Vampir - Geschlecht - Studie - J. Reum
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Wirklichkeit zu verjagen, weichen sie in die Literatur aus. Im 19. Jahrhundert verlässt<br />
der Zombie-<strong>Vampir</strong> die Landfriedhöfe und erobert als Mitglied der Oberschicht die<br />
Bühne und die Literatur. 59<br />
Monster und Ungeheuer galten schon immer als Ausdruck politischer Resignation. 60<br />
Das Aufkommen des literarischen <strong>Vampir</strong>s in der Neuzeit knüpft an die rationale<br />
Entzauberung der Welt an, sowie an die Enttäuschung über den Optimismus der<br />
Aufklärung und an die Schrecken der Französischen Revolution. 61 Die Romantiker<br />
fasziniert eine Verkettung von Sexualität, Schmerz und Horror. Sie greifen die<br />
existenzielle und neurotische Angst des Volkes auf, und auch den modernisierten<br />
<strong>Vampir</strong>mythos, der in eine Reflexion über Leben, Tod und Liebe übergegangen ist. 62<br />
Zusätzlich zur Lust an Angst mischen sie ein neues Liebesmodell hinzu, das auch<br />
jenseits des Todes funktioniert. 63 Der Tod wird durch den Unsterblichkeitsgedanken<br />
ausgegrenzt und erhält eine erotische Dimension – Liebe bis in den Tod und darüber<br />
hinaus. Somit ist die Vereinigung von Tod und Sexualität eine Überschreitung der<br />
gesellschaftlichen Norm. Liebe bekommt dadurch eine negative Konnotation, denn<br />
zusätzlich zum sexuellen, wird auch ein gewalttätiger Beigeschmack hinzugemischt.<br />
Das <strong>Vampir</strong>motiv beinhaltet ein hemmungsloses Ausleben einer aggressiven,<br />
wollüstigen, pervers-obszönen, nekrophilen und blutigen Sexualität. 64<br />
Durch den Übergang aus der Folklore in die Literatur erhält der <strong>Vampir</strong> ein<br />
begünstigendes Facelifting auf Kosten seines Spiegelbildes. Bestand der<br />
folkloristische Mythos noch aus einem mörderischen Monster der unteren<br />
Gesellschaftsschicht, vollgesogen wie ein Blutegel und stinkend, ist der <strong>Vampir</strong> zwar<br />
immer noch sadistisch-böse veranlagt, doch er tritt nun als melancholischer Aristokrat<br />
auf, der mit seinem Schicksal hadert. Die Raupe entpuppt sich als Schmetterling –<br />
nämlich als schöner Verführer und Liebhaber. Die Literatur ermöglicht auch der<br />
<strong>Vampir</strong>in, sich zu emanzipieren und räumt ihr als verführerische Femme fatale eine<br />
gleichwertige Rolle neben ihrem männlichen Gegenpart ein. Der prototypische<br />
<strong>Vampir</strong> ist nun blass, edel, von exotischer Schönheit, hat lange, spitze Eckzähne und<br />
einen hypnotisierenden Blick. Die drastische Art des Umgangs mit dem <strong>Vampir</strong> im<br />
Volksglauben steht im Kontrast zur Stilisierung als romantisch-tragischer Held. 65 Seit<br />
Menschengedenken herrscht in der Literatur die Dichotomie von Gut versus Böse.<br />
Durch die Stilisierung als Held schafft der <strong>Vampir</strong> den Sprung zum Guten, denn oft<br />
ist er unschuldig an seiner Verwandlung und kämpft gegen seinen Durst und seine<br />
Verdammung an. Auf seinem Siegeszug erfährt der <strong>Vampir</strong> zahlreiche Erweiterungen<br />
59 Zit. n. Köppl (2010): S. 79.<br />
60 Vgl. Völker, Klaus (1968): Historischer Bericht. In: Sturm, Dieter/Völker, Klaus (Hrsg.) (1968): Von<br />
denen <strong>Vampir</strong>en oder Menschensaugern. Carl Hanser Verlag. München. S. 505.<br />
61 Vgl. Schaub (2008): S. 165. und Mannhardt/Hanuš (2004): S. 47.<br />
62 Vgl. Mannhardt/Hanuš (2004): S. 48.<br />
63 Vgl. Unterpunkt 2.2 dieser Arbeit: S. 6.<br />
64 Vgl. Mannhardt/Hanuš (2004): S. 47.<br />
65 Vgl. ebd. S. 49.<br />
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