Tauernfenster 2003
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IM GESPRÄCH<br />
VALENTIN STEINHAUSER ÜBER SEIN LEBEN UND SEINE SICHT DER DINGE MIT 85 JAHREN<br />
„DAS HEIRATEN WAR AM SCHÖNSTEN UND DIE ARBEIT IM BERG“<br />
Als er am 9. März 1918 beim „Schüischta“ geboren<br />
wurde, wütete in Europa ein Krieg, der alles bis dahin<br />
Erlebte und Erlittene an Härte und Grausamkeit<br />
übertraf. Aufgewachsen ist er unter dem Faschismus<br />
und – wie die meisten anderen „Hittna-Kindo“ in<br />
Prettau auch – außerhalb der eigenen Familie, bei<br />
einem Bauern. Daheim war die Not zu groß. Wieder<br />
kam ein Krieg, noch blutrünstiger und menschenverachtender<br />
als der erste. Lange schien es so, als bliebe<br />
ihm das Schlimmste erspart. Schließlich erreichte ihn<br />
die Einberufung doch – zuerst „nur“ zur sogenannten<br />
„Brixner Polizei“. Ein zu leiser, „zu wenig fanatischer“<br />
Eid auf den Führer brachte ihm und den meisten<br />
seiner Kameraden jedoch die Strafversetzung an die<br />
Ostfront. Als er aus der Gefangenschaft heimkehrte,<br />
war er 28 und Vater zweier Töchter. Erna, die jüngere,<br />
sah er das erste Mal. Dann hieß es neu anfangen,<br />
hieß der Not entkommen, ganz langsam nur und nur<br />
der äußeren. Vier Mal brach der Tod in seine Familie<br />
ein, nahm die Frau und drei Kinder mit und schlug<br />
Wunden, die nicht verheilen. Die Rede geht von<br />
Valentin Steinhauser, der im vergangenen März<br />
seinen 85. Geburtstag feierte. Aus diesem Anlass<br />
haben wir „beim Voltan“ angeklopft und setzen mit<br />
seinen Erinnerungen die Serie „Unsere älteren Mitmenschen<br />
im Gespräch“ fort.<br />
Voltan, was ist das erste, an das du dich erinnern<br />
kannst?<br />
Voltan Steinhauser: Wie ich mit sechs Jahren zum<br />
Auer kam, um Geiße zu hüten. Noch bevor ich<br />
eingeschult bin, war ich den ganzen Sommer auf<br />
der Lahneralm, als Hüterbub für ca. 25 Ziegen.<br />
Wie hütet ein Sechsjähriger 25 freilaufende Ziegen<br />
im Wald und in den Bergen?<br />
Voltan Steinhauser: Indem er ihnen nachläuft und<br />
sie am Abend alle wieder heim treibt. Die Geiße<br />
wurden ja jeden Tag gemolken und dafür mussten<br />
sie am Abend in den Stall. Das war damals einfach<br />
so: Sobald ein Kind die „Knöschpm“ selber nachziehen<br />
konnte, musste es mithelfen, musste arbeiten.<br />
Ich kam dann auch gleich als Hüterbub auf den<br />
Innerpichl. Dort war ich dann bis zum Ausschulen.<br />
Auch im Winter?<br />
Voltan Steinhauser: Ja. Früher waren „Schüischta<br />
und Bäckn“ zusammengebaut, ein Haus. Daheim<br />
hätten wir nicht alle Platz und wohl auch nicht zu<br />
essen gehabt. Doch das war nicht nur bei uns so,<br />
dass wir von daheim weg mussten. Die Kinder von<br />
Kleinhäuslern kamen in der Regel alle zu Bauern:<br />
als „Büi“ oder „Gietsche“ waren ihnen ganz bestimmte<br />
Arbeiten in Stall und Haus zugeteilt. Dafür<br />
durften sie beim Bauern wohnen und bekamen, was<br />
sie zum Leben brauchten.<br />
Deine Schulzeit hast du also nicht daheim beim<br />
„Schüischta“, sondern am Pichl verbracht. Waren<br />
dort denn keine eigenen Kinder?<br />
Voltan Steinhauser: Doch, doch, aber die waren<br />
schon etwas älter: der Voltan – er wurde dann ja<br />
Pichlbauer, die Moidl – sie hat zum Baumann<br />
geheiratet, und die Röise – heute die alte Stegerin,<br />
die ja bald 100 ist. Mit mir war noch die Hörmann<br />
Regina als „Gietsche“ am Pichl. Wir beide waren für<br />
die kleineren Arbeiten zuständig. Ich habe im<br />
Sommer das Jungvieh gehütet und im Winter<br />
musste ich am Abend beim Füttern helfen.<br />
Und die Schule?<br />
Voltan Steinhauser: Die habe ich nur in Italienisch<br />
gehabt. Es war ja die Zeit des Faschismus. Gelernt<br />
haben wir fast nichts. Wir haben die Lehrerinnen<br />
und Lehrer nicht verstanden und sie uns nicht.<br />
Außerdem brauchten und sollten wir auch nichts<br />
lernen. Dabei wäre es so wichtig gewesen, wenn wir<br />
Italienisch gelernt hätten. Anders war das in der<br />
Pfarrerschule. Die war ja deutsch und da haben wir<br />
sehr viel lernen müssen. Die Pfarrerschule war am<br />
„Liechn“ oder im Widum unterm Dach. In der Früh<br />
sind wir immer Frühmesse, und dann in die Schule<br />
oder zum Katechismusunterricht – das weiß ich<br />
nicht mehr. Auf alle Fälle mussten wir zu Mittag<br />
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