauser: Ja, der hat damals so eine Art Schlachtbank geführt und eigentlich immer etwas vom Fleisch gehabt. Auf alle Fälle musste ich halt vom Vater 100 Lire leihen, sonst hätten wir die Feier nicht bezahlen können. Wir sind dann bald einmal nach der Hochzeit zum Innerpichler ins Quartier gezogen. Dort hatte ich bereits vorher ein paar Kühe eingestellt. Die und ein Stück Feld hatte ich von den Innerpichl-Erben gepachtet. Schließlich konnten wir dort in einer Kammer und im „Stibile“ Quartier beziehen. Einrücken musstest du nicht? Es war doch Krieg. Voltan Steinhauser: Zuerst nicht. Es war so, dass der dritte Sohn einer Familie – zuerst zumindest – frei gegangen ist. Nun war bei uns schon der Seppl, mein älterer Bruder, und „do Möisa“, den sie auch zur Familie gezählt haben, eingerückt. So bin ich frei gegangen. Vorher schon hieß es optieren... Voltan Steinhauser: Ja, 1939. Wir, die älteren Buben aus der Familie, haben für Deutschland optiert, der Vater dagegen für’s Dableiben. Die Geschwister aus der zweiten Ehe meines Vaters waren ja noch zu jung zum Wählen. Das heißt, die älteren Söhne haben anders gewählt als der Vater mit den minderjährigen Kindern. Voltan Steinhauser: Unser Vater hat gesagt: „Tut, was ihr wollt. Geht es euch draußen gut, kommen wir nach. Und sonst könnt ihr ja wieder heim.“ Schließlich musstest du aber doch noch einrücken? Voltan Steinhauser: Das war 1944, nachdem die Deutschen in Südtirol einmarschiert sind. Ich kam zur sogenannten „Brixner Polizei“. Bei der Ausbildung hat uns so ein fanatischer Oberleutnant richtig geschliffen. Manchmal waren wir 24 Stunden lang in den Wäldern bei Mühlbach herum. Dann hätten wir schwören müssen. Doch in den Tagen vorher haben wir hinter vorgehaltener Hand ausgemacht, dass wir nicht schreien. 12 Kompanien zu je 120 Leuten haben sich daran gehalten. Da waren einige unter uns, die haben das organisiert. Der Gauleiter Franz Hofer, der den Eid abnehmen wollte, hat sich beleidigt gefühlt. Zur Strafe kamen wir fast alle an die Ostfront. Du warst damals schon Vater einer Tochter, deine Frau erwartete das zweite Kind und du hast das riskiert? Woher der Mut zum Widerstand? Voltan Steinhauser: Wir haben einfach ausgemacht zusammenzuhalten – alle. „Do Leita Hansl“ der spätere „Leita Papa“ war auch dabei und aus St. Peter einige und aus dem ganzen Tal. „Do Stäiklhaisla“ aus St. Johann zum Beispiel, den treff’ ich immer wieder. Ich bin dann nach Schlesien gekommen als Granatwerfer. Eines Morgens hieß es: „Striggau angreifen!“ Doch es dauerte nur wenige Stunden, dann kam wohl Wetter: Der Russe hat mit aller Kraft zurückgeschossen. Wir lagen in den Schützengräben und sollten immer wieder einmal „hinausgicken“, wo der Russe sei. Die meisten, die „hinausgegickt“ haben, traf ein Kopfschuss. Ich hab’ mir gedacht, der hinter mir schreit, soll nur selber „hinausgicken“. 98 5

IM GESPRÄCH Einmal, da sollte ich im Hinterland Verpflegung holen. Als ich dort ankam, habe ich sie von so einem fanatischen Unterlandler nicht bekommen. Dem habe ich dann eine Ohrfeige gegeben. Als Strafe musste ich hinaus aufs freie Feld, warten, bis die Russen kommen. Die sind zum Glück nicht gekommen. Auf freiem Feld habe ich mich dann hinter einem Panzer versteckt und so konnte ich seit langem wieder einmal eine ganze Nacht durchschlafen. Ich habe damals viele Kameraden sterben sehen. Obwohl eigentlich schon alles verloren war, hieß es immer wieder: „Wir kämpfen bis zum letzten Mann. Rückzug gibt es nicht!“ Und doch kam irgendwann der Zusammenbruch... Voltan Steinhauser: Das ging auf einmal alles ganz schnell. In der Früh hieß es: „Rückzug!“ Doch es dauerte nicht lange, da liefen wir den Russen in die Arme. Wir haben die Gewehre weggeworfen. Doch die Russen haben uns nur zugerufen: „Tawai, tawai – Lauft, lauft... nach Hause!“ Unbewaffnet fielen wir dann aber polnischen Milizen in die Hände und die haben uns gefangen genommen. So kamen wir in die russische Gefangenschaft. Wie lange warst du in der Gefangenschaft? Voltan Steinhauser: Sechs Monate lang. Das war das Schlimmste: Da war man völlig wehr- und rechtlos. Sie konnten mit einem machen, was sie wollten: verhungern lassen oder erschlagen oder... Dabei hatte der Russe selbst auch nichts mehr zu essen. Wir hatten alle nichts mehr. Im Herbst 1945 bin ich dann frei gekommen. 14 Tage lang bin ich Daheim wartete aber auch die Not. Meine Frau hat keine Lebensmittelkarten bekommen. Die wird schon irgend jemand anderer abkassiert haben. Wir hatten nichts. Meine erste Arbeit war dann „Flieger tragen“. Den Flieger, der im Juni 1945 an der Birnlücke abgestürzt war, haben wir in Einzelteile zerlegt und ins Tal getragen. Das Aluminium war damals etwas wert. Ihr habt dann noch mehrere Kinder bekommen? Voltan Steinhauser: Ja. Im August 1948 die Zwillinge Marie und Adolf, 1955 kam dann die Hilda zur Mit der Familie am „Weiher“ ein Haus gebaut, im Bild (v.l.n.r., vorne): Marie, Anna und Hilda, (hinten) Ehefrau Loise, Adolf, Johanna und Voltan Beim Innerpichler (v.l.n.r.): Voltan Steinhauser mit Johanna, Adolf, Ehefrau Loise und Marie. mit dem Zug nach Hause: zum Essen gab es fast nichts. Als wir dann endlich auf die Amerikaner stießen, wurden wir zuerst einmal entlaust. Das letzte Stück von Sand herein ging’s zu Fuß. Aber das war mir überhaupt nicht zu weit... Daheim wartete deine Frau mit eurem zweiten Kind, das du noch nie gesehen hast? Voltan Steinhauser: Ja. Johanna, unsere Älteste, kam im März 1944 zur Welt. Erna dann 1945. Welt, 57 die Anna und 1961 schließlich die Elisabeth. Zusammen sieben, heute leben noch vier. Erna ist bereits mit zweieinhalb Jahren an der Ruhr gestorben. Ruhr bedeutet Durchfall, Bauchkrämpfe, hohes Fieber... Voltan Steinhauser: Es gab keine Hilfe. Noch am Vormittag ihres Todestages bin ich mit dem Rad zum Doktor nach Ahrn. Der hat gesagt, wir sollen die Kleine bringen. Als ich dann heim kam, war das Mädchen schon tot. Früher sind sehr viele Kinder gestorben, der Friedhof war ja voller Kindergräber. Die Weiherin hat gesagt, wir hätten jetzt einen Engel. Aber das war auch nicht gut. Uns hat das 99 5

IM GESPRÄCH<br />

Geheiratet haben wir, wie damals üblich, an einem<br />

Werktag. Für das Mahl habe ich am Pichl ein Kalb<br />

gekauft gehabt, etwa 80 kg schwer. Gefeiert haben<br />

wir dann beim „Jaggila“. Es kam eine Köchin ins<br />

Haus, um für uns Hochzeiter, alles in allem sicher<br />

nicht mehr als 20 Leute, aufzukochen. Als wir<br />

allerdings anfangen wollten, hieß es alsbald einmal:<br />

„Das Fleisch ist fertig!“ Die Köchin, eine herzensgute,<br />

freigebige Frau, hat einfach allen, die auf der<br />

Straße vorbeikamen, durchs Fenster ein Stück<br />

Fleisch angeboten. Nun kann man sich vorstellen,<br />

was das für ein Auflauf war: Damals, während des<br />

Krieges, an einem helllichten Werktag Fleisch für<br />

Voltan Steinhauser, 1944 in der Uniform der „Brixner Polizei“<br />

jeden, soviel er mochte! Ich musste dann beim Auer<br />

noch ein halbes Schwein kaufen, damit die Hochzeitsgesellschaft<br />

nicht leer ausging.<br />

Und der Auer hatte ein halbes Schwein einfach nur<br />

so herzunehmen?<br />

Voltan Steinhauser: Ja, der hat damals so eine Art<br />

Schlachtbank geführt und eigentlich immer etwas<br />

vom Fleisch gehabt. Auf alle Fälle musste ich halt<br />

vom Vater 100 Lire leihen, sonst hätten wir die Feier<br />

nicht bezahlen können. Wir sind dann bald einmal<br />

nach der Hochzeit zum Innerpichler ins Quartier<br />

gezogen. Dort hatte ich bereits vorher ein paar Kühe<br />

eingestellt. Die und ein Stück Feld hatte ich von den<br />

Innerpichl-Erben gepachtet. Schließlich konnten wir<br />

dort in einer Kammer und im „Stibile“ Quartier<br />

beziehen.<br />

Einrücken musstest du nicht? Es war doch Krieg.<br />

Voltan Steinhauser: Zuerst nicht. Es war so, dass<br />

der dritte Sohn einer Familie – zuerst zumindest –<br />

frei gegangen ist. Nun war bei uns schon der Seppl,<br />

mein älterer Bruder, und „do Möisa“, den sie auch<br />

zur Familie gezählt haben, eingerückt. So bin ich<br />

frei gegangen.<br />

Vorher schon hieß es optieren...<br />

Voltan Steinhauser: Ja, 1939. Wir, die älteren<br />

Buben aus der Familie, haben für Deutschland<br />

optiert, der Vater dagegen für’s Dableiben. Die<br />

Geschwister aus der zweiten Ehe meines Vaters<br />

waren ja noch zu jung zum Wählen.<br />

Das heißt, die älteren Söhne haben anders gewählt<br />

als der Vater mit den minderjährigen Kindern.<br />

Voltan Steinhauser: Unser Vater hat gesagt: „Tut,<br />

was ihr wollt. Geht es euch draußen gut, kommen<br />

wir nach. Und sonst könnt ihr ja wieder heim.“<br />

Schließlich musstest du aber doch noch einrücken?<br />

Voltan Steinhauser: Das war 1944, nachdem die<br />

Deutschen in Südtirol einmarschiert sind. Ich kam<br />

zur sogenannten „Brixner Polizei“. Bei der Ausbildung<br />

hat uns so ein fanatischer Oberleutnant<br />

richtig geschliffen. Manchmal waren wir 24 Stunden<br />

lang in den Wäldern bei Mühlbach herum. Dann<br />

hätten wir schwören müssen. Doch in den Tagen<br />

vorher haben wir hinter vorgehaltener Hand ausgemacht,<br />

dass wir nicht schreien. 12 Kompanien zu je<br />

120 Leuten haben sich daran gehalten. Da waren<br />

einige unter uns, die haben das organisiert. Der<br />

Gauleiter Franz Hofer, der den Eid abnehmen wollte,<br />

hat sich beleidigt gefühlt. Zur Strafe kamen wir fast<br />

alle an die Ostfront.<br />

Du warst damals schon Vater einer Tochter, deine<br />

Frau erwartete das zweite Kind und du hast das<br />

riskiert? Woher der Mut zum Widerstand?<br />

Voltan Steinhauser: Wir haben einfach ausgemacht<br />

zusammenzuhalten – alle. „Do Leita Hansl“ der<br />

spätere „Leita Papa“ war auch dabei und aus St.<br />

Peter einige und aus dem ganzen Tal. „Do<br />

Stäiklhaisla“ aus St. Johann zum Beispiel, den treff’<br />

ich immer wieder. Ich bin dann nach Schlesien<br />

gekommen als Granatwerfer. Eines Morgens hieß es:<br />

„Striggau angreifen!“ Doch es dauerte nur wenige<br />

Stunden, dann kam wohl Wetter: Der Russe hat mit<br />

aller Kraft zurückgeschossen. Wir lagen in den<br />

Schützengräben und sollten immer wieder einmal<br />

„hinausgicken“, wo der Russe sei. Die meisten, die<br />

„hinausgegickt“ haben, traf ein Kopfschuss. Ich hab’<br />

mir gedacht, der hinter mir schreit, soll nur selber<br />

„hinausgicken“.<br />

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