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Vampir - Geschlecht - Studie - J. Reum

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fragmenthafte Kurzgeschichte über Augustus Darvell, der mehr eine geheimnisvolle<br />

Gestalt als ein <strong>Vampir</strong> ist, beeinflusst seinen Leibarzt John William Polidori zu seiner<br />

erfolgreichen <strong>Vampir</strong>geschichte The Vampyre (1819) – Lord Ruthven ist geboren, der<br />

erste moderne <strong>Vampir</strong>. 89 Seine grausige Liebe versetzt Frauen in Schrecken und doch<br />

zieht er als prototypischer Edelmann alle Frauen an. Er „ist reserviert, brillant, eisig,<br />

von faszinierender Wirkung auf Frauen und unverfroren böse. 90 Doch auch der junge<br />

Aubrey ist von seiner geheimnisvollen Aura fasziniert und zusammen bereisen sie<br />

schließlich Europa. Schon bald ist Aubrey von Lord Ruthvens dekadenter Haltung,<br />

seiner Zerstörungswut und Spielsucht abgeschreckt und kehrt ihm den Rücken. Er<br />

reist allein weiter nach Griechenland und wähnt sich in Sicherheit. Ruthvens Rache<br />

an Aubreys Verrat ist ungeheuerlich, er tötet die unschuldige Janthe, Aubreys<br />

Geliebte und bemächtigt sich der Liebe der Schwester Aubreys.<br />

Der Unterschied zu früheren <strong>Vampir</strong>erzählungen, unter anderem Goethe, liegt darin,<br />

dass Polidori klar darauf hinweist, was Lord Ruthven ist und, dass das Böse am Ende<br />

siegt und davonkommt. „Lord Ruthven war verschwunden, und Aubreys Schwester<br />

hatte den Durst eines Vampyrs gestillt.“ 91<br />

Lord Ruthven, mit seinen „seelenlosen grauen Augen“ und seinem „Blick [der] das<br />

innerste Herz zu durchbohren schien“ 92 , verursacht Schaudern in der noblen<br />

Londoner Gesellschaft und trotz der totenbleichen Gesichtsfarbe und seiner<br />

Ausdruckslosigkeit versuchen Frauen, seine Aufmerksamkeit zu erlangen. Lord<br />

Ruthven ist der unnahbare Verführer, der ihnen eine romantische Einsamkeit<br />

vorgaukelt. 93 Er hat eine unübersehbare Macht über Frauen, die ihm unterlegen sind.<br />

Er begibt sich in die Gesellschaft tugendhafter Frauen, um sie zu erniedrigen und zu<br />

zerstören. 94 Lord Ruthven ist das personifizierte Laster, das im Gewande der Eleganz<br />

erscheint. Sein überlegenes Desinteresse und die Aura des ewigen Geheimnisses<br />

umgeben ihn und wirken anziehend auf Frauen, die nach Andersartigkeit dürsten. Er<br />

ist ein Dandy, oder, in einem moderneren Bild gesprochen, ein Macho mit Hang zum<br />

Glücksspiel und zu destruktiven Ausschweifungen, somit repräsentiert er eine untote<br />

Décadence-Kultur. 95<br />

Der männliche <strong>Vampir</strong>ismus steht, vor der Brechung durch Anne Rice, im<br />

Allgemeinen für Gewalt, der weibliche eher für Lüsternheit und Sexualität. Lord<br />

Ruthven ist ein Stück weit noch das folkloristische Monster, das sich Janthe, Sinnbild<br />

der unberührten, unschuldigen und reinen Weiblichkeit, bemächtigt und aussaugt. 96<br />

Die Frauen erliegen dem <strong>Vampir</strong> und geben den Widerstand auf, denn er hat, wie<br />

89 Vgl. Köppl (2010): S. 46.<br />

90 Zit. n. Jänsch, Erwin (1995): <strong>Vampir</strong>-Lexikon. Die Autoren des Schreckens und ihre blutsaugerischen<br />

Kreaturen. 200 Jahre <strong>Vampir</strong>e in der Literatur. SoSo. Augsburg. S. 214.<br />

91 Zit. n. Polidori, William (o. J.): Der Vampyr. In: Sturm, Dieter/Völker, Klaus (Hrsg.) (1968): Von denen<br />

<strong>Vampir</strong>en oder Menschensaugern. Carl Hanser Verlag. München. S.69.<br />

92 Zit. n. ebd. S.46.<br />

93 Vgl. ebd. S. 47.<br />

94 Vgl. Fratz (2001): S. 55.<br />

95 Vgl. ebd. S. 53. und Ruthner (2005): S. 31.<br />

96 Vgl. Polidori (o. J.): S. 56.<br />

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