Tauernfenster 2003
Tauernfenster 2003
Tauernfenster 2003
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IM GESPRÄCH<br />
heim und am Nachmittag wieder in die Schule.<br />
Danach musste ich Katechismus lernen und dann in<br />
den Stall. Oft hieß es danach auch noch hinter den<br />
Katechismus. Da war die Pichlin ganz streng. Aber<br />
andere Aufgaben, als die vom Pfarrer, weiß ich<br />
eigentlich nie.<br />
Die Pichlin war also auch für dein schulisches<br />
Weiterkommen zuständig?<br />
Voltan Steinhauser: Ja, ja, heim bin ich eigentlich<br />
nur um Weihnachten.<br />
Daran erinnerst du dich?<br />
Voltan Steinhauser: Ja, an Manches zumindest: An<br />
den Christbaum zum Beispiel mit den kleinen Äpfeln<br />
drin. Den hat mein Vater allerdings gleich nach dem<br />
Heiligen Abend wieder aus der Stube entfernt. Man<br />
kann sich ja vorstellen, dass die Äpfel nicht lange in<br />
den Zweigen hängen durften. Die haben wir alle<br />
gleich verspeist und danach wussten wir mit einem<br />
Baum in der Stube nichts mehr anzufangen.<br />
Andere Kindheitserinnerungen an daheim hast du<br />
keine – an die Mutter etwa?<br />
Voltan Steinhauser: Kindheitserinnerungen eigentlich<br />
nicht. Meine Mutter habe ich nicht gekannt.<br />
Die ist an einer Grippe gestorben, als ich zwei Jahre<br />
alt war. Agnes hieß sie und sie war vom Nothdurft.<br />
Aber an sie erinnere ich mich überhaupt nicht. Ich<br />
habe noch einen älteren Bruder, den Seppl. Er ist<br />
eineinhalb Jahre älter als ich und lebt ja auch noch.<br />
Mein Vater, er hieß Kaidl (Kajetan) und war Fütterer<br />
beim Steger, hat dann wieder geheiratet, eine<br />
Schwester meiner leiblichen Mutter: Die war dann<br />
eigentlich meine Mutter. Ich hab’ sie auch immer so<br />
genannt.<br />
Die hatte dann aber auch noch eigene Kinder?<br />
Voltan Steinhauser: Ja, ja. Einen Sohn hat sie<br />
bereits in die Ehe mitgebracht. Den haben alle den<br />
„Möisa Seppl“ genannt; er ist dann im Krieg gefallen.<br />
Dazu kamen im Laufe der Jahre noch sieben<br />
Halbgeschwister: der David, der Hansl, der Kaidl<br />
(Kajetan), der Ludwig, die Moidl, die Nanne und der<br />
Stefan. Der ist dann im Bergwerk verunglückt. Die<br />
Moidl und der Hansl sind auch bereits gestorben.<br />
Außerdem war da noch ein Feschtl (Silvester), aber<br />
der ist schon als kleines Kind gestorben.<br />
Eine besonders enge Beziehung hattest du zu<br />
deinen Geschwistern aber nicht?<br />
Voltan Steinhauser: Wir sind Geschwister und sind<br />
auch immer wieder zusammengekommen. Aber<br />
gemeinsam aufgewachsen sind wir nicht. David ist<br />
sechs Jahre jünger als ich. Als er zur Welt kam,<br />
musste ich schon außer Haus. Das wäre aber wohl<br />
auch nicht anders gewesen, wenn meine Mutter<br />
nicht gestorben wäre. Damals war die Kindheit<br />
einfach anders – heute nicht mehr vorstellbar, doch<br />
einst ganz normal.<br />
Was hast du nach der Schule gemacht?<br />
Voltan Steinhauser: Nachdem ich ausgeschult war,<br />
kam ich zum Praschtbauern nach Kematen. Mein<br />
Bruder, der Seppl, hat schon ein Jahr vor mir dort<br />
als Knechtl angefangen. Zuerst musste ich als<br />
Hüterbub im Sommer auf die Jagdhausalm – übers<br />
Klammljoch ins Defreggen. Den Senner dort werde<br />
ich nicht mehr vergessen. Zu essen gab’s genug.<br />
Zum Frühstück meist schon Käse, Brot und Milch.<br />
Der Käse aber war voller Würmer. Nicht, dass er mir<br />
nicht trotzdem geschmeckt hätte, ich hab’ halt die<br />
Würmer ausgeklaubt. Das hat mir aber eine Schelte<br />
des Senners eingebracht: „Dou isch nichts ausziklaubm,<br />
dos isch olls Kas!“, so ist er mich angefahren.<br />
Ein anderes Mal ist er nach Rein und dort<br />
versumpft. Er hat nämlich recht gern getrunken,<br />
wenn er Gelegenheit dazu fand. Auf alle Fälle ist er<br />
drei Tage lang nicht wieder gekommen und ich<br />
musste als 13-Jähriger ganz allein zwölf Kühe<br />
versorgen. Doch damit nicht genug. In der Nacht<br />
haben mich die Nachbarn – die Jagdhausalm ist ja<br />
fast ein kleines Dorf von Almhütten – noch ordentlich<br />
erschreckt. Ich weiß heute noch, wie ich mich<br />
in dieser Nacht gefürchtet habe. Das war damals<br />
überhaupt so eine Unsitte, sich gegenseitig zum<br />
Fürchten zu bringen.<br />
Wie lang warst du dann in Kematen?<br />
Voltan Steinhauser: Drei, vier Jahre. Dort ist es uns<br />
gut gegangen. Wir haben immer genug zum Essen<br />
bekommen – genug Arbeit, aber auch genug Essen.<br />
Ich weiß noch, dass ich mir mit dem Lohn eines<br />
Jahres ein altes Fahrrad kaufen konnte – nicht ein<br />
neues, nur ein gebrauchtes. Einmal sind wir heimgekommen,<br />
der Seppl und ich, und da haben wir<br />
unserer Großmutter, „do Schüischta Welle“ vorgemacht,<br />
wir wären als Dienstboten beim Oberpursteiner<br />
in Sand. Dort war früher schon einmal ein Sohn<br />
von ihr, also ein Onkel von uns, und dem ist es dort<br />
derart schlecht gegangen, dass wir unserer „Nadl“<br />
so Leid getan haben, dass sie uns fünf Lire geschenkt<br />
hat. Als ich dann aber zum Oberluckner<br />
nach Mühlen gekommen bin, wäre der Scherz fast<br />
ernst geworden. Dort war die Kost derart schlecht,<br />
dass ich nach einem halben Jahr durch bin, zurück<br />
nach Prettau.<br />
Wohin?<br />
Voltan Steinhauser: Zum Gebaurer. Auch da ist es<br />
mir gut gegangen. Ich war sechs Jahre lang Knecht<br />
dort. In dieser Zeit habe ich auch die Loise, meine<br />
spätere Frau, kennen gelernt. Sie war beim Gebaurer<br />
„Diongl“, Kleinmagd also.<br />
Sie stammt auch aus Prettau?<br />
Voltan Steinhauser: Ja, vom „Jaggila“! 1943 haben<br />
wir dann geheiratet. Allerdings war ich da schon<br />
nicht mehr Knecht beim Gebaurer, sondern habe als<br />
Tagelöhner gearbeitet.<br />
Kannst du dich noch an deine Hochzeit erinnern?<br />
Voltan Steinhauser: An vieles nicht mehr, an<br />
einiges schon. An das Hochzeitsmahl zum Beispiel:<br />
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